Todesstrafe für Saddam Hussein

Völker- und völkerstrafrechtliche Implikationen

Am 5. November 2006 befand das irakische Sondertribunal Saddam Hussein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig und verurteilte sie zum Tode durch den Strang.

Zwei der sieben Mitangeklagten teilten das Schicksal des irakischen Ex-Diktators.1 Das Kassationsgericht bestätigte die Verurteilung Husseins am 26. Dezember. Die Hinrichtung erfolgte bereits vier Tage später, am 30. Dezember, dem Beginn einer der höchsten sunnitischen Festtage. Offizielle Kommentierungen des Geschehens durch verschiedene Regierungs- und Organisationsvertreter waren erwartungsgemäß kontrovers. Von europäischer Seite und der UN-Kommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, wurde wiederholt die generelle Ablehnung der Todesstrafe zum Ausdruck gebracht. Für größeres Aufsehen sorgte Ban Ki-moon, seit Anfang 2007 neuer Generalsekretär bei den Vereinten Nationen, als er verlauten ließ, dass es Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten sei, wie sie die Todesstrafe auf nationaler Ebene regelten. Obwohl Ki-moons Aussage im Einklang mit geltendem internationalem Recht steht, verwundert sie, da die Vereinten Nationen neben Sicherheit und Entwicklung den Schutz der Menschenrechte als eine ihrer drei Säulen vorsehen und bisher die Todesstrafe ablehnten. Auch wenn Ki-moon drei Tage später die Sichtweise Arbours offiziell bestätigte,2 so kann seine Aussage dennoch zum Anlass genommen werden, die voreiligen Reaktionen und strikte Haltung der Vertreter der "europäischen Sichtweise" zu hinterfragen und klarzustellen, ob und wie die prinzipielle Ablehnung der Todesstrafe auf die Ebene des Völkerstrafrechts übertragen werden kann. Neben der häufig zitierten "europäischen Sichtweise" sind hierbei vor allem die völker- und menschenrechtlichen Implikationen des Falles Saddam Hussein von Interesse.

Europäische Sichtweise

Auf europäischer Ebene sieht Artikel 2 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwar das Recht auf Leben als gesetzlich geschützt an, zugleich erfolgt aber in Satz zwei dieser Norm eine Einschränkung im Falle der Vollstreckung eines Todesurteils. Jener Artikel 2 hat jedoch eine Erweiterung durch die Zusatzprotokolle Nr. 6 (1983) und Nr. 13 (2003) erfahren. Ersteres sieht die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, letzteres die Abschaffung der Todesstrafe in Kriegszeiten vor. Das europäische Menschenrechtssystem verbietet ferner die Auslieferung an Staaten, in denen die Todesstrafe droht. Dieser Grundsatz wurde vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Soering im Jahre 1989 entwickelt und in weiteren Entscheidungen bestätigt.3 Mit einer am 24. Juni 2004 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegten Beschwerde und dem Ersuchen um vorläufige Maßnahmen rügte Saddam Hussein eine Verletzung dieses Rechts durch seine Auslieferung an die damalige Zivilverwaltung im Irak durch die Besatzungstruppen.4 Eine sog. exterritoriale Bindung der Menschenrechtskonvention könnte sich im Falle Husseins aus Artikel 1 EMRK ergeben, eine Bestimmung, die für den Geltungsbereich der Konvention an die Hoheitsgewalt der Vertragsparteien anknüpft. Grundsätzlich wird der Begriff der Hoheitsgewalt zwar territorial bestimmt, d.h. ist auf das Territorium des jeweiligen Mitgliedstaates begrenzt, dennoch kann unter gewissen Umständen Hoheitsgewalt auch im Ausland vollzogen werden.5 Entscheidend ist dabei, dass der Staat "effektive Kontrolle" außerhalb des eigenen Territoriums ausübt, was insbesondere im Falle militärischer Besetzung oder der physischen Gewalt über eine Person durch Festnahme oder Inhaftierung gegeben ist. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat dementsprechend diejenigen Mitgliedstaaten der EMRK, deren Streitkräfte im Irak tätig sind, zur Einhaltung der EMRK aufgefordert.6 Mit seiner Entscheidung vom 14. März 2006 hat der Gerichthof jedoch den Antrag Husseins mit der Begründung abgelehnt, dass die exterritoriale Geltung der Konvention von Hussein nicht hinreichend dargelegt wurde.7

Völkerrechtliche Implikationen

Der "Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte", deren Mitglied der Irak seit 1971 ist, ist mit 160 Mitgliedsstaaten einer der weltweit anerkanntesten Menschenrechtsverträge und bildet zusammen mit dem "Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" und der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" die sog. "International Bill of Human Rights". Artikel 6 Absatz 2 des Paktes erlaubt die Verurteilung zum Tode ausdrücklich für Fälle von "schwersten Verbrechen". Das 2. Zusatzprotokoll aus dem Jahre 1989 sieht die Abschaffung der Todesstrafe unter jeglichen Umständen vor und ist derzeit von 59 Staaten, nicht aber vom Irak, ratifiziert. Diese generellen völkerrechtlichen Bedingungen werden im Bereich der völkerstrafrechtlichen Dogmatik um weitere Aspekte ergänzt. So hat das Völkerstrafrecht in den letzten 60 Jahren eine deutliche Entwicklung hin zu einer Abschaffung der Todesstrafe erfahren: Während die Nürnberger Kriegsverbrechertribunale insgesamt 12 Todesurteile verhängten und die Todesstrafe ohne Diskussion als selbstverständliche Strafmöglichkeit in das Statut aufgenommen wurde, sehen die ad-hoc Tribunale für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien die Todesstrafe nicht als eine mögliche Sanktion vor. Das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshof beinhaltet ebenfalls keine Todesstrafe. Sie zuzulassen war während der Verhandlungen in Rom im Jahre 1998 heftig umstritten und einige asiatische, arabische sowie afrikanische Länder befürworteten eine Kodifizierung. Dennoch wird diese Nichtaufnahme der Todesstrafe in das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs sowie der ad-hoc Tribunale von Gegnern der Todesstrafe in den letzten Jahren dahingehend interpretiert, dass sich auch auf internationaler Ebene ein deutlicher Trend zu einer universellen Norm abzeichnet, die die Abschaffung der Todesstrafe als Verstoß gegen das Recht auf Leben beinhaltet.8 Völkervertragsrechtlich kann eine solche Norm zwar bisher nicht ausgemacht werden und ebenso wenig ist völkergewohnheitsrechtlich eine solche Regel unter Berücksichtigung der notwendigen Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung feststellbar. Aber auch wenn eine universelle und uneingeschränkte Norm des Rechts auf Leben noch nicht existieren sollte, ist bei der Bewertung von Husseins Todesurteils der Tatsache Geltung zu verleihen, dass die vom Sondertribunal behandelten Tatbestände auch international sind, wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid. Eine glaubhafte und international akzeptierte Aburteilung auf der Grundlage dieser Tatbestände sollte daher dieselben Strafen anwenden, die für diese Verbrechen auch im Rahmen der international errichteten Gerichtshöfe vorgesehen sind.9 Die Todesstrafe zählt nicht zu diesen.

Todesstrafe nach einem unfairen Verfahren?

Nach der Rechtsprechung und der Allgemeinen Bemerkung Nr. 6 des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen ist die Verurteilung zum Tode im Anschluss an ein unfaires Verfahren völkerrechtswidrig.10 Der Prozess gegen Saddam Hussein verstieß nach den jüngst von Human Rights Watch und dem International Center for Transitional Justice veröffentlichten Berichten gegen die in Artikel 14 des "Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte" kodifizierten Mindestgarantien für ein faires Verfahren.11 Diese Mindestgarantien beinhalten Rechte wie die öffentliche Verhandlung vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, die Geltung der Unschuldsvermutung bis zum erbrachten Nachweis der Schuld, die unverzügliche Unterrichtung über Art und Grund der erhobenen Anklage, das Recht auf angemessene Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung sowie selbst Fragen an die Belastungszeugen zu stellen. Die Unabhängigkeit des Tribunals wird insbesondere durch Artikel 4 Absatz 4 des Statutes gefährdet, eine Regelung, die dem irakischen Ministerrat erlaubt, Richter von dem Tribunal "aus irgendeinem Grund" zu versetzten.12 Unter Anwendung dieser Bestimmung wurde im September 2006 der Richter al-Amiri abgezogen, nachdem die Öffentlichkeit und ranghohe Regierungsvertreter Entsetzen über seine Aussage, Hussein sei "kein Diktator" gewesen, zum Ausdruck gebracht hatten. Ebenso trat Richter Rizgar Amin zurück, nachdem er für sein Auftreten im Gerichtssaal von Seiten des irakischen Justizministeriums und der Öffentlichkeit kritisiert worden war. Darüber hinaus stellte die Sicherheitslage des Iraks die ungehinderte Durchführung der Prozesse wegen der persönlichen Gefährdung der Prozessbeteiligten in Frage. Insgesamt wurden bisher fünf Mitarbeiter des Tribunals und drei Verteidiger getötet. Die Strafverteidiger können sich nicht ausschließlich in der internationalen Zone aufhalten, weil sie Familie und weitere Mandate außerhalb dieses Bereichs haben, in dem ihre Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. ZeugInnen und Opfer im Prozess haben nur einen beschränkten Zugang in die internationale Zone und ein effektives Zeugenschutzprogramm existiert ebenfalls nicht. Die Sicherheitslage im Irak beeinträchtigt insgesamt die Arbeit des Tribunals derart, dass die notwendige Aufarbeitung der Taten des ehemaligen Unrechtsregimes während des anhaltenden Bürgerkrieges als ineffektiv gewertet werden muss. Ebenfalls nicht im Einklang mit internationalem Recht steht die in Artikel 27 Abs. 2 des Tribunal Statutes geregelte Verhängung der Todesstrafe ohne die Möglichkeit des Verurteilten, um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe zu bitten. Dies verstößt gegen Iraks völkerrechtliche Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 4 des "Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte".13 Auch aus der Perspektive der zahlreichen Opfer muss die Hinrichtung bereits nach dem Abschluss des "Dujail-Prozesses" als wenig zweckdienlich im Sinne einer Versöhnung und juristischen Aufarbeitung der Unrechtszeit unter Saddam Husseins angesehen werden, da im sog. "Anfal-Militärkampagne Prozess", der einen Angriff auf kurdische Dörfer im Jahr 1988 mit ca. 100.000 Opfern zum Gegenstand hat, die ZeugInnen nicht mehr direkt gegen Hussein werden aussagen können. Verglichen mit dem "Dujail-Prozess", bei dem Hussein für Verbrechen gegen die Menschlichkeit - u.a. die Anordnung von Hinrichtungen ohne vorherige Verfahren - für schuldig befunden wurde, wiegt die Anklage im "Anfal-Prozess" ungleich schwerer, beinhaltet sie doch den Vorwurf des Genozides an der kurdischen Bevölkerung.

Straftheorien und Völkerstrafrecht

Eine noch deutlichere Brisanz erhält das Todesurteil im Lichte der Strafzwecke. Hier stoßen die aus dem nationalen Strafrecht bekannten Straftheorien auf der Ebene des Völkerstrafrechts nahezu an ihre Grenzen. Vergeltung und Sühne als Form der absoluten Straftheorie kann im Falle des Völkerstrafrechts nicht zweckdienlich sein. Mag die Todesstrafe auf einfacher, nationaler Ebene das entstandene Unrecht aufwiegen; im Falle eines Völkermörders versagt dieser Sühnegedanke. Das begangene Unrecht erscheint zu groß, um es selbst mit einer Todesstrafe angemessen zu ahnden.14 Aber auch die anderen im nationalen Strafrecht entwickelten und auf Prävention abzielenden Straftheorien sind auf internationaler Ebene nicht gleich effektiv. So kann angesichts der Tatsache, dass 60 Jahre nach den Nürnberger Prozessen die internationale Staatengemeinschaft mit weiteren schwersten Menschenrechtsverletzungen, u.a. in Ruanda, auf dem Balkan oder in Darfur, konfrontiert wurde, bezweifelt werden, ob die Hinrichtung Saddam Husseins eine abschreckende Wirkung entfalten kann. Bei der Aburteilung und der Bestrafung eines völkerstrafrechtlichen Delikts ist schlussendlich zu bedenken, dass die individuelle strafrechtliche Verantwortung für Verstöße gegen das Völkerrecht aus einer menschenrechtlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte herrührt. Diese Entwicklung legt einer möglichen Straffindung zugleich Grenzen ihrer Legitimität auf. Eine Verurteilung zum Tode im Namen der Menschenrechte ist ein Widerspruch in sich.15 Doch dieser Widerspruch ist sicher nicht der einzige, den die Geschehnisse im Irak und der sogenannte "Krieg gegen den Terror" hervorgebracht haben. Clemens Müller ist Jurist und studiert derzeit am Irish Centre for Human Rights, NUI (Galway).

Weiterführende Literatur:

  • Symposium, in: 38 Cornell International Law Journal (2005) Heft 3.
  • Symposium, in: Journal of International Criminal Justice (2004) Heft 2.
  • F. Coomans / M. T. Kamminga, Exterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004. 1 Die "Dujail-Entscheidung" kann ebenso wie das Berufungsurteil in englischer Übersetzung auf http://www.law.case.edu/saddamtrial/ abgerufen werden. Zuletzt abgerufen am 25.2.2007. 2 Vgl. UN Doc. SG/SM/10831 v. 6.1.2007. 3 Jens Soering v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli1989 in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ) 1989, 314. 4 Zum völkerrechtlichen Status der Besatzungstruppen siehe C. Schaller, Die Multinationale Truppe im Irak, Stiftung Wissenschaft und Politik-Aktuell, 2004/A 30. 5 Vgl. zur Problematik der exterritorialen Geltung jüngst B. Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht - Zugleich ein Beitrag zur exterritorialen Geltung von Menschenrechtsverträgen, 2006, 18-34. 6 Resolution 1386 (2004), 24. 6. 2004, § 18. 7 Saddam Hussein v. 21 EMRK Staaten, Urteil vom 14. März 2006, abgedruckt in (EuGRZ) 2006, 247. 8 Vgl. W. Schabas, The Abolition of the Death Penalty in International Law, 2003, 235ff.; a.A. J.D. Ohlin, Applying the Death Penalty to Crimes of Genocide? American Journal of International Law 2005, 747. 9 Vgl. T. Parker, Prosecuting Saddam: The Coalition Provisional Authority and the Evolution of the Special Iraqi Tribunal, Cornell International Law Review 2005, 899, 907. 10 UN Human Rights Committee, Reid v. Jamaica (Case No. 250/1987), UN Doc. A/45/40, Vol. II, S. 85; UN Human Rights Committee, General Comment No. 6, 30. April 1982, § 7. 11 Judging Dujail, Human Rights Watch Report, Vol. 18 No. 9 (E), November 2006; Dujail: Trial and Error?, International Centre for Transitional Justice, Briefing Paper, November 2006. 12 Art. 4 (4) des Tribunal Statutes lautet wie folgt: "The Presidency Council in accordance with a proposal from the Council of Ministers shall have the right to transfer Judges and Public Prosecutors from the Court to the Higher Judicial Council for any reason." 13 Art. 6 Abs. 4 des IPbpR lautet: "Jeder zum Tode Verurteilte hat das Recht, um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe zu bitten. Amnestie, Begnadigung oder Umwandlung der Todesstrafe kann in allen Fällen gewährt werden." Artikel 27 (2) des Tribunal Statutes lautet: "No authority, including the President of the Republic, may grant a pardon or mitigate the punishment issued by the Court. The punishment must be executed within 30 days of the date when the judgment becomes final and non-appealable". 14 Vgl. G. Scholem, On Sentencing Eichmann to Death, Journal of International Criminal Justice 2006, 859, 860. 15 Vgl. F. Neubacher, Strafzweck und Völkerstrafrecht, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 966.