EGMR verurteilt Deutschland wegen Brechmitteleinsatz

Der Zwangseinsatz von Brechmitteln bei polizeilichen Ermittlungen ist unmenschlich und verstößt gegen die Menschenrechtskonventionen. Deutschland muss dem Kläger nun 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Dies entschied die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) am 11. Juli 2006. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen und verletze das Folterverbot des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwende, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren und den aus Art. 6 EMRK hervorgehenden Selbstbelastungsfreiheit. Dass der Fall grundsätzliche Bedeutung hat, war den Richtern in Straßburg sofort klar, denn der Fall wurde direkt an die höchste Straßburger Instanz, die große Kammer, verwiesen. Rechtsmittel sind gegen die Entscheidung nicht mehr möglich.

Der in Köln lebende Kläger war im Oktober 1993 festgenommen worden. Zuvor hätten Polizisten beobachtet, wie er zwei offenbar mit Drogen gefüllte Plastiktütchen aus seinem Mund genommen und verkauft habe, teilte das Gericht mit. Bei seiner Festnahme habe der Mann ein weiteres Päckchen heruntergeschluckt. Er sei in ein Krankenhaus in Wuppertal gebracht worden, wo ihm ein Brechmittel gewaltsam durch eine Nasensonde gegeben worden sei, weil sich der Mann geweigert habe, es freiwillig zu schlucken.

Wenige Tage nach der Verurteilung dieser Praxis durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat Niedersachsen die Brechmitteleinsätze per Erlass vorerst gestoppt. Erschreckend war jedoch das Verhalten des innenpolitischen Sprechers der Hamburger SPD-Fraktion, Andreas Dressel, der den Einsatz von Brechmitteln als letzte Lösung zur Beweissicherung verteidigte und aussagte: als Konsequenz aus dem Straßburger Urteil dürfe nicht folgen, "dass die Drogendealer dem Rechtsstaat nun wieder auf der Nase herumtanzen". Es bleibt abzuwarten wie die Situation sich in Hamburg entwickeln wird.

Das ganze Straßburger Urteil ist nicht nur ein Debakel für die deutsche Kriminalpolitik, die gerne auf das populistische Mittel Brechmittel setzte und dies durch das "legitime" Strafverfolgungsinteresse versuchte zu rechtfertigten, sondern auch für die deutsche Justiz und insbesondere für das Bundesverfassungsgericht, welches keine "verfassungsrechtlichen Bedenken" beim Einsatz von Brechmitteln sah.

Für zwei Menschen kommt das Urteil allerdings zu spät. Sie starben, als ihnen Ärzte in Bremen und in Hamburg Magensonden in den Leib schoben, um ihnen unter Zwang das mit Wasser verdünnte Medikament einzutrichtern.