Oaxaca, Mexiko: Der Kampf geht weiter

Trotz verschärfter Repression geht die soziale Bewegung im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca weiter.

Begonnen hatte alles mit dem Streik der Gewerkschaft der Beschäftigten im Bildungssektor (SNTE) für eine Verbesserung der Situation an den Schulen (vgl. SoZ 11/06). Im Zuge der sich auf die Forderung nach Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz ausweitenden Auseinandersetzungen gingen die Polizeikräfte mit brutalen Mitteln gegen die Streikenden vor. Als Antwort auf den autoritären und repressiven Regierungsstil kam es in weiten Teilen der Bevölkerung zur Solidarisierung mit den Kämpfenden und zur Ausweitung der Bewegung in eine breite Volksbewegung, die sich in der Volksversammlung der Völker von Oaxaca (APPO - Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca) organisiert haben.

Parallel zu der steigenden Gewalt gegen Mitglieder und Sympathisanten der APPO wuchsen auch die Drohgebärden seitens Abascals und anderer hochrangiger Politiker in der Landeshauptstadt Mexiko-Stadt. Zwar legte die Verhandlungskommission ein Angebot vor, dass auf zahlreiche Forderungen der Gewerkschaft und der APPO einging, aber diese Zusagen waren recht schwammig. Viel schwerer wog aber, dass das Angebot überhaupt nicht auf die zentrale Forderung der APPO, die Absetzung Ulises, einging.

Bei einer Urabstimmung unter den 70000 Mitgliedern der Lehrergewerkschaft am 20.Oktober wurde das Angebot daher mehrheitlich abgelehnt, obwohl die Anspannung und der ökonomische Druck wuchsen. Die (ohnehin geringen) Löhne der Lehrerinnen und Lehrer wurden schon seit Wochen nicht mehr ausgezahlt. Es wurde unmissverständlich klargemacht, dass das Angebot angenommen werden und die Lehrer in die Klassen zurückkehren müssten, sonst würde man "zu anderen Mitteln greifen".

Aber auch die Androhung der nationalen Vorsitzenden der SNTE, Elba Esther Gordillo, dass bei einer Ablehnung des Abkommens, das u.a. 41 Milliarden Pesos (3 Mrd. Euro) an zusätzlichen Zahlungen für die Bildungsgewerkschaft vorsieht, die Zulassung als Gewerkschaftssektion abzuerkennen, brachte die Lehrer nicht zur Wiederaufnahmen des Unterrichts. Gordillo ist eine der engsten Vertrauten des neugewählten Präsidenten Felipe Calderón und gilt als eine Drahtzieherin des mutmaßlichen Wahlbetrugs vom 2.Juni 2006.

Nachdem die Verhandlungen zwischen Staatssekretär Abascal und Delegierten der APPO und des Magistrats mit der Gewerkschaft um eine Lösung des Konflikts in Oaxaca endgültig gescheitert waren und die Senatskommission sich nicht zu einer Erklärung des "Verschwindens der Gewalten" durchringen konnte, nahmen die Spannungen immer mehr zu und das Vorgehen der Polizeikräfte wurde immer brutaler, insbesondere an den Barrikaden, an denen Nacht für Nacht lokale Anwohner ausharrten, um Polizei- und Militärfahrzeuge und vor allem die paramilitärische sog. "Todeskarawane" an der Durchfahrt zu hindern.

Immer häufiger kam es zu bewaffneten Übergriffen und Schießereien. Bei einem dieser Überfälle wurde am 14.Oktober Alejandro García vor den Augen seines Sohnes erschossen. Einer der Angreifer verlor beim Aussteigen aus dem Fahrzeug seine Papiere und konnte somit als Militärangehöriger identifiziert werden. Nur wenige Tage später wurde ein Lehrer auf dem Heimweg nach einer APPO-Versammlung erschossen.

Am 27.Oktober erreichte der Konflikt und die Repression dann einen traurigen Höhepunkt: Am Vormittag begannen Angriffe gegen zahlreiche Barrikaden in der Stadt, bei denen es mehrere Verletzte und Festgenommene gab, es wurden Schüsse gegen Radio Universidad, eines der wichtigsten Sprachrohre der Bewegung, abgegeben. Am schlimmsten jedoch waren die Angriffe im Stadtteil Santa Lucía, es gab mehrere Verletzte. Selbst vom Dach des Rathauses feuerten Heckenschützen auf die unbewaffnete Zivilbevölkerung. Ein Journalist von Indymedia New York, Bradley Roland Will, wurde von Kugeln tödlich getroffen, als er die Angriffe der Polizei auf die Barrikade filmte.

Die brutalen Stoßtrupps von Polizei und Militärs waren nur die Vorhut für die Einheiten der Bundespolizei, die sich zwei Tage später daran machten, die gesamte Stadt zu räumen. Es marschierten mehrere tausend Angehörige der berühmt-berüchtigten PFP, der "Präventivpolizei" (eine Art Sondereinsatzkommando zur Aufstandsbekämpfung), mit Räumpanzern, Wasserwerfern, Hubschraubern, Tränengas und Feuerwaffen bewaffnet in die Stadt ein.

An den zahlreichen Barrikaden der Stadt leisteten die Anwohner friedlichen Widerstand und hinderten die Truppenfahrzeuge oft nur mit ihren bloßen Körpern am Vorrücken. Die Festgenommenen, Aktive der APPO, berichten von Folterungen in den Gefängnissen und Polizeistationen. Doch trotz aller Brutalität gelang es der PFP nicht, den Widerstand zu brechen: Wird irgendwo eine Barrikade geräumt, entsteht sofort eine neue und es finden Massendemonstrationen im ganzen Land statt.

Bei dem Versuch, gegen den erklärten Willen des Dekans und sämtlicher Universitätsangehörigen die Universität zu räumen, in der sich zahlreiche Studierende und andere Mitglieder der Bewegung in einem Planton (Zeltplane) aufhielten und die laut Verfassung eine Art exterritorialen Status besitzt, sodass ohne Einwilligung der Universitätsleitung die Polizei keinen Zutritt hat, muss die PFP dann endgültig eine schwere Niederlage hinnehmen: In mehrstündigen Kämpfen gelang es ihnen trotz des Einsatzes von Wasserwerfern und Tränengasgranaten nicht, das Unigelände zu räumen.

Selbst die Schlägertrupps und der Einsatz von scharfen Waffen brachte keinen Erfolg gegen den erbitterten Widerstand der Bewegung. Die Polizeikräfte wurden aus dem Inneren des Universitätsgeländes zurückgedrängt. Die Wasserwerfer waren bald leer und ein Nachtanken war nicht möglich, da die Anwohner sich weigerten, Wasser zur Verfügung zu stellen und die Fahrzeuge blockiert waren. Die Polizei war von den Mitgliedern der Bewegung regelrecht eingekesselt und musste sich schließlich auf direkten Befehl des Innenministeriums zurückziehen.

Derzeit (Mitte November) ist die Situation weiter völlig ungewiss. Auf der einen Seite scheint Ulises Ruiz mittlerweile selbst bei der mexikanischen Bundesregierung und im Kongress Unterstützung zu verlieren, auf der anderen Seite ist er weiter fest entschlossen, seinen Thron zu verteidigen, sogar mit einer Verfassungsklage. Zudem ordnete er weitere militärische Verteidigungsmittel der föderalen Truppen an, einschließlich Panzer. Außerdem setzt er auf ein "Aushungern" der Bewegung, in dem er den weiterhin streikenden Lehrern die Gehaltszahlungen verweigert. Die meisten Lehrer sind inzwischen in die Klassen zurückgekehrt, aber die Camps werden weiter aufrechterhalten und weitere größere Aktionen angekündigt.