Demos im Internet strafbar?

in (28.01.2006)

Mit Urteil vom 1. Juli 2005 hat das Amtsgericht Frankfurt am Main festgestellt, dass die Initiative von "Libertad.de" und "sooderso.de" gegen das Abschiebegeschäft des Lufthansakonzerns ...

Mit Urteil vom 1. Juli 2005 hat das Amtsgericht Frankfurt am Main festgestellt, dass die Initiative von "Libertad.de" und "sooderso.de" gegen das Abschiebegeschäft des Lufthansakonzerns eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten darstellt und somit der Inhaber/die Inhaberin der beiden Internet-Domains zu einer Geldstrafe in Höhe von 900 Euro zu verurteilen ist.
Der massenhafte Zugriff durch ca. 13.000 Online-DemonstrantInnen auf die Internetseiten der Lufthansa AG am 22. Juni 2001 hatte zur Folge, dass der Server die mehr als eine Million Anfragen nicht bearbeiten konnte und zeitweise nicht mehr erreichbar war. Der Ausfall der Homepage ereignete sich symbolträchtig während einer Aktionärsversammlung.
Nach Ansicht des Gerichts stellt diese Blockade eine Nötigung im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch dar. Die hierzu erforderliche Form von Gewalt sieht das Gericht durch den Mausklick gegeben, welcher eine technische Reaktion nach sich zieht. Aufgrund der geringen Kraftentfaltung, die aus dem Klicken mit der Maus resultiert, zieht das Gericht den Vergleich mit dem Abzug einer Waffe um die technisch verstärkende Wirkung zu erläutern.
Eine physische Zwangseinwirkung sei zwar nicht direkt gegen den Internet-User als "Opfer" der Nötigung gerichtet, jedoch komme eine mittelbare Wirkung in Betracht. Trotz der nicht gegebenen Wiederholungsgefahr sei auch die Tatbestandsalternative der Drohung mit einem empfindlichen Übel zu Lasten der Lufthansa gegeben. Somit hätten sich die Online-DemonstrantInnen der Nötigung strafbar gemacht.
Die Verteidigung berief sich auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Grundgesetz (GG). Die Anwendung der Versammlungsfreiheit wurde jedoch durch das Gericht abgelehnt. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG setze die körperliche Anwesenheit von Personen voraus, da diese untereinander kommunizieren müssten, um ihre Meinung nach außen zu vermitteln. Auch kam der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG hier nicht zum Tragen, da "nach dem Aufruf des Angeklagten die Ebene des Meinungskampfes verlassen und die Ebene der Blockade im physischen Sinn beschritten werden."
Dieses erste Urteil zu einer politisch motivierten Protestaktion im Internet macht deutlich, wie schwierig die Anwendung des Rechts auf die virtuelle Welt des Internets ist. Da dieses Urteil nicht rechtskräftig ist - denn die Verteidigung hat Sprungrevision eingelegt - bleibt abzuwarten, ob die Anwendbarkeit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit derart unberücksichtigt bleiben kann. Hier ist vor allem der Gesetzgeber gefragt, die Grundrechte an die "neuen" Situationen im Internet anzupassen. Der Aufruf zum elektronischen zivilen Ungehorsam wird hoffentlich weitere NachahmerInnen finden.

Jens Pfanne, Münster