atten und Schmeißfliegen", so nannte vor einem Vierteljahrhundert Franz Josef Strauß beim Wahlkampf in Köln die ihm mißliebigen deutschen Schriftsteller. Der damalige Kanzlerkandidat übernahm sei
Vokabular von Joseph Goebbels, der in einem Propagandafilm Juden als Ratten dargestellt hatte. Ratten, die vernichtet werden müssen.
Die liberale Öffentlichkeit schrie damals auf. Die Schriftstellerverbände protestierten. Strauß hatte sich durch seinen Rattenvergleich selbst geächtet.
Was aber unterscheidet den auslaufenden Wirtschaftsminister und stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wolfgang Clement von Franz-Josef Strauß? Gegen ihn protestiert kein Schriftstellerverband, keine Gewerkschaft, die liberale Öffentlichkeit hält still. Nur einige wenige der unmittelbar Betroffenen haben ihn - mit Aussicht auf Erfolg? - wegen Volksverhetzung bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Er hat Menschen, die seine Opfer geworden sind, Opfer von Hartz IV, in einer Agitationsbroschüre seines Ministeriums als "Parasiten" bezeichnet.
Parasiten? Schon der deutsche General Fritz Bronsart von Schellendorf, Generalstabschef des osmanischen Feldheeres in Istanbul, begründete das türkische Massaker an den Armeniern so: "Der Armenier ist wie der Jude, außerhalb seiner Heimat ein Parasit, der die Gesundheit des anderen Landes, in dem er sich niedergelassen hat, aufsaugt." Hitler legte dann in "Mein Kampf" fest, es sei "der Jude", der stets der "Parasit im Körper anderer Völker" war. Folge: "Wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab." Hitlers Rezept gegen den Parasiten: Auschwitz.
Noch werden die neuen Parasiten nicht vernichtet, sondern nur sozial deklassiert. Clement, der sich mit Hartz IV total verrechnet hat und dessen Computerprogramme bis heute nicht korrekt laufen, verteidigte sich in der Chemnitzer Freien Presse: Er müsse doch sagen können, "wie es ist". Und er nannte Zahlen, die mit Gewißheit so zuverlässig sind wie alle Berechnungen dieses Wirtschaftsministers: Mindestens zehn Prozent der Langzeitarbeitslosen seien nicht berechtigt, Arbeitslosengeld II zu erhalten. Weitere 20 Prozent weigerten sich, über ihre Lebensverhältnisse Auskunft zu geben. Und schließlich gebe es "sehr viele" Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die sich trotz hartnäckigster Bemühungen telefonisch nicht erreichen ließen.
Telefonisch? Ja, glaubt denn Clement, daß sich jeder Langzeitarbeitslose ein Telefon leisten kann? Der muß doch erstmal die erhöhten Strompreise bezahlen, die aus den Vergünstigungen resultieren, die Clement den Energiekonzernen zuschob. Und eine Ministererlaubnis, die er den Gaskonzernen gegen den Willen des Kartellamts zuzockte, erlaubt ihnen jetzt, ihre Gewinne mit immer weniger Beschäftigten zu verdoppeln und ihre Preise ohne Nachweis zu erhöhen.
Damit sich aber die Parasiten nicht noch weiter vermehren, schickt Clement seine Denunzianten durchs Land, läßt sie Schränke durchwühlen, Unterwäsche durchschnüffeln, ob da, wo sich zwei getrennt haben, nicht doch eine Lebensgemeinschaft, eine unzulässige, sich erschnuppern läßt. Der Mann, der über 30 Prozent Hartz-IV-Empfänger unter Mißbrauchsverdacht stellt, legte bei Christiansen nach: "Das nenne ich parasitär."
Doch von denen, die am besten wissen müßten, was man mit Sprache machen kann, wie ein Wort zum Mord wird, kommt immer noch nichts. Der VS ist gelähmt. Die diesjährige Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer verließ die von Heinrich Böll ("Ende der Bescheidenheit") initiierte Schriftstellerorganisation, weil deren oberster Boß, ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske, sich gegen bestehendes Recht gerade jetzt hinter die Merkel-Forderung nach verlängerten Laufzeiten für die Atomkraftwerke stellte. Und der PEN? Ich weiß, es ist nicht billig, wenn man den PEN-Vorsitzenden kritisiert, weil er Wahlpropaganda für den Mann machte, den man nicht als den ersten deutschen Kriegskanzler seit 1945 bezeichnen soll. Doch jetzt wäre es an der Zeit, daß der PEN seine Stimme erhebt für die Menschen, die von Gerhard Schröders Lieblingsminister zu Parasiten gemacht werden.
Ossietzky 23/05