Dynamik der Ausgrenzung. Über die soziostrukturellen Konsequenzen der gesellschaftlichen Spaltungsprozesse

Neoliberalismus erzeugt eine stetige Zunahme der Differenzen zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen sowie zwischen den Beschäftigten selbst und behindert damit das Erkennen der gemeinsamen Interess

 

"Während objektiv das Verhältnis der Eigentümer und der Produzenten zum Produktionsapparat starrer stets sich verfestigt, fluktuiert um so mehr die subjektive Klassenzugehörigkeit."
(Theodor W. Adorno, Minima Moralia)

Erstens 1

Nach der Phase eines sozialstaatlich regulierten Kapitalismus, der - zumindest in den westeuropäischen Kernländern - die drängendsten sozialen Probleme gelöst zu haben schien, brechen gesellschaftliche Widerspruchsformen auf, die schon als überwunden galten. Die Arbeitslosigkeit verfestigt sich und die Zahl der Menschen, die für den kapitalistischen Produktionsprozeß benötig werden, schwindet. Die Überzähligen werden an den Rand, in eine Zone der Unsicherheit gedrängt. Nicht nur die Schere zwischen den gesellschaftlichen Extrempolen Reichtum und Armut hat sich eklatant vergrößert, zugenommen haben auch die sozialen Differenzen innerhalb der gesellschaftlichen Basis- und Unterschichten. Durch diese Entwicklung drängen sich eine Reihe von Fragen auf, die für die klassentheoretische Sichtweise eine interpretatorische Herausforderung darstellen, denn die gesellschaftlichen Spaltungs- und Ausgrenzungsprozesse sind durch die traditionellen Interpretationsraster nicht mehr in allen Fällen hinlänglich zu erfassen.

Die sozialen Verwerfungen haben einen Umfang angenommen, der alles in der jüngeren Vergangenheit bekannte in den Schatten stellt. "Die Bestandsaufnahme und Analyse der Entwicklung in Deutschland bis 1998 macht in fast allen Lebensbereichen deutlich, dass soziale Ausgrenzung zugenommen und die Verteilungsgerechtigkeit abgenommen hat."2 In den westlichen Bundesländern hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger seit 1973 vervierfacht, im Osten seit 1993 verdoppelt; jedes 5. Kind wächst in Armut auf. Durch die vierte Stufe der "Hartz-Reform" rutschen 2005 weitere 500 000 Kinder in die Sozialhilfe.

Viele Ausgrenzungs- und Verarmungsprozesse spielen sich auf der sichtbaren "Oberfläche" ab (Bettler und Obdachlose in den städtischen Zentren), vieles ist aber auch in eine gesellschaftliche Grauzone und in Bereiche des schamhaften Verschweigens abgedrängt. Galten nach der amtlichen Statistik schon 1995 in Westdeutschland 11,5 Prozent der Bevölkerung als arm (weil sie über weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügten), so lebten weitere 10,1 Prozent in einer Zone "relativer Armut" (definiert durch 60 Prozent des Durchschnittseinkommens). Diesen Maßstab bei den Arbeitslosen angelegt, steigt die Quote der Armen unter den Arbeitslosen auf fast 50 Prozent.3

Trotz der Offensichtlichkeit der Spaltungs- und Verarmungstendenzen ist Bedürftigkeit immer noch weitgehend "unsichtbar": Die Ausgegrenzten leben voneinander isoliert, ihre zunehmende Verarmung hat trotz der strukturellen Gemeinsamkeiten verschiedene Ausprägungen. Die Kollektivität des "Schicksals" wird von differenzierten Erscheinungsformen und individualisierten Verarbeitungsmustern überlagert. Der Obdachlose gehört ebenso dazu wie der illegale Arbeitsmigrant, der aus Krankheitsgründen gegen seinen sozialen Abstieg kämpfende kleine "Selbständige" ebenso wie die Familien, die durch ein zweites oder drittes Kind in die Zone der Bedürftigkeit abzusinken drohen. Ausgrenzung und Randständigkeit gehen unter den Bedingungen eines "modernen" Kapitalismus mit sozialer Zersplitterung einher; die "Armen sind ... in eine Unzahl getrennter Gruppen aufgesplittert, die miteinander meist nicht in Verbindung stehen und deshalb nicht in der Lage sind, gemeinsames Bewußtsein, Organisation und Handlungsweise zu entfalten. Sie leben in verschiedenen ›Sparten‹ der Gesellschaft und erleiden eine soziale Disqualifizierung durch den Verlust eines Gruppenzusammenhalts und das Fehlen eines organisatorischen Gerüstes."4

Die Bereiche faktischer Bedürftigkeit sind von Zonen der Unsicherheit und der Unwägbarkeit umgeben. Wie breit sie sind und wie verbreitet das Leben in der Nähe des Existenzminimums und die Verarmungserfahrung sind, wird durch die Tatsache deutlich, daß momentan jeder dritte Haushalt in der Bundesrepublik innerhalb einer achtjährigen Phase zeitweilig unter die Armutsgrenze rutscht. Die Menschen, die in den "Armutszonen" oder in ihrem "Umkreis" leben, werden von der Angst vor dem Scheitern und einem Abstieg in die Randständigkeit beherrscht. Nicht "stationäre" Armut (die alleine aber schon einen skandalösen Umfang besitzt) ist das vordringliche Problem 5, sondern das zunehmende Risiko für breite Bevölkerungsgruppen, in die Bedürftigkeit abzusinken. "Die Fluktuation nimmt zu, Armut scheint sich zum Kopfbahnhof der Wohlstandsgesellschaft zu entwickeln: Viele kommen erstmalig oder auch wiederholt an, einige schaffen es aber auch, einen Zug zu erwischen, der sie wieder hinaus bringt."6 Damit rückt der Prozeß der Verarmung mit der drohenden Perspektive des Ausschlusses und der Randständigkeit in den Mittelpunkt des sozialtheoretischen Interesses.7

Zweifellos bedeutet in den meisten mitteleuropäischen Ländern Armut in ihrer materiellen Dimension etwas anderes, als wenn in südamerikanischen Staaten ein Drittel oder gar die Hälfte der Bevölkerung im Elend lebt. Bedürftigkeit und Ausgrenzung sind (noch?) nicht mit Hunger und offensichtlicher Verelendung gleichzusetzen. Dennoch bedeutet sie für einen Teil der Bedürftigen auch physische Entbehrung, nicht nur bei den Kindern aus den "sozialen Brennpunkten", die ohne Frühstück und Pausenbrot in die Schule kommen. In der Hauptsache ist sie jedoch eine "relative" Armut - und gerade deshalb ein Skandal: Denn sie existiert und dehnt sich aus, obwohl der gesellschaftliche Reichtum, absolut betrachtet, weiter wächst. Der Lebensstandard der Krisenopfer fällt "im Vergleich mit dem Entwicklungsstand der Gesellschaft überhaupt."8 Gerade deshalb sind die demoralisierenden und die Persönlichkeitsstruktur bedrohenden Wirkungen in den Zentren nicht geringer als in den Regionen am Rande des kapitalistischen Weltsystems: Hier wie dort bedeutet Armut Ausgrenzung aus zentralen gesellschaftlichen Funktions- und Partizipationsbereichen; sie bedeutet, nicht mehr den verinnerlichten Ansprüchen und Normen der Gesellschaft genügen zu können; sie impliziert deshalb, was sie historisch immer bedeutet hat: Erniedrigung und Demütigung. In der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft hat sich der Leidensdruck durch veränderte psychosoziale Regulationsformen gegenüber früheren Epochen verändert und wohl auch verstärkt.9 Verarmung und soziale Randständigkeit wirken als Angriff auf die personale Stabilität der Betroffenen: Ihr Selbstbewußtsein wird beschädigt und bewährte Orientierungshorizonte in Frage gestellt. Wird das Selbstbewußtsein unterminiert, fehlt häufig auch die Basis zur Bereitschaft, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. "Angst, Ohmacht, Hunger, Verkürzung der geistigen und psychischen Perspektive auf das unmittelbare und notfalls kriminelle Überleben, politische Ausgrenzung, Einsamkeit, das schamhafte Sich-Verstecken und Sich-Verstellen, die prinzipienlose Übernahme asozialer Werte, also mannigfache Formen der Entwürdigung: Sie gehören zur Armut."10

Durch die Intensität der Verarmung und die Zunahme von Randständigkeit, aber auch durch die Zuspitzung der sozialen Ungleichheit drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß die Epoche eines sozialstaatlich regulierten Kapitalismus endgültig in ihr Endstadium eingetreten ist. Besonders die scheinbar unaufhaltsame Vermehrung der arbeitenden Armen, also jener Arbeitskraftverkäufer, die durch ihre Beschäftigungen kaum ihren Lebensunterhalt verdienen können, sind Indizien dafür, daß auch in den kapitalistischen Kernländern die Unterprivilegierung der arbeitenden Menschen durch eine evolutionäre Entwicklung wohl doch nicht "nachhaltig" überwunden werden kann: "Die kapitalistische Produktionsweise, in deren Entwicklung es Jahrzehnte gab, in denen sich die Lohnabhängigen in harten Kämpfen eine Verbesserung ihrer Lebenslage erstreiten konnten, hat diese Perspektive nicht mehr."11

Zweitens

Zwar existierten auch in der "wohlfahrtsstaatlichen" Vergangenheit große Unterschiede bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums; es gab Erwerbslosigkeit, Bedürftigkeit und Randständigkeit, doch waren sie hinter der Fassade der gesellschaftlichen Prosperitätsentwicklung verborgen. Doch auch durch ihren Umfang und Struktur hatten sie einen anderen Stellenwert als heute: Bis Ende der 70er Jahre dominierte bei den Betroffenen das Gefühl, daß die meisten Schwierigkeiten überwunden werden könnten. Mit den einschneidenden sozio-ökonomischen Veränderungen haben sich auch diese Einstellungsmuster verändert. Erodiert ist die Hoffnung auf ein besseres Morgen, eine auf die Planbarkeit der Lebensverhältnisse gründende Zuversicht.

Die Bedingungen eines sozialstaatlichen Klassenkompromisses können in wesentlichen Teilen als nicht mehr gegeben angesehen werden: Seit den 80er Jahren haben sich die Verwertungsbedingungen für des Kapital, jedoch auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verändert. Das Ende einer historisch beispiellosen Wachstumsphase führte zur Gewinneinbrüchen, aber auch zu einem verstärkten Druck auf die Arbeiterklasse: Produktivitätsfortschritte wurden zunehmend zur Arbeitsplatzvernichtung eingesetzt. Weil der daraus resultierende Anstieg der Arbeitslosigkeit auf die Beschäftigten verunsichernd und disziplinierend wirkte, konnten tiefgreifende betriebliche Veränderungen vorgenommen werden.

Gelegt wurden durch einen Rationalisierungsschub in den 80er Jahren die Grundlagen für eine gespaltene Arbeitswelt mit disziplinierenden Effekten auf die Arbeitenden. Während sich für einen Teil der Beschäftigen das Qualifizierungsprofil erhöhte, wurde ein anderer Teil beruflich zurück gestuft. Gleichzeitig ging absolut die Anzahl der Beschäftigten in den Industriesektoren zurück. Ziel der Umgestaltungen war es nicht nur, die Produktivität zu erhöhen, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der Belegschaften zu schwächen. So führten die ergriffenen Rationalisierungsmaßnahmen zur Ausdünnung der Stammbelegschaften, die (zumindest in den großen Betrieben) die Träger einer wirksamen Interessenvertretung waren. Bei Neuanstellungen wurden die traditionellen Belegschaftskerne durch Angelernte, zunehmend auch durch Zeitarbeiter ersetzt, die sehr oft eigene Interessen (hauptsächlich nach Festeinstellung) haben und sich deshalb nicht selten beflissen und angepaßt verhalten: "Wenn die einen einzigen Tag streiken würden", so die Einschätzung eines von Pierre Bourdieu und seinen Mitarbeitern befragten älteren "Stammarbeiters", "dann wären der Leiharbeitsladen und das Unternehmen schnell dabei, sie unverzüglich vor die Tür zu setzen."12 Diese Veränderungen innerhalb der Belegschaften hatten einen wesentlichen Anteil bei der "Entstrukturierung des ehemaligen Systems der sozialen Beziehungen, welches lange in den Werkhallen geherrscht hatte".13 Durch betriebliche Auslagerungen wurde die Position der Beschäftigten zusätzlich geschwächt: Verschiedene Betriebsteile und Zuliefersegmente konnten dadurch gegeneinander ausgespielt werden.

Die Unsicherheit des Arbeitsplatzes wurde für die Beschäftigten zur prägenden Erfahrung. Nach einiger Zeit reichte es schon aus, mit der bloßen Möglichkeit der Auslagerung zu drohen, um weitreichende Zugeständnisse zu erpressen. Allmählich gelang es dem Kapital, die Lohnquote zu senken und die Profitrate zu erhöhen. Die Ernte konnte in der zweiten Hälfte der 90er Jahren eingefahren werden: Die Gewinne explodierten und wurden nun wiederum zur verstärkten "Rationalisierung" eingesetzt - bekanntlich mit regelmäßigem Arbeitsplatzabbau und einem weiteren Anstieg der "industriellen Reservearmee". Denn mit den steigenden Gewinnen wuchs das Kapitalvolumen, das in weitere arbeitsplatzvernichtende Umgestaltungen investiert werden konnte. Ökonomische Progression wurde zur Ausgrenzungsmaschine: Die Armuts- und Ausgrenzungsentwicklung verlief parallel zu einer gesamtgesellschaftlichen Reichtumsvermehrung. Der Marxsche Satz über das Verhältnis von Armut und Reichtum in der bürgerlichen Gesellschaft bekam alltagspraktische Plausibilität: "Die Selbstverwertung des Kapitals durch die Maschine steht im direkten Verhältnis zur Arbeiterzahl, deren Existenzbedingungen sie vernichtet. Â… Sobald die Führung des Werkzeugs der Maschine anheimfällt, erlischt mit dem Gebrauchswert der Tauschwert der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich, wie außer Kurs gesetztes Papiergeld. Der Teil der Arbeiterklasse, den die Maschinerie so in überflüssige, d. h. nicht länger zur Selbstverwertung des Kapitals unmittelbar notwendige Bevölkerung verwandelt, geht einerseits unter in dem ungleichen Kampf des alten handwerksmäßigen und manufakturmäßigen Betriebs wider den maschinenmäßigen, überflutet andrerseits alle leichter zugänglichen Industriezweige, überfüllt den Arbeitsmarkt und senkt daher den Preis der Arbeitskraft unter ihren Wert."14

Umverteilungen im beträchtlichen Umfang hat es zwar auch schon vor der neoliberalistischen "Wende" gegeben. Schon bald "nach dem Einbruch der siebziger Jahre stieg der Kapitalprofit seit den achtziger Jahren wieder an"15: Von 1982 bis 1990 erhöhte sich in der Bundesrepublik der Anteil der Unternehmer und Vermögensbesitzer am Netto-Volkseinkommen von 33,6 auf 43,7 Prozent. Entsprechend sank der Anteil der "Arbeitnehmer"-Einkommen von 66,3 auf 56,2 Prozent. 16 Diese Umverteilung fand jedoch noch auf der Basis wachsender Zuwachsraten und wachsender Einkommen statt. Bevor das ökonomische Wachstum von den Einkommen der abhängig Beschäftigten abgekoppelt wurde, konnte die relative Umverteilung aus der Perspektive der Lohn- und Gehaltsempfänger noch als (wenn auch bescheidene) Verbesserung ihrer finanziellen Situation erlebt werden.

Dies hat sich mittlerweile entscheidend geändert. Wirtschaftswachstum und technologische Progression haben sich von der gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt. Im Jahre 2000 lag das preisbereinigte Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik doppelt so hoch wie 1973. Damals gab es im Jahresdurchschnitt weniger als 300 000 Arbeitslose. Ein gutes Vierteljahrhundert später 4,5 Millionen. Diese paradoxe Situation ist die Konsequenz eines elementaren kapitalistischen Entwicklungsgesetzes, der Tatsache, daß unter den Bedingungen des Verwertungszwanges und der Konkurrenz ein immer größerer Teil des Mehrproduktes in die erweiterte Reproduktion investiert werden muß. Selten nur noch können Konzerne ihre Investitionen nach den "klassischen " Regeln der Buchführung abschreiben. Immer schneller lösen technologische und vermarktungsstrategische "Entwicklungsschübe" die nächsten ab. Nicht nur die Produktentwicklungen, sondern vor allem die neuen Generationen von Produktionsanlagen verschlingen immer größere Investitionen. Auch große Gewinnvolumina reichen in der Regel nicht mehr aus, die nötigen Investitionen tätigen zu können: Technologische Neuerungen in Kombination mit dem Konkurrenzdruck verlangen die ständige Erweiterung des Anlagevolumens. Die Unternehmen sind deshalb im steigenden Maße zur Kreditaufnahme bzw. zur Verbreiterung ihrer Beteiligungsbasis genötigt. Sie sind somit auf die internationalen Kapitalmärkte angewiesen und gezwungen, sich ihren Regeln zu unterwerfen. In der Konkurrenzfiguration sind sie Jäger und Gejagte gleichermaßen. Dieser Druck wird unmittelbar auf die Betriebe und Belegschaften übertragen, der sich als Zwang zur Rentabilität, d. h. in der Regel durch Lohnabbau und Leistungsdruck, Auslagerungen der Produktion oder technologisch "vermittelten" Arbeitsplatzabbau ausdrückt: Auf der neuesten Entwicklungsstufe werden beispielsweise in der Automobilindustrie Fertigungslinien mit ehemals 250 bis 300 Produktionsarbeitern mit nur noch 10 bis 15 Beschäftigten betrieben.

Drittens

Die als "Globalisierung" bezeichnete Neugestaltung des Systems der internationalen Arbeitsteilung und dem Rückgriff auf eine weltweite Reservearmee von Arbeitskraftanbietern steht dem Kapital ein weiteres Druckmittel zur Verfügung, durch das die Ausbeutung auch der Beschäftigten in den kapitalistischen Zentren intensiviert und die Mehrwertrate erhöht werden kann. Nicht nur an den neuen, sondern auch an den traditionellen Standorten kann das Kapital "selektiver" und "kostenorientierter" mit den Beschäftigten umgehen: Arbeitsorganisatorische Verbesserungen können wieder zurück genommen und nach einer Phase ihrer punktuellen Überwindung standardisierte und reglementierte Arbeitsformen wieder verstärkt installiert werden. Gleichzeitig werden den Lebensbedürfnissen der Arbeitenden entsprechende Arbeitszeitformen, erkämpfte Pausenregelungen und zugestandene Kompetenzerweiterungen zur Disposition gestellt.

Strukturell äußerte sich die "differenzierte" Verfügungsstrategie über die Arbeitskraft in einer sozial-destruktiven Aufsplitterung der Arbeitswelt. Entstanden einerseits viele "prekäre" Beschäftigungsverhältnisse mit variablen Einsatzzeiten, geringer Entlohnung und unzureichender Absicherung, so zeichneten sich andererseits die (tendenziell abnehmenden) Vollerwerbsverhältnisse durch überlange Arbeitszeiten und einem auf die Spitze getriebenen Arbeitsdruck aus.

Es ist wohl kaum nötig, besonders zu betonen, daß "ungeschützte" Arbeit überproportional von Frauen (und an den "Rändern" des kapitalistischen Weltsystems auch von Kindern) geleistet wird, denn "junge, unerfahrene Frauen sind die billigsten der billigen Arbeitskräfte, sie sind die optimale Arbeitskraft für den modernen Kapitalismus."17 Vor dem Hintergrund einer historischen Typologie der Arbeitsformen muß von einer Regressionstendenz gesprochen werden: Schon überwunden geglaubte (und auch als ökonomisch dysfunktional erachtete) Arbeits- und Ausbeutungsformen erhalten innerhalb des globalisierten Systems der Arbeitsteilung eine neue Bedeutung. Trotz ihrer "ungleichzeitigen" Form sind sie Funktionselemente einer entwickelten kapitalistischen Ökonomie, die in ihrem ungehemmten Verwertungsstreben nicht nur bereit ist, auch auf vorbürgerliche Ausbeutungsformen zurück zu greifen, sondern diese aufgrund der hochtechnologischen Vermittlungssysteme auch profitsteigernd organisieren kann.

Der "Weltmarktpreis" für die Arbeitskraft ist zu einer Bedrohung nicht nur für die Beschäftigten mit geringer Qualifizierung, sondern auch für die Belegschaften in ehemals krisenresistenten Bereichen der Arbeitswelt geworden. Um diesen gewünschten, weil disziplinierenden Effekt zu erreichen, mußten sozialstaatliche Errungenschaften demontiert und Mitbestimmungsrechte beschränkt werden: "Im Namen von Deregulierung und Flexibilisierung werden Institutionen, die Ungewissheit begrenzen sollen, abgebaut. Dies hat zur Folge, daß die Ungewissheit in Bezug auf das Resultat von Handlungen und die Dauer ihrer Auswirkungen sowohl in der individuellen wie in der kollektiven Perspektive größer wird."18 Ein zunehmender Druck auf die Lohnhöhe und die sozialen Sicherungssysteme, vor allen Dingen aber die Unsicherheit des Arbeitsplatzes sind zu prägenden Erfahrungen geworden: Die strukturelle Gewalt der Arbeitslosigkeit "flößt jedem Arbeitnehmer das Gefühl ein, daß er keinesfalls unersetzbar ist und seine Arbeit, seine Stelle gewissermaßen ein Privileg darstellt, freilich ein zerbrechliches und bedrohtes Privileg"19 Die Verunsicherung der Arbeitenden ist das wichtigste Element einer Drohkulisse, die geeignet ist, auch noch ihre letzten Leistungsreserven zu mobilisieren.

Viertens

Die gegenwärtige Krise hat nur wenig mit dem gewöhnlichen konjunkturellen Auf und Ab einer kapitalistischen Ökonomie zu tun. Denn auch durch wirtschaftliche Aufschwungtendenzen wird die Beschäftigungsmisere nicht überwunden. Auf dieser Grundlage erleben wir eine Neustrukturierung der Klassengesellschaft: Die Überzähligen werden an den Rand, in eine Zone der Unsicherheit gedrängt. Armut und Ausgrenzung etablieren sich als feste Größen der gesellschaftlichen Entwicklung. Für die Entwicklung des Kapitalismus ist dieses soziale Organisationsmodell günstig, er braucht den "doppelt freien Lohnarbeiter" (Marx) und ein Reservoir von Arbeitskräften, auf das er bei Bedarf zurückgreifen kann. Soziale Spaltungen und Ausgrenzungen haben ihn seit seinen Tagen der Frühmanufaktur begleitet und zur Disziplinierung der arbeitenden Menschen beigetragen.20

Aber nicht nur den Überzähligen in den Beschäftigungsbereichen, die eine geringere Qualifizierung erfordern, ist eine unsichere Existenz beschieden. Im schnellen Tempo werden auch die Fähigkeiten und Zertifikate von Mittelschichtangehörigen entwertet: Rationalisierungsschübe und technologische Umgestaltungen treffen nicht mehr nur die Industriearbeiter, sondern auch die Beschäftigten auf den technischen und administrativen Führungsebenen. Fast alle Sozial- und Statuspositionen, die nicht durch Geldvermögen abgesichert, sondern durch berufliche Leistungen begründet sind, können durch die technologischen und ökonomischen Umwälzungen in Frage gestellt werden. Arbeitslosigkeit trifft nicht mehr nur die gering Qualifizierten: Die Akademikerarbeitslosigkeit (auch in technischen Berufen) ist in den letzten Jahren in den meisten Industrieländern sprunghaft angestiegen. Deklassierungseffekte auch in den "gehobenen" Bereichen der Arbeitswelt entstehen durch die immer niedriger gesetzten Altersgrenzen: 50, ja 45 Jahre gelten gemeinhin als Brauchbarkeitsbarriere. In der Mehrheit der bundesdeutschen Betriebe arbeitet niemand mehr, der älter als 50 Jahre ist.

Durch das radikalisierte Ausbeutungsstreben des Kapitals zieht Verunsicherung und Prekarisierung auch in manche ehemals stabile Beschäftigungszone ein. Robert Castel spricht von der "Wiederkunft der massenhaften Verwundbarkeit"21, die als Relikt vergangener Armutsphasen schon als überwunden galt und von "einer grundlegenden Umwälzung der Lage der abhängig Beschäftigten".22

Fünftens

Das Besondere der gegenwärtigen sozial-destruktiven Prozesse besteht jedoch nicht nur in einer schärferen Polarisierung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit. Eklatant ist vor allem die Tatsache, daß Spaltungstendenzen existieren, die mitten durch die Schichten der Arbeitskraftverkäufer selbst verlaufen: Da gibt es diejenigen, die Arbeit haben und es gibt die Arbeitslosen, deren Lage keinesfalls als einheitlich mißverstanden werden sollte. Denn im Verlauf der Erwerbslosigkeit finden mit dem Wechsel von Arbeitslosengeld zur Arbeitslosenhilfe einschneidende Statusveränderungen statt. Spätestens in diesem Stadium (das nach den neuen Regelungen in der Bundesrepublik weitgehend mit der Sozialhilfe gleichgestellt wird) erleben sich viele Betroffene als Bittsteller und Gescheiterte.

Aus der Gruppe der Arbeitslosen kristallisiert sich ein Kern von Menschen heraus, die keine realistische Chance mehr besitzen, jemals wieder beschäftig zu werden: "Auf dem Grunde des Meers an Arbeitslosen lagern sich diejenigen ab, die abgesunken sind, diejenigen die zu krank sind, zu alt oder zu behindert sind. Es lagern sich diejenigen ab, die mit ihrer Qualifikation untergegangen sind, die Süchtigen, psychisch Gestörten, die Resignierten und Verzweifelten. Sie sammeln sich unter den Arbeitslosen, weil sie ausgemustert sind und weil das Interesse des Kapitals an einer weiteren Verwertung ihrer Arbeitskraft gegen Null geht."23

Aber es gibt auch noch die schon angedeutete Spaltung innerhalb der Arbeitswelt, ja innerhalb des einzelnen Betriebes: Um die Kernbelegschaften entwickelt sich eine immer breitere Zone mit extrem belastenden, niedrig entlohnten und sozial unsicheren Arbeitsverhältnissen. Karl-Heinz Roth hat die gespaltene Realität der Lohnarbeit plastisch beschrieben: "Die bisherigen flächendeckenden Hochlohngebiete werden auf die terroristisch-sozialpolitisch integrierten ›Betriebsgemeinschaften‹ der Entwicklungs- und Fertigungszentren der 600 transnationalen Konzerne begrenzt, die höchstens 15 bis 20 Prozent der lohnabhängig Beschäftigten" ausmachen 24. Diesen Kernbelegschaften ist eine privilegierte Stellung zugedacht, weil sie einen Stabilisierungsfaktor darstellen 25: Auf der Basis neuer korporativistischer Strukturen (bestehend aus sozialer "Privilegierung" und gruppenzentrierten Organisationsstrukturen der Arbeitsprozesse) sollen in den qualifizierten Produktionsbereichen alle Kreativitätspotentiale ausgeschöpft werden. Nur in diesen Segmenten der Arbeitswelt ist das industrielle Paradigma des Fordismus in Frage gestellt, werden Maschinisierung und Fließbandfertigung tendenziell durch neue Produktionskonzepte abgelöst. Dies geschieht zwar im Interesse einer effektiveren Ausbeutung der Arbeitskraft, jedoch ist das Management gezwungen, wenn es dieses Ziel erreichen will, Zugeständnisse an die Arbeitenden zu machen und ihnen Mitgestaltungsmöglichkeiten einzuräumen.

Solche "postfordistischen" Bereiche sind jedoch Inseln in einer Arbeitswelt, die in ihrem Kern immer noch nach tradierten industriellen Prinzipien organisiert ist. Denn den sozial verträglich gestalteten Konglomeraten sind hierarchisch gegliederte Zuliefer-Segmente mit geringerem Status zugeordnet. Während auch in konjunkturellen Schwächeperioden die Konzerne bemüht sind, die Stammbelegschaften (die nicht zuletzt infolge der Automatisierung ein hohes Qualifikationsniveau besitzen) zu halten, sind die Beschäftigten in den "ungeschützten" Arbeitsverhältnissen unmittelbar den Marktschwankungen ausgesetzt: Sie werden geheuert und gefeuert, wie es gerade der Auftragslage entspricht. Das Leben dieser Gruppe ist sozial unsicher, beständig vom Absturz in die Bedürftigkeit bedroht: "Ein neues Proletariat ist im Entstehen, dem die kollektiv geregelten Normalarbeitsverhältnisse und die sozialstaatlichen Vermögenssurrogate für die Wechselfälle des Daseins zunehmend fremd werden. Es wird über den aktuellen Krisenzyklus hinaus langfristig durch die Erfahrung von Erwerbslosigkeit, von prekären Beschäftigungsverhältnissen, von ›zweiten‹ und ›dritten‹ Arbeitsmärkten und von abrupt eintretenden Armutsphasen geprägt sein."26

Als vor weniger als einem Jahrzehnt Karl-Heinz Roth eine "Wiederkehr der Proletarität" prognostizierte, wurden Zweifel angemeldet, ob solche zweifellos vorhandenen Trends eine solch weitgehende Generalisierung erlauben würden. Durch die reale Entwicklung ist der Meinungsstreit entschieden worden: Die beschriebenen Entwicklungen sind zur Tendenz und zur Grundlage einer Neugestaltung der Klassensegmentierung geworden.

Nicht die Ausbeutung ist neu, aber es sind die Formen, in denen sie organisiert wird. Die Klassenlandschaft erhält zusätzliche Polarisierungsmomente innerhalb ihrer Basisbereiche: Die Arbeitskräfte werden unterschiedlichen Segmenten der Arbeitswelt mit unterschiedlichen Rechts- und Entlohnungsformen, unterschiedlichen Standards der sozialen Absicherung und Perspektiven der Beschäftigungskontinuität zugeordnet. Wichtiges Element dieser veränderten Ausbeutungsstrategie ist der rapide Bedeutungsverlust des unbefristeten Arbeitsvertrages.27 Dadurch erhalten die unterdurchschnittlich bezahlten und ungeschützten Beschäftigungsverhältnisse eine immer größere Bedeutung. Ihr Anteil beträgt in vielen Industrieländern 35 Prozent - mit stark steigender Tendenz. Das "Normalarbeitsverhältnis" wird durch befristete Verträge, Leiharbeit, Arbeit auf Abruf und der Scheinselbständigkeit zurück gedrängt. Vor allem der größte Teil der Neueinstellungen vollzieht sich in diesen "endtraditionalisierten " Formen. In den meisten Industrieländern sind mehr als 60 Prozent der neu geschaffenen Arbeitsplätze befristet und prekär.

Sechstens

Im Industriesystem auch der entwickelten Länder reproduziert sich eine Spaltung, die für die "globalisierte" Ökonomie in ihrer Gesamtheit charakteristisch ist: Eine überschaubare Zahl entwickelter Wirtschaftsinseln existiert in einem Meer der Unterentwicklung und Verelendung; dadurch werden auch schon etablierte Zivilisierungs- und "Modernisierungs"-Standards bedroht. Obwohl selbst wiederum stark zergliedert, weiten sich die Zonen ohne Rechtssicherheit und eines zivilisatorischen Nihilismus aus. Ihr peripherer Status verschleiert, daß sie elementare Bestandteile des Industriesystems sind, also massenhafte tayloristische Arbeitsbedingungen in den von Mühsal geprägten Ebenen der Arbeitswelt die Voraussetzungen einer Abmilderung strikter Arbeitsteilung und von Kompetenzgewinnen der Beschäftigten in den Kernbetrieben bilden. Das ebenso vielgestaltige wie widersprüchliche Bild des Industriesystems erlaubt es nicht, von einem "grundlegenden Wandel der Arbeitsgestaltung"28 zu sprechen. "Innovative Managementkonzepte" und selbstbestimmte Gruppenarbeit sind - behält man die Arbeitswelt in ihrer Gesamtheit im Blick - kaum mehr als Randerscheinungen, die zudem zunehmend auch wieder in Frage gestellt werden. Und genau so wenig läßt sich für die Arbeitswelt in ihrer Gesamtheit sagen, daß die Ansprüche an die Ausbildung der Arbeitenden explosionsartig 29 zugenommen hätten.

Lassen wir es dahin gestellt, wie groß beim "Toyota-System" (das immer als Paradebeispiel für die Gestaltung einer "neuen Arbeitswelt" angeführt wird) die Eigenverantwortung tatsächlich gewachsen ist und wie konsequent traditionelle Teilarbeit überwunden wird. Selbst wenn wir den optimistischen Einschätzungen folgen, kann nicht ignoriert werden, daß diese erweiterten Handlungsspielräume nur für die 10 bis 15 Prozent der Beschäftigten in der Endmontage gelten. Sie bilden aber nur "die Spitze einer Pyramide ..., die auf einer Basis von insgesamt 45 000 Zulieferern beruht. Je weiter sich diese von der Spitze entfernen, um so stärker arbeiten sie nach dem tayloristischen Modell: 171 Zulieferer sogenannten ›ersten Ranges‹ stellen vollständige Teilstücke bereit, die in Zusammenarbeit mit der Mutterfirma entwickelt wurden; 5 000 Zulieferer zweiten Ranges versorgen die Zulieferer ersten Ranges mit Komponenten; und 40 000 Zulieferer dritten Ranges liefern die Teile für letztere. Je weiter man sich von der Spitze der Pyramide entfernt, desto geringer werden das technische Niveau der Unternehmen, die Ausbildung des Personals und die Löhne. Bei den computergesteuerten und robotisierten Zulieferbetrieben ersten Ranges, die zwischen 100 und 500 Personen beschäftigen, liegen die Löhne 25 Prozent unter denen der Mutterfirmen. Bei den Zulieferern mit weniger als 100 Arbeitnehmern liegen sie 45 Prozent niedriger und für prekäre, unregelmäßige und in Stücklohn bezahlte Arbeit noch niedriger."30 Es läßt sich leicht ausmalen, welche Konsequenzen es auf die Arbeitsbedingungen und das Einkommensniveau der nachgelagerten Stufen hat, wenn die Konzerne an der Spitze, ihre Machtstellung ausnutzend, den Zulieferern pauschal Preisreduktionen von 7 (Daimler- Chrysler) bis 20 Prozent (Opel) abzupressen versuchen, wie es 2003 geschehen ist.

Der Druck auf die nachgeordneten Segmente ist jedoch keine Einbahnstraße. Die dort durchgesetzten Standards wirken negativ auf die Arbeits- und Leistungsbedingungen bis in die Zentralbereiche des Industriesystems zurück: "Prekarisierung und Flexibilisierung sind zwei Seiten der gleichen Medaille"31: Arbeitsorganisatorische Errungenschaften werden wieder zurück genommen, nach einer Phase ihrer partiellen Überwindung standardisierte und reglementierte Arbeitsformen wieder installiert, soziale Sicherungsleistungen und die erkämpfte Lohnhöhe einem zunehmenden Druck ausgesetzt.

Siebentens

Dieser Problemaufriß läßt zumindest erahnen, daß die in der sozialwissenschaftlichen Diskussion kolportierten Thesen, daß die neuen Ausgrenzungsformen eine Konfliktdimension jenseits des antagonistischen Interessengegensatzes von Kapital und Arbeit wären, wenig Realitätsgehalt besitzen: Wir erlebten jetzt, so wird behauptet, "den Übergang von einer vertikalen Gesellschaft, die wir gewohnheitsmäßig Klassengesellschaft nannten, mit oben und unten befindlichen Leuten, zu einer horizontalen Gesellschaft, wo es darauf ankommt zu wissen, ob man im Zentrum oder an der Peripherie ist."32

Ob durch die Ersetzung einer Metapher durch eine andere die Plausibilität der Klassenspaltung in Frage gestellt ist, kann begründet bezweifelt werden. Zu beobachten sind zwar neue Formen der Differenzierung innerhalb sozio-strukturell vergleichbarer Unterschichtsegmente; dennoch gibt es keine theoretische Rechtfertigung für die stillschweigende Annahme, daß damit die tradierten sozialen Differenzierungsursachen hinfällig geworden wären. Denn faktisch beobachten wir "einen neuen gesellschaftlichen Spaltungsprozeß Â…, der die herkömmlichen Klassenunterschiede zusätzlich vertieft".33 Die (in ihrer Intensität tatsächlich "neuen") Spaltungstendenzen sind nichts anderes als der vermittelte Ausdruck und die unmittelbare Konsequenz jenes nach Touraine angeblich nicht mehr existierenden "Zentralkonflikts" zwischen Kapital und Arbeit. Die "neuen" Formen von Spaltung, Unterprivilegierung und Verarmung sind von den "alten", sozio-strukturell bedingten Ungleichheitsbedingungen nicht zu trennen. Präziser: Sie sind gleichermaßen Voraussetzungen und Konsequenzen der Transformation der sozio-ökonomischen Strukturen im Interesse der Kapitalbesitzer.

Die Strategien zur Deregulierung und Privatisierung, die Umstrukturierung der Arbeitswelt und die Infragestellung des Sozialstaates konzentrieren sich auf vier Hauptziele: "Vertiefung der kapitalistischen Logik der Profitproduktion in den Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital; Steigerung der Produktivität zwischen Arbeit und Kapital; Globalisierung von Produktion, Zirkulation und Märkten, um überall die Chancen der vorteilhaftesten Bedingungen zur Profitmaximierung zu nutzen; und Erzwingung staatlicher Unterstützung für die Produktivitätsgewinne und die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften, häufig auf Kosten von Regulierungen zur sozialen Sicherung und zur Wahrung öffentlicher Interessen. Technologische Innovation und organisatorische Veränderungen, vor allem im Sinne höherer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, waren dabei unverzichtbar, um Geschwindigkeit und Wirksamkeit der Neustrukturierung zu gewährleisten."34 Denn nur mit Hilfe der Computertechnologie und des informationstechnologischen Netzes können die Kapitalströme weltweit gesteuert, die globalen Produktionsprozesse koordiniert und trotz dezentralisierender Tendenzen die Kontrolle des Kapitals gewährleistet werden. Jedoch ist die gängige Ableitung der Radikalisierung der Kapitalverwertungsstrategien aus der "mikroelektronischen Revolution" fragwürdig. Vielmehr hat sich der Neoliberalismus vorhandener technologischer Möglichkeiten bedient und deren Anpassung auf ihre Bedürfnisse vorangetrieben.

Wird die Ebene bloßer Metaphorik und Deskription verlassen und der sozio-ökonomische Zusammenhang thematisiert, ist kaum zu übersehen, daß die sozial-destruktiven Entwicklungen den Erfordernissen der Kapitalverwertung, dem aus objektiven Entwicklungen resultierenden Bedürfnis nach einer Reduzierung der "Lohnquote" und der Intensivierung der Ausbeutung entsprechen. Dazu benötigt das Kapital beide Segmente der gespaltenen Arbeitswelt: die Hochqualifizierten, aber auch jene, die nicht mit dem Computer umgehen können. Jedoch muß der Preis der "unqualifizierten" Arbeitskraft "stimmen", und damit er "stimmt", eine Spirale von sozialer Einschüchterung und administrativem Zwang (durch veränderte Zumutbarkeitskriterien bei Arbeitslosigkeit etwa 35) geschaffen werden. Deshalb stellt auch die Ausgrenzung aus den Kreisläufen der Produktion und die Verweigerung von sozialer Anerkennung - anders die Vertreter des Exklusionstheorems unterstellen 36 - eine "Interdependenz-Beziehung" dar.

Die Ausgegrenzten sind der Reproduktionsdynamik des Kapitalverhältnisses unmittelbar zugeordnet 37 und den jeweils besonderen Ausprägungen des Akkumulationsregimes, dem Wechselspiel von Krise und Ausbeutung ausgeliefert: "Die kapitalistische Akkumulation produziert ... und zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Unfang, beständig eine relative, d. h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung."38 Die Randständigen, sei es als Arbeitslose oder auch Marginalisierte, bleiben dabei Angehörige jener Klasse, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängig sind. Zumal es nicht festgeschrieben ist, daß die Ausgeschlossenen unbedingt immer ausgeschlossen bleiben müssen. Auch sie bilden eine Reservearmee, ein Reservoir von Arbeitskraft-Verkäufern und -Verkäuferinnen, das den Flexibilisierungsstrategien des Kapitals dienlich ist, weil es entsprechend den Marktschwankungen aktiviert und wieder deaktiviert werden kann. Wenn die Frauen und Männer aus diesen Segmenten wieder eingestellt werden, dann in der Regel zu "konkurrenzfähigen " Niedriglöhnen. Sie wechseln dann aus dem Status bedürftiger Arbeitsloser in die Gruppe der arbeitenden Armen, die selbst oft mit mehreren Jobs der Zone der Bedürftigkeit nicht entkommen können.

Folgerichtig verzichten die neuen bundesrepublikanischen "Arbeitsmarktkonzepte" weitgehend darauf, durch Qualifikationsangebote den (Langzeit-)Arbeitslosen neue Beschäftigungschancen zu verschaffen. Sie waren auch in der Vergangenheit nicht besonders erfolgreich, aber ihre Existenz und die Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen waren zumindest ein Indiz dafür, daß das politische Management die von der Massenarbeitslosigkeit ausgehenden Delegitimationseffekte als problematisch ansah. Diese Einstellung hat sich geändert: Ihre Maßnahmen sind von der Überzeugung geprägt, daß die systemstabilisierenden Wirkungen des Sozialstaates nicht mehr benötigt werden, weil aufgrund der individualistischen Verarbeitung ihrer Degradierung und aufgrund ihrer sozialen Heterogenität die Krisenopfer nur eingeschränkt handlungsfähig sind und deshalb als politisches Bedrohungspotential ignoriert werden können.

Der herrschende Block hat registriert, daß die Abspaltung der ökonomisch weitgehend funktionslos gewordenen Bevölkerungsteile nicht nur keine destabilisierenden Konsequenzen hat, sondern sie im Gegenteil noch als Bedrohungskulisse nützlich sein können: Ihre Existenz ermahnt die noch Arbeitenden, daß es ihnen auch schlechter gehen könnte, zumal es charakteristisch für die neue Klassenlandschaft ist, daß die Zonen der Integration und der Ausgrenzung eng beieinander liegen. Nicht selten gibt es einen Wechsel zwischen den heterogenen Positionen; Gewinner und Verlierer wohnen häufig Tür an Tür und immer häufiger sind Aufstieg und Abstieg biographische Phasen innerhalb eines Lebenslaufes. Schon deshalb repräsentieren die Ausgegrenzten kein eigenständiges Klassensegment. Aber prinzipieller noch deshalb, weil sie Formen sozialer Verwundbarkeit ausgesetzt sind, denen nur Arbeitskraftverkäufer unterliegen können. Dieser Tatsache entsprechend ist das Schicksal der Ausgrenzung und Marginalisierung ein kollektives, auch wenn durch eine selbstunterdrückende Verarbeitungsform dieses Orientierungswissen den Krisenopfern nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Aber die geistige Paralysierung durch stagnative oder regressive Formen der Widerspruchsverarbeitung 39 sind regelmäßige Begleiterscheinungen von Vergesellschaftungskrisen. Während Apathie und Resignation, Rückzugs- und irrationale Protestbedürfnisse (die sich u. a. in der Wah l rechter Parteien ausdrücken) in den Prosperitätsphasen der bundesrepublikanischen Gesellschaftsentwicklung von marginaler Bedeutung waren, werden sie in der Krise zu einer auffälligen Erscheinung.

Achtens

Der Armutsentwicklung und Ausgrenzungsdynamik liegen politische Entscheidungen zugrunde: Nicht Armut und Arbeitslosigkeit werden bekämpft, sondern die Krisenopfer. Systematisch wird das "soziale Netz" ausgedünnt und der administrative Druck erhöht. Neben den diversen Kürzungen von Unterstützungsleistungen werden auch bestehende Regelungen restriktiver angewandt. Immer häufiger werden mit konstruierten Begründungen gesetzlich garantierte Hilfeleistungen verweigert und Arbeitslosengeldzahlungen nach Antragstellung wochenlang künstlich hinaus gezögert, so daß viele Betroffenen in ernste finanzielle Schwierigkeiten geraten. Zusätzlich werden den Arbeitslosen absurde Rituale der Selbstdemütigung abverlangt: Auch ohne die geringste Einstellungschance zu besitzen, müssen Bewerbungsversuche unternommen werden. 50jährige werden zur Suche nach Positionen gedrängt, die selbst 40-jährige aus "Altersgründen" kaum noch erhalten und schwangere Frauen auf den langen Marsch einer (alleine schon wegen ihres "Zustandes") vergeblichen Arbeitsuche geschickt. Der Zweck des Drucks auf die Arbeitslosen ist erfüllt, wenn noch mehr von ihnen resignieren und in das Lager der "Entmutigten überwechseln, die dem Arbeitsmarkt fernbleiben oder sich von ihm zurückgezogen haben, ohne noch in der offiziellen Statistik in Erscheinung zu treten".40

Obwohl sich durch die veränderte Akkumulationsdynamik und die politischen Strategien der sozialen Spaltung die gesellschaftlichen Randzonen vergrößert haben, spricht vieles dafür, den Charakter der subproletarischen Gruppen in den kapitalistischen Kernländern Europas anders als in den Vereinigten Staaten zu bestimmen. Nur in der sozialstatistischen Fixierung besitzen sie einen stationären Charakter. Es etabliert sich zwar eine "stabile" Zone, die von Dauer-Arbeitslosen, Immigranten und Behinderten bevölkert wird. Neben diesem "Bodensatz" wird sie von einer nicht geringen Zahl von Menschen bevölkert, für die eine solche "Unterklasse" nur ein Durchgangsstadium bildet: Nur ein Teil bleibt für immer aus der Arbeitswelt ausgeschlossen.

Die Überwindung der Randständigkeit markiert jedoch immer häufiger den endgültigen Verlust des ehemaligen sozialen Status und die Ausgrenzung aus der Welt eines relativen Wohlstands.

Neuntens

Daß eine verantwortungslose Elite ihre eigenen Interessen zunehmend ohne Rücksicht auf die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen durchsetzt und bereit ist, die "Überflüssigen" sozial "abzukoppeln", hat einen handfesten Hintergrund: Die Zahl der für die Mehrwerterzeugung nach kapitalistischen Akkumulationsgesetzen benötigten Arbeitkraft- Verkäuferinnen und -Verkäufer hat rapide abgenommen und wird weiter abnehmen. Es gibt glaubwürdige Schätzungen, daß in einem überschaubaren Zeitraum nur noch für 20 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung Arbeitsplätze vorhanden sein werden.

Daß mit der Umsetzung der bundesrepublikanischen "Arbeitsmarktreformen" und mit dem Umbau der Bundesanstalt für Arbeit Unternehmensberaterkonzerne beauftragt wurden, die als Experten für soziale Verantwortungslosigkeit ausgewiesen sind, macht vor diesem Hintergrund durchaus "Sinn": Wie im privatwirtschaftlichen Bereich besteht ihre Dienstleistung darin, Umorganisationen als "objektive Sachzwänge" darzustellen. Formal im Auftrag einer kopflosen Politik handelnd, vertreten sie jedoch objektiv die Interessen einer gesellschaftlichen Elite, deren Anteil am Steueraufkommen, also an der Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben einen historischen Tiefstand ereicht hat und deren ökonomische Reproduktionsbedürfnisse von den Formen sozialer Destruktion nicht zu trennen sind.

Die sozialen Spaltungs- und Polarisierungstendenzen bedeuten mehr als nur eine Verschärfung der Existenzunsicherheit und die Zunahme der schon seit längerem wirkenden sozio-strukturellen Diversifizierungstrends. Die Intensität der Entwicklung berechtigt, von einer Neugestaltung des klassengesellschaftlichen Gefüges zu sprechen. Eine Wiedergeburt erleben soziale Widerspruchsformen aus der Früh- und Aufstiegsphase des Kapitalismus - die jedoch etwas anderes als in der Vergangenheit bedeuten: Sie werden realitätsprägend zu einem Zeitpunkt, an dem aufgrund des Produktivkraftniveaus eine "andere Welt", soziale Zustände ohne Ausbeutung, Verunsicherung und Ausgrenzung möglich wären.

Ob durch die Spaltungsprozesse auch innerhalb der subalternen Schichten langfristig die "Übersichtlichkeit" traditioneller Klassengrenzen verloren geht, ist eine Frage, die nicht so vorschnell beantwortet werden sollte, wie es manchmal geschieht. Wenn der Umbau der Klassengesellschaft im gegenwärtigen Tempo voranschreitet, werden neue Grenzlinien entstehen und die Differenzen zwischen den gesellschaftlichen Hauptgruppen markanter ausfallen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Eine strukturelle Konstanz in den Grundlinien dürfte gemeinsam mit relationalen Verschiebungen innerhalb der Klassenblöcke auftreten. Momentan scheint es so, daß Vorstellungen von einer Drittelung der Gesellschaft in einen herrschenden Block, ein mehrfach gegliedertes Mittelfeld mit auskömmlichen Lebensbedingungen und einer sozialen und ökonomischen Dispositionsmasse, die aus dem letzten Bevölkerungsdrittel besteht, noch von einem ungerechtfertigten Optimismus geprägt ist. Denn schon 1998 verfügten in der Bundesrepublik 40 Prozent der Erwerbstätigen nur über ein monatliches Nettoeinkommen von (teilweise deutlich weniger als) 1100 Euro. Und der Endpunkt dieses Sogs nach unten ist noch lange nicht erreicht. Die Zielprojektion ihrer Umgestaltungskonzepte haben die neoliberalistischen Strategen jedenfalls niemals verschwiegen: Im Extrem soll "einfache Arbeit in Deutschland nicht höher entlohnt werden als in Tschechien, auf Dauer auch nicht höher als auf dem indischen Subkontinent".41

Zwar sind die Entwicklungen noch nicht abgeschlossen, die Grundzüge des Gesellschaftsumbaus jedoch schon zu erkennen: Das neue Klassengefüge fundiert in einer Neuformierung des herrschenden Blocks, in dem nur noch beschränkt Platz für die traditionellen Mittelschichten ist. Exakt zu dem Zeitpunkt, als eine angeblich "neue Mitte" zur politischen Universalkategorie avancierte, begann die allmähliche Erosion ihres Status, begannen Unsicherheit und soziale Orientierungslosigkeit ein ehemaliges Gefühl der Selbstsicherheit zu überdecken.42

Die Rationalisierungswellen sind momentan in den "Weiße- Kragen"-Abteilungen angekommen. Ganze Managementebenen werden "abgebaut", Dienstleistungstätigkeiten im Bankgewerbe automatisiert und der öffentliche Dienst für Berufsanfänger weitgehend geschlossen. Selbst Positionen des "gehobenen Dienstes" werden immer häufiger nur noch auf der Basis von Zeitverträgen besetzt.

Nicht auszuschließen ist, daß die Mittel- und Oberschichtsegmente zukünftig gemeinsam nur noch einen Umfang von kaum mehr als 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen werden. Auf kaum ein Drittel der Bevölkerung dürfte sich - bei Fortexistenz der bestehenden Trends - der Umfang einer "neuen" Zwischenschicht belaufen. Sie kann - im Vergleich zur übrigen Bevölkerung - als relativ privilegiert eingestuft werden, wird aber nur noch phasenweise den Gewißheits- und Einkommensstatus der traditionellen Mittelklassen besitzen. Auch ihre Existenz wird von Unsicherheit, vom Zwang zur "Flexibilität" in jeglicher Hinsicht geprägt sein. Phasenweise können sie sich als "Gewinner" der Umgestaltungen fühlen, ohne sich aber des Erreichten je sicher zu sein. Langfristig dürften besonders die neuen Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose die Biographiemuster der Mitglieder der "neuen Mittelschicht" nachhaltig prägen. Durch den Zwang, jede Arbeit zu jedem Lohn anzunehmen, wird die soziale Rückstufung institutionalisiert, die temporäre Unsicherheit einer Arbeitslosigkeitsphase durch die reale Gefahr eines lebensgeschichtlichen Bruchs überlagert.

Nur wenig bleibt im Mahlstrom der kapitalistischen Neuformierung von den soziologischen Trugbildern einer, die traditionellen Klassengrenzen nivellierenden "Mittelstandsgesellschaft" übrig. Die Unsicherheit wird universal: Auch temporär Privilegierte können sich in der Gruppe der "Verlierer" der Umwälzungen wiederfinden, jener Hälfte der Bevölkerung, die zur ökonomischen Dispositionsmasse degradiert, nur noch einen unsicheren Platz innerhalb und immer häufiger auch am Rande des Erwerbssystems erwarten kann. Der schon mehrfach prognostizierte "Abschied von der Klassengesellschaft" scheint erneut aufgeschoben.

Werner Seppmann - Jg. 1950; Dr. phil., Sozialwissenschaftler; nach Berufstätigkeit Studium der Soziologie und Philosophie, langjährige Zusammenarbeit mit Leo Kofler, Mitherausgeber der Marxistischen Blätter, zahlreiche Veröffentlichungen zur Marxismusforschung, historisch-materialistischen Methodologie, Sozialstrukturanalyse, Ideologiekritik, Sozialphilosophie und Kultursoziologie; zuletzt in UTOPIE kreativ: Die "neue Weltordnung" des Kapitals, Heft 129/130 (Juli/August 2001), S. 581-594.

1 Dieser Text ist im Rahmen des Projekts Klassenanalyse@BRD entstanden. Das Forschungsvorhaben der Marx-Engels-Stiftung in Wuppertal untersucht systematisch die Realität der bundesrepublikanischen Klassengesellschaft, die Veränderungen ihrer Strukturen und Entwicklungsformen. Im Herbst 2004 ist im Neue Impulse Verlag Essen ein Sammelband mit ersten Arbeitsergebnissen erschienen: Projekt Klassenanalyse@ BRD: "Zweifel am Proletariat - Wiederkehr der Proletarität".

2 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.): Lebenslagen in Deutschland, Berlin 2001, S. XV.

3 Ebenda., S. 156.

4 J. H. Herz: Stagnationsfaktoren der modernen Gesellschaft, in: Heinz Maus (Hg.): Gesellschaft, Recht und Politik. Wolfgang Abendroth zum 60. Geburtstag, Neuwied und Berlin 1968, S. 152.

5 Den demagogischen Unterstellungen zum Trotz sind die meisten Bedürftigen bemüht, ihren Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten zu können: "Die Hälfte aller Sozialhilfe-Empfänger muß bereits nach einem Jahr keine Sozialunterstützung mehr in Anspruch nehmen, nach drei Jahren sind nur noch 22 Prozent weiter in Sozialhilfe. " Arne Heise: Dreiste Elite. Zur politischen Ökonomie der Modernisierung, Hamburg 2003, S. 27.

6 Berthold Dietz: Soziologie der Armut, Frankfurt und New York 1997, S. 18.

7 Vgl. Werner Hübinger: Prekärer Wohlstand. Neue Befunde zu Armut und sozialer Ungleichheit, Freiburg 1996.

8 Friedrich Engels: Einleitung zu Karl Marx "Lohnarbeit und Kapital", MEW, Bd. 6, S. 412.

9 Vgl. Werner Seppmann: Dialektik der Entzivilisierung. Krise, Irrationalismus und Gewalt, Köln 1995.

10 Werner Rügemer: Arm und reich, Bibliothek dialektischer Grundbegriffe, Bd. 3, Bielefeld 2002, S. 12.

11 Hansgeorg Conert: Neoliberalismus und Weltmarkt, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Nr. 10/2003, S. 25.

12 Pierre Bourdieu et al.: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz 1997, S. 310.

13 Ebenda., S. 326.

14 Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, MEW, Bd. 23, S. 454.

15 Joachim Hirsch: Die Globalisierung der Gewalt, in: Sozialismus, H. 10/2002, S. 24.

16 Der Spiegel, Nr. 4/1991, S. 84.

17 Maria Mies: Mythen des globalisierten Kapitalismus, in: Peter Kemper, Ulrich Sonnenschein (Hg.): Glück und Globalisierung. Alltag in Zeiten der Weltgesellschaft, Frankfurt/M. 2003, S. 35.

18 Elmar Altvater, Birgit Mahnkopf: Globalisierung der Unsicherheit, Münster 2002, S. 26.

19 Pierre Bourdieu: Gegenfeuer, Konstanz 1998, S. 97.

20 Vgl. Leo Kofler: Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied und Berlin 1966, S. 299 ff.

21 Robert Castel: Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz 2000, S. 357.

22 Ebenda., S. 350.

23 Rainer Roth: Nebensache Mensch. Arbeitslosigkeit in Deutschland, Frankfurt/M. 2003, S. 53.

24 Karl-Heinz Roth: Die Wiederkehr der Proletarität und die Angst der Linken, in: Ders. (Hg.): Die Wiederkehr der Proletarität. Dokumentation der Debatte, Köln 1994, S. 19.

25 Es stellte ein strukturelles Defizit der industriesoziologischen Forschung dar, sich zu lange hauptsächlich mit diesen "Kernen" beschäftigt und sie als repräsentativ für die Arbeitswelt stilisiert zu haben.

26 Karl-Heinz Roth: Die Aufsprengung des Sozialstaats, in: Ders. (Hg.): Die Wiederkehr der Proletarität, a. a. O., S. 41.

27 Es ist in diesen Zusammenhang von einer "Krise des Normalarbeitsverhältnisses" die Rede: Wie bei vielen anderen Begriffen, die aus der etablierten sozialwissenschaftlichen Diskussion stammen, ist er nicht unbedingt falsch, legt aber doch eine Fährte, die von den klassengesellschaftlichen Ursachen der eskalierenden Probleme ablenkt.

28 Michael Schumann: Metamorphosen von Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein, Hamburg 2003, S. 61.

29 Paul Bocarra: Herausforderungen der Klassenidentität. Über Trennungen und Annäherungen unter Arbeitenden und in der Arbeiterklasse, in: Joachim Bischoff, Paul Boccara, Robert Castel u. a.: Klassen und soziale Bewegungen. Strukturen im modernen Kapitalismus, Hamburg 2003, S. 64.

30 André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt/M. 2000, S. 69.

31 Mario Candeias: Arbeit, Hochtechnologie und Hegemonie im Neoliberalismus, in: Mario Candeias, Frank Deppe (Hg.): Ein neuer Kapitalismus?, Hamburg 2001, S. 172.

32 Alain Touraine, zit. nach: Catherine Bidou-Zachariasen: Der Erfolg der "Mitte" der Gesellschaft, in: Joachim Bischoff, Paul Boccara, Robert Castel u. a., a. a. O., S. 39. Adaptiert wurde dieses Schema beispielsweise von Reinhard Kreckel: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt und New York 1992.

33 Heleno Saña: Die Zivilisation frisst ihre Kinder, Hamburg 1997, S. 70.

34 Manuel Castells: Das Informationszeitalter, Teil I: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Opladen 2004, S. 19 f.

35 Mit der Suspendierung der Koalitionsfreiheit (als "Leiharbeiter" eingesetzte Arbeitslose dürfen, nach den bundesrepublikanischen "Arbeitsmarktreformen", nicht streiken) und dem impliziten Arbeitszwang werden zentrale Verfassungsprinzipien außer Kraft gesetzt. Die bürgerliche Gesellschaft stellt damit ihr programmatisches Selbstverständnis in Frage; ihre normativen Grundsätze werden zur tagespolitischen Dispositionsmasse. Vgl. Werner Seppmann: Ausgrenzung und Herrschaft, in: Marxistische Blätter, H. 2/2003.

36 Vgl. Robert Castel: Nicht Exklusion, sondern Desaffiliation, in: Das Argument, Nr. 217, 1996, S. 776 f.

37 Auffassungen wie die von Gorz, daß "im Unterschied zum Marxschen Proletarier ... der Neoproletarier nicht mehr durch ›seine‹ Arbeit ... und ... auch nicht durch seine Position im gesellschaftlichen Produktionsprozeß definiert werden" kann, sind realitätsferne Konstrukte. André Gorz: Abschied vom Proletariat. Jenseits des Sozialismus, Frankfurt/M. 1980, S. 62.

38 Karl Marx, a. a. O. S. 658.

39 Vgl. Hartmut Krauss: Das umkämpfte Subjekt. Widerspruchsverarbeitung im "modernen" Kapitalismus, Berlin 1996, S. 126 ff.

40 Martin Kronauer: Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Frankfurt/M. 2002, S. 98. SEPPMANN Ausgrenzung 793

41 Herbert Giersch, in: Arbeit der Zukunft, Zukunft der Arbeit, Stuttgart 1994, S. 158.

42 Vgl. Barbara Ehrenreich: Die Angst vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse, München 1992.

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in: UTOPIE kreativ, H. 179 (September 2005), S. 781-795

Inhalt des Heftes:

VorSatz; Essay JÖRN SCHÜTRUMPF: Denken "ohne Geländer". Die Linke an der Schwelle zur Mündigkeit?; Gesellschaft - Analyse & Alternativen WERNER SEPPMANN: Dynamik der Ausgrenzung. Über die soziostrukturellen Konsequenzen der gesellschaftlichen Spaltungsprozesse; MICHAELWOLF: "Aktivierende Hilfe". Zu Ideologie und Realität eines sozialpolitischen Stereotyps; RAINER FERCHLAND: Ein regierungsamtliches Paradoxon. Zum Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung; Standorte ALEXANDER GALKIN: Nach dem Zweiten Weltkrieg: Freigeräumte Wege und nicht beherzigte Lehren; Einstein ALBERT EINSTEIN: Ein Brief wider die Inquisition; SIEGFRIED GRUNDMANN: Albert Einstein - ein Utopist? Anmerkungen zu einem neuen Einstein-Buch von Hubert Goenner; In memoriam FLORIAN DIECKMANN: Zum Tode von Carl Amery; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung; Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik. Vorlesungen am Collège de France 1977/78 und 1978/79 (Johannes Scheu); Mario Candeias: Neoliberalismus - Hochtechnologie - Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise. Eine Kritik (Erwin Riedmann); Günther Moewes: Geld oder Leben. Umdenken und unsere Zukunft nachhaltig sichern (Ulrich Busch); Wolfgang Schwarz: Brüderlich entzweit. Die Beziehungen zwischen der DDR und der CSSR 1961-1968 (Stefan Bollinger); Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens (Jochen Weichold); Berichtigung; Summaries