Schuldenstreichung jetzt

Die wichtigste Hilfe für die vom Tsunami betroffenen Länder wäre eine Streichung ihrer Schulden.

Sensationsgier und Voyeurismus beherrschen unsere Medien, die sich überschlagen in der Anzahl der Opfer, der Höhe der Schäden und im Umfang der internationalen Hilfe. Bei genauem Hinsehen ergibt ein anderes Bild.
Elf Länder sind vom Tsunami betroffen: Indonesien, Sri Lanka, Indien, Thailand, die Malediven, Somalia, Malaysia, Myanmar, Tanzania, Bangladesh und Kenya. Die Natur hat nicht unterschieden zwischen Ländern aus Afrika und Asien, Schwellenländern und sehr armen Ländern, Ländern, die eine enorme Schuldenlast tragen und solchen, die ihre Zahlungen suspendiert haben. Umso schlimmer wäre es, wenn nun die Hilfe am geringsten dort ausfällt, wo sie am meisten benötigt wird.
Ende 2003 belief sich die gesamte Außenschuld der genannten elf Länder auf 406 Milliarden US-Dollar (293 Milliarden Euro). Ihre Wirtschaftskraft ist sehr unterschiedlich, wie auch die der Gläubiger. Aufsteigernationen wie Indien und Thailand haben ihre Schulden vorwiegend bei Privaten - an Finanzmärkten oder bei Großbanken. Arme Länder wie Sri Lanka oder Bangladesh haben multilaterale Schulden - hauptsächlich bei der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank oder dem IWF. International isoliertere Länder wie Somalia haben vor allem bilaterale Schulden bei reichen Ländern.
Allein im Jahr 2003 zahlten diese elf Länder 68 Milliarden Dollar Schuldendienst an ihre ausländischen Kreditgeber - im Jahr zuvor waren es 60 Milliarden Dollar gewesen. 38 Milliarden davon entfielen auf die Regierungen. Das ist ein enormer Abfluss von Ressourcen. Zwischen 1980 und 2003 ist der Schuldendienst auf das Elffache gestiegen, während die Schulden selbst nur um das Fünffache gewachsen sind. Demgegenüber steht die derzeitige internationale Hilfe. Sie wird auf insgesamt 6 Milliarden US-Dollar geschätzt (das größte jemals erreichte Hilfeaufkommen); 4 Milliarden Dollar davon sollen von offiziellen Institutionen kommen.
Diese Welle von Großzügigkeit soll nicht entmutigt werden, wenngleich sie das Gewissen der Geber erleichtert, lange bevor die Gaben die Opfer erreichen. Aber es ist dennoch wichtig darauf hinzuweisen, dass die elf Länder Jahr für Jahr zehnmal so viel für den Schuldendienst ausgeben. Die übermäßig Betonung der Spendenfreudigkeit in der Öffentlichkeit verkehrt die reale Großzügigkeit der Spender in einen subtilen Mechanismus zur weiteren Aussaugung der Bevölkerung des Südens. Wenn die Tragödie vom Dezember nur dazu helfen würde, diese andere Tragödie in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken, die weit über die elf Länder hinausgeht: die Schulden - dann wäre viel gewonnen.
Wegen ihrer Schuldenlast und wegen der Haltung der lokalen herrschenden Klassen, die ein persönliches Interesse an der Verschuldung ihres Landes haben, bieten die Staaten ihren Bevölkerungen nicht die elementaren Grundsicherheiten. Armut und Korruption sind weit verbreitet, politische und wirtschaftliche Souveränität bedeuten den Herrschenden meist nichts mehr, natürliche Ressourcen werden geplündert oder an mächtige multinationale Konzerne ausverkauft. Bauern sind gezwungen, Exportprodukte anzubauen zulasten der Selbstversorgung. Der Schuldendienst bildet das starke Rückgrat eines ausbeuterischen und unterdrückerischen Wirtschaftsmodells.
Alle Gläubiger könnten unverzüglich auf die Rückzahlung der Außenstände verzichten. Das hat es in den vergangenen Jahren aus geopolitischen Gründen mehrfach gegeben. Doch der Pariser Club, der 19 der reichsten Länder der Welt versammelt, will sich dazu nicht verstehen. Angesichts der enormen Hilfsbereitschaft von Millionen Menschen konnte er nicht weiter auf einer pünktlichen Schuldenzahlung bestehen.
Das von ihm beschlossene Moratorium hat jedoch nichts von deren Großzügigkeit. Der Club von Paris fürchtet, dass die verschuldeten Länder einseitig ihre Zahlungsunfähigkeit erklären - wie Argentinien Ende 2001. Auf keinen Fall soll ein Präzedenzfall geschaffen werden, denn dann würden die Gläubigerländer die Kontrolle über die Situation verlieren und auch einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Deshalb hat der Club es vorgezogen, selbst ein Moratorium vorzuschlagen, aber auch die Bedingungen dafür festgelegt.
Die Schuldenlast wird damit von den Ländern nicht genommen - letztlich bleibt der Druck bestehen, dass sie ihre Schulden zurückzahlen müssen - damit fehlt ihnen der Spielraum, ihren Bevölkerungen zu Hilfe zu kommen. Während die Schuldenzahlungen ausgesetzt sind, wächst zudem der Schuldendienst weiter. Außerdem ist das Moratorium an die Bedingung geknüpft, dass die betroffenen Länder im Sinne des Konsenses von Washington bestimmte politische und soziale Maßnahmen umsetzen. Das Moratorium wird damit zu einem weiteren Hebel, den Ländern eine neoliberale Politik aufzuerlegen - vor allem die Öffnung ihrer Ökonomien für den Export und für Auslandsinvestitionen sowie die Reduzierung öffentlicher Ausgaben.
Indonesien ist hierfür ein besonders negatives Beispiel. Die Rezepte des IWF haben in den vergangenen Jahren den Zinssatz auf 20% getrieben, wodurch 18 indonesische Großbanken in den Ruin getrieben wurden und mehrere tausend Betriebe schließen mussten. Es spricht also Bände über die Korruptheit der indonesischen Führung und ihren Grad der Abhängigkeit vom internationalen Finanzkapital, dass die indonesische Regierung es jetzt sogar abgelehnt hat, ein Schuldenmoratorium für sich in Anspruch zu nehmen.
Es gibt drei Gründe für eine sofortige Schuldenstreichung für diese Länder: Erstens müssen sie ihre Steuereinnahmen für ihre eigenen Bedürfnisse verwenden können, statt sie ins Ausland zu transferieren. Zweitens haben die vom Tsunami betroffenen elf Länder die Auslandsschulden, die sie 1982 hielten, seither bereits elfmal zurückgezahlt - nämlich insgesamt 880 Milliarden Dollar. Drittens sind Schulden wie die Indonesiens, die zum großen Teil auf die Diktatur Suhartos zurückgehen, sog. "schändlichen" Schulden - d.h. Schulden eines despotischen Regimes, das auf die Bedürfnisse der Bevölkerung keine Rücksicht genommen hat. Im Rückgriff auf dieses Konzept der "schändlichen Schuld" haben die USA bei den anderen Mitgliedern des Clubs von Paris durchgesetzt, dass 80% der unter Saddam Hussein aufgelaufenen Schulden des Irak gestrichen werden. Das muss auch für Asien gelten.

Eric Toussaint arbeitet für die belgische NGO CADTM, die sich vor allem für die sofortige Streichung der Schulden der Länder des Südens einsetzt. (Übersetzung: Angela Klein.)