Waffen, Öl - und hundert Blumen?

Mit dem Massenmörder im Weißen Haus, George W. Bush, haben wir nichts zu teilen, auch keine Genugtuung über die Gefangennahme des Massenmörders im Rattenloch, Saddam Hussein. ...

... Doch wir kommen nicht umhin zu bemerken, daß Bush einen Triumph nach dem andern feiert, im beschränkten Blickwinkel der US-amerikanischen Wähler ebenso wie der multinationalen Geld-Oligarchie.
Mag der Bombenterror im Irak täglich Menschenleben fordern, mag Afghanistan Lichtjahre vom Frieden entfernt sein: Bush ist obenauf. Jetzt kontrollieren die USA die wichtigsten Ölressourcen und die Ölpreise der Welt und können Europa und Asien, die Volksrepublik China eingeschlossen, in Schranken halten. Gerade wird in Bagdad die Beute gesichert, mit politischen Tricks und betrügerischen Verträgen, in lupenreiner US-Tradition. Irak wird in drei autonome Regionen gegliedert, mit unterschiedlichen Rechten, mehr schlecht als recht zusammengehalten von einer schwachen Zentralverwaltung. Divide et impera! Wer das irakische Öl fördern darf und unter welchen Bedingungen, wurde mit den Marionetten in Bagdad, die sich Übergangsrat nennen, bereits vorverhandelt. Denkbare Konkurrenten um Ölförderlizenzen blieben außen vor, vor allem China. Öl ist eine Waffe, politisch, wirtschaftlich, militärisch.
Das spürt man in Peking. Die wirtschaftliche Entwicklung Chinas basiert auf sprunghaft steigenden Ölimporten (50 Millionen Tonnen im Jahr 2000, schon 70 Millionen Tonnen 2002, 2003 mehr als 80 Millionen Tonnen). Bisher war China nach Japan zweitgrößter Importeur weltweit, von diesem Jahre an wird es Rang 1 einnehmen. ."Wenn unser Jahresbedarf 100 Millionen Tonnen erreicht, muß das Land überlegen, seine Versorgung ... (notfalls auch) mit militärischen Mitteln zu sichern," schrieb die Peking Rundschau.
Zur Zeit ist die Volksrepublik dabei, sich in großem Umfang ins lateinamerikanische Ölgeschäft einzukaufen. Bei Petrobras zum Beispiel. Der brasilianische Ölmulti steht auf Platz 10 der Weltrangliste. Gelingen solche Geschäftsbeteiligungen nicht, muß China sein Öl weiterhin auf einem von den USA beherrschten Weltmarkt kaufen.
Washington hat jedoch auch Gründe, das chinesische Reich zu respektieren und zu fürchten: Viele US-amerikanische Industrielle lassen ihre Waren preiswert in China produzieren. Zugleich entwickelt sich die Volksrepublik zu einem riesigen Verbrauchermarkt, und Peking kann politisch Einfluß darauf nehmen, welche westlichen Länder und welche Konzerne Zugang zu diesem Markt und seinen Submärkten in den umliegenden Ländern erhalten. Außerdem verfügt die VR China über ein Militärpotential von mehreren hundert Vietnams zuzüglich atomarer Bewaffnung.
Ein Erfolg der US-Diplomatie in Fernost blieb in Westeuropa fast unbemerkt: Für ein weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem im Westpazifik wurde der politische Schlußstein gesetzt. Australiens Premier J. Howard gab im Dezember bekannt, daß sich auch sein Land am Theatre Missile Defense (TMD) beteiligt. So wird TMD von Alaska über Japan, Taiwan, die Philippinen und Indonesien bis zum fünften Kontinent reichen. Kosten: mehr als eine Billion US-Dollar.
Hinter dem Raketenabwehrschirm hervor können die USA gegen China politisch offensiv werden - und gegen die anderen asiatischen Atommächte: Rußland, Pakistan, Indien, Nordkorea. Nichtatomstaaten wie Südkorea, Taiwan und Indonesien bleiben an der kurzen Leine.
Lediglich die gigantischen Staatsschulden und das riesige Leistungsbilanzdefizit der USA hindern Bush vorerst an weiteren militärischen Abenteuern. Das Engagement im Mittleren Osten verschlingt jährlich schon fast 100 Milliarden US-Dollar. Noch fragt in den USA zwar kaum jemand, weshalb immerfort nur teure Soldaten, aber nicht preisgünstigere und produktivere Facharbeiter, Ingenieure, Mediziner, Lehrer, Verwaltungsleute zum angeblichen Wiederaufbau ent-sandt werden. Noch fließt das Geld für Besatzungstruppen, aber für neue militärische Aktionen fehlen die Mittel - obwohl nach Bushs und seiner Meute Meinung die Mullahs in Teheran längst zur Rasur anstünden und die Nordkoreaner zu einer Tracht Prügel.
Neben Korea und Iran bleiben aus US-amerikanischer Sicht auch die islamischen Vielvölkerstaaten Indonesien und Pakistan Unruheherde. Und jedes Mal, wenn Taiwans Noch-Präsident Chen Shuibian uneingeschränkte Souveränität für seine "Republik China" reklamiert, steht die Washingtoner Diplomatie kurz vor der Panik. Sie fürchtet, daß Chen mit seinen Provokationen die Reizschwelle der Machthaber in Peking überschreitet. Man glaubt in Washington, beim "Krieg gegen den Terrorismus" noch auf die Unterstützung der VR China angewiesen zu sein, erst recht bei den Verhandlungen über das nordkoreanische Nuklearprogramm. Pekings Interesse hingegen ist, daß Bush die Regierung in Taipei an der Kandare hält. China kann es sich nicht leisten, daß sich Taiwan gänzlich vom chinesischen Staat lossagt, weil sonst andere separatistische Bestrebungen ermuntert würden. Das Land der Mitte ist, nicht nur historisch gesehen, wie ein Amöbenstaat, der sich ständig zu teilen und im Chaos aufzulösen droht und nur von äußerst starken Kräften zusammenzuhalten ist.
Nun finden auf Taiwan am 20. März Wahlen statt. Präsident Chen betreibt seine Wiederwahl mit gefährlichen populistischen Aktionen. Unter anderem strebt er einen Volksentscheid über die Pekinger Formel "Ein Land, zwei Systeme" an, die angesichts der unterschiedlichen Lebensverhältnisse - jährliches Pro-Kopf-Einkommen in Taiwan 13 000 US-Dollar, in der VR China 900 US-Dollar in großen Städten und nur 350 US-Dollar auf dem Land - keine Chance hätte. Peking reagierte Anfang Dezember mit Kriegsdrohungen. Die "Volksbefreiungsarmee" konzentrierte Truppen an der Ostküste und richtete rund 500 Kurzstreckenraketen auf Taiwan. Sie können jeden Punkt der weniger als 100 Kilometer entfernten Insel erreichen. Die Vorwarnzeiten wären zu kurz für eine effektive Abwehr.
In dieses Wespennest stach im Dezember Kanzler Schröder. Sich zum Weltpolitiker aufblasend, obwohl er doch nur als Klinkenputzer der deutschen Konzerne fungierte, versprach er Peking, sich für das Ende des EU-Waffenembargos gegen die Volksrepublik einzusetzen.
Die Chinesen können zwar selbst alle Waffen bauen, die sie zu brauchen meinen. Das mindert jedoch nicht ihr Interesse an europäischer Rüstungstechnik. Deutschland hat davon reichlich: Fernlenksysteme (EADS), U-Boote mit Wasserstoffantrieb (Howaldtswerke-Deutsche Werft), militärische Simulationsprogramme (Rheinmetall) und so weiter. Großzügig überging Schröder das gesetzliche Verbot von Waffenlieferungen in Spannungsgebiete. Wie vor 15 Jahren. Da hatte er als niedersächsischer Ministerpräsident zugunsten einer niedersächsischen Werft schon einmal einen großkalibrigen Waffendeal versucht, indem er die Lieferung von U-Booten an das damals noch diktatorisch regierte Taiwan förderte. Denn gut ist, was der hiesigen Wirtschaft nützt. Sollen die Chinesen sich doch gegenseitig umbringen, es gibt ja reichlich ...
Hoffen wir das Gegenteil: Die Chinesen auf dem Festland wie auf den Inseln sollten sich darüber klar sein, daß sie nur in gegenseitiger politischer Toleranz überleben werden. Nach dem alten Mao-Wort: Laßt hundert Blumen blühen, laßt hundert Schulen miteinander wetteifern!
Dem Fundamentalisten im Weißen Haus aber wird diese fernöstliche Weisheit schwerlich einleuchten. Ihm mag zwar von seinen Sponsoren, die ihm bereits hunderte Millionen Dollar für den diesjährigen Wahlkampf zugesagt haben, noch eine zweite Amtszeit beschert werden. Aber auch der Raketenschirm, den sie dann mit reichlich Profit errichten dürfen, wird für die weltweit sich mehrenden Probleme der USA nur eine vorübergehende Lösung sein.

Aus: Ossietzky 1/2004