Server & Servants

Weshalb das Internet nicht zur Überwindung sozialer Grenzen führt

in (25.02.2001)

Die Verbreitung der Computerserver führt zur Entstehung einer neuen Schicht von Servants. Sollen die Server der Bevölkerung dienen, ist eine Umgestaltung der Gesellschaftsverhältnisse notwendig.

An die modernen I(nformations-) u(nd) K(ommunika-tions)technologien, die durch das Internet immer engmaschiger verknüpft werden, sind unterschiedliche Erwartungen geknüpft. Während in den Sozialwissenschaften die Frage gestellt wird, ob diese technologische Entwicklung neue Formen gesellschaftlicher Steuerung hervorbringt, streiten sich Wirtschaftswissenschaftlerinnen darüber, ob die neuen Technologien zu einer Phase anhaltend hohen Wachstums führen werden.

Die Auseinandersetzungen, die sich um beide Fragestellungen entwickelt haben, werden selbst zu einem beträchtlichen Teil über Mailinglists, Web-Sites und Chat-Rooms im Internet geführt. An die Stelle sorgsam formulierter Argumente und stets nachvollziehbarer Bezüge treten deshalb vielfach eingängige Hypothesen, deren Begründung sich mit dem nächsten Maus-Klick verflüchtigt. Damit entsteht in der Tat ein Netzwerk aus Hyperlinks, das dem Bilde seiner Nutzer entsprechen dürfte. Die Beziehungen zwischen virtueller und realer Welt bleiben dem Fetischcharakter der Internet-Ökonomie jedoch verborgen. Um von solchen Wahrnehmungen der neuen Technologien zu einer kritischen Analyse zu gelangen, soll im Folgenden gezeigt werden, weshalb das Internet weder eine neue Form sozialer Steuerung noch einen störungsfreien Wachstumsmotor darstellt. Vielmehr spielt sich technologischer Fortschritt weiterhin in sozialen Strukturen der Akkumulation ab, weshalb auch seine Entwicklungsrichtung von der Veränderung dieser Strukturen abhängt.

Vom Internet zur Network Society?

In seinem Bemühen, der politischen Ökonomie idealistische Konstruktionen auszutreiben, ist Marx mitunter mehr bei einem technologischen Determinismus als beim historischen Materialismus gelandet. Dies gilt beispielsweise für sein berühmtes Diktum: "Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten." (MEW 4, 130) In ähnlicher Weise legen zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Internet die Vermutung nahe, dass sich gegenwärtige Gesellschaften keineswegs in postmoderner Beliebigkeit auflösen, sondern vollständig durch technologische Entwicklungen bestimmt werden. Obiges Marx-Zitat ließe sich dann folgendermaßen fortschreiben: ... und das Internet führt zu einer - herrenlosen - Netzwerkgesellschaft.

Ob es sich dabei noch um kapitalistische Gesellschaften handelt, bleibt zumeist unklar, spielt aber auch keine Rolle, da das Ende hierarchischer Beziehungen und sozialer Grenzen bestenfalls einen Kapitalismus ohne Klassen zulässt. In theoretischen Konzepten, die von technologischen Entwicklungen auf gesellschaftliche Beziehungen schließen, hat die Frage nach den Produktionsverhältnissen, innerhalb derer neue Technologien entstehen und alte verdrängt werden, ohnedies keinen systematischen Platz. Deswegen wird die Netzwerkgesellschaft auch weniger gegenüber dem Kapitalismus als gegenüber der Industriegesellschaft abgegrenzt. Dieser Unterscheidung liegt die Annahme zugrunde, die Industriegesellschaft - unabhängig davon, ob ihre Basistechnologie in Dampfmaschinen, Verbrennungs- oder Elektromotoren bestanden hat, sei durch eindeutige institutioneile Grenzziehungen gekennzeichnet. Dazu gehören die Fabriken, in denen einzelne Kapitale eine homogene Arbeiterschaft ausbeuten, klassenspezifische Konsumformen und nationalstaatliche Grenzen.

Nun darf die theoretische Konstruktion solcher Grenzen, wie hilfreich sie für das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen auch sein mag, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in der Vergangenheit vielfältige "Grenzüberschreitungen" gegeben hat. Gemessen daran sind gegenwärtige Entwicklungen in den Bereichen Unternehmens- und Arbeitsorganisation, Pluralisierung von Lebensstilen und Globalisierung, die als empirische Indikatoren entgrenzter Gesellschaften gelten, weniger spektakulär, als es zunächst erscheinen mag. So hat der Krisenzyklus die Grenzen zwischen aktiver Arbeiterschaft und industrieller Reservearmee beständig verschoben. Dabei haben sich nicht nur die Beziehungen zwischen Markt- und Haushaltssektor verändert, sondern es fanden auch fortwährende Migrationsbewegungen zwischen Land und Stadt, aber auch über nationale Grenzen hinweg statt. Kurz: Die industrielle Entwicklung - auch wenn man die Produktionsverhältnisse außer acht lässt - war viel zu dynamisch, um sich in das o.g. Schema theoretischer Grenzziehungen pressen zu lassen.1

Bleibt der historische Vergleich mit der Industriegesellschaft ganz außerhalb der Betrachtung und wird stattdessen nach den konstitutiven Eigenschaften der Netzwerkgesellschaft gefragt, erhält man die folgende Antwort (Castells 1998; Louca 2000): Das Internet ermögliche die Integration verschiedener Kommunikationsweisen wie Datenübertragung, Telefongespräche, Video- und Musikübertragung, erlaube einen dezentralen Zugang und sei zudem mit einer sprunghaften Beschleunigung gesellschaftlicher Koordinationsleistungen verbunden. Dabei kommen Dezentralität und Beschleunigung besondere Bedeutung zu. Die Abstimmung individueller Entscheidungen und Handlungen innerhalb arbeitsteiliger Gesellschaften hat immer schon Formen angenommen, die durch die idealtypischen Koordinationsmechanismen Markt und Staat nicht vollständig zu erfassen sind.2 Die technischen Kapazitäten des Internet bezüglich dezentraler Zugänge und kostengünstiger Informationsübertragung bieten nun aber die Möglichkeit, soziale Netzwerke aus ihrer Rolle als Lückenbüßer unvollständiger Koordinationsleistungen in Märkten und Hierarchien zu befreien. Vielmehr entwickle sich eine auf die neue Technologie gestützte Netzwerksteuerung deshalb zu einem überlegenen Koordinationsmechanismus, weil sie die ökonomischen und politischen Grenzen der Steuerung durch Geld und Macht zu überwinden vermag.

Bedenkt man jedoch, dass die Synthese von Computernetzen und sozialen Netzwerken als Kern so unterschiedlicher Gesellschaftsprojekte wie einem flexiblen Kapitalismus, einer globalen Zivilgesellschaft und sogar dem Sozialismus gehandelt wird, müssen Zweifel an der technologischen Bestimmtheit gesellschaftlicher Verhältnisse auftauchen. Die Entwicklungsbedingungen einer globalen Zivilgesellschaft (Kößler; Mel-ber 1993) haben sich durch das Internet insofern verbessert, als nunmehr über regionale Mobilisierungen hinaus eine globale Kommunikation und Abstimmung von Aktivitäten möglich ist.3 Deren inhaltliche Ausrichtung ist jedoch durch die Nutzung neuer Kommunikationsmedien nicht vorgegeben. So können über das Internet einerseits inhaltliche Kontroversen und Aktionen organisiert werden, die dem globalisierten Kapital einen "neuen Internationalismus" entgegenstellen sollen. Andererseits kann die globale Zivilgesellschaft als Bestandteil der sozialen Einbettung ökonomischer Restrukturierung verstanden werden, die beispielsweise Währungsfonds und Weltbank mit ihrer Politik der Strukturanpassung erzwingen (Petras 1997).

Schließlich werden Probleme der Definition und Durchsetzung privater Verfügungsrechte, die mit der Verbreitung des Internet verbunden sind, als Voraussetzungen sozialistischer Vergesellschaftung angesehen (Henriksson 2000; Pollack 1998). Zur Begründung wird angeführt, dass Informationen, die sich jemand einmal über die neuen Technologien verschaffen konnte, beliebig oft verwendet werden können, ohne dass jedes Mal dafür bezahlt werden müsste. Außerdem kann niemand sagen, wie viel er oder sie für die "Ware Information" zu zahlen bereit ist, solange deren Eigenschaften nicht bekannt sind. Ist dies aber der Fall, verfügt man über die Information, ohne dafür gezahlt zu haben. Dieser widersprüchliche Charakter bezüglich unendlicher Nutzbarkeit und Wertschätzung kann aus dem Gebrauchswert Information nur unter großen technischen und juristischen Aufwendungen eine "Handelsware" machen. Hierbei ist an die dauernde Einführung neuer Softwarevarianten und Kopierschutzeinrichtungen ebenso zu denken wie an eine Neuformulierung von Urheberrechten zum Schutz geistigen Eigentums. Ob die notwendigen Aufwendungen, um dem Informationsmarkt einen institutionellen Rahmen zu geben, tatsächlich so hoch sind, dass sie die Kapitalverwertung in diesem Sektor dauerhaft verhindern, kann derzeit niemand realistisch einschätzen.

Auch die These, "freie" Software wie z.B. das Betriebssystem Linux sei die Alternative zu privatwirtschaftlich angebotenen Computer-Programmen, um Zivilgesellschaft oder gar Sozialismus zu entwickeln (Meretz 2000), ist in diesem Zusammenhang kritisch zu sehen. Übersehen wird dabei nämlich, dass freie Software keineswegs eine kostenfreie Computernutzung erlaubt. Hierfür sind neben dem Zugang zu entsprechender Hardware insbesondere Qualifikationen im Iuk-Bereich notwendig. Die Kostendegression der Hardwareproduktion und -bereitstellung mag nun zwar die Möglichkeit schaffen, diesen Gütern eine ähnlich weite Verbreitung zu ermöglichen, wie sie andere Massenkonsumgüter - zumindest in den kapitalistischen Metropolen - auch aufweisen. Eine gleichmäßige Verteilung von IuK-Qualifikationen müsste unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen aber politisch durchgesetzt werden, da sie der hierarchischen Arbeitsteilung widerspricht, die auch im Computersektor zur Herausbildung eines gering qualifizierten High-Tech-Proletariats tendiert.

Die Hoffnung auf den Internet-Boom

Die Vorstellung, das Internet führe zu anhaltend hohem und schwankungsfreiem Wachstum, lässt die gerade angesprochenen Probleme, Informationen der Warenform zu unterwerfen, weitgehend außer acht.

Dagegen wird betont, dass die Netzwerksteuerung, die sich mit der neuen Technologie ausbreiten kann, sowohl stabilisierend als auch wachstumsfördernd auf die Ökonomie wirken kann (Piore; Säbel 1989).

Zur Begründung wird angeführt, dass die neuen Technologien eine friktionslose Anpassung an die Änderung ökonomischer Daten erlauben, handele es sich dabei nun um die Schwankungen von Rohstoffpreisen, Präferenzverschiebungen privater Haushalte zwischen bestimmten Waren oder Änderungen der Erwerbsneigung. Da die entsprechenden Informationen hierüber kostengünstig verfügbar und Anpassungen des Produktionsapparates dank internetbasierter Steuerungstechniken ohne Zeitverzögerung möglich sind, kommt es stets zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Diese einzelwirtschaftlichen Überlegungen werden vielfach dahingehend verallgemeinert, dass es künftig keine gesamtwirtschaftlichen Differenzen zwischen Angebot und Nachfrage mehr gäbe. Aus dieser Perspektive werden konjunkturelle Schwankungen als Folge unzureichender Anpassungskapazitäten des Unternehmenssektors an geänderte Rahmenbedingungen verstanden, die als Folge der Internet-Revolution verschwinden (Weber 1997).

Aus der These, die neuen Technologien verringerten die Friktionskosten, die in der Ökonomie insgesamt anfallen, folgt, dass die Ressourcen, die bislang für Anpassungen an geänderte Marktbedingungen verwendet werden mussten, nun für eine Ausweitung der Produktion genutzt werden können. Deshalb kommt es nicht nur zu einer Stabilisierung des Akkumulationsprozesses, sondern zugleich zu dessen Beschleunigung. Dies gilt umso mehr, als Netzwerke positive externe Effekte aufweisen. Die Kostenersparnis, die durch den Einsatz der neuen Technologien erzielt werden kann, ist nämlich umso größer, je mehr Unternehmen und private Haushalte ihre Aktivitäten hierüber koordinieren. Ein Beispiel: Solange nur einzelne Spediteure ihre Leistungen über das Internet anbieten, besteht für Unternehmen des produzierenden Gewerbes unvollständige Information über die günstigsten Transportmöglichkeiten. Hieraus ergeben sich Spielräume monopolistischer Preissetzung, die die Transportkosten möglicherweise so stark erhöht, dass das effiziente Verfahren der Just-In-Time-Lieferung (JIT) bzw. Produktion nicht angewendet wird und stattdessen kostspielige Lager in den Produktionsstätten vorgehalten werden.

Die Realisierung der genannten Stabilisierungs- und Wachstumseffekte hängt jedoch entscheidend davon ab, dass stets ausreichende Kapazitäten zur Informationsverarbeitung bereitstehen. Verursacht der Zugang zum Internet aber nur geringe Kosten, beispielsweise weil dessen Hardware in hohem Maße öffentlich finanziert wird und einzelne Nutzer lediglich Pauschalgebühren zahlen, entsteht das Problem der "Tragik der Allmende" (MacKie-Mason; Varian 1994). Wenn die Grenzkosten der Nutzung, also die Inanspruchnahme von Datenübertragungs- und -Verarbeitungskapazitäten pro Zeiteinheit für die Nutzer kostenfrei bleiben, werden wahllos Informationen aus dem Netz abgerufen, ohne zu überlegen, ob sie für eine Entscheidung relevant sind oder nicht. Dieses Problem der "Überfüllung" wird umso größer, je mehr Audio- und Videodienste, die extrem hohe Kapazitätsanforderungen stellen, über das Internet verbreitet werden. Entwickeln sich die Koordinationsleistungen, die die neuen Technologen ermöglichen, durch übermäßige Nutzung aber von einem freien zu einem knappen - und daher kostenträchtigen - Gut, ist die Überlegenheit der Netzwerksteuerung gegenüber bekannten Organisationsformen von Märkten und Hierarchien keineswegs mehr gewährleistet.

Das Problem der Überfüllung wird am Beispiel der JIT-Produktion besonders deutlich, weil diese Organisationsform positive externe Effekte gleich doppelt auszunutzen versucht. Zum einen durch die Verminderung von Lagerkosten durch die intensivierte Nutzung des Straßennetzes, bei der für die Unternehmen selbst nur geringe Kosten entstehen. Die hieraus resultierende Verstopfung des Straßenverkehrs, die auch die ökonomischen Vorteile der JIT-Produktion untergräbt, ist schon lange Alltagserfahrung. Zum anderen wird mit der gegenwärtigen Ausweitung der Internet-Nutzung aber auch die Steuerungskapazität moderner Managementkonzepte bedroht. Die "Übernutzung" kann nun dadurch verhindert werden, dass die Grenzkosten der Inanspruchnahme von Netzwerkkapazitäten durch entsprechende Gebühren auf die Nutzer überwälzt werden. Die Vorteile der Netzwerksteuerung - nämlich die Realisierung externer Kostenvorteile - gehen aber aus Sicht von Unternehmen und Konsumenten auch in diesem Fall verloren.

Insofern führt Übernutzung zum selben Resultat wie deren Vermeidung: In einer arbeitsteiligen Gesellschaft entsteht ein Koordinationsbedarf, dessen Bewältigung Transaktionskosten verursacht. Mögen diese durch technische Fortschritte auch gesenkt werden, die gleichzeitig fortschreitende Spezialisierung erhöht zugleich die Zahl der notwendigen Transaktionen. Aus diesem Grund wird sich auch das Internet nicht als "Gratiskoordinationskraft" erweisen.

Im Gegenteil gewinnen die Transaktionskosten in dem Maße an Bedeutung, in dem der technische Fortschritt die Kosten der unmittelbaren Produktionsarbeit einschränkt. Aus dieser Bedeutungszunahme von gesellschaftlicher Koordination und technischem Fortschritt, die beide an Qualifikation und Nutzung von Information gebunden sind, wird vielfach der Übergang von der Arbeits- zur Wissensgesellschaft (Kreibich 1986; Stehr 1995) abgeleitet. Dass auch die Abstimmung einzelwirtschaftlicher Entscheidungen sowie die Produktion technischen Fortschritts den Einsatz von Arbeitskraft (Lucas 1988; Romer 1986) voraussetzen und deshalb Kosten verursachen, wird' dabei häufig unterschlagen.

Die anhaltende Verlagerung konkreter Arbeit aus der unmittelbaren Produktion in die Bereiche Forschung, Verwaltung, Distribution u.a.m. und der damit verbundene Anstieg des durchschnittlichen Qualifikationsniveaus der gesamten Erwerbsbevölkerung belegt die These eines säkularen Übergangs zur Wissensgesellschaft also deshalb nicht, weil sich die Bedeutung abstrakter Arbeit als Grundlage der Kapitalakkumulation hierdurch nicht ändert. Konjunkturell spielt die Betonung von Wissen und dessen Anwendung im Produktionsprozess jedoch eine ganz beachtliche Rolle. Mit der Durchsetzung einer neuen Basistechnologie - und als solche sind das Internet sowie hierüber verbundene Computersteuerungen ganz sicher anzusehen - werden nicht nur bestehende Technologien, sondern auch Qualifikationen entwertet. Spektakulär und als Ankündigung einer qualitativ neuen Gesellschaftsform erscheint der "Aufstieg der Symbolanalytiker" (Reich 1993) nur vor dem Hintergrund dieser Entwertungsprozesse. Mit der Verallgemeinerung dieses neuen Typus von Produktivkräften sowie den hierin eingeschlossenen Beschäftigungsstrukturen wird Computerarbeit letzten Endes als ebenso selbstverständlicher Bestandteil des kapitalistischen Produktionsprozesses erscheinen wie Handwerksproduktion und Fließbandfertigung in früheren Zeiten.

Die Frage, ob eine internet-gesteuerte Ökonomie dauerhaft hohes und stabiles Wachstum bewirken könne, lässt sich zusammenfassend folgendermaßen beantworten: Die Bedeutung unmittelbarer Produktionsarbeit wird durch die neuen Technologien weiter verringert. Dies bedeutet aber nicht, dass die wirtschaftliche Entwicklung deshalb in Zukunft Grenzen überwinde, die ihr in der Vergangenheit durch die Verfügbarkeit und Wirksamkeit lebendiger Arbeitskraft gezogen waren. Vielmehr erfordern auch Entwicklung und Betrieb der neuen Technologien den Einsatz von Arbeitskraft. Insofern ist zunächst lediglich von einem Strukturwandel der Arbeit, nicht aber vom - computergestützten - Ende der Arbeitsgesellschaft auszugehen. Dann ist zu fragen, ob das Internet als Basistechnologie zu einer trendmäßigen Erhöhung oder Verringerung des Produktivitätswachstums führt oder nicht. Die empirischen Anzeichen hierfür sind bislang geringer, als es die aufgeregte New Economy-Debatte vermuten lässt (Gordon 2000).

Soziale Voraussetzungen einer technologischen Revolution

Es wurde bereits angedeutet, dass der Internet-Ausbreitung neben den gesamtwirtschaftlichen Folgen, die unter dem Stichwort New Economy gehandelt werden, insbesondere tiefgreifende Auswirkungen auf die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft zugerechnet werden. Gegenüber der verbreiteten These, die neue Technologie erlaube den Übergang zu einer Netzwerkgesellschaft, welche die Grenzen zwischen einzelnen Unternehmen, Nationalstaaten sowie Produktions- und Reproduktionssphäre aufhebe, wird hier davon ausgegangen, dass technologische Revolutionen und ihr Verlauf durch gesellschaftliche Produktionsverhältnisse bestimmt werden.

Konkret: Neue Formen der Unternehmensorganisation führen nicht zur Ablösung marktbeherrschender und politisch einflussreicher Konzerne durch machtlose Unternehmensnetzwerke. Vielmehr entstehen gerade in Bereichen, die die neuen Technologien herstellen oder besonders intensiv nutzen, neue Konzerne, deren Einfluss zu Lasten früher dominierender Unternehmensgruppen wächst. Ähnliches gilt für den Bereich der Arbeitsorganisation: Die über das Internet ermöglichte Ausbreitung von Heimarbeit einerseits und der Einbeziehung von Konsumenten in die Produktionsplanung andererseits hebt die Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionssphäre nicht auf, sondern stellt eine neue Stufe der Kolonisation von Lebenswelten durch das die Produktion beherrschende Kapitalverhältnis dar. Diese Grenzverschiebungen innerhalb des Unternehmenssektors sowie zwischen Unternehmens- und Haushaltssektor sollen nun näher beschrieben werden, bevor abschließend die Spaltungen erläutert werden, die der Einsatz der neuen Technologien zwischen verschiedenen Gruppen von Lohnabhängigen hervorbringen kann.

In etwa zeitgleich mit der Ausbreitung des Internet haben Unternehmen des Finanzsektors in den kapitalistischen Metropolen und einigen Schwellenländern enorm an Einfluss gewonnen, was aus der Entwicklung ihrer Umsätze und Finanzierungsleistungen sowie der Börsenkapitalisierung des gesamten Unternehmenssektors ersichtlich wird. Für den gleichzeitigen Aufstieg von Internet und Finanzmärkten können sachliche Argumente ins Feld geführt werden. Internet-Dienste werden nicht nur von keiner Branche so intensiv genutzt wie im Finanzsektor. Auch deutet die im Vergleich zum industriellen Kapital ungleich höhere Mobilität des Finanzkapitals darauf hin, dass schnelle Anpassungen an veränderte Rahmendaten, die durch die neuen Technologien möglich werden, nur im Bereich der Finanzen auch tatsächlich vollzogen werden können.

Die Gewichtsverlagerung vom industriellen Kapital zum Finanzkapital scheint die These vom Übergang in die Wissensgesellschaft zu bestätigen. Während industrielles Kapital Gewinne abwirft, wenn es akkumuliert und mit lebendiger Arbeit kombiniert wird, resultieren die Gewinne des Geldkapitals im modernen Finanzsektor zu einem guten Teil aus der Nutzung von Informationsvorsprüngen.4 Auf dieser Beobachtung beruht die populäre Redeweise, der zufolge es heutzutage nicht mehr auf Unternehmensgröße, sondern auf die Schnelligkeit der Informationsverarbeitung ankomme.

Nun ist die rasante Entwicklung des Finanzsektors seit den 80er Jahren nicht zu leugnen. Aber abgesehen davon, dass politische Deregulierungen (Huffschmid 1999, Kap. 3) hieran einen mindestens ebenso bedeutenden Anteil hatten wie die Entwicklung der Computertechnologie, fuhrt eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung zu einer vollkommen anderen Bewertung. Dabei ist davon auszugehen, dass die Gewinne des Finanzsektors nichts darstellen als einen Abzug vom volkswirtschaftlichen Gewinn insgesamt. Es handelt sich dabei also zunächst um eine Umverteilung zwischen produktivem und zinstragendem Kapital.5

Ein solches Phänomen ist in Phasen, in denen sich neue Basistechnologien durchsetzen, vollkommen normal und leicht zu erklären: Tiefgreifende Neuorganisationen des Produktionsprozesses sind mit einer Entwertung bestehender Anlagen und Verschiebungen des sektoralen Marktfertiges verbunden, die Schumpeter zutreffend als "schöpferische Zerstörung" bezeichnet hat. Für Unternehmen besteht in dieser Situation das Problem, bereits realisierte Gewinne unter Bedingungen erhöhter Unsicherheit investieren zu müssen. Was liegt da näher als der - aus Sicht einzelner Unternehmen - sichere Weg auf den Finanzmarkt? Gesamtwirtschaftlich ist es gerade die hierauf gegründete Hypertrophie fiktiven Kapitals, die erstens die Anpassung an die veränderte Struktur des produktiven Kapitals und zweitens die Vernichtung überakkumulierten Kapitals ermöglicht.

In der Tat gibt es zwei Mechanismen, die gegenwärtig sowohl den sektoralen Strukturwandel als auch die Entwertung von Kapital in hohem Maße über die Finanzmärkte vermitteln. Da ist zunächst die "Asset-Inflation", die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein immer höherer Preis bzw. Kurs für ein Wertpapier zu zahlen ist, um hieraus einen gegebenen Ertrag zu ziehen (IMF 2000, Kap. 3). Zudem ist die gegenwärtige Fusionswelle zu nennen, die in besonderem Maße auf den Finanzsektor und die Computerbranche konzentriert ist (Bischoff et al. 2000). Gerade in der Branche, welche der Netzwerksteuerung ihre technologische Grundlage liefern soll, vollzieht sich der Prozess der Monopolisierung, der bei der Entstehung aller bedeutenden Industrien zu beobachten war, mit beispielloser Geschwindigkeit. Da zudem über die Hälfte aller Unternehmenszusammenschlüsse die Gewinn- und Umsatzerwartungen nicht erfüllen, die ihnen zugrunde lagen und somit auch den Preis eines Zusammenschlusses bestimmt haben, findet auf diesem Wege zugleich eine Kapitalvernichtung statt.

Auch von einem Bedeutungsverlust des Staates kann gerade an diesem Punkt keine Rede sein. Nicht nur lassen sich die Ursprünge des Internet auf den militärisch-industriellen Komplex der USA zurückführen, vielmehr spielt staatliche Einflussnahme noch heute auf dreierlei Weise eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der neuen Technologien.

So erfolgt erstens ein nicht unerheblicher Teil der Finanzierung insbesondere im Hardware-Bereich aus öffentlichen Mitteln. Zweitens sind viele der heutigen Netzanbieter - z.B. AT8tT in den USA und Deutsche Telekom - aus öffentlichen Monopolbetrieben hervorgegangen, deren Privatisierung auch den Zweck hatte, Informationstechnologien zu einer rentablen Anlagesphäre zu machen. Aufgrund der technischen Eigenschaften leitungsgebundener Dienste würde Preiswettbewerb jedoch zu einem ruinösen Unterbietungswettlauf führen. Aus diesem Grund erfolgt auch nach den Privatisierungen im Telekommunikationssektor eine Preisregulierung, die natürlich zugleich einen Ansatzpunkt politischer Einflussnahme darstellt. Das gleiche gilt drittens für den Bereich Lizenzierung und Patentierung technologischer Standards sowie die Finanzierung technologischer Neuerungen, die gleichfalls sehr stark von öffentlichen Mitteln abhängig ist.

Die vielen Unternehmensneugründungen widersprechen dem nicht. Eine Spaltung zwischen monopolistischen und kompetitiven Bereichen konnte auch in früheren Phasen der kapitalistischen Entwicklung beobachtet werden; sie stellt sich nunmehr auch im luK-Sektor ein. Polemisch könnte man sagen: Der Internet-Provider steht in einem ähnlichen Verhältnis zu Netzbetreibern und Softwareentwicklern wie der Kioskbesitzer zum Coca-Cola-Konzern.

Nun ist zu zeigen, wie durch den luK-Sektor eine Landnahme des privaten Haushaltssektors stattfindet. Dabei sind zwei Punkte zu unterscheiden: Einerseits ermöglicht das Internet die räumliche Auslagerung aller Arbeiten, die ausschließlich die Benutzung eines Computers erfordern (Meiksins 1998). Praktisch werden hiervon - bislang zumindest - vorwiegend standardisierte Tätigkeit erfasst, die nur ein geringes Maß an Entscheidungsfreiheiten und vorgelagerte Kommunikationsprozesse erfordern. Die Produktion relativen Mehrwerts erfolgt hier nicht durch die "Schließung der Poren des Arbeitstages", sondern durch das Einfügen bezahlter "Arbeitspartikel" in den Bereich nichtbezahlter Hausarbeit.

Schließlich erfolgt eine Landnahme, wenn zeitaufwendige Arbeiten, die der Zirkulations- und Finanzsphäre angehören, nicht mehr von Beschäftigten der entsprechenden Unternehmen, sondern von der Kundschaft selbst - online - ausgeführt werden. Hierzu zählen u.a. die Produktauswahl beim Tele-Shopping und die Abwicklung des Zahlungsverkehrs beim Internet-Banking. Die damit verbundene Externalisierung von Kosten konnte auch bei früheren Rationalisierungsschüben des Zirkulationsprozesses beobachtet werden, beispielsweise als die Ersetzung dezentraler, kleiner Läden durch große Supermärkte, die nur unter Inkaufnahme langer Anfahrtswege zu erreichen sind, Transportleistungen von den Unternehmen auf die Kunden zu überwälzen ermöglichte.

Mit der Herausbildung von Konzernen und Kleinbetrieben im luK-Sektor wurde bereits auf eine veränderte "Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft" hingewiesen. Dagegen stellt die Verbindung von Computern und Heimarbeit zwar nicht gerade einen Wandel der "Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur" (MEW 23, 371 ff.) dar, leitet aber zur Frage innerbetrieblicher Arbeitsteilung allgemein über. Die von Marx bei der Analyse des Fabriksystems vorgenommene Unterscheidung zwischen einer "höhere(n), teils wissenschaftlich gebildete(n), teils handwerksmäßige(n) Arbeiterklasse" (MEW 23, 443) einerseits und jenen Arbeitern, denen "das Arbeitsmittel (als Maschine) sofort zum Konkurrenten" (MEW 23, 454) wird, kann auch zum Verständnis neuerer Formen der Arbeitsmarktsegmentation dienen. Schließlich sind diese Spaltungen nicht an bestimmte Technologien gebunden, sondern werden unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen beständig reproduziert (Braverman 1977).

Allerdings sind mit jeder neuen Technologie unterschiedliche Möglichkeiten verbunden, die Intensität der Arbeitsverausgabung zu kontrollieren. So ist der Wert der von Symbolanalytikern erbrachten Arbeit nicht an der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zu bemessen, da die Identifizierung ökonomischer Probleme und die anschließende Entwicklung von Lösungsstrategien (Reich 1993, Kap. 3) selbst erst die Maßstäbe hervorbringt, welche an die Arbeitsleistung personenbezogener Dienste und unmittelbarer Produktionsarbeit angelegt werden. Da eine Kontrolle der Arbeitsintensität in diesem Fall nicht möglich ist, werden hohe, so genannte "Effizienzlöhne" (Teilen 1984) gezahlt, um die Beschäftigten zu hoher Leistung zu motivieren.

Andererseits ermöglicht die Entstehung vieler Computerarbeitsplätze, die untereinander vernetzt sind, auch eine zentralisierte und zudem automatisierte Kontrolle der jeweiligen Arbeitsleistung. Dadurch entsteht ein High-Tech-Proletariat, das nur über äußerst geringe eigene Entscheidungsmöglichkeiten im Arbeitsprozess verfügt. Der Gegensatz zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen, der damit entsteht, kann folgendermaßen zugespitzt werden: Symbolanalytiker arbeiten mit Computern, um die Arbeitsleistung derjenigen zu erhöhen, die standardisierte Routinetätigkeiten am Computer erbringen. Computernetzwerke führen im Produktionsbereich also keineswegs zum Abbau von Hierarchien, wie die Protagonisten der Netzwerkgesellschaft behaupten. Vielmehr fügen sich auch die neuen Technologien in die hierarchischen Produktionsverhältnisse des Kapitalismus ein. Die Verbreitung der Computerserver führt unter diesen Bedingungen zur Entstehung einer neuen Schicht von Servants. Sollen umgekehrt die Server der Bevölkerung als Mittel zur Befriedigung ihrer ökonomischen Bedürfnisse dienen, ist eine Umgestaltung oder gar Umkehrung der gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnisse notwendig. Dies ist jedoch keine Frage der Wahl der "richtigen" Technik, sondern politischer Bewegung.

Ingo Schmid arbeitet am Volkswirtschaftlichen Seminar der Universität Göttingen.

Literatur

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1 Einen guten Überblick über die Dynamik kapitalistischer Entwicklung bietet Conert 1998.

2 Einen Überblick über "Netzwerke zwischen Markt und Staat" gibt die gleichnamige Prokla 97, Vol. 24, Nr. 4.

3 Als Beispiel sei auf Peoples' Global Action verwiesen: www.agp.org/agp

4 Eng verknüpft mit dieser Vorstellung ist die These, die Wissensgesellschaft sei von der materiellen Produktion unabhängig. Vgl. kritisch hierzu: Haug 2000, Huws 1999.

5 An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Verteilung des Volkseinkommens zwischen Löhnen und Gewinnen in den USA, die am Wachstum des Finanzsektors den größten Anteil haben, seit Jahrzehnten nahezu konstant ist, während sinkende Lohnquoten in einigen Ländern Europas zu finden sind.