Propagandist, «Pressezar» und Unperson - Europäische Willi-Münzenberg-Tagung

«Roter Millionär», «Künstler in Sachen Revolution», «Pressezar» - in der ständig wachsenden internationalen Literatur wird der KPD-Funktionär und Verleger Willi Münzenberg (1889-1940) in höchst widersprüchlicher Weise behandelt. Er gilt als Erfinder moderner Medienmodelle und Architekt einer postkolonialen Welt. Zugleich wird er als Moskaus geheimer Verführer westlicher Intellektueller beschrieben. Durch seinen Bruch mit Stalin und der KPD Ende der 1930er Jahre blieb Münzenberg in der DDR «Unperson» und stille Herausforderung zugleich.

Vor 20 Jahren, im Jahre 1992, versammelten sich in Aix-en-Provence französische und deutsche Forscher zur bislang letzten Tagung über Willi Münzenberg. Gemeinsam mit Zeitzeugen erinnerten sie an historische Lebensleistungen des KPD-Funktionärs, erfolgreichen Verlegers und Organisators. Als Begründer der Kommunistischen Jugendinternationale, Generalsekretär der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) und herausragender Gegenspieler des Hugenbergschen Presseimperiums wie auch des Nazi-Propagandaministeriums von Joseph Goebbels drückte er der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert seinen Stempel auf. Das Treffen in Aix fand noch ganz unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Ostblocks statt; die Euphorie über die Archivrevolution war groß.

Seither sind neue Erkenntnisinteressen erwachsen, beachtliche Ergebnisse in der Forschung und spektakuläre Medienereignisse zu verzeichnen. Hingewiesen sei auf die Retrospektive während der diesjährigen Berlinale zu den Mežrabpom- und Prometheus-Filmgesellschaften. Ein „Freundeskreis“ in Erfurt versucht, den Sohn der Stadt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.

Die europäische Willi-Münzenberg-Tagung «Internationalismus, transnationale Solidaritätsnetzwerke, Antifaschismus und Antistalinismus in den 1920er und 1930er Jahren» soll eine kritische Bilanz dieser interdisziplinär gewonnenen Forschungsergebnisse gezogen werden. Ziel wird es weiterhin sein, der Diskussion von Schlüsselthemen der internationalen Kommunismusforschung in diesem Zusammenhang neue Impulse zu verleihen. Auf Grundlage laufender und abgeschlossener Projekte geht es um die Erschließung neuer Forschungsfelder: Welchen Beitrag leistete Münzenberg im Kräftedreieck von Komintern, Deutschland und Sowjetunion, zur Politik des revolutionären und demokratischen Sozialismus, zu Antifaschismus und Antistalinismus sowie ihrem Wandel in der Zwischenkriegszeit? Worauf beruhten die um ihn gestrickten internationalen Solidaritätsorga- nisationen, Netzwerke und ihre Propagandakonzepte? Wie sah deren praktische Umsetzung aus? War er der hellsichtige Antifaschist oder nur ein Kulissenschieber im Auftrage Stalins? In die Diskussion hinein fließen Beispiele aus den Bilderwelten der 1920er und 1930er Jahre, Analysen zu verschiedenen Milieus der kommunistischen Bewegung sowie kritische Reflexionen über die Rolle engagierter Intellektueller zwischen sozialer und künstlerischer Revolution. Münzenbergs Wirken wird für die einzelnen Themenschwerpunkte hinterfragt und den jeweiligen Forschungskontexten zugeordnet.

Für die Rezeptionsgeschichte interessieren nicht zuletzt Münzenbergs verborgene Wirkungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges als Projektionsfläche und im Nachklang für die Intellectual und Public History. Damit dient die Tagung auch perspektivisch dazu, Grundlagen einer internationalen Willi-Münzenberg-Konferenz zu schaffen, die für 2013/2014 angedacht ist.

Das Programm setzt sich aus sechs Panels zusammen, in die Impulsreferate einführen, und die von kurzen Beiträgen ergänzt und daraufhin im Plenum diskutiert werden.

Arbeitssprachen sind Deutsch und Englisch. Die Arbeitstagung richtet sich an ein internationales Fachpublikum. Die interessierte Öffentlichkeit ist herzlich zur Teilnahme eingeladen. Anmeldungen bitte an Uwe Sonnenberg (Uwe.Sonnenberg@web.de).

Programm

 

 

13:00 Uhr
Begrüßung und Grußbotschaft des Direktors des Instituts für Soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. Stefan Berger.

Zur Einführung: 13:10-13:30 Uhr.
• Der Münzenberg-Saal als Tagungsort und die Berliner Ausstellung „Vom Verschwinden des Willi Münzenberg“. Zur Geschichte einer Freilegung (Uwe Sonnenberg).
• Die Wiederentdeckung Münzenbergs nach Archivrevolution und Verdrängungsorgien im „Realen Sozialismus“: Neue Quellen und Forschungsfelder, laufende und abgeschlossene Projekte (Bernhard H. Bayerlein).

Panel 1: 13:30 – 14:45 Uhr.
Die Welt als Raum der Solidarität: Willi Münzenberg, Internationalismus und transnationale Solidaritätsnetzwerke in den 1920er und 1930er Jahren.

Impulsreferat: Holger Weiss (Åbo).
Beiträge:
• Kasper Braskén (Åbo): Creating spaces of international solidarity: Will Münzenberg and the Internationale Arbeiterhilfe (Iah) in Weimar Germany, 1921-1933.
• Fredrik Petersson (Åbo): Transnational networks and practices of the league against imperialism.
• Dieter Nelles (Bochum): Eine neue Internationale – Edu Fimmen und Willi Münzenberg 1939/1940.
• Mario Kessler (Potsdam/New York): Joseph Berger (1904-1978) – Muenzenberg´s expert on the Middle East.

Panel 2: 15:00 – 16:30 Uhr.
Protagonist von Visual History: Willi Münzenbergs Ort in der Mediengeschichte – Bilderwelten und Aufbau einer Gegenöffentlichkeit bei Publizisten, Filmemachern, Fotografen ...

Impulsreferat: Rainhard May (Berlin)
Beiträge:
• Günter Agde (Berlin): Mežrabpom-Film als Teil eines „ Roten Medienkonzerns“.
• Wolfgang Hesse (Dresden): Arbeiterfotografie – Lebenswelt und Pressepolitik.
• Ursula Schlude (Berlin): Fotoamateurbewegung und Deutsch-Sowjetische Fotodiplomatie.
• Rainhard May (Berlin): Archivarbeit neu gesichtet: Ren T. Marc: Mess Mend, Der Leiter der deutschen Tscheka (1925). Ein Groschenkrimi als Realsatire.

Panel 3: 17.00 - 18:30 Uhr. Gruppen und Milieus innerhalb der kommunistischen
Bewegung: Willi Münzenberg und die Komintern – Deutschland,
Rußland/Sowjetunion 1919-1943.
Impulsreferat: Bernhard H. Bayerlein (Potsdam).
Beiträge:
• Marcel Bois (Hamburg): Münzenberg und die linke Opposition in der KPD.
• Holger Weiss (Åbo): Hamburg als Ort der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter.
• Kimmo Rentola, (Helsinki): Willi Münzenberg und der Komintern-Apparat: Mauno Heimo und andere (angefragt).
• Norman Laporte (Cardiff): Münzenberg und die Führungsstile und -Persönlichkeiten in der KPD.
• Sarah Schulman (New York): Babette Gross und Margarete Buber-Neumann (angefragt).
• Dieter Nelles (Bochum): Einheitsfront von unten – Die Auseinandersetzungen der internierten Spanienkämpfer im französischen Internierungslager Gurs.

Panel 4: 18:45 – 19:45 Uhr. Zwischen sozialer und künstlerischer Revolution: Willi Münzenberg, die Rolle der Intellektuellen und ihr Beitrag zu einer „Ästhetik des Widerstands“.
Impulsreferat: Dieter Schiller (Berlin).
Beiträge:
• Anne Hartmann (Bochum): Münzenberg, Feuchtwanger, die Rolle der Intellektuellen und die Schriftstellerinternationale.
• Ursula Langkau-Alex (Amsterdam): Zur Ästhetik der Volksfront. Anschließend: Abendessen.

Panel 5: 10:00 – 11:30 Uhr. Vom „Braunbuch über Reichstagsbrand“ zur Volksfront: Willi Münzenberg als antifaschistischer Propagandist, „Kulissenschieber Stalins“ und „Renegat“. Das antifaschistische Exil der 1930er Jahre.
Impulsreferat: Ursula Langkau-Alex (Amsterdam).
Beiträge:
• Tania Schlie (Glückstadt): 20 Jahre nach Aix-En-Provence. Willi Münzenberg in neueren Buchpublikationen.
• Kasper Braskén (Åbo): Die „Ulbricht-Verschwörung“ gegen Münzenberg (1936-1938).
• Christian Oppetit (Paris): Gegen Hitler und Stalin – „Die Zukunft“: Letzte antifaschistische europäische Zeitschrift und Bewegung vor dem Zweiten Weltkrieg.
• Werner Abel (Chemnitz): Vier Exilverlage Münzenbergs: Ihre Autoren und verlegerische Strategien.

Panel 6: 11:45 – 13.15 Uhr. Bruchstü>bayerlein@zzf-pdm.de, Uwe Sonnenberg (ZZF), Uwe.Sonnenberg@web.de, Holger Weiss (UAA), holger.weiss@abo.fi

 
 

Kontakt

Henning Heine

Telefon: (030) 44310-130
Fax: (030) 44310-122
Email: heine@rosalux.de

 

Ort

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Münzenbergsaal, Berlin

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Besonderheiten

In Kooperation mit: Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Åbo Akademi, Ruhr-Universität Bochum und der Grundstücksgesellschaft Franz-Mehring-Platz 1 mbH.