Ecuador: Correas Volksbefragung sorgt für neue Kontroversen
Die politischen Prioritäten für Ecuadors Regierung haben sich nach dem Putschversuch gegen Präsident Rafael Correa Ende September 2010 deutlich verschoben. Seitdem sind Sicherheitspolitik und Justizreform die bestimmenden Themen der Politik. Ausgerechnet eine geplante Volksbefragung wird nun zum Brennpunkt einer Debatte, die dem Wunsch nach effizienter Steuerung von oben die Verteidigung einer Demokratie von unten entgegenstellt.
Scheinbar ist in Ecuador der Alltag wieder eingekehrt. Fünf Monate, nachdem Staatspräsident Rafael Correa am 30. September 2010 von Eliteeinheiten unter Lebensgefahr aus dem Polizeihospital von Quito befreit wurde, wo ihn aufständische PolizistInnen festhielten, sitzt er wieder fest im Sattel. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch vieles nicht mehr wie zuvor. Während die Gerichts- und Disziplinarverfahren gegen diejenigen PolizistInnen und PolitikerInnen, die der Aufwiegelung und des Putschversuchs beschuldigt werden, noch andauern, kann das politische Resultat auf folgende Formel gebracht werden: Die Polizei, die den Aufstand anzettelte, wurde institutionell geschwächt, das Militär, das am 30. September nach anfänglichem Zögern erst am Nachmittag seine Loyalität zur Regierung bekundete, hingegen gestärkt. Nach einer Gehaltserhöhung für etwa 5.000 Offiziere unmittelbar nach dem Putschversuch wurde im Dezember Admiral Homero Arellano zum Minister für die Koordination der inneren und äußeren Sicherheit ernannt. Zudem wird die Armee in den letzten Monaten zunehmend für Belange der inneren Sicherheit eingesetzt. Sie patrouilliert in der Altstadt von Quito, realisiert schwer bewaffnet Verkehrskontrollen und bewacht nach wie vor das Parlamentsgebäude. Anfang Januar räumten Militärs auf direkte Anweisung von Präsident Correa Landbesetzungen vor der Hafenstadt Guayaquil, nachdem die betreffende Gegend zur Sicherheitszone erklärt worden war.
Die Spannungen zwischen der Regierung und der Polizei als „Hüter der
öffentlichen Ordnung“ wurden Ende 2010 von der rechten Opposition
genutzt, um eine Medienkampagne zum Thema öffentliche Sicherheit
loszutreten. Die Regierung erlaube die Einreise kolumbianischer
Krimineller und entlasse Verdächtige aus den Gefängnissen, nur weil sie
nach einem Jahr noch nicht verurteilt seien – damit gefährde sie ehrbare
BürgerInnen zugunsten der Menschenrechte von DelinquentInnen, so die
Argumente der christdemokratischen Köpfe dieser Kampagne.
Beobachter wie der Historiker und Anthropologe Pablo Ospina weisen
anhand von Zitaten nach, wie Präsident Rafael Correa in Sachen
öffentliche Sicherheit seinen Diskurs nach und nach dem der politischen
Rechten angenähert hat – wie also die Kampagne der Opposition
gewissermaßen erfolgreich war. Ospina zeigt auch anhand von Statistiken
auf, dass der faktische Anstieg der Gewaltkriminalität in den letzten
Jahren eher verhalten war: Die Mordzahlen stiegen beispielsweise von
2.625 in 2009 nur geringfügig auf 2.638 in 2010. Dennoch hat die
konstante Veröffentlichung von Gewalttaten, die in einigen Medien immer
noch andauert, das subjektive Sicherheitsgefühl der EcuadorianerInnen
stark beeinträchtigt.
Schließlich lancierte die Regierung, um wieder in die Offensive zu
kommen, Anfang 2011 eine Volksbefragung, die eine Reaktion auf die
wahrgenommene Unsicherheit der BürgerInnen darstellen und eine
Justizreform auf den Weg bringen soll. Die Fristen für Untersuchungshaft
sollen wieder ausgedehnt, und die ohnehin geplante Justizreform einer
dreiköpfigen Komission übertragen werden, in der der Präsident über
einen Vertreter der Exekutive direkten Einfluss auf die
Neustrukturierung der Gerichte ausüben kann.
Auch wenn die Rechnung, mit dieser Initiative wieder aus dem politischen
Hintertreffen zu kommen, aufgegangen ist – seit Mitte Januar dominiert
die Volksbefragung die öffentliche Debatte in Ecuador – so hat sie
gleichzeitig das schwerste politische Erdbeben innerhalb der
Regierungspartei von Alianza País seit deren Gründung ausgelöst. In den
letzten Wochen sagten sich eine Reihe von Parlamentsabgeordneten und
ehemaligen Mitgliedern der Verfassunggebenden Versammlung, ehemalige
Minister der Regierung Correa wie Gustavo Larrea und Manuela Gallegos,
sowie die linksliberale Strömung Ruptura de los 25 von Alianza País los.
Die Folge ist, dass der Regierungspartei im Parlament künftig zwölf
Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen. Bemängelt wurde vor allem das
Fehlen einer internen politischen Debatte. „Auch wenn Ecuador
tiefgreifende Veränderungen braucht, können diese nicht auf Kosten von
Rechten und Freiheiten durchgesetzt werden”, heißt es in der
Austrittserklärung von Ruptura de los 25.
Sowohl die politische Rechte als auch der Präsident selbst behandeln die
consulta vor allem als eine Abstimmung für oder gegen die Person Rafael
Correa. „Sie können diesem Genossen Präsident vertrauen, der niemals
irgendetwas für sich selbst erstreben wird. Nichts für uns, alles für
das Vaterland. Deshalb brauchen wir diesen erneuten Vertrauensbeweis“,
so Correa, als er die Volksbefragung am 12. Januar lancierte.
Jene dritte Kraft, die sich nicht mit der Rechten gemein machen lässt,
sondern eher eine Art linker Opposition darstellt, führt jedoch die
Auseinandersetzung um die Volksbefragung auf der inhaltlichen Ebene als
einen Kampf um demokratische Grundprinzipien. Nicht die Tatsache an
sich, dass ein Instrument der direkten Demokratie angewandt werden soll,
erregt die Gemüter – umstritten ist vielmehr der Inhalt, über den nun
abgestimmt werden soll, sowie die Art und Weise, wie der Souverän über
die anstehenden Entscheidungen informiert wird. Die Fragen zur
Justizreform verweisen nämlich auf einen Anhang von mehreren Dutzend
Seiten Paragraphen, die zu verstehen für diejenigen, die im anstehenden
Referendum eine informierte Entscheidung treffen wollen, fast unmöglich
ist. Hinzu kommt, dass die Kommission, welche die Justizreform innerhalb
von 18 Monaten vorantreiben soll, prominenten VerfassungsrechtlerInnen
zufolge die Gewaltenteilung aushebelt und die Judikative praktisch den
Interessen der Exekutive ausliefert.
Rafael Correa selbst reagierte jedoch ungerührt auf die Abwanderung
seiner ehemaligen ParteigängerInnen und die damit verbundene Kritik.
Jede Revolution habe schließlich ihre VerräterInnen, meinte er
lakonisch, und: “Den Illoyalen, den Opportunisten, den Verrätern
schicken wir einen brüderlichen Gruß und das Angebot eines neuen Sieges
an den Urnen.“ Für Doris Soliz, amtierende Ministerin für die
Koordinierung der Politik, hat die Regierung mit der Volksbefragung
„einen radikalen, transformatorischen, sicherlich umstrittenen Weg
eingeschlagen, um auf die Sicherheitsproblematik zu reagieren.“ Die
DissidentInnen hätten hingegen einen reformistischen,
institutionalistischen Weg gewählt.
Der Termin für das Referendum wurde schließlich auf den 7. Mai
festgelegt. Während praktisch alle politischen Kräfte sowohl rechts als
auch links der Regierung – mit Ausnahme der sozialistischen Partei –
sich gegen die Volksbefragung ausgesprochen haben, besagen
Meinungsumfragen, dass die Regierung, die grundsätzlich immer noch über
60 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung genießt, bei diesem Referendum
erstmals das Risiko eingeht, keinen eindeutigen Sieg einzufahren.
Dass Ecuador eine Justizreform benötigt, ist allgemein unumstritten.
Dass sie jedoch von Rafael Correa persönlich gestaltet werden soll,
anstatt wie geplant in einem transparenten und partizipativen Verfahren
von der sogenannten 5. Gewalt, dem Rat für Bürgerbeteiligung, ist der
Tropfen, der für einige das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Nach vier
Jahren Bürgerrevolution – einer Zeitspanne, die an sich in Ecuador
bereits einen Rekord an politischer Stabilität darstellt – ist der
mangelnde politische Wille, die BürgerInnen real und auf verschiedenen
Wegen an politischen Prozessen zu beteiligen, eines der wichtigsten
Merkmale der Regierung Correa. Einer Regierung, die sich in erster Linie
die Stärkung und Effizienz des Staatsapparates zum Ziel gesetzt hat,
und soziale Mobilisierung oder Protest nicht als legitime Formen
politischer Beteiligung wertet, sondern als Anarchie und mangelnden
Respekt vor der Obrigkeit.
Partizipation ist für Rafael Correa gleichbedeutend mit unnötiger
Verzögerung, so Pablo Ospina. Wenn BürgerInnen etwa zu Mitteln des
zivilen Ungehorsams greifen, müssen sie im heutigen Ecuador mit harscher
Repression rechnen. Zwischen 2008 und 2010 wurden über 200
EcuadorianerInnen, die beispielsweise Straßenblockaden oder
Demonstrationen organisiert hatten, des Terrorismus und der Sabotage
angeklagt – auf der Grundlage eines extrem auslegbaren
Strafrechtsparagraphen, der im Jahr 1964 von einer Militärdikatur
eingeführt worden war. Der Bruch der Regierung Correa mit den
Massenorganisationen, die eigentlich die Basis einer fortschrittlichen
Regierung darstellen sollten, wie Gewerkschaften und Indigenen, scheint
mittlerweile nicht mehr überwindbar.
Für Paco Moncayo, den ehemaligen Bürgermeister von Quito, gibt es nicht
eine Bürgerrevolution, sondern zwei: Ein partizipatives, linkes Projekt,
das sich in der Verfassung von 2008 materialisiert. Und ein
autoritäres, personalistisches Projekt, das in Rafael Correa selbst
seine Konkretisierung erfährt. Die Auseinandersetzung um die
Volksbefragung muss vor diesem Hintergrund gelesen werden.
Die linken KritikerInnen sehen in der consulta selbst nicht direkte
Demokratie, sondern eine Serie von Verfassungsbrüchen und eine weitere
Unterhöhlung der Demokratie zugunsten zentralistischer Kontrolle und
Effizienz. Manuela Gallegos, ehemalige Ministerin für Bürgerbeteiligung
und soziale Organisierung, drückt das so aus: „Ich glaube nicht an
vertikale Macht. Ich glaube nicht an Personen, die für mich entscheiden.
Für mich war das grundlegende Konzept der Bürgerrevolution die
Tatsache, dass man einem Volk die Möglichkeiten, Gelegenheiten und
Stärke geben sollte, sich selbst zu regieren.“
Text: // Miriam Lang
Ausgabe: Nummer 441 - März 2011
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