Im März wählt das Saarland einen neuen Landtag. Zur Wahl sind 16 Parteien und Wählergruppen zugelassen. Gegenwärtig regiert dort eine große Koalition unter Führung der CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Knapp zwei Monate vor der Wahl verzeichnet die schwarz-rote-Landesregierung die besten Zustimmungswerte einer saarländischen Landesregierung seit 1999.
65% der Saarländer sind nach einer Umfrage zufrieden mit dem Kabinett Kramp-Karrenbauer, die Zustimmung zur Ministerpräsidentin liegt bei 75%. Bei der Sonntagsfrage kommt die CDU auf 38%, die SPD auf 26%. Die CDU spricht sich klar für eine Fortführung des jetzigen Bündnisses aus, während die SPD die Wähler im Unklaren lässt, ob sie eher zu Rot-Rot-Grün tendiert. Die AfD liegt im Saarland momentan bei 9%, kommt aber als Partner für eine bürgerliche Regierung nicht in Frage. Monatelang hatte die AfD-Bundesspitze versucht, den dortigen Landesverband wegen rechtsextremer Verstrickungen auflösen zu lassen. Damit ist sie endgültig gescheitert.
Die Grünen (5%) müssen um den Einzug in den Landtag fürchten, so dass es für eine Zweierkoalition nicht reichen dürfte, dasselbe gilt für die FDP (4%). Eine Dreierkoalition hat Kramp-Karrenbauer ausgeschlossen, auch wegen der Erfahrung aus dem Jahr 2012, als sie ein »Jamaika«-Experiment vorzeitig beendete.
Die Linkspartei hat somit im Saarland eine Schlüsselstellung. Ihr Spitzenkandidat Oskar Lafontaine ist im Saarland nach wie vor populär. Er hat klargemacht, dass seine Partei, die gegenwärtig bei 14% liegt, kein Problem hätte, mit der SPD zu koalieren. Ähnlich sieht das die SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Saarland, Anke Rehlinger.
Eine möglicherweise stärkere Bewegung in den Kräfteverhältnissen entsteht durch die Berufung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten. Diese war in der obengenannten Umfrage noch nicht eingepreist. Mindestens aktuell ist der Kandidat und künftige Bundesvorsitzende ein Faktor und sein Schwerpunkt »soziale Gerechtigkeit« zeigt Zugkraft.
Die SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger spürt nach der Nominierung von Martin Schulz eine »sensationelle Aufbruchsstimmung«, er verbessere die Wahlchancen der Sozialdemokraten auch im Saarland. Auch in der saarländischen SPD habe es »eine Vielzahl von Neueintritten« nach der Schulz-Nominierung gegeben. Auf Bundesebene habe die SPD in Umfragen um sechs Prozentpunkt zugelegt. Wenn die Partei es schaffe, noch sechs Punkte auf den SPD-Bundeswert draufzulegen, »dann ist das auch für uns ein schönes Signal und dann ist auch das Rennen wieder offen«. Gleichwohl: Die Saar-SPD muss zulegen und die Linkspartei ihre Position halten oder weiter ausbauen, nur dann kann es einen wirklichen Politikwechsel geben.
Im Saarland oder auf Länderebene ticken die Uhren anders?
Während Oskar Lafontaine sich im Saarland eine Koalition mit der SPD vorstellen kann, bleibt er hinsichtlich Rot-Rot-Grün für den Bund weiterhin skeptisch: »Bis jetzt ist nicht erkennbar, dass SPD und Grüne ihre Politik so ändern wollen, dass eine gemeinsame Regierung möglich wird.« Die programmatischen Unterschiede zwischen der Linken und den beiden anderen Parteien seien auf Bundesebene nach wie vor zu groß. »Solange SPD und Grüne für Interventionskriege sind, für Waffenlieferungen, für Sozialabbau und für ein ungerechtes Steuersystem und für eine Europapolitik, die im Süden Europas zu sozialen Verwerfungen führt, sehe ich keine Möglichkeit der Zusammenarbeit«, sagte der saarländische Fraktionsvorsitzende und spricht damit für eine große Strömung in der Linkpartei.
Ein derartiger bundesweiter Politikwechsel stößt auch bei führenden Sozialdemokraten auf Skepsis. Für die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist die Einstellung der Linken zu Europa und zur NATO mit der SPD nicht vereinbar. Bei diesen Themen müsse sich die Linke bewegen, »am Ende muss man sehen, was geht«. In Nordrhein-Westfalen hat Hannelore Kraft nach jüngsten Umfragen gute Chancen Ministerpräsidentin zu bleiben, aber für die Fortführung der bisherigen Zweier-Koalition mit den Grünen würde es demnach nicht mehr reichen.
Allerdings geht es weder bei den Landtagswahlen wie im Bund nicht nur um eine kurzfristige Option zur Regierungsfähigkeit. Sozialdemokraten wie deren linke Kritiker sollten die Zeitenwende nicht verdrängen: In Nordamerika und Europa findet eine deutliche Verschiebung in den politischen Präferenzen und Parteibindungen statt.
Rechtspopulistische Parteien gewinnen Zulauf, während die Mitglieder und Wähler bei den großen Volksparteien dramatisch schrumpfen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist vielfach noch nicht verarbeitet. Zu Recht weist das SPD-Mitglied Gesine Schwan in einem Beitrag Umkehren, Genossen! in der Zeit darauf hin, dass deren Wähler »sich nicht angemessen anerkannt und wertgeschätzt [fühlen], empfinden einen massiven Macht-, Zugehörigkeits- und Kontrollverlust in ihrer Arbeits- und Lebenswelt, und sie haben Angst vor der Zukunft. Aus jahrelang angestauten Enttäuschungen wächst das Bedürfnis, die entstandene Wut durch Ressentiments gegen Schwache und Sündenböcke abzureagieren.« Die gesamte Linke muss den Macht- und Kontrollverlust ernst nehmen. Es geht um konkrete Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit, Wahlversprechen allein reichen nicht aus.
Die Linkspartei und der Rechtspopulismus
Für Oskar Lafontaine sind alle Parteien im Bundestag – mit Ausnahme der LINKEN – für die »Kürzungen im Sozialstaat« und »das ungerechte Steuersystem« verantwortlich: »CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP haben den Nährboden für den Aufstieg der AfD geschaffen«, sagte er der Deutschen Presseagentur. Den Vorwurf der Überschneidung von Positionen der Linkspartei und der Rechtspopulisten weist er zurück, wohingegen man die Überschneidungen des AfD-Programms mit dem von Union, SPD, FDP und Grünen nicht übersehen könne.
Die Überlegung, dass es sich beim Rechtspopulismus zentral um eine Rebellion gegen den Neoliberalismus handelt, findet sich in den Überlegungen von Lafontaine allerdings nicht. In der Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik seien alle Parteien außer der LINKEN neoliberal. Im Interview mit der »Welt« formuliert er: »Seit die SPD wie die anderen traditionellen Arbeiterparteien die Seiten wechselte und das Programm der Arbeitgeberverbände, die Agenda 2010, umsetzte, verlor sie die Hälfte der Wähler und Mitglieder.« Diese Argumentation überzeugt uns nicht.
Zutreffend ist: Der Grund für den Aufwärtstrend von Nationalismus, Rassismus und Rechtspopulismus in den kapitalistischen Gesellschaften sind wirtschaftliche und kulturelle Verlustängste. Rechtspopulismus ist ein Phänomen relativ wohlhabender Gesellschaften – in den USA, Großbritannien, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Deutschland sowie in Dänemark und den Niederlanden tritt er mit immer größeren Wahlerfolgen auf die politische Bühne.
Das sind keine Krisen- oder Katastrophengebiete, sondern Länder, die relativ gut funktionieren, in denen die Leute dennoch das Gefühl haben, etwas durch die Verlängerung des neoliberalen Politikmanagements zu verlieren. Auch persönlich unterstreicht ein Großteil der BürgerInnen, dass ihre wirtschaftliche Position relativ passabel und die Lebensqualität hoch sei. Und doch verursacht der Kapitalismus untergründige oder verdeckte Krisenprozesse und Fehlentwicklungen, die Basis für einen erheblichen Angstrohstoff.
Die AfD versteht und inszeniert sich als Gegenstimme zu den »Alt-Parteien«. Ihre Basis ist ein historisch-spezifisches Ressentiment, den Einstellungen und Handlungen ihrer Anhänger liegt das Gefühl dauernder Ohnmacht gegenüber erlittener Ungerechtigkeit und Benachteiligung zugrunde. Das Ressentiment ist aber kein spontaner Reflex auf ein erlittenes Unrecht.
Das Gefühl der Kränkung ermöglicht die Ausprägung und das Bedienen ethnozentrisch-fremdenfeindlicher, nationalistischer oder antisemitischer Ideologieelemente und politisch-psychologischer Bedürfnisse. Diese erstrecken sich über bewusst miteinander verknüpfte Themen wie Einwanderung, Kriminalität, Globalisierung, innere Sicherheit und nationale Identität.
Was folgt daraus?
Die massenhafte Entfesselung des Ressentiments hat einen entscheidenden Grund: Bedeutende Teile der Bevölkerung müssen Bekanntschaft mit der Not gemacht haben, entweder selbst oder in ihrem Umfeld. Sie fühlen sich verletzt in dem Bemühen, mit ihren Leistungen und ihren Einkommen anerkennende Beachtung zu erhalten und ein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Die Entfesselung des Ressentiments ist eine Reaktion auf eine grundlegende Verletzung sozialer Anerkennung, und – sobald die Verschärfung sozialer Ungleichheit als Konsequenz politischen Handelns identifiziert wird – bricht sich zum Beispiel in rassistischer Ausgrenzung Bahn.
Wer die WählerInnen in ihrer Wut und ihrem Hass auf das politische Establishment erreichen will, muss klären, welche Ansprüche sich hinter der Verletzung sozialer Gerechtigkeit verbergen. Das neoliberale Establishment hat durch Deregulierungen die soziale Spaltung vertieft – aus dem Ressentiment wird Wut und Hass gegen die Elite sowie die »neuen« Sündenböcke.
Die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre besteht deshalb darin, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie einem größeren Anteil der Berufstätigen eine Teilhabe an der Wohlstandsentwicklung zu ermöglichen. Einen Ansatzpunkt für die Diskussion liefern könnten etwa die 15 konkreten Vorschläge zur Verringerung der Ungleichheit, die der kürzlich verstorbene Oxford-Ökonom Tony Atkinson in seinem Buch Ungleichheit: Was wir dagegen tun können gemacht hat. Stärkere direkte Umverteilung ist zum Beispiel eine Möglichkeit, Maßnahmen zur Erhöhung der Markteinkommen von Geringverdienern eine andere. Ähnliche Überlegungen zur »Gerechtigkeit als Kernaufgaben« haben wir an anderer Stelle diskutiert.
Flüchtlingsfrage eine soziale Frage – wie diese angehen?
Neben der Unterschätzung der Dimensionen der sozialen Gerechtigkeit innerhalb auch der Linkspartei gibt es immer wieder Debatten zur Flüchtlingsfrage. Zu Recht weist Oskar Lafontaine in dem bereits erwähnten Gespräch mit der »Welt« darauf hin, dass die Einwanderungsfrage vor allem eine soziale Frage ist, die innerhalb der Programmatik der Linken noch nicht genügend berücksichtigt ist.
Deshalb fordert er Kapitalverkehrskontrollen und kritisiert den grenzenlosen »Freihandel« etwa mit den afrikanischen Staaten, »weil wir hoch subventionierte europäische Agrarprodukte dort zu Dumpingpreisen verkaufen. Wir brauchen einen fairen Handel… Um die Armutswanderung zu begrenzen, sollten wir beispielsweise in den afrikanischen Ländern helfen, in denen die Not am größten ist, und aufhören, mit unseren subventionierten Agrarprodukten die einheimische Landwirtschaft zu zerstören.«
Wir teilen diese Kritik. Seit Oktober 2016 ist das EU-Freihandelsabkommen (EPA) mit fünf der ärmsten Länder Afrikas in Kraft. Es sieht vor, dass die afrikanischen Länder ihre Märkte für Produkte aus Europa öffnen und Zölle für 86% der Einfuhren beseitigen müssen. Die Auswirkungen dieses Abkommens bleiben umstritten. Die größten Verlierer des neuen Arrangements sind die am wenigsten entwickelten Staaten (LDCs).
Bisher verfügten sie über uneingeschränkten Marktzugang in der EU (mit der Ausnahme von Waffen), ohne dafür im Gegenzug Leistungen für die EU erbringen zu müssen. Das EPA wird wohl kaum einen Beitrag zu Bekämpfung extremer Armut in den südlichen Ländern Afrikas leisten. Hier bedarf es eines Politikwechsels, der aber ohne eine Zusammenarbeit mit der SPD und vielen gesellschaftlichen Kräften nicht zu realisieren ist.
Für Oskar Lafontaine wie für die Mehrheit der Linkspartei ist es ein »Imperativ der sozialen Gerechtigkeit«, dass denen geholfen werden muss, denen es am schlechtesten geht. Allerdings bleibt hier ein offener Punkt. »Viele Bundesländer setzen richtigerweise auf die freiwillige Rückkehr und bieten Hilfe an. Letztendlich muss aber der Staat darüber entscheiden können, wen er aufnimmt. Das ist nun mal die Grundlage staatlicher Ordnung. Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung. Das sehen auch die Landesregierungen so, an denen die Linke beteiligt ist.«
Die derzeitige Praxis, wie sie von Lafontaine als »richtig« benannt wird, ist letztlich nur eine defensive Handlungsoption aufgrund der genannten Rahmenbedingungen. Mit einer nach vorn weisenden Perspektive hat das nicht viel zu tun. Die LINKE sollte sich daher für eine grundlegende Erneuerung des internationalen Flüchtlingsregimes einsetzen. Abschottung, Rückführung und Abschiebung sind keine Zukunftsperspektive.
Mehr als 181.000 Flüchtlinge erreichten laut der Uno-Flüchtlingsorganisation UNHCR im Jahr 2016 Italien über das Meer. Mehr als 5.000 Menschen starben im Mittelmeer oder werden vermisst. Eine europäische Lösung in der Asylpolitik wird also immer drängender, zumal die Überforderung der Behörden längst offenkundig ist. Um ein Ansteigen afrikanischer Zufluchtsuchender zu verhindern, sollen Flüchtlinge nach Plänen des Innenministeriums gar nicht erst nach Europa gelangen, sondern nach ihrer Rettung aus Seenot direkt ans afrikanische Festland zurückgebracht werden.
In der praktischen Konsequenz geht es vor allem um die immer wieder betonte »Bekämpfung der Fluchtursachen«. Für die langfristige Perspektive ist zwar »Marshallplan mit Afrika« in Planung, aber allein bei einem Investitionsbedarf zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Afrika von mehr als 600 Mrd. US-Dollar jährlich (siehe Economic Development in Africa Report 2016, UNCTAD) bleibt die langfristige Realisierung völlig offen, auch wenn das letztlich der richtige Weg wäre.
Es existiert für die Staaten in Zentraleuropa eine doppelte Aufgabe: Zum einen müssen die Zufluchtsuchenden versorgt und integriert werden, auf der anderen Seite sollten sich gerade diese Länder für den Ausbau eines internationalen Flüchtlings- und Migrationsregimes einsetzen. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt dies: Bund, Länder und Kommunen müssen zunächst Lösungen für Unterkunft und Versorgung finden und dann eine realistischen Konzeption der Integration umsetzen. Beide Aspekte erfordern neben einer hohen Flexiblität der öffentlichen Verwaltung, unterstützt durch ehrenamtliches Engagement, Milliardenaufwendungen.
Flüchtlingspolitik findet immer noch vorwiegend in den Krisenregionen statt. Die wichtigsten Akteure dort sind das System der Vereinten Nationen (insbesondere der UNHCR sowie UNICEF, WHO und FAO), Vereinte Nationen und Hilfsorganisationen. Diese sind wie die anderen nichtstaatlichen Hilfsorganisationen von den Zuwendungen der Geberstaaten bzw. privaten Spendengeldern abhängig, was langfristig angelegte Programme erschwert. Zusätzlich zu den Finanzierungsproblemen erschweren rechtliche, bürokratische und politische Hemmnisse die Arbeit dieser Institutionen.
Millionen Menschen können nur überleben, weil das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sie unterstützt. Aber mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen stößt die Organisation immer mehr an ihre Grenzen. Kritiker mahnen, eine Reform der Flüchtlingshilfe sei dringend geboten. Die Arbeit des UNHCR wird größtenteils von den USA finanziert. Vergangenes Jahr zahlten die Vereinigten Staaten ungefähr 1.500 Millionen US-Dollar, danach folgen die EU mit 341 Millionen, Deutschland mit 284 Millionen und Japan mit 164 Millionen. Seit Oktober 2016 haben US-Behörden im Rahmen eines inzwischen von der neuen Administration ausgesetzten Programms insgesamt 25.600 Flüchtlinge aufgenommen, im letzten Jahr waren es noch ungefähr 85.000. Das lässt auch mit Blick auf die Finanzierung der UNHCR nichts Gutes erwarten.
Unterfinanzierung, Bürokratie, Abhängigkeiten, Visionslosigkeit und mangelnde Führungsqualitäten – ist das derart gescholtene UN-Flüchtlingshilfswerk noch zu retten? Unbedingt, sagt Thomas Nierle von Ärzte ohne Grenzen. Schließlich gebe es derzeit keine Alternative.