Das Ende der marktliberalen Weltordnung

Trump und die Folgen für die Linke

In weiten Teilen Europas sowie in Nordamerika haben rechtspopulistische Bewegungen und Parteien einen beachtlichen Zulauf und eindrucksvolle Wahlerfolge zu verzeichnen. Auch in Deutschland hat sich mit einiger Verspätung dieser Trend durchgesetzt. Mit der Wahl eines rassistischen, fremdenfeindlichen, sexistischen Demagogen zum 45. Präsidenten der USA wird die Aufwärtsbewegung auch in Europa weitere Impulse erhalten.

Die US-amerikanische Wahlbevölkerung hat mit dem Votum – bei nach wie vor erheblicher Wahlenthaltung – vor allem gegen das politische Establishment in Washington protestiert. Das von vielen nicht erwartete Votum läutet auch das Ende eines außen- und wirtschaftspolitischen Grundkonsenses der westlichen Demokratien ein. Auch wenn viele es noch nicht wahrhaben wollen: Trumps Sieg erschüttert auch die Grundfesten der Weltordnung, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg galt.

Das Ende einer Ära?

Mit dem Slogan »America First« als Synonym für einen gesellschaftspolitischen Wandel in den USA geht für die Europäer eine Ära zu Ende, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Verhältnis zur USA bestimmte. Die wichtigsten Punkte:

  • Der Rechtspopulist legt den wichtigsten Akzent auf die Stärkung der angeschlagenen Hegemonialmacht. Er betrachtet es nicht als Amerikas Aufgabe, freiheitliche Regeln, demokratische Strukturen und Werte auf dem Globus zu verbreiten. Der Gedanke, dass die USA von einer freiheitlichen Weltordnung profitieren und es sich lohnt, für Demokratie im Ausland einzutreten, wird in den Hintergrund treten.
  • Es wird deutliche Änderung für das Nato-Bündnis geben. Der künftige Präsident hat im Wahlkampf angekündigt, sich den Bündnisverpflichtungen gegenüber den Nato-Partnern in Europa und Ländern wie Japan und Südkorea zu entziehen, falls die Alliierten nicht mit »fairen« Beiträgen die von Washington geschaffene Sicherheit mitfinanzieren.
  • Trump hat sich auch kalt gegen die traditionelle Freihandelspolitik der USA positioniert. Er macht sie für den Verlust von heimischen Arbeitsplätzen verantwortlich und mobilisierte damit unzweifelhaft Stimmen. Die Ratifizierung des unter Obama ausgehandelten transpazifischen Freihandelsvertrags sowie des TTIP-Projektes dürfte damit erledigt ein.


Mit Trump wird sich die bisherige Wirtschaftspolitik spürbar verändern. Er wird den Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Leistungsbilanzüberschüsse Chinas und Europas, vor allem Deutschlands, richten und die Migration strikt regeln sowie die nicht legalisierten Einwanderer abschieben. Seine Regierung wird etablierte Vereinbarungen in einer Weise hinterfragen, wie das in der Nachkriegszeit noch nie der Fall war. Trump wird der US-Präsident sein, der die USA aus dem deflationären Umfeld herausführen kann, denn er will Steuersenkungen und die Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen. Verbunden sein wird damit ein härterer Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten und gewiss keine Eindämmung der tiefen sozialen Spaltung in den USA.

Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie der Hans-Böckler-Stiftung, fürchtet bereits Einschnitte beim Wirtschaftswachstum. »Statt einem moderaten Aufschwung könnte die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr stagnieren.« Die »starke Binnennachfrage kann einen Rückgang der Exporte kaum kompensieren«. Dazu dürfte es vor allem dann kommen, wenn Trump an seinem Versprechen von mehr Protektionismus festhält. Er will die US-Wirtschaft nach außen hin quasi abschotten. Aus dem Freihandelsabkommen wie dem Verbund mit Kanada und Mexiko will er aussteigen. Gleichzeitig sollen US-Konzerne dazu verdonnert werden, ihre Waren in den USA und nicht im Ausland zu produzieren.

Daher fürchtet Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts in München, den von Trump angekündigten Protektionismus. »Das ist nicht nur ein Problem der US-Wirtschaft, es trifft auch deutsche Unternehmen. Viele leben davon, dass sie ihre Waren in alle Welt verkaufen – allen voran in die USA. 1,5 Millionen Arbeitsplätze hängen hierzulande vom US-Geschäft ab.«


Die Folgen für Europa und die Exportnation Deutschland

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt vor den Folgen einer möglichen Zunahme populistischer Tendenzen für Europa. »Ich befürchte, dass der Wahlsieg von Donald Trump den Nationalismus und die Renationalisierung der Wirtschaftspolitik in Europa noch verstärken wird.« Viele Regierungen »könnten versucht sein, Europa als Sündenbock für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen, statt dringende Reformen voranzutreiben«.

Da Trump sich auch auf Mehrheiten der Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat stützen kann, bleibt fraglich, ob dass das amerikanische System der »checks and balances« der Politik des neuen Präsidenten Grenzen setzt – dass also der Kongress Trump nicht alles durchgehen lässt. Auch Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, hofft das. Über die Wahl Trumps ist der gebürtige Amerikaner entsetzt. »Der Sieg Trumps stellt die liberale Weltordnung infrage«, sagt er. »Das ist die größte Zäsur der Nachkriegszeit.«

Für Europa, besonders für Deutschland, stehen mit diesen weltpolitischen Veränderungen riesige Herausforderungen an, die mit einem »Weiter so« nicht zu bewältigen sind. Die EU ist seit langem vor allem ein Projekt der wirtschaftlichen und politischen Eliten. Deren Ziel ist eine umfassende Modernisierung Europas. Gegenüber den USA und dem asiatischen Raum sollte die EWU zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer globalen Führungsregion aufrücken. Angesagt waren hohe Wettbewerbsfähigkeit, expansives Wirtschaftswachstum und dauerhafte Exporterfolge, um ein hohes Beschäftigungsniveau zu sichern.

Die neoliberale Sozial- und Verteilungspolitik diente vor allem dem Ziel, die Einkommens- und Vermögenszuwächse der europäischen Oberschichten zu verstetigen. Das Ergebnis war in mehreren Etappen ein grandioses Scheitern: Abschwächung des Wirtschaftswachstums, Verschärfung der sozialen Ungleichheit, Herausbildung von Vermögensblasen und eine massive Expansion der Finanzsektoren mit der Folge höherer Instabilität der wirtschaftlichen und politischen Systeme.

Unter Deutschlands Eliten herrscht Unsicherheit. Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gibt sich irritiert: »Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas. Auch anderswo im Westen sind die politischen Debatten in einem besorgniserregenden Zustand.« Als Ursache des zunehmenden Populismus benennt Schäuble, »dass die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer ein gutes Bild« abgeben. Zudem seien Entscheidungsprozesse häufig kaum noch nachvollziehbar. Der Minister fordert daher: »Jeder muss bereit sein dazuzulernen. Wenn wir für die Perspektive des anderen und fürs Umdenken offen sind, hat es der demagogische Populismus schwer.«


Es muss sich Grundlegendes ändern

Es ist illusionär, nur das Erscheinungsbild der Politik des Establishments ändern zu wollen. Es bedarf schon eines grundlegenden Politikwechsels. Es bedarf eines reformierten Leitbildes der EWU, in dem außenwirtschaftliche Gleichgewichte zwischen den Mitgliedern der EWU als Ziel verankert werden und der entsprechende Anpassungsdruck zum Ausgleich auf Defizit- und Überschussländer gerichtet wird. Ausgangspunkt einer Ausgleichsunion ist daher die Einführung verbindlicher Obergrenzen für Leistungsbilanzungleichgewichte. Ausgleich bedeutet dabei das gemeinsame Hinwirken auf einen Ausgleich von beiden Seiten, d.h. von Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen und solchen mit Defiziten, bei dem die Länder mit der ökonomisch stabileren Position einen wesentlichen Beitrag leisten müssen.

Die Führungsrolle Deutschlands, die bislang in der massiven Durchsetzung von neoliberaler Ordnungspolitik besteht, muss überwunden werden, indem sich die Hegemonialmacht von einer auf Leistungsbilanzüberschüsse ausgerichteten Wirtschaftspolitik verabschiedet und auch ohne Druck aus den USA ausgeglichene Handelsbilanz anstrebt. Die neue Wirtschaftspolitik der EU müsste aus zwei Elementen bestehen: zum einen einer expansiven europäischen Fiskalpolitik, zum anderen einem europäischen Investitionsprogramm, das auch der Lösung industrieller und regionaler Strukturprobleme dient.

Sowohl die Fiskalpolitik als auch das Investitionsprogramm wären von einer neuen demokratisch gewählten Europäischen Wirtschaftsregierung (EWiR) durchzuführen.[1] Dass diese zivilisatorische Entwicklungslinie bei den wirtschaftlichen und politischen Eliten auf wenig Rückhalt stößt, darf nicht dazu führen, über diesen alternativen Entwicklungsweg nicht weiter nachzudenken.

Die politische Linke muss diese veränderte Weltlage zur Kenntnis nehmen und sich mit den neuen Herausforderungen auseinandersetzen. Aber auch die Ankündigung Trumps, Europa zukünftig für die eigene Sicherheit bezahlen zu lassen, stellt Europa, und die Linke vor neue Anforderungen, weil die Frage nach einer modifizierten Sicherheitskonzeption auf den Tisch kommt, welcher Staat in Europa jene Rolle übernehmen wird, die bisher die USA innehatten. Damit geht es um eine neue europäische Sicherheitspolitik und die Rolle Deutschlands als europäische Hegemonialmacht. Und damit geht es auch im die Zukunft der EU, die nicht nur wegen der Flüchtlingsfrage vor einer Zerreisprobe steht.

Mit dem Wahlsieg Trumps nimmt ein Nationalismus Fahrt auf, der auf den Beifall der europäischen Rechtspopulisten rechnen kann. Diese Entwicklung scheint aber auch jenen Recht zu geben, die in einer Rückbesinnung auf nationalstaatliche Ebenen die Lösung aller Probleme sehen. Der Ökonom Heiner Flassbeck formuliert es in seiner Polemik gegen den Parteichef der LINKEN, Bernd Riexinger, klar und deutlich: »Deutsche Solidarität mit den anderen Nationen Europas kann nur heißen, die eigenen Fehler schonungslos anzusprechen – und dann auf der Ebene des Nationalstaates Deutschland politisch alles dafür zu tun, sie rechtzeitig zu korrigieren.« Abgesehen davon, dass er die EU nicht für reformierbar hält, verengt er die Probleme auf das Währungssystem. Für ihn sind es »die Lohnstückkostendifferenzen, nicht die Produktivitätsdifferenzen, die für die Eurokrise verantwortlich sind«.


Nationale Alleingänge nicht zielführend

Wir sehen die Herausforderungen anders: Diese Vorschläge – dem europäischen Elitenprojekt sowohl eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik anzuempfehlen, als auch eine Rückkehr zu  einem europäischen Währungssystem mit Auf- und Abwertungen – gehen an der Machtstruktur dieses Elitenprojektes vollständig vorbei. Zu den Kernüberzeugungen einer kritischen Ökonomie gehört bislang: Nur auf kurze Sicht hängt die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Ökonomien von der Relation der monetären Größen ab. Auf mittlere Sicht entscheiden die komparativen Vorteile des Wirtschaftspotenzials über Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft.

Bernd Riexinger verweist zu Recht auf die politisch-ökonomische Kurzsichtigkeit und die Überschätzung einer nationalen Lösung für die gravierenden Probleme Europas. »Die Forderung nach einem Ende des herrschenden Migrationsregimes, das Tausende Tote an den Außengrenzen zu verantworten hat, müsste stärker mit Perspektiven des Einstiegs in eine andere ›politische Ökonomie‹ in Europa verbunden werden. Dafür sind die Forderungen nach einem europäischen Investitionsprogramm für den Ausbau der sozialen Infrastruktur von Gesundheitsversorgung, Pflege, Wohnen, eine erneuerbare Energiewende sowie eine Verkürzung und Umverteilung der Arbeit zentral. Ohne konkrete (!) Alternativen zur Standortkonkurrenz lässt sich keine linke Hegemonie in Europa gewinnen. Die europäische Linke muss ihre Diskussionen zur Europäischen Industriepolitik weiterführen und konkretere Vorschläge entwickeln, die an gewerkschaftliche Kämpfe, aber auch ökologische Bewegungen und Widerstand gegen zerstörerische ›Investitionsprojekte‹ im Dienste von Großkonzernen anschlussfähig sind. Auch die öffentliche Förderung von Initiativen solidarischer Ökonomie und Genossenschaften sollte mit dem Konzept eines Investitionsprogramms verbunden werden.«[2]

Die veränderte Weltordnung durch den Triumph des Rechtspopulismus in den USA bringt auch in Europa und Deutschland die Strategiediskussion in Bewegung. Zu Recht weist das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Peter Bofinger die Auffassung der Mehrheit im neuen Gutachten zurück. Wenn die EU wie von der Mehrheit gefordert »wieder deutlich für alle erkennbar zum Wohlstandsmotor« werden soll, sei eine Agenda, die allein auf mehr Marktkräfte setzt, nicht zielführend. Eine solche Konzeption laufe vielmehr Gefahr, den Konsens für offene Märkte noch weiter zu erodieren und den brüchigen gesellschaftlichen Konsens weiter zu beschädigen.

In der Tat lässt sich für Deutschland zeigen, dass AnhängerInnen der AfD mehrheitlich der Auffassung sind, eine Mitgliedschaft in der EU sei nachteilig für Deutschland. Dies ist auch die zentrale These der Lexit-AnhängerInnen, mit deren Argumentation sich Riexinger kritisch auseinandersetzt.[3]

Gleichzeitig fühlt sich auch in Deutschland ein beträchtlicher Teil der WählerInnen von der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt. Der negative Zusammenhang zwischen der Einkommenssituation und der Einschätzung der wirtschaftlichen Integration zeigt sich auch in den Analysen zum Abstimmungsverhalten im Brexit-Referendum.

Befragungen wie beispielsweise das Eurobarometer zeigen, dass die Einwanderung aktuell von 48% der BürgerInnen als das vordringlichste Problem der Europäischen Union genannt wird. Als das wichtigste Problem, dem das eigene Land gegenübersteht, sieht ein Drittel der EuropäerInnen die Arbeitslosigkeit. Es bietet sich daher an, die Wirtschaft des Euro-Raums durch ein breit angelegtes Programm zur Förderung der Zukunftsfähigkeit zu stärken. Es sollte nicht nur Infrastrukturinvestitionen, sondern auch zusätzliche Ausgaben im Bildungsbereich sowie für Forschung und Entwicklung umfassen.

Um eine breite Wirkung zu entfalten, sollte es ein jährliches Volumen von 1% des BIP haben und sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstrecken. Eine politische Reformalternative, die ihren Namen verdient, kann letztlich nur eine europäisch ausgerichtete Politik beinhalten. Eine nationalstaatliche Orientierung dagegen bleibt eine Illusion und spielt dem Rechtspopulismus in die Hände. Hier gilt: Klare Kante!

[1] Siehe auch Klaus Busch, Axel Troost, Gesine Schwan, Frank Bsirske, Joachim Bischoff, Mechthild Schrooten und Harald Wolf: Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union. VSA: Verlag, 88 Seiten, 7,50 Euro.
[2] Gegen-Macht und linke EU-Kritik statt Exit-Illusionen. Auf dem Weg zu Alternativen zum Neoliberalismus gibt es keine Abkürzungen über die Währungsfrage. Beitrag in der Ausgabe Oktober 2016 des prager frühling. Auch dokumentiert auf der Website des neuen deutschland am 29.10.2016.
[3] Ebenda