Eine Replik auf Mark Holzberger und Albrecht Maurer
Ja, die bürgerrechtlichen Forderungen nach Abschaffung der deutschen Geheimdienste sind wirkungslos geblieben. Ja, Polizeien und "geheime Nachrichtendienste" weisen heute mehr Ähnlichkeiten auf als vor 30 Jahren. Ja, das Trennungsgebot war eine westdeutsche Besonderheit. Aber diese Einsichten ändern nichts an dem Umstand, dass die Abschaffung der Geheimdienste weiterhin das Gebot der Stunde bleiben muss.
Vier Argumente sind für die Bilanz von Mark Holzberger und Albrecht Maurer zentral: 1. Die Abschaffungsforderung sei politisch wirkungslos geblieben. 2. Das Trennungsgebot sei eine deutsche Besonderheit, die weder der Politik der "vernetzten Sicherheit" in der BRD noch der Realität in Europa gerecht werde. 3. Im bürgerrechtlichen Diskurs werde nicht ausreichend benannt, welche Aufgaben von wem wahrgenommen werden sollten, wenn die Geheimdienste abgeschafft würden. 4. Die neuen Gefahren erforderten geheime Ausforschungen. Wenn die Geheimdienste abgeschafft würden, würden die Polizeien diese Aufgabe wahrnehmen, wodurch die Gefahren erheblich stiegen. Im Folgenden wollen wir kurz diese Argumente aus unserer Sicht kommentieren.
Wirkungslosigkeit
1993, der Kalte Krieg war definitiv zu Ende, reichte die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe, Vertreterin des Neuen Forums in der Fraktion von Bündnis 90, einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der 1990 beschlossenen Geheimdienstgesetze und einen Antrag zur Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) und des Bundesnachrichtendienstes (BND) ein. Die Begründung: Nach dem Wegfall des alten Feindes, den Umbrüchen in Osteuropa und insbesondere der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit und der DDR selbst, hätten die westlichen Geheimdienste ihre Legitimation vollends verloren. Sie hätten über die Jahrzehnte haufenweise (Überwachungs-)Skandale produziert und die Demokratie nicht geschützt, sondern fortwährend geschädigt.[1] Die Anträge wurden sang- und klanglos abgebügelt, genauso wie drei Jahre später der von Manfred Such (Grüne) zur schrittweisen Auflösung des BND, der die nur logische Konsequenz aus der vom Dienst initiierten (un-)kontrollierten Lieferung von mehreren hundert Gramm Plutonium von Moskau nach München darstellte.[2]
Etwas anderes hatten die an den Anträgen Beteiligten auch nicht erwartet. Dass die etablierten Parteien der Bundesrepublik dazu bereit gewesen wären, auf ein Herrschaftsinstrument ihres Staates zu verzichten, hätte an ein Wunder gegrenzt. Die drei Dienste wurden zwar nach 1990 personell abgespeckt, suchten und fanden aber neue Legitimationen und Tätigkeitsfelder, die ihr Überleben sicherten und neue Skandale produzierten – der Plutoniumfall war dabei nur einer. Nach dem 11. September 2001 schien die Erinnerung an all das wie weggewischt. Das Personal wurde schnell wieder aufgestockt, die Befugnisse erweitert und die schon vorhandene Verquickung mit den ebenfalls im Geheimen arbeitenden polizeilichen Apparaten noch enger.
So gelesen, erscheint das bürgerrechtliche Insistieren auf der Abschaffung der Geheimdienste als eine Geschichte der wirkungslosen Argumente. Dabei müsste jedoch erstens zumindest am Rande berücksichtigt werden, wie die Republik aussähe, hätte es keine Kampagnen gegen die Berufsverbote gegeben und keinen Aufschrei wegen der unendlichen Liste von Skandalen. Dass zweitens richtige radikale Forderungen nicht zu einem Politikverzicht führen dürfen, versteht sich von selbst. Es muss vielmehr darum gehen, die Argumente zu schärfen. Maßstäbe demokratischer Rechtsstaatlichkeit sind das Ausschlaggebende.
Trennungsgebot – eine realpolitische Halblüge
Holzberger und Maurer weisen zu Recht darauf hin, dass das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten nicht der Realität der bundesdeutschen "Sicherheitsarchitektur" entspricht – und das nicht erst seit gestern. Der Ausbau der verdeckten Methoden im polizeilichen Bereich, die diversen Zentren der Zusammenarbeit u.ä.m. belegen das. Der Versuch, gegen die Verquickung von "verdeckt" arbeitender Polizei und – um im staatstragenden Jargon zu bleiben – "geheimen Nachrichtendiensten" mit dem von den Westalliierten geerbten Verfassungsrecht anzurennen, erwies sich mehr und mehr als bloßes Rückzugsgefecht.
Schon insofern war die Forderung einer Abschaffung (wenigstens) der Geheimdienste die eigentlich politisch sinnvolle. Bei aller Ähnlichkeit von Polizei und Diensten bleiben zudem wichtige Unterschiede. Während die Polizei immerhin noch an das Polizei- und Strafprozessrecht gebunden ist, in deren Vorfeld sie operieren, arbeiten die Geheimdienste als Machtinstrumente der Exekutive im Vorfeld des Vorfeldes. Sie handeln nach politischen Opportunitätskriterien. Sie müssen die Ergebnisse ihrer Arbeit nie in einem gerichtlichen Verfahren prüfen lassen, und auch dort, wo sie in strafrechtliche Ermittlungen eingegriffen haben, werden sie – dank "Quellenschutz" und ministerieller Aussagesperren – abgeschirmt. Die Verfahren werden zur Farce. Das zeigte nicht nur der elende Schmücker-Prozess, sondern in der jüngeren Geschichte auch jene gegen die "militante gruppe" oder die "militante Kampagne gegen den G8-Gipfel", die mit Mutmaßungen und Überwachungen des BfV begannen und dann an das Bundeskriminalamt (BKA) abgetreten wurden.
Dass politische und nicht strafrechtliche Kriterien und schon gar nicht solche des Schutzes konkreter Personen das geheimdienstliche Handeln bestimmen, zeigt sich zudem überdeutlich an der "Extremismusbeobachtung", die nach wie vor den Kern der verfassungsschützerischen Tätigkeit ausmacht. Was wenn nicht "Abschaffen!" sollte die bürgerrechtliche Antwort auf diesen demokratiegefährdenden Unsinn darstellen? Was sollen wir dazu sagen, dass BND-Agenten trotz öffentlich zur Schau getragener deutscher Nicht-Beteiligung am Irak-Krieg Bombardierungsziele empfehlen?
Die neuen Gefahren
Selbstverständlich sind wir froh, dass die BRD bisher von Anschlägen mit Massen von Toten wie in New York, Madrid oder London und an vielen anderen schnell vergessenen, weil ärmeren Orten dieser Welt verschont geblieben ist. Aber ist das auf die Leistung der Geheimdienste zurück zu führen? Die Kofferbomben von 2006 wurden jedenfalls nicht vom Verfassungsschutz entschärft, sondern sind glücklicherweise nicht explodiert. In anderen Fällen war es die Aufmerksamkeit der Händler von Vorläufersubstanzen, die die Polizei auf die Spur jener Leute brachte, die mit Sprengstoffen hantierten. Nur in seltenen Fällen aber werden die Informationswege, die zu Ermittlungen führten, offen gelegt. Ansonsten zeichnen sich die Leistungsbilanzen der Geheimdienste gerade dadurch aus, dass man sie entweder glauben kann oder nicht. Dabei soll hier gar nicht abgestritten werden, dass sie zuweilen auch über durchaus richtige Informationen verfügen und diese auch an die Polizei weitergeben. Die Chance jedoch, wie der heilige Thomas den Finger in die Wunde zu legen, erhält die Öffentlichkeit nicht.
Statt systematisch auf die Ergebnisse geheim(dienstlich)er Überwachung, scheint es uns ratsamer auf eine Polizei zu setzen, die das Vertrauen und die Mithilfe auch der muslimischen Bevölkerung sucht, um die Gefahren potenzieller "homegrown terrorists" abzuwehren. Ein Staat, der den Islam als nicht zu Deutschland gehörig betrachtet, der diesen Bevölkerungsteil ausgrenzt, braucht sich über sein fehlendes Vertrauen nicht zu wundern.
Die allmächtige Polizei
Der Gefahr, dass bei einer Abschaffung der Geheimdienste diese nur scheinbar aufgelöst und ihre Aufgaben stattdessen in die Polizei hineinverlagert werden, wollte schon Ingrid Köppes Antrag aus dem Jahre 1993 entgegenwirken. Dennoch ist selbst eine Polizei, die im Vorfeld arbeitet, systematisch eher kontrollierbar als die Dienste es heute sind. Dass die Forderung nach deren Abschaffung die kleine Bürgerrechtsbewegung nicht davon entbindet, für jede neue polizeiliche Aufgabe neue Begrenzungen und Kontrollformen zu suchen, versteht sich von selbst. Nicht die mächtigere Polizei ist die Alternative zu den abgeschafften Diensten, sondern die effektiv und extern kontrollierbare Polizei.
Das gilt auch für den europäischen Kontext. Sicherlich ist das Trennungsgebot wie es in Deutschland – auf dem Papier – existiert, den meisten europäischen Staaten fremd. Dass die Regierungen der Mitgliedstaaten und die EU-Kommission Anstrengungen unternehmen würden, auf eine solche Trennung hin zu arbeiten, erwarten wir jedenfalls nicht. Die Gefahr ist auch nicht dadurch gebannt, dass Europol nicht die zentralistische Rolle erhalten hat, die bei seinem Aufbau befürchtet wurde. Ganz im Gegenteil: Die "vernetzte Sicherheit" und der "Grundsatz der Verfügbarkeit", die die Datenbankstrategie der EU seit dem Haager Programm von 2004 bestimmen, schaffen die Gefahr eines grenzenlosen Binnenmarkts von polizeilichen – und geheimdienstlichen – Informationen, gegen die ein deutsches Trennungsgebot nicht ankommt.
Unsere Hoffnungen und Erwartungen richten sich daher auch nicht an die Exekutiven, sondern an die bürgerrechtlich engagierten Kreise in anderen europäischen Ländern. Auch ihnen mag das Trennungsgebot fremd sein. Durchaus bekannt sind ihnen hingegen die Erfahrungen mit unkontrollierbaren Geheimdiensten. Quer durch Europa – von der schwedischen Säpo mit ihrer Kalten-Kriegs-Vergangenheit und ebenso peinlichen Gegenwart über die Spitzeleien des niederländischen AIVD bis zum italienischen SISMI und zum britischen MI 5 und ihren Verwicklungen in die Entführungen der CIA etc. – ziehen sich die Skandale und auch die öffentlichen Auseinandersetzungen. Grund genug, auch europäisch an einem Ende dieser Geschichten zu arbeiten.
Es bleibt dabei
Auf dem Umstand, dass überall Gefahren lauern, baut die staatliche Sicherheitspolitik ihr Fundament. Kaum ist die eine Gefahr überwunden, rückt die nächste nach. Gestern die organisierte Ausländerkriminalität, heute die Rockerbanden, gestern die kommunistische Weltherrschaft, heute der globale Dschihad. Da niemand weiß, wie groß das Körnchen Wahrheit in den immer neuen Feindbildkonstruktionen ist, ist jeder öffentliche Zweifel risikoreich. Allerdings sind die Dienste bislang jeden Beweis schuldig geblieben, dass sie Schlimmeres verhindert hätten. (Selbst Positives, wie den Fall der Mauer, haben sie, verblendet von ihrem traditionellen Feind, verpennt.) Deutlich ist hingegen, dass Geheimdienste selbst ein demokratiegefährdendes Potenzial darstellen. Nur weil sie "geheim" sind, ist unbekannt, wie häufig und in welchen Zusammenhängen dieses Potenzial aktiviert wird; die berühmten "Skandale" werfen ja immer nur ein meist zufälliges Licht auf das, was im Verborgenen geschieht. Die Dienste sind systematisch unkontrollierbar; in ihnen wird die Dominanz der Exekutiven auf die Spitze getrieben; und zugleich sind sie das am wenigsten rechtstaatlich-demokratisch begrenzte Instrument in den Händen herrschender Staats-Politik. Für eine an den Bürgerrechten orientierte Politik gibt es deshalb keine Alternative zur ersatzlosen Abschaffung der Geheimdienste.
Endnoten
[1] BT-Drs. 12/4402 und 4403 v. 13.2.1993; an der Ausformulierung dieser Vorstöße waren seinerzeit Redaktionsmitglieder von Bürgerrechte & Polizei/CILIP beteiligt.
[2] BT-Drs. 13/4347 v. 15.4.1996
Bibliographische Angaben
Busch, Heiner & Norbert Pütter: Geheimdienste abschaffen! Eine Replik auf Mark Holzberger und Albrecht Maurer, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 100 (3/2011), S. 88-92