Eine rückblickende Analyse des NRW-Parteitags der „Linken"
Mit Speck fängt man Mäuse, dachte sich das eingeladene SPD-Mitglied wohl, und fuhr fort: „ Als 1973 Salvador Allende an die Regierung kam, führte er zuerst einen halben Liter Milch für alle Schulkinder ein. Das muss auch in NRW möglich sein!" Den halben Liter Milch können die Bedürftigen schon jetzt bekommen, wenn sie sich in die Schlange vor den Tafeln einreihen, um sich von eben jenen sozialdemokratischen Funktionärinnen und Funktionären heuchlerisch betütteln zu lassen, die ihnen die ganze Misere eingebrockt haben. Der Beifall wurde spärlicher, die Delegierten hatten es nicht vergessen. Der NRW-Landesverband ist eine Hochburg der „Antikapitalistischen" und der „Sozialistischen Linken". Im Mai 2010 sind Landtagswahlen und der Druck auf die NRW-Partei ist groß. Hier soll der schwarz-gelben Bundesregierung der erste Dämpfer verpasst werden. Aber das wird kompliziert. In dem Wahlprogrammentwurf standen so schreckliche Dinge wie Enteignung der Energiekonzerne oder das Recht auf Haschischkonsum. Die bürgerliche Presse schäumte, alle anderen Parteien sekundierten. Nicht politikfähig und schon gar nicht koalitionsfähig, ein linkes Wolkenkuckucksheim, hieß es auch bei SPD und Grünen. Ohne die Linkspartei wird es jedoch keinen Machtwechsel an Rhein und Ruhr geben. Das Wahlprogramm der NRW-Linken bekam durch fast 500 Änderungsanträge ihren Feinschliff, aber es blieb in seinen Grundaussagen erhalten. Unterstützung kam ebenfalls von Oskar. Angereiste Opelaner aus Bochum bauten sich demonstrativ um ihn herum auf. Wer sollte hier schwach werden? Sorgenfalten bildeten sich allerdings auf der Stirn von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Auf den Medienwirbel um die Aussagen der aufmüpfigen NRW-Genossinnen und -Genossen angesprochen, rang er um Fassung: „Ach, ein bisschen tut man den Genossen in NRW Unrecht..." (ND 27.10.2009). Nur ein bisschen? Die Landesverbände im Osten befanden sich schon immer auf Koalitionskurs und beobachten nun argwöhnisch den westlichen Störenfried. Dieser greift jetzt die Regierungsbeteiligung der Linken in Brandenburg frontal an. Der Koalitionsvertrag zum Weiterbetrieb von Braunkohlekraftwerken würde die Handschrift von Vattenfall tragen und mit dem nachdrücklichen Bekenntnis zum Lissabon-Vertrag der EU würden Privatisierungen, Deregulierungen und Militarisierung der EU mit Hilfe der Linken gefördert. Das Schimpfwort von den „Regierungssozialisten" macht die Runde.> Werden die Linken in NRW auch in Zukunft ein radikaler Felsen in einem Meer von Opportunismus bleiben? Ist am Ende die grundsätzliche Partei- und Parlamentsskepsis von uns AnarchistInnen in NRW überholt? - Blicken wir in die Geschichte. Die Linkspartei ist insbesondere in NRW ein Zusammenschluss von WASG und PDS. Sie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung. Gab es nicht schon einmal einen ungestümen Aufbruch, bei dem die nahezu gleichgeschaltete Presse an Rhein und Ruhr genauso hetzte, wie heute bei der NRW-Linkspartei? - Selbst wenn man es sich heute kaum mehr vorstellen kann, es waren die Grünen in der Mitte der 80er Jahre. Damals, genau wie die Linkspartei heute, vier Jahre alt und ebenfalls mit etwa 9.000 Mitgliedern in NRW.
Erstaunliche Parallelen:
Auch der NRW-Landtagswahl 1985 ging ein dreiviertel Jahr zuvor die Kommunalwahl voraus, die die Partei und ihre AktivistInnen zuerst einmal mit 1.500 kommunalen Mandaten und Pöstchen beschäftigte und alimentierte. Zu dieser Zeit war der NRW-Landesverband der Grünen einer der am weitesten links stehenden. Auch Hochburg der sogenannten Ökosozialisten. Diese Partei produzierte ein etwa fünf Zentimeter dickes NRW-Wahlprogramm mit „problematischen" Aussagen zu den Energiekonzernen, Kindersex und Päderasten. Die Medien und die anderen Parteien reagierten, wie vorhersehbar. Wahlergebnis: 4,6 Prozent. Bei der dann folgenden NRW-Delegiertenversammlung wurde trotzig ein Transparent hochgehalten: „Eine Wahl dürfen wir verlieren, unsere Ideale nicht!" Doch ab diesem Zeitpunkt wurde der Ruf nach einem „konzeptionellen Neuanfang" immer lauter. Die Partei müsse „konkret umsetzbare und realisierbare Maßnahmen" fordern und nicht mehr so hochideologische, momentan unerfüllbare Forderungen stellen. In der Kommunalpolitik und im Bundestag wurden unzählige grüne Anträge von den anderen Parteien abgeschmettert und fingen an, ihre demoralisierende Wirkung auf viele grüne Funktionärinnen und Funktionäre zu entfalten. Es dauerte ab dann nur noch eine Legislaturperiode, bis die Grünen eine komplett andere Partei als bei ihrer Gründung wurden. So konsequent die Linkspartei in NRW jetzt auch auftritt, umso wahrscheinlicher wird ihre mittelfristige Umorientierung. Denn ihre Forderungen werden unerfüllt bleiben, weil ein Großteil der AktivistInnen mittlerweile immer mehr in den Parlamenten „rumlümmelt", wie es ein kritischer Grüner in „Grünes Info" (Nr. 11, 1984) damals ausdrückte. Wenn die Linken nach der Landtagswahl Rot-Grün nur „tolerieren" anstatt zu koalieren, wird die alte Politik notfalls mit den Stimmen von CDU und FDP durchgesetzt. Auf der Strecke bliebe so oder so eine grundlegende Änderung in der Politik. Die Konzentration auf Opposition und Aktion in Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen würde dagegen zumindest in einzelnen Punkten echte Erfolge ermöglichen.Horst Blume
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 344, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 38. Jahrgang, Dezember 2009, www.graswurzel.net