Interview mit Alfonso Lacayo von der Medizinischen Brigade der Widerstandsbewegung in Honduras
Die Widerstandsgurppe Brigada Médica de la Resistencia kümmert sich
seit Juli um Mitglieder der Widerstandsbewegung, die Opfer von Polizei-
und Militärgewalt geworden sind. Wieso gehen die verletzten Personen
nicht einfach ins Krankenhaus?
Zu Anfang gab es viele Fälle, in denen Verletzte in den öffentlichen
Krankenhäusern nicht behandelt wurden, aus dem einzigen Grund, weil sie
der Widerstandsbewegung angehören. Selbst einem Arzt, der von der
Polizei stark verletzt wurde, verweigerten seine eigenen Kollegen im
öffentlichen Krankenhaus die Behandlung. Ein anderer Punkt ist, dass
seit dem Putsch in den öffentlichen Krankenhäusern ständig
PolizistInnen anwesend sind. Wenn sie Personen der Widerstandsbewegung
erkennen, nehmen sie die gleich mit. Aus diesen Gründen behandeln wir
die Leute, bringen sie in Arztpraxen oder rufen befreundete ÄrztInnen
an. Wir haben häufig festgestellt, dass verletzte Menschen einfach nach
Hause gehen und sich nicht behandeln lassen, aus Angst vor
Repressionen. Auch Menschen, die psychologische Hilfe brauchen wissen
oft nicht, wohin sie gehen sollen. Sie haben Angst, dass ihre
Informationen weitergegeben werden.
Dokumentieren Sie Ihre Arbeit, um mit den Informationen später zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen beizutragen?
Es gibt eine Sektion für Menschenrechte. Auch wenn wir nur informell
existieren, sind wir sehr formell. Die ÄrztInnen führen eine Statistik
für die medizinischen Fälle. Ich führe die Statistik der
psychologischen Fälle. Wir halten alle Fälle schriftlich fest, mit
Vorname, Nachname und dem Vorfall. Dann zeigen wir
Menschenrechtsverletzungen an. Auch die AnwältInnen halten alles
schriftlich fest. Wir wissen, wie wichtig das ist. Und wir ermutigen
jede Person, ihren Fall zu melden, wenn die Verletzung zum Beispiel
durch illegales Tränengas verursacht wurde. Deswegen haben wir unsere
eigenen AnwältInnen, die dann all diese Fälle vor die
Menschenrechtskommissionen tragen. Die Menschen brauchen
Vertrauenspersonen, denn sie wissen zurzeit nicht, an wen sie sich
wenden können, wem sie vertrauen können. Die MitarbeiterInnen der
Brigade schaffen dieses Vertrauen.
Sie sehen sich als Teil der Widerstandsbewegung. Welche Hauptziele verfolgt die Bewegung derzeit?
Wir wollen die Verfassunggebende Versammlung. Viele glauben, dass nach
der Wiedereinsetzung von Zelaya alles erreicht ist. Sie denken, dass
nach den Wahlen alles vorüber ist. Nein! In den letzten Monaten wurden
Allianzen geschlossen, es wurde ein Bewusstsein geweckt, das wir jetzt
nutzen werden um weiterzumachen. Unser erstes Ziel ist immer noch die
Wiedereinsetzung von Manuel Zelaya. Der zweite Schritt ist die
Verfassunggebende Versammlung. Ein weiteres Ziel ist die Abschaffung
der Berufsarmee. Wir brauchen keine Armee, nur eine Polizei. Dies sind
sehr klare Ziele und natürlich brauchen wir dafür grundlegende,
alternative Reformen.
Welche Aktionen hat die Bewegung für die kommenden Tage und Wochen geplant
In diesem Moment warten wir einfach nur ab und beobachten, ob die
getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden. Es wird angenommen, dass
wir sehr bald eine Antwort bekommen und die Wiedereinsetzung von Zelaya
stattfindet. Wir marschieren zurzeit nicht, da die De-facto-Regierung
uns ein Gesetz auferlegt hat, das uns verpflichtet die Demonstrationen
24 Stunden vorher bei der Polizei anzumelden. Aber Vorsicht! Dieses
Gesetz gilt nur für den Widerstand. Am 29. Oktober haben wir mit
Erlaubnis demonstriert, wurden aber dennoch stark unterdrückt. Es gab
32 Verletzte, drei davon von der Brigade, die mit
Vergiftungserscheinungen durch das Tränengas und aufgrund von
Schlagverletzungen durch die Polizei in ein Krankenhaus gebracht werden
mussten. Das heißt, selbst mit einer Demonstrationsgenehmigung durch
die Polizei werden wir unterdrückt. Sie hat überhaupt keinen Respekt
gegenüber den Menschen, die sich für ihre Rechte stark machen. Deswegen
wollen wir Provokationen vermeiden. Wir wollen nicht, dass die
De-facto-Regierung uns nachsagt, wir würden uns nicht ans Gesetz
halten. Daher machen wir kulturelle Veranstaltungen, sind vorsichtig
und warten zunächst einmal ab.
Welche Methoden der Einschüchterung und Repression werden von Militär und Polizei gegen die Bevölkerung eingesetzt?
Da ist natürlich der Einsatz von Tränengas. Darüber hinaus wird
Pfeffergas benutzt, was verboten ist. Außerdem wurde der Holzknüppel,
den die Sicherheitsbeamten benutzen, durch einen Metallknüppel ersetzt,
was schon zu vielen Knochenbrüchen geführt hat. Die Militärs verfolgen
und töten. Es gibt bisher offiziell 27 Menschen, die durch die
Sicherheitskräfte ermordet wurden. Sie sperren uns ohne jedes Motiv in
die Gefängnisse.
Ich erinnere daran, dass wir uns immer noch unter einem Dekret
befinden, durch das die Polizei und die Armee die gesamte Macht
besitzen. Die Repressionen sind psychischer und physischer Art. Die
Polizei geht mit Knüppeln auf die Menschen los, ohne zu unterscheiden,
ob es sich dabei um Frauen, Männer, Alte oder Kinder handelt. Alle, die
gegen die De-facto-Regierung sind, sind Feinde. Alle, ohne Ausnahme. Es
gab sogar Fälle, in denen die Protestmärsche schon vorbei und die
Menschen auf dem Weg nach Hause waren; die Polizei hat sie verfolgt und
angefangen auf sie einzuschlagen. Dies sind anhaltende Provokationen,
die in ganz Honduras stattfinden. Ich habe Morddrohungen erhalten, weil
ich in der Menschenrechtsabteilung der Widerstandsbewegung arbeite.
Diese Drohungen kommen meistens schriftlich. Auf der Straße erkennt
mich die Polizei und macht mir Handzeichen, dass sie mich umbringen
wollen.
Mittlerweile sind über vier Monate seit dem Putsch vergangen. Werden
die Honduranerinnen und Honduraner nicht langsam müde zu demonstrieren
und protestieren?
Der anhaltende Protest ist ein Phänomen, das es so in Honduras noch
nicht gegeben hat. Noch nie gab es in diesem Land einen Widerstand
gegen Diktatoren und Putschisten wie es dieses Mal der Fall ist.
Niemand hatte damit gerechnet, schon gar nicht die Putschisten. Aber
selbst wir von der Bewegung sind überrascht. Wir haben es geschafft,
bis zu einer halben Million Menschen in den Märschen zu mobilisieren
und die Menschen lehnen sich weiterhin gegen die Putschregierung auf.
Dabei sind nicht nur die Menschen auf den Märschen zu zählen, sondern
auch alle, die zum Beispiel Gelder spenden oder medizinische Hilfe
leisten. Viele der ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen gehen nicht auf
die Märsche wegen der vielen Arbeit, die sie haben. Aber sie
unterstützen die Sache. Die Widerstandsbewegung geht weit über das
hinaus, was man auf den Straßen sieht. Wir sind ein großes Netzwerk und
die Putschisten hätten nie mit einer solchen Form der Antwort auf ihre
Machenschaften gerechnet. Natürlich sind wir müde, aber wir müssen
weitermachen. Denn wenn wir jetzt aufgeben, werden wir eine Menge an
Rechten verlieren, die über die Jahrzehnte hinweg erkämpft wurden.
Alfonso Lacayo
ist 47 Jahre alt und arbeitet als Psychologe in einer Privatklinik in
Tegucigalpa. Er ist Mitglied der Medizinischen Brigade der
Widerstandsbewegung und verbringt seit dem Putsch einen Großteil seiner
Zeit damit, Menschen aus der Widerstandsbewegung zu helfen, die Opfer
von Polizei- und Militärgewalt wurden. Er fungiert dabei als
Koordinator und Vertrauensperson, außerdem ist er freiwilliger Helfer
des Zentrums für Prävention, Behandlung und Rehabilitation für
Folteropfer (CPTRT).
Die Brigada Médica de la Resistencia ist ein Netzwerk aus ÄrztInnen,
PsychologInnen, SozialpädagogInnen, KrankenpflegerInnen und sonstigen
im Gesundheitsbereich tätigen Personen und wurde im Juli dieses Jahres
von PsychologiestudentInnen ins Leben gerufen. Dabei laufen die
Mitglieder der Brigade auf den Protestmärschen mit und dienen als
Anlaufstelle für medizinische Hilfe sowie Fragen bezüglich
Menschenrechtsverletzungen. Zusammen mit AnwältInnen der
Widerstandsbewegung wird unter anderem versucht, zu Gefangenen
vorgelassen zu werden, die während der Proteste festgenommen wurden.
Text: Marius Zynga
Ausgabe: Nummer 426 - Dezember 2009