Von Osama zu Obama?

Die Geschichte des Imperialismus ist nicht frei von Absurditäten. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges ließen deutsche Propagandafachmänner in islamischen Ländern das Gerücht ausstreuen, Wilhelm Zwo sei unter der Hand Mohammedaner geworden – Sympathiewerbung für den Versuch der deutschen Politik, moslemische Bundesgenossen für den Kampf gegen Großbritannien zu gewinnen. Das Deutsche Reich wollte einen »Platz an der Sonne«, politischen und wirtschaftlichen Machtgewinn nicht zuletzt im Nahen und Mittleren Osten. Der Bau der Bagdadbahn reichte da nicht hin, religiöse Gefühle sollten instrumentalisiert werden.


Die Nazis übernahmen dieses Muster und ließen den »Großmufti von Jerusalem« eine Parade moslemischer Waffen-SS-Einheiten abnehmen, um Stimmung nicht nur gegen das Judentum, sondern auch gegen das »perfide Albion« zu machen. Moslemische »heilige Krieger«, so wurde erhofft, würden Söldnerdienste für die hitler-deutsche Expansion übernehmen.

Kaum anders trieben Jahrzehnte später US-amerikanische Regierungsstellen und Nachrichtendienste den Mißbrauch verdüsterter Gläubigkeit für ebenso profane wie brutale geopolitische Interessen. Um der Sowjetunion ihr »Vietnam« zuzufügen, züchteten sie für den Einsatz in Afghanistan moslemische Partisanen heran, »Fundamentalismus« wurde absichtsvoll produziert. Als die Söldner ihren Dienst getan hatten, verwandelten sie sich aus der Sicht Washingtons in Terroristen, denn nun stand ein neuer Schachzug im geopolitischen Machtspiel an: der direkte militärische Interventionismus der USA im Terrain zwischen der Türkei und Indien und am südlichen Rand Rußlands. Wer angreifen und zugreifen will, dem ist nach imperialistischem Brauch ein hehres Ziel von Nutzen, und die Aggression wird tunlichst als Verteidigung ausgegeben. In dem anvisierten Gelände bot sich ein Feindbild aufs günstigste an: islamischer »Fundamentalismus«, die »westliche Wertewelt« negierend, »Modernität« blockierend, zum Dschihad sich rüstend.

Wie eigentlich die Mordaktion in New York am 11. September 2001 organisiert wurde, ist immer noch nicht aufgehellt; aber klar ersichtlich ist, daß sie der US-amerikanischen Regierungspolitik eine sensationelle Gelegenheit bot, einen neuen »Weltkrieg gegen den Terrorismus« auszurufen. Eine islamistische Weltgefährdung wurde nun zuerst in Afghanistan und dann im Irak gesichtet, Osama bin Laden zum Oberteufel hochstilisiert, Saddam Hussein als Kumpel desselben dargestellt. Ein wenig Geschichtskenntnis würde hinreichen, um auf solche Legenden nicht hereinzufallen.

Als eine »Weltgefahr Islam« noch nirgendwo in Rede stand, lief schon »the great game« um die Machtverteilung in Nah- und Mittelost sowie in Zentralasien. Es ging um strategische Stützpunkte und Brückenköpfe für die politisch-militärische Ausdehnung der Großmächte, aber auch schon um Wirtschaftsinteressen und um die Verfügung über Ressourcen, zunächst Öl. Die Länder rund ums Kaspische Meer gelten seit rund einem Jahrhundert als üppige Beute für externe Interessenten, die stets auch die »militärische Option« im Sinne hatten. Zunächst rivalisierten das Zarenreich und das britische Empire, Deutschland versuchte hineinzustoßen, nach dem zweiten Weltkrieg kamen die Vereinigten Staaten machtvoll ins Spiel, Großbritannien ablösend und die UdSSR bedrängend. Das Ende der Sowjetunion hat den US-amerikanischen Ambitionen weiteren Auftrieb gegeben. All diese Konkurrenzen und Konflikte würden sich auch abspielen, wenn die Bewohner des umkämpften Raums dem Koran längst abgeschworen hätten.

Derzeit ist der Iran das Objekt US-amerikanischer Einmischung, wobei die EU-Staaten Beihilfe zu leisten haben, die sie mit gemischten Gefühlen erbringen. Der »Kreuzzug gegen den Terrorismus« hat bisher keine glänzenden Erfolge gezeitigt. Zwar sind die irakischen Ölquellen wieder zugänglich für westliche Konzerne, aber ansonsten hat sich die Invasion der USA dort als Desaster herausgestellt, ein stabiler Vasallenstaat ist nicht zustande gekommen, die weiterdauernde Besatzung ist kostspielig. In Afghanistan sieht es nicht besser aus. Dennoch hält die Regierung Bush an ihrem Projekt einer großangelegten Umgestaltung der gesamten Region fest, im Fadenkreuz ist längst schon der Iran, der als »Weltfeind«, von islamistischem Haß getrieben, dargestellt wird. Die Mittel der psychologischen Kriegsvorbereitung sind keine anderen als im Falle des Irakkrieges.

Die Machteliten in den USA haben handfeste Gründe, Iran unter Kontrolle zu bringen. Denn es handelt sich um eine unabhängige Regionalmacht, die mit Rußland und der Volksrepublik China militärisch kooperiert. Mit einer Bevölkerung von rund 70 Millionen und großem ökonomischem Potential ist das Land die letzte staatliche Bastion gegen eine vollständige Beherrschung des Nahen Ostens durch die USA. Zudem ist der Iran in der Region der letzte überlebende Unterstützerstaat jener Länder und Organisationen, die im direkten Konflikt mit der israelischen Regierungspolitik sind: Ohne den Iran wären Syrien, der Libanon, aber auch die Palästinenser der militärischen Überlegenheit Israels nahezu schutzlos ausgeliefert; der rechtszionistische Wunsch nach einem »Greater Israel« würde sich erfüllen. Schließlich grassierte in den US-Machtzirkeln die Vorstellung, daß der Iran mit bald gleichstarken Konkurrenten Nordamerikas – so kategorisieren die Planer im Weißen Haus die EU, China, Indien und Rußland – zusammengehen könnte, wodurch sich die geoökonomische Bilanz dauerhaft zulasten der Vereinigten Staaten verschieben würde.

Bei ihrem Streben nach, wie das im Jargon der »grand strategy« genannt wird, »full spectrum dominance« stehen die Vereinigten Staaten von innen her unter Zeitdruck. Die wirtschaftlichen Probleme wachsen, die Entindustrialisierung ist nicht zu stoppen, die tiefen Löcher in der Zahlungs- und Handelsbilanz können auch durch eine massive Abwertung des Dollars nicht geschlossen werden, zur Finanzierung des Militärbudgets sind die Vereinigten Staaten fortlaufend auf ausländische Kredite angewiesen. Da liegt ein »Befreiungsschlag« gegen den Iran nahe; eine militärisch erzwungene Einbindung des Landes in den eigenen Machtorbit würde die USA in die Lage versetzen, riesige Energievorräte zu kontrollieren und den ökonomischen Niedergang der eigenen Gesellschaft zu bremsen. (s. dazu Frida Berrigan in Asia Times online vom Mai d. J., Chalmers Johnson in Le Monde Diplomatique vom April d. J.).

Ein aktueller Kriegsgrund kommt hinzu: Die iranische Regierung hat, von den westlichen Medien nicht zur Kenntnis genommen, neoliberale Reformen eingeleitet, die unter anderem die Übernahme staatlicher Unternehmen durch westliche Konzerne ermöglichen. Der Internationale Währungsfonds hat in einem Gutachten im März 2008 diese Reformen nachdrücklich gelobt und dem Land bescheinigt, auf dem richtigen Weg zu sein. Die US-Regierung, ansonsten Champion in Sachen Marktwirtschaft, zeigt sich hiervon unbeeindruckt. Vielmehr brachte sie eine Gesetzesvorlage zur Verschärfung von Wirtschaftssanktionen gegen den Iran auf den Weg. Der Kongreß stimmte mit großer Mehrheit zu. Die Absicht ist deutlich: Die US-Konzerne sind bei der momentanen »Privatisierung« im Iran hinter der europäischen, russischen und chinesischen Konkurrenz zurückgeblieben, vor allem bei Übernahmen im Energiesektor. Diesen Wettbewerbsnachteil aufzuheben, bedeutet, die militärische Karte zu ziehen, um ähnlich wie im Irak die lukrativen Deals US-amerikanischen Unternehmen zukommen zu lassen (s. Michel Chossudovsky in Global Research vom Juli d. J.).

Oder schicken die USA das israelische Militär zu einem scheinbaren Alleingang vor, um dann »ordnend« eingreifen zu können? Israel als Bauer im geostrategischen Schachspiel? Das Bauernopfer, in Washington locker hingenommen, besteht darin, daß Wut gegen den israelischen Staat bei der Bevölkerung der anderen Nahoststaaten sich weiter ausbreitet und festigt, mit langfristig katastrophalen Folgen.

Nun hören und lesen wir seit Monaten in europäischen Medien, die Zeit des Draufschlagens sei in der US-Politik doch wohl bald zu Ende, Barack Obama habe alle Aussichten, die Präsidentschaft zu erlangen, und er habe Kriegerisches nicht im Sinn. Verschwindet also die »Weltgefahr Islam« mitsamt dem Feindsymbol Osama bin Laden im Archiv der Geschichte und beginnt mit Barack Obama eine zivilistische Ära US-amerikanischer Weltpolitik?

Mal abgesehen davon, ob es nicht doch der Konkurrent John Mc Cain schafft – auch Obama ist den imperialen Zielen der Machteliten seines Landes verpflichtet. Er will Rüstung ausbauen und schließt in Sachen Iran »militärische Optionen« nicht aus. Außenpolitisch beraten wird er von dem geopolitischen Vordenker Zbigniew Brzezinski, der den »eurasischen Raum« als das »große Schachbrett« definiert hat, wo die USA als »einzige und letzte Weltmacht« zum Sieg kommen sollen. Wird Obama Präsident, so steht nicht der Abschied von US-amerikanischen imperialen Absichten an. Möglicherweise geht es dann intelligenter zu als unter Bush, aber das ist kein Kunststück. Nicht abgeschlossen wäre das »große Spiel« der großen Mächte, das seit mehr als einem Jahrhundert fortwährend die Lebenschancen in den nah- und mittelöstlichen Ländern dieser Region zerstört. Eine »Entwicklungsblockade«, für die der Prophet Mohammed nicht verantwortlich ist.

Von den Autoren erschien 2006 im PapyRossa Verlag die Studie »Objekt der Gier. Der Iran, der Nahe und Mittlere Osten und Zentralasien«.