Der Telekom-Streik
Bei dem Streik der Telekom-Beschäftigten im Mai und Juni 2007, der durch die vom Vorstand geplante Ausgliederung eines erheblichen Anteils der Beschäftigten in neu gegründete Servicegesellschaften zu deutlich schlechte-ren Konditionen ausgelöst wurde, handelte es sich aus mehreren Gründen um eine historische Auseinandersetzung, der eine besondere Bedeutung zuzumessen ist. Es war nicht nur der erste Streik in der Geschichte der Tele-kom, die 1995 als Aktiengesellschaft aus der staatlichen Bundespost hervorgegangen ist, sondern der Arbeitskampf hatte auch für die Bundesrepublik ungewöhnliche Dimensionen: Während dem über sechs Wochen andauernden Streik legten täglich bis zu 15.000 Beschäftigte die Arbeit nieder, so dass der Arbeitskampf insgesamt 450.000 ausgefallene Streiktage verursachte (vgl. Schröder 2007, S. 515). Im Jahr 2006 erreichte Deutschland mit insgesamt 429.000 Streiktagen einen außergewöhnlichen Höchststand, in allen vorhergegangenen Jahren nach 1993 lag die Zahl zumeist deutlich niedriger (vgl. WSI 2007). Somit sind allein durch den Telekom-Streik im Jahr 2007 mehr Streiktage angefallen als in jedem Jahr ab 1994 durch alle Arbeitskämpfe zusammen.
Doch auch in qualitativer Hinsicht ist der Auseinandersetzung von Anfang an zurecht eine besondere Bedeutung zugemessen worden, die insbesondere de-ren möglichen Vorbildcharakter betrifft, so stellte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske auf dem Höhepunkt des Arbeitskampfes fest:
"Nicht nur Presse und Öffentlichkeit, auch die Vorstände und das Management anderer Unternehmen und Gesellschaften schauen mit Argusaugen auf den Ausgang dieser Auseinandersetzung. Sollte sich das Telekom-Management mit seiner ‚Bulldozer-PolitikÂ’ durchsetzen, werden auch sie auf dieses Vorbild für Gewinnmaximierung auf Kosten der Beschäftigten zurückgreifen. Sollte es in einem gewerkschaftlich hoch organisierten Unternehmen gelingen, so etwas durchzusetzen, können wir nach gleichem Muster mit flächendeckenden Angriffen in der deutschen Wirtschaft rechnen." (Bsirske 2007)
Insofern überrascht es nicht, dass das am 20. Juni bekannt gewordene Ergebnis sowohl in der Presse als auch in der gewerkschaftlichen und außergewerkschaftlichen Linken übereinstimmend als Niederlage der Gewerkschaft und der Beschäftigten interpretiert wurde, kommt es doch mit einer Verlängerung der Arbeitszeit der 50.000 ausgegliederten Beschäftigten auf 38 Stunden und der Absenkung der Einkommen um 6,5Prozent den ursprünglich geäußerten Zielen der Telekom anscheinend sehr nah.
Von der Bundespost zur Deutschen Telekom AG
Der Arbeitskampf bei der Telekom markiert das vorläufige Ende der Transformation eines ehemaligen Staatsunternehmens der Grundversorgung zu einer profitorientierten Aktiengesellschaft, wovon die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nicht unberührt bleiben konnten. Den Anfang nahm diese Entwicklung 1985 mit der Berufung der Regierungskommission Fernmeldewesen durch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung. Schon sehr früh stießen die offensichtlich verfolgten Ziele der Aufgliederung der Bundespost mit dem Ziel der Privatisierung auf den Widerstand der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), welche die Forderung nach der Sicherung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten mit dem Ziel der Gewährleistung der Grundversorgung mit Fernmelde- und Post-dienstleistungen im Rahmen einer integrierten und öffentlichen Bürgerpost verband. Doch im Rahmen der Postreform I wurde letztendlich das Poststrukturgesetz verabschiedet, das zum 1. Juli 1989 die Deutsche Bundespost in die drei Unternehmen Postdienst, Postbank und Telekom aufgliederte und deren Gemeinwohlorientierung sowie die Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften und Beschäftigten einschränkte.
Die nach der Aufgliederung angestrebte Privatisierung hatte jedoch die Änderung des Artikels 87 des Grundgesetzes zur Vorraussetzung, in dem der öffentliche Status der Bundespost verankert war. Dies wurde 1993 möglich, nachdem die SPD ihre gemeinsam mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) vertretene - zuvor in mehreren gemeinsamen Papieren bekräftigte - ablehnende Haltung gegenüber einer Privatisierung aufgab und so die Postreform II nicht nur ermöglichte, sondern maßgeblich mitgestaltete. Die daraufhin einsetzenden Bemühungen der DPG, die jedoch nicht auf das Mittel auf eines Streiks zurückgriff, nicht zuletzt aufgrund des Beamtenstatus eines Großteils der Beschäftigten und des damit verbundenen Streikverbots, konnten die Privatisierung nicht verhindern, jedoch die "Besitzstände" der Beschäftigten für lange Zeit absichern (vgl. Garnreiter et al. 2005a).
Zum 1. Januar 1995 trat die Deutsche Telekom in Form einer Aktiengesellschaft als privatrechtliches Unternehmen an, das sich zunächst noch vollständig im Bundesbesitz befand, dessen materielle Privatisierung sich mit dem Verkauf eines Großteils der Anteile in den Jahren 1996, 1999 und 2000 vollzog. Die Unternehmenspolitik der Telekom zeichnete sich durch vier wesentliche Merkmale aus: 1. der andauernde Personalabbau, 2. die permanente organisatorische Umstrukturierung, 3. der strategische Einstieg auf Telekommunikationsmärkten im Ausland sowie 4. die Orientierung an den Anforderungen des Kapitalmarktes (vgl. Garnreiter et al. 2005b).
Der Personalbestand reduzierte sich von etwa 230.000 Vollzeitbeschäftigten unmittelbar vor der Privatisierung bis auf aktuell knapp 170.000 Beschäftigte, ein Ende des Personalabbaus ist nicht in Sicht. Daher war die Sicherung von Beschäftigungsverhältnissen ein stetes Ziel der Gewerkschaft, so dass sie zuletzt 2004 im Rahmen eines Beschäftigungsbündnisses die Reduzierung der Arbeitszeit um vier Stunden auf 34 Wochenstunden vereinbarte.
Inzwischen werden 18 Umstrukturierungen der Telekom gezählt, die sich auf horizontaler wie auch auf vertikaler Ebene vollzogen. Die Unternehmensstrategie wurde mehrfach kurzfristig revidiert, so beispielsweise durch den Rückkauf der zuvor an die Börse gebrachten T-Online. Seit 2005 ist der Konzern dreigliedrig strukturiert: die Privatkundensparte - inklusive Internetdienste - T-Com, die Mobilfunksparte T-Mobile und die Geschäftskundensparte T-Systems. Der rasche Wechsel von Unternehmensstrategie und Unternehmensorganisation führte zu erheblichen Ineffizienzen und Belastungen bei den internen Arbeitsabläufen.
Auch die Expansion der Telekom im Ausland verlief nicht gradlinig, sondern sie war durch mehrere gescheiterte Kooperationen mit größeren ausländischen Telekommunikationskonzernen geprägt. Inzwischen konzentriert sich die Tele-kom auf den Aufkauf von kleineren ausländischen Anbietern im Internet- und Mobilfunkbereich. Hierbei hat insbesondere das Mobilfunkgeschäft in den USA eine große Bedeutung gewonnen, doch trotz wachsender Auslandsumsätze erzielt die Telekom noch immer mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Inlandsgeschäft. Das Auslandsgeschäft der Telekom war lange Zeit defizitär und auch die inzwischen erreichten Gewinne bleiben im Verhältnis zum Umsatz deutlich hinter den im Inland erzielten zurück (vgl. Mayer/Schuhler 2007, S. 3).
Die Telekom-Aktie erreichte kurz nach dem dritten Börsengang im Jahr 2000 ihr spektakuläres Rekordhoch von 103,50 Euro, um mit dem Ende der New-Economy-Hysterie bis 2002 auf den Tiefststand von 8,42 Euro zu fallen. Anschließend pendelte sich der Kurs zwischen 10 und 20 Euro ein. Der Vorstand wandte seitdem große Energie auf, um den Aktienkurs zu erhöhen, was er mit der Gefahr einer feindlichen Übernahme begründete. Diesem Ziel diente sowohl der Rückkauf von Aktien als auch die Ausschüttung einer Rekorddividende von 72 Cent pro Aktie im Jahr 2007, was einer Summe von über drei Milliarden Euro entspricht.
Die Telekom-Aktien befinden sich zu 63,91 Prozent überwiegend im Streubesitz. Seit 2006 verfügt der Finanzinvestor Blackstone, der 4,39 Prozent der Aktien hält, über einen Sitz im Aufsichtsrat. Mit 14,83 Prozent der Anteile im unmittelbaren Bundesbesitz zuzüglich der 16,87 Prozent von der landes- und bundeseigenen KfW-Bankengruppe gehaltenen Aktien befinden sich annähernd ein Drittel der Aktien weiterhin im Besitz der öffentlichen Hand (vgl. ver.di 2007a, S. 2).
Sich zuspitzende betriebliche Konflikte
Angesichts der weiterhin schwachen Entwicklung des Aktienkurses und des anhaltenden Verlusts von KundInnen im Festnetzgeschäft löste René Obermann im November 2006 seinen Vorgänger Kai-Uwe Ricke als Vor-standsvorsitzenden ab. Schnell deutete sich an, dass er den von seinen Vorgängern eingeleiteten "Sanierungskurs" verschärfen würde, der jedoch weniger - wie von der Konzernleitung behauptet - der Anpassung an den Wettbewerbsdruck durch die Konkurrenz im Inlands-Festnetzgeschäft dient, sondern eher die weitere Erhöhung der Profitabilität zur Steigerung der Dividende sowie zur Finanzierung von strategischen Platzierungen auf Aus-landsmärkten zum Ziel hat.
Anfang 2007 gab die Telekom bekannt, dass sie zum 1. Juli die Ausgliederung von 50.000 Beschäftigten aus der T-Com in drei neu gegründete Servicegesellschaften plant - gleichzeitig bot sie ver.di die Verlängerung des Ende 2008 auslaufenden Kündigungsverzichts an. Bereits am 28. Februar fand eine Großdemonstration mit über 10.000 Beschäftigten an der Konzernzentrale in Bonn statt. Für die anstehenden Verhandlungen forderte die Telekom eine "Anpassung der Arbeitsbedingungen in Richtung Marktniveau" (Telekom 2007a). Darunter verstand sie die Verlängerung der Arbeitszeit auf 38 Stunden sowie die Orientierung an den für die T-Punkt-Vertriebsgesellschaften und den Kundenservice der T-Mobile abgeschlossenen Tarifverträgen. Dort hatte sich ver.di im Vorjahr bereits auf deutlich schlechtere Konditionen eingelassen, woraufhin der Ver-handlungsführer der Telekom damals noch versicherte, dass "die darin gefundene Lösung [Â…] keine Präjudiz für laufende und künftige Tarifverhandlungen [darstellt]." (Zit. nach ver.di 2007a, S. 3)
Im Rahmen der Ende März aufgenommenen Verhandlungen stellte die Telekom ver.di Anfang April ihre Vorstellungen vor, die neben der schon bekannten Arbeitszeitverlängerung zahlreiche massive Verschlechterungen beinhalteten: Die erste Anfahrt und die letzte Abfahrt sowie Vorbereitungen im Kundendienst werden nicht mehr als Arbeitszeit gewertet, die Streichung von Erholzeiten, Flexibilisierung der Arbeitszeit, der Samstag wird zum Regelarbeitstag, Fixentgelte unterhalb von 7,50 Euro, Erhöhung der variablen Entgeltanteile, bundesweite Versetzungsmöglichkeiten, Streichung von Funktionszulagen für besonders belastende Tätigkeiten (vgl. ver.di 2007b). Angesichts der laufenden Verhandlungen wurde seitens der Gewerkschaft durch Warnstreiks am 11. und 12. April sowie durch einen medienwirksamen Auftritt auf der Hauptversammlung am 3. Mai die Forderung nach einem Tarifvertrag Auslagerungsschutz bekräftigt. Gegen Ende April bot die Telekom eine Verlängerung des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2011 an und konkretisierte ihre Vorstellungen für die Tarifkonditionen, die von ver.di in der Gesamtheit auf eine Entgeltreduzierung um 44 Prozent geschätzt wurden (vgl. ver.di 2007c; ver.di 2007d). Am 4. Mai erklärte die Tarifkommission die Verhandlungen für gescheitert und rief für den 7. bis zum 9. Mai zur Urabstimmung auf.
Ein für Deutschland ungewöhnlicher Arbeitskampf
Bei der Telekom-Belegschaft war schon lange eine wachsende Unzufriedenheit festzustellen, das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di hatte bereits im März gefragt: "Wenn nicht jetzt streiken, wann dann?" (Netzwerk 2007a) Die angesammelte Frustration über die permanenten Umstrukturierungen, durch die Einsparziele ausgelöste Existenzängste sowie abfällige Bemerkungen des Vorstandes über die Be-schäftigten führten zu einer hohen Streikbereitschaft (vgl. Bürklin 2007, S. 2), die sich in einer massiven Unterstützung des Streiks äußerte: An der Urabstimmung nahmen 93 Prozent der aufgerufenen Beschäftigten Teil, von denen 96,5 Prozent für den Ausstand stimmten. Auch die noch bei der T-Com beschäftigten BeamtInnen, die etwa ein Drittel der Belegschaft stellen, bekundeten zu 96,9 Prozent ihre Unterstützung des Streiks. (Vgl. ver.di 2007e) Am Freitag den 11. Mai begann der Streik mit zuerst 11.000 Beschäftigten, die Intensität der Auseinandersetzung nahm später noch weiter zu.
Der Streikverlauf insgesamt kann aus mehreren Gründen als "Erfolgsbeispiel in Sachen Arbeitskampf" (Strutz 2007, S. 34) eingeschätzt werden: Es wurden nicht nur große Teile der Beschäftigten zur Arbeitsniederlegung mobilisiert, sondern die Streikaktionen waren auch von zahlreichen kreativen Aktionen und einer guten Stimmung der Streikenden geprägt. Zudem gab es ein großes Ausmaß an Solidarität, bezogen sowohl auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen als auch in internationaler Hinsicht: Solidaritätsadressen gingen nicht nur von verschiedenen gewerkschaftlichen und betrieblichen Gremien sowie von Parteien und Verbänden ein, sondern punktuell wurden auch andere soziale Auseinandersetzungen mit dem Telekom-Streik verbunden, so die ebenfalls von ver.di geführte Tarifauseinandersetzung in der Druckindustrie. In Fulda haben die Telekom-Beschäftigten gemeinsam mit Studierenden und SchülerInnen am 30. Mai gegen Bildungs- und Sozialabbau demonstriert. Auch die internationale Solidarität verblieb nicht nur auf der symbolischen Ebene, wie etwa durch die Solidaritätsadresse von Shoji Morishima, dem Vorsitzenden der japanischen Telekommunikationsgewerkschaft NWJ und Präsidenten des weltweiten Dachverbandes UNI Telecom: Der Gewerkschaftsbund der T-Systems Frankreich rief die Beschäftigten für den 28. Mai sogar zu einem Solidaritätsstreik auf. Zudem wiesen alle Meinungsumfragen auf eine große öffentliche Unterstützung des Streiks hin.
Doch der Streik war auch durch interne Differenzen bezogen auf die Streikstrategie und durch teils massive Einschüchterungen und Gegenstrategien seitens der Telekom gekennzeichnet. Während sich ver.di auf die Forderung nach einem Tarifvertrag Ausgliederungsschutz konzentrierte, der die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den neu gegründeten Gesellschaften sichern sollte, forderte das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di deutlich weitergehende Ziele, so eine erneute Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Zu diesem Zweck solle die bislang auf die T-Com begrenzte Auseinandersetzung auf alle Sparten der Telekom ausgedehnt werden, um einen Konzerntarifvertrag durchzusetzen. Zudem forderte das Netzwerk auch die volle Einbeziehung der BeamtInnen in den Arbeitskampf, wozu sich ver.di angesichts des restriktiven Arbeitskampfrechts für BeamtInnen nicht entschied (vgl. Netzwerk 2007b).
Bedingt durch die solidarische Haltung des Großteils der Beschäftigten einschließlich der BeamtInnen belastete deren Status die Auseinandersetzung weit weniger, als es der gezielte Einsatz von LeiharbeiterInnen als Streik-brecherInnen durch die Telekom tat (vgl. Bürklin 2007, S. 3). Zudem versuchte die Telekom - teilweise massiv -, streikende Beschäftigte einzuschüchtern, indem sie sie unter Umgehung der Streikleitung zur Ableistung vermeintlicher Notdienste zu zwingen versuchte, obwohl die bestehende Vereinbarung zur Regelung von Notdiensten ein solches Vorgehen nicht abdeckte (vgl. ver.di 2007a, S. 3). Die Telekom kündigte zudem an, die drei rechtlich selbständigen Servicegesellschaften Technischer Service, Netzproduktion und Kundenservice in jedem Fall zum 1. Juli zu gründen und die betroffenen Beschäftigten per Betriebsübergang nach § 613a BGB in die neuen Firmen zu überführen, um dort die bestehenden - ungünstigen - Tarifverträge von T-Mobile-Kundenservice anzuwenden, die durch eine Verschmelzung mit den neuen Gesellschaften zur Anwendung hätten kommen sollen. Dies hätte für ver.di zumindest organisatorische und arbeitsrechtliche Schwierigkeiten für die Fortsetzung des Streiks in den neuen Gesellschaften verursacht. Ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder konstatiert zu dieser Frage: "Für die Arbeitgeberseite resultiert aus einer solchen Konstellation ein beträchtliches Repertoire an Gestaltungs- und Erpressungsmöglichkeiten, welches die DTAG weidlich ausschöpfte, um die Beschäftigten auch sehr persönlich unter Druck zu setzen." (Schröder 2007, S. 517)
Ein zunehmend die Diskussion bestimmendes Thema war die Rolle des Bundes als Eigner von über 30 Prozent der Anteile. Ver.di sowie die LINKE versuchten, die Bundesregierung auf eine Einflussnahme im Sinne der Beschäf-tigteninteressen zu verpflichten. Allerdings wurde bekannt, dass Thomas Mirow, Staatssekretär im Finanzministerium sowie Ingrid Matthäus-Maier, Vorstandssprecherin der Kreditanstalt für Wideraufbau, beide Mitglied der SPD, in der entscheidenden Aufsichtsratsitzung am 28. Februar die Sparpläne des Vorstandes gegen die BeschäftigtenvertreterInnen mit durchgesetzt hatten. Im Streikverlauf bekundeten zwar einzelne SPD-PolitikerInnen ihre Unterstützung der Streikenden, dies führte aber weder durch ein vertrauliches Gespräch zwischen dem Finanzminister Peer Steinbrück, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, René Obermann und Frank Bsirske zu einem erkennbaren Ergebnis, noch beeinflusste dies die Regierungspolitik: Auf eine entsprechende Anfrage der LINKEN erklärte die Bundesregierung, dass sie "auf die operativen Vorstandsbeschlüsse [Â…] gemäß Aktiengesetz keinen Einfluss nehmen [dürfe]" (Deutscher Bundestag 2007a, S. 2). Offensichtlich wollte sie auch die Sparpläne des Vorstandes nicht in Frage stellen, denn: "Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Telekom AG erhöhen, werden von der Bundesregierung grundsätzlich positiv beurteilt." (Ebd., S. 3) Wenngleich der SPD-Abgeordnete Martin Dörmann in der Aktuellen Stunde des Bundestages am 23. Mai behauptete: "Die SPD ist deshalb übrigens der Ansicht, dass der Bund auf absehbare Zeit weiterhin mehr als 25Prozent der Anteile halten sollte, um für stabile Rahmenbedingungen zu sorgen und um die Gefahr von Übernahmen durch Finanzinvestoren [Â…] zu verringern" (Deutscher Bundestag 2007b, S. 10108), so hatte die Bundesregierung bereits festgestellt, dass es "grundsätzliches Ziel der Privatisierungspolitik der Bundesregierung [Â…] der Rückzug des Staates aus unternehmerischen Beteiligungen [ist], auch aus der noch verbliebenen Beteiligung an der Telekom" (Deutscher Bundestag 2007a, S. 3).
Das Ergebnis: Arbeitszeitverlängerung und
Entgeltreduzierung gegen Beschäftigungssicherung
In der zweiten Juniwoche empfahl die Tarifkommission die Wiederaufnahme der Verhandlungen, da sich eine Annäherung der Telekom an die Gewerkschaftsposition andeute. In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni erzielten die Konfliktparteien eine Einigung. Ein wesentlicher Punkt, den auch ver.di als einen der "bitteren Teile des Verhandlungsergebnisses" (ver.di 2007f, S. 2) einstuft, ist die Verlängerung der Arbeitszeit auf 38 Stunden, wovon allerdings eine halbe Stunde zur Qualifizierung aufzuwenden ist. Das Entgeltniveau soll um 6,5 Prozent abgesenkt werden, jedoch in drei Schritten jeweils zum Jahresbeginn von 2009 bis 2011. Da zu diesen Zeitpunkten bereits Tarifverhandlungen vereinbart sind, kann durch ausreichende Tariferhöhungen das Nominaleinkommen abgesichert oder geringfügig erhöht werden. Für den Fall, dass die Tarifabschlüsse niedriger ausfallen, steht ein Ausgleichfond von 18 Millionen Euro zur Verfügung (vgl. ver.di 2007g).
Positiv weist ver.di darauf hin, dass die Telekom zahlreiche Forderungen nicht durchsetzen konnte. So gilt für BeamtInnen ebenfalls die 38-Stundenwoche - hier hatte die Telekom 41 Stunden gefordert. Zweitens wurde ein ungewöhnlich langer Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen vereinbart, der sich in den Servicegesellschaften bis Ende 2012 erstreckt, für die Rest-Telekom wurde er um ein Jahr bis Ende 2009 verlängert. Der Verkauf der neuen Servicegesellschaften ist bis Ende 2010 ausgeschlossen. Zudem wurden die variablen Entgeltanteile von 20 Prozent auf 15 Prozent reduziert und durch kollektivvertragliche Sicherungselemente reguliert, die beiden unteren Entgeltgruppen wurden aus den Tarifverträgen gestrichen. Des Weiteren haben ver.di und Telekom die Festeinstellung von 4.000 Auszubildenden vereinbart. Die zahlreichen weiteren Tarifregelungen der Telekom, etwa zum Gesundheitsschutz, wurden in die neuen Gesellschaften überführt (vgl. ver.di 2007f). Für Lothar Schröder ist das Ergebnis "weder Triumph noch Debakel" (Schröder 2007, S. 516).
Die Telekom wertete das Ergebnis ebenfalls als Erfolg: "Mit dem Ergebnis der Tarifverhandlungen liegt die Deutsche Telekom gut im Zielkorridor der geplanten Einsparungen von 0,5 bis 0,9 Mrd. Euro im Jahr 2010 und kann rund 50.000 Arbeitsplätze im Konzern sichern." (Telekom 2007c) Auch die Einbeziehung des Samstags in die Regelarbeitszeit begrüßt sie. Harsche Kritik an dem Ergebnis äußerte hingegen das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di: "Wenn ver.di es zulässt, dass einer der bestorganisierten und kampfstärksten Bereiche auf die Schlachtbank geführt wird, untergräbt sich die Gewerkschaft selbst" (Netzwerk 2007c, S. 2) Letztendlich fand das Ergebnis jedoch eine Zustimmung von 72,6 Prozent, an der Urabstimmung teilgenommen hatten 87,5 Prozent der aufgerufenen Mitglieder.
Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Telekom-Streik in seiner Dynamik positiv zu beurteilen ist. Damit kontrastiert jedoch, dass der Abschluss letztendlich empfindliche Einschnitte in die Arbeitsbedingungen vorsieht, wenngleich aus Beschäftigtenperspektive günstige Aspekte in vielen Kommentaren unberücksichtigt blieben. Neben den materiellen Ergebnissen ist zweifelsohne von großer Bedeutung, welche Politisierungseffekte sich seitens der Streikenden vollzogen haben. Hier bleibt abzuwarten, ob Gerd Bürklin recht behält, wenn er behauptet: "Wir fühlen uns gestärkt und selbstbewusst! Wir haben gesehen, dass wir gemeinsam etwas bewegen können und wünschen uns von der Gewerkschaftsspitze: Härter werden!" (Bürklin 2007, S. 3) Zudem ist zu konstatieren, dass die Auseinandersetzung im Wesentlichen lediglich auf der Ebene eines tariflichen Konflikts geführt wurde, so dass der Zusammenhang zu den durch Privatisierungs- und Regulierungspolitik definierten Rahmenbe-dingungen eher selten hergestellt wurde (vgl. Strutz 2007, S. 36). Während ver.di ihre Forderungen primär mit dem betriebswirtschaftlichen Argument abstützte, die Telekom müsse auf einen Qualitätswettbewerb setzen, der nur mit motivierten Mitarbeitern möglich sei, so wurde zumindest teilweise auch die Rolle des Bundes nicht nur als Anteilseigner, sondern auch als Gesetzgeber thematisiert. In diesem Sinn forderte Dierk Hirschel, Chefökonom des DGB:
"Der Bund trägt als Großaktionär eine wichtige unternehmenspolitische Verantwortung. Er muss jetzt der reinen Aktionärspflege beim rosa Riesen in den Arm fallen und eine Wachstums- und Innovationsstrategie fordern. Wenn sich die öffentliche Hand als strategischer Investor verhält, dann fällt die Drohkulisse einer feindlichen Übernahme in sich zusammen. Darüber hinaus würden weniger ordnungspolitischer Dogmatismus in der Regulierungspolitik und ein branchenspezifischer Mindestlohn dem ruinösen Preiskampf im Telekommunikationssektor beenden." (Hirschel 2007)
Die aus dem Konflikt ebenfalls ableitbare Konsequenz, die gesamte Privatisierung des Telekommunikationssektors in Frage zu stellen, zogen allerdings nur wenige (so Strutz 2007, S. 36; Netzwerk 2007b, S. 2).
Literatur
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