Die üblichen Verdächtigen

Einwanderung, Kriminalität und Strafrecht

In Zeiten, in denen die "Überflüssigen" immer häufiger zurückgelassen und die Abweichenden vermehrt aussortiert werden, geraten auch die "Fremden" in großer Regelmäßigkeit in den Blick.

Zuvor nur von der äußersten Rechten offen ausgesprochene Positionen sind dabei heute politischer Mainstream: Es gibt zu viele MigrantInnen; jedenfalls aber sind es die falschen, nämlich schlecht ausgebildete, arme und in einer unterentwickelten Kultur verhaftete Einwanderinnen und Einwanderer, die sich partout nicht integrieren wollen, die (so etwa die "Zeit") "den Sozialstaat hemmungslos ausbeuten"1 und, so möchte man hinzufügen, noch dazu in internationalen Schulvergleichen dem Ansehen der "Bildungsnation" schaden. All dies äußert sich dann in einer weitgehenden Einschränkung des Asylrechts, in "Zuwanderungsbegrenzungsgesetzen" sowie in einer rigorosen Ausweisungs- und Abschiebepraxis und gipfelt in der Bemerkung eines Ex-Kanzlers, nach dessen Ansicht die Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen "aus fremden Kulturen" besser unterblieben wäre.2 Bei den öffentlich problematisierten "Integrationsdefiziten" kommt auch das Strafrecht ins Spiel. Die Beziehung zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen zeichnet sich regelmäßig dadurch aus, dass die einflussreichere Gruppe der "Etablierten" zum Erhalt ihrer Vorrangstellung den "Außenseitern" negative Eigenschaften zuschreibt und sie damit als minderwertig stigmatisiert.3 Und kaum etwas ist geeigneter zur moralischen Abwertung und Legitimierung von Machtunterschieden als die Kategorie des Kriminellen, des Verbrechers, des "schuldigen" Straftäters.4 In Deutschland wird diese schon seit längerem in erster Linie "den AusländerInnen" zugewiesen. In den letzten Jahren sind vor allem auch "Jugendliche mit Migrationshintergrund" in den Mittelpunkt gerückt, die in vielen Großstädten 40 % und mehr der altersgleichen Bevölkerung stellen. Fälle wie die des türkischstämmigen "Mehmet" in München, der bereits im Kindes- und frühen Jugendalter durch die Begehung zahlreicher Straftaten aufgefallen ist, oder einer Berliner Hauptschule, die zu einem Sammelbecken für Kinder aus Flüchtlings- und Zuwandererfamilien in zum Teil prekärsten Lebensumständen geworden ist, passen in dieses Bild und liefern über Wochen Stoff für skandalisierende Diskurse über MigrantInnen in Deutschland. Auch die Politik stürzt sich begierig auf derartige Vorfälle, kann sie daran doch ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, die dann je nach Standpunkt oder Kalkül auch auf Repression pur ("Schnupperknast" für die Jugendlichen und Bußgelder für die Eltern) und mehr oder weniger totalen Ausschluss (Einrichtung von gesonderten Schulen, Ausweisung "krimineller Ausländer") hinauslaufen kann.

Die registrierte Kriminalität von AusländerInnen

Bestätigen sich hier nun die Szenarien einer tickenden "sozialen Zeitbombe", wie sie auch in der kriminologischen Literatur zum Teil schon seit längerem beschworen werden? Ausgangspunkt vieler Betrachtungen und insbesondere des öffentlichen Diskurses über Kriminalität ist die jährlich vom Bundeskriminalamt veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)5, die Auskunft erteilt über die von der Polizei registrierten Straftaten und Tatverdächtigen. Hieraus ergibt sich bereits eine wichtige, generelle Einschränkung bei der Interpretation dieser Zahlen: Es handelt sich um Angaben zu den einer Tat "Verdächtigen". Ob dieser Verdacht hinreichend war, um Anklage zu erheben oder zu einer Verurteilung zu gelangen, ist damit also nicht gesagt. In der PKS wird nach Geschlecht, Alter sowie nach der Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen differenziert; die geringe Beachtung der erhöhten Opferrisiken6 vieler MigrantInnen spiegelt sich im Übrigen darin, dass der Abschnitt über die registrierten Opfer von Straftaten nur nach Geschlecht und Alter unterscheidet. Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen der PKS das Bild des "kriminellen Ausländers" zu bestätigen: Zwar ist in den letzten elf Jahren der AusländerInnenanteil an allen Tatverdächtigen von 33,6 % im Jahr 1994 auf 22,5 % im Jahr 2005 zurückgegangen,7 die Rate lag aber immer noch deutlich über dem Anteil der Nichtdeutschen an der Wohnbevölkerung (Ende 2004: 8,8 %). Wie so oft ist die Situation jedoch komplizierter. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die in der PKS, aber auch in Verurteilten- und Gefangenenstatistiken aufgeführte Zahl an Straftaten und -täterInnen das Ergebnis von sozialen Definitionsprozessen ist. Aus einer grundsätzlich unbegrenzten Anzahl an (von mal mehr und mal weniger Menschen als unerwünscht angesehenen) Handlungen, die eine Gesellschaft als Verbrechen betrachten kann, wird erst durch die Arbeit des Gesetzgebers, die Anzeigeerstattung durch die Bevölkerung und die Entscheidungen von Strafverfolgungsbehörden und Justiz eine Straftat.8 Etwa 90 % der in der PKS erfassten Straftaten werden der Polizei durch Anzeige bekannt. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass ein(e) TäterIn dann eher angezeigt wird, wenn er/sie nicht zur wie auch immer definierten Eigengruppe des Opfers gehört, dass AusländerInnen bzw. MigrantInnen in "interethnischen Konfliktsituationen" also ein höheres Anzeigerisiko aufweisen und Konflikte dann seltener ohne Einschaltung der Polizei geregelt werden.