Berlusconis letztes Gefecht

Kurz vor den italienischen Parlamentswahlen ist alles wieder offen

Anfang des Jahres schien die am 9. April anstehende italienische Parlamentswahl so gut wie gelaufen. Bei Umfragen lag der regierende Rechtsblock mit knapp 48% deutlich hinter dem ...

... Mitte-Links-Bündnis Ulivo, für das 51% der Stimmen prognostiziert wurden. Dass inzwischen alles wieder offen erscheint, liegt zum einen am aggressiven Wahlkampf des amtierenden Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi - aber auch daran, dass das politische Alternativangebot des Ulivo nicht gerade überzeugend wirkt. Ein kreativer Umgang mit den Fakten ist für die Regierenden offensichtlich Voraussetzung dafür, sich längere Zeit an der Macht zu halten. Keiner hat das besser verstanden als der italienische Ministerpräsident, Medienunternehmer und Rechtspopulist Silvio Berlusconi. Allen wissenschaftlichen Erhebungen zum Trotz präsentiert er sich als Wohltäter Italiens. Seine Regierung habe "sämtliche Versprechen erfüllt", behauptet er allen Ernstes. Vor fünf Jahren hatte er in einem "Vertrag mit den Italienern" ein besseres Leben für alle zugesichert: durch Steuersenkungen, garantierte Mindestlöhne, eineinhalb Millionen neue Arbeitsplätze und ein umfangreiches staatliches Investitionsprogramm. Nichts davon wurde verwirklicht. Gleichwohl konnten seine eigenen Bündnispartner Berlusconi nur mühsam davon abhalten, die Lachnummer mit dem "Vertrag" im laufenden Wahlkampf zu wiederholen. Dass die Menschen die "Erfolge" seiner Regierung nicht zu schätzen wüssten, liege an den von "Kommunisten" dominierten Medien - das sagt ausgerechnet der Herr über drei landesweite private Fernsehkanäle, der als Regierungschef darüber hinaus beim Staatsfernsehen RAI seine Leute in Stellung gebracht hat. Und der sich wie kein anderer durch tägliche Präsenz auf den Bildschirmen unbezahlte Wahlwerbung erschlichen hat. Bis zur Parlamentsauflösung am 11. Februar gab es Berlusconi auf allen Kanälen: in Talkshows und Sportsendungen, ja sogar in den Verkehrsnachrichten. Bei Meinungsumfragen konnte er damit aufholen. Dabei besteht Berlusconis One-Man-Show aus einer Kette von Peinlichkeiten. So vergleicht er sich mal mit Napoleon, dann mit Churchill, schließlich gar mit Jesus. Dafür gab es eine Rüge der katholischen Kirche, die einen anderen Wahlkampf-Gag dagegen mit Wohlwollen sah: Berlusconis Versprechen, bis zum Wahltag auf Sex zu verzichten - ein gar nicht dezenter Hinweis des fast 70-jährigen auf seine Vitalität. Er sei "auf allen Gebieten" genauso in Form wie mit 30, hatte er anderen Orts verkündet. Ob dem Potenzprotz geglaubt wird oder nicht - seine Kapriolen machen Schlagzeilen und beherrschen das Alltagsgespräch, auch bei seinen Gegnern.

Berlusconis Reden: ein Fall von "infantiler Regression"

Mittlerweile wird dieser Berlusconi auch seinen KlassengenossInnen erkennbar peinlich - vor allem aber zu teuer. Über Italiens Verlust an Wettbewerbsfähigkeit lamentiert der Präsident des Unternehmerverbandes Confindustria, Luca Cordero di Montezemolo. Und der schwerreiche Schuh-Fabrikant Diego Della Valle fuhr Berlusconi gar vor laufenden Fernsehkameras in die Parade, als dieser die auf mitgebrachten Kärtchen notierten gefälschten Erfolgszahlen seiner Regierung verlesen wollte: "Wir brauchen keinen, der mit Kärtchen fuchtelt und alle Italiener für Analphabeten hält." Denn die wirklichen Zahlen sind nachlesbar und belegen den wirtschaftlichen Niedergang: Das Wirtschaftswachstum stagniert; Produktivität, Industrieproduktion und Export sind rückläufig. Gleichzeitig haben sich die sozialen Gegensätze massiv verschärft: Im Süden gelten 25% der Familien offiziell als arm; mehr als die Hälfte aller Haushalte konnte 2005 kein Geld zurücklegen, dafür stieg die Summe der privaten Kredite innerhalb der letzten vier Jahre um mehr als die Hälfte. Von Steuersenkungen profitierten vor allem Großunternehmen; der Anteil der einkommensunabhängigen Verbrauchssteuern am gesamten Steueraufkommen stieg auf 51%. Dennoch ist nicht nur der private, sondern auch der unternehmerische "Vertrauensindex" deutlich rückläufig. Selbst die Zahl der italienischen Dollarmilliardäre ging laut dem Manager-Magazin Forbes von 17 auf zehn zurück; einer verbesserte sich in der Weltrangliste von Platz 29 auf Platz 25: Silvio Berlusconi mit einem Privatvermögen von 12 Milliarden Dollar. (Zahlen nach L'Espresso, 2.3.06)

Rechte Ultras sammeln sich im "Haus der Freiheiten"

Allem Anschein nach erweckt sein märchenhafter Reichtum weniger Abscheu als Bewunderung: Berlusconi fasziniert als stets gut gelaunter und volksnaher König, der mit Vorliebe von seiner Familie und der eigenen Jugend plaudert, ausländische Staatsmänner tätschelt, sich ihrer Freundschaft rühmt und Frauen schmierige Komplimente macht. In einer jüngst publizierten Untersuchung seiner Rhetorik wird die häufige Verwendung emotionsbeladener Vokabeln belegt: Liebe, Herz, Freundschaft, Küsse, bewegend, liebevoll, herzlich - das sind die mit Bedacht ausgewählten, ständig sich wiederholenden Schlüsselwörter seiner Reden. Die darin sich ausdrückende "infantile Regression", schreiben die ForscherInnen, lasse das traditionell als kalt und unnahbar angesehene Machtzentrum, den "Palazzo", als Ort der Wärme und Menschlichkeit erscheinen. (Sergio Bolasco, Nora Galli de' Pratesi, Luca Giuliano: "Parole in libertà". Manifestolibri, Rom 2006) Das Menschelnde ist aber nur ein Teil der Botschaft. Die Kehrseite besteht in der Einteilung der Welt in Wir und Die, Gut und Böse, Neu und Alt. Zur Vorbereitung des Wahlkampfs hat Berlusconi bei den gewieftesten Experten für politische Kommunikation Rat gesucht hat - vor allem bei Karl Rove, der als Architekt von George W. Bushs zweitem Wahlsieg gilt. Rove und seine Spin Doctors haben Berlusconi geraten, das zu tun, was er am besten kann: den politischen Gegner dämonisieren und das auf einen etwaigen Sieg der Opposition folgende Jammertal in den schlimmsten Farben ausmalen. Schon auf seiner Pressekonferenz zum Jahresende setzte Berlusconi diesen Rat mit sichtlichem Vergnügen um - als er die Titelseite des ehemaligen kommunistischen Zentralorgans L'Unità vom Tag nach Stalins Tod in die Kameras hielt. Stalin starb bekanntlich am 5. März 1953; 53 Jahre später, so will Berlusconi dem Wahlvolk weismachen, stehe in Italien nun die Machtergreifung der Stalinisten kurz bevor! Antikommunismus funktioniert in Italien immer - und um so besser, wenn man zusätzlich die breitestmögliche Front gegen die rote Gefahr aufbaut, damit keine rechte Stimme verloren geht. So wurden diesmal auch mehrere extrem rechte Splittergruppen ins "Haus der Freiheiten" gerufen: Alternativa Sociale, die Partei der Duce-Enkelin Alessandra Mussolini; Movimento Sociale Fiamma Tricolore mit ihrem Sekretär Luca Romagnoli und Movimento Idea Sociale, die von der Fiamma abgespaltene Partei des faschistischen Veteranen Pino Rauti. Nach hausinternem Gerangel wurden einige besonders belastete Faschisten von den Kandidatenlisten fern gehalten, darunter Roberto Fiore und Adriano Tilgher, die beiden am schwarzen Terror beteiligten Anführer von Forza Nuova bzw. Fronte Sociale Nazionale. Gleichwohl wollen sie der Wahlkampagne die "größtmögliche Unterstützung" zukommen lassen, um "die Achse der Politik nach rechts zu verschieben", wie Fiore offen erklärte. Auch Romagnoli brachte sich um einen Listenplatz - er hatte die Existenz der Gaskammern angezweifelt. Dafür kandidieren nun weniger exponierte Figuren. Wie viele davon tatsächlich Aussicht auf ein Parlamentsmandat haben und ob einige auch auf den offiziellen Listen von Forza Italia Unterschlupf finden, ist noch unklar. Gianfranco Fini, Sekretär und Spitzenkandidat der neofaschistischen Alleanza Nazionale, sieht den Zustrom der rechten Ultras mit gemischten Gefühlen. Vor elf Jahren war er sie nach der "Wende von Fiuggi" losgeworden. Nun, da die alten Kameraden wieder da sind, könnte sein mühsam aufgebautes Image als konservativ-demokratischer Saubermann Schaden nehmen.

Mit Prodi für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich - das scheint überhaupt das Motto des Rechtsblock zu sein. Alle gemeinsam wollen die Wahl gewinnen, andererseits aber auch für den eigenen Laden das Optimale herausholen - und für sich persönlich. Das gilt insbesondere für Gianfranco Fini und Pierferdinando Casini von der christdemokratischen UDC. Beide wollen sich selbst als Nachfolger im Amt des Regierungschefs in Stellung bringen. Berlusconi hat zwar für den Fall eines erneuten Sieges angekündigt, bei der ebenfalls noch in diesem Jahr anstehenden Wahl des Staatspräsidenten zu kandidieren. Sollte er im April das von vielen erwartete Wunder vollbringen und zugleich seine Partner distanzieren, könnte er es sich allerdings noch einmal anders überlegen und im Amt bleiben. So versuchen denn Fini wie Casini, den Abstand zwischen ihren Parteien und Berlusconis Forza Italia möglichst zu verringern. Nach Lage der Dinge würde bei einem rechten Wahlsieg Fini noch in diesem Jahr italienischer Regierungschef - der oberste Repräsentant einer modernisierten Rechtspartei mit lebendigen faschistischen Traditionen, einer jahrzehntelang als nicht regierungsfähig geltenden Gruppierung außerhalb des "Verfassungsbogens", die erst 1994 durch Berlusconi von diesem Makel befreit wurde. Beide Szenarien - fünf weitere Jahre Berlusconi oder Übernahme durch Fini - sind die stärksten Argumente des Mitte-Links-Bündnisses. Dessen 279 Seiten starkes Programm enthält nur in Teilen einen Bruch mit der Regierungspolitik der vergangenen Jahre. In der Arbeitsmarkt-, Steuer- und Sozialpolitik soll es etwas weniger brutal zugehen, und die italienischen Truppen im Irak sollen nach Hause zurückkehren - aber im Konsens mit den irakischen Behörden und erst, wenn nicht näher definierte "Sicherheitsbedingungen" garantiert sind. Nicht nur darüber gibt es innerhalb des heterogenen Bündnisses bereits Streit, der im Falle eines Wahlsieges wohl nur vorübergehend verstummen dürfte. Einstweilen ist es der Spitzenkandidat und ehemalige Christdemokrat Romano Prodi, der den Laden zusammenhält. Mitunter tut er das mit ziemlich autoritären Methoden - Meinungsverschiedenheiten über den Bau einer Autobahn etwa "klärte" er mit einem Machtwort à la Schröder: "Die Autobahn wird gebaut - basta!" Vor dem Kongress des linken Gewerkschaftsbundes CGIL dagegen verkündete er Freundlichkeiten über soziale Rechte und die Notwendigkeit "starker und einiger" Gewerkschaften. Gleichzeitig stellte er aber ein Programm vor, das bestenfalls sozialdemokratisch ist: Wirtschaftswachstum ist das Allheilmittel; "Flexibilität" in der Arbeitswelt ist gut - vorausgesetzt, sie sichert die "Wettbewerbsfähigkeit" der Unternehmen; kleinere Firmen müssten zu größeren fusionieren; hierzu sowie für Forschung und Innovation werde seine Regierung Mittel bereit stellen und eine aktive "Industriepolitik" betreiben, um die Stagnation der Ära Berlusconi mit ihrem "Nullwachstum" zu überwinden - kein Wunder, dass mancher Unternehmer einem Regierungswechsel mit einigen Erwartungen entgegensieht. Da stören auch die KommunistInnen im Bündnis nicht weiter, die nach Umfragen mit 9% der Stimmen rechnen können: 7% für Fausto Bertinottis Rifondazione Comunista (RC), 2% für die abgespaltenen Comunisti Italiani (PdCI). Dass beide Parteien Prodi unterstützen, ist im Sinne des (deutlich) kleineren Übels unumgänglich. "Berlusconi zu schlagen ist notwendig!" heißt es in einem RC-Faltblatt, "aber wir müssen den Berlusconismus schlagen, um die Verhältnisse des Landes zu ändern." Dazu gehöre nicht nur eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern auch eine neue Rolle Italiens als Kraft für den Frieden und den "Dialog der Kulturen." Dass das mit dieser Mitte-Links-Koalition schwerlich umsetzbar sein dürfte, weiß man im Hause Bertinotti natürlich. So steht denn in derselben Schrift auch ein Bekenntnis zu den Bewegungen: Beim Mitregieren in Kommunen und Regionen habe die Partei gelernt, "dass nur mit der Bewegung, der realen Beteiligung der Menschen, der Gewerkschaften und sozialen Kräfte, sich wirklich etwas ändern lässt". Das sind schöne Worte. Mal wieder geht es um den Versuch, zugleich "Partei der Regierung und des Kampfes" zu sein. So stehen dem regierenden Mitte-Links-Bündnis einige Zerreißproben bevor. Aber zunächst müssen die Rechten geschlagen werden. Js. aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 504/17.3.2006