Krise der Gesellschaft, der Zivilisation und der sozialen Transformation in Frankreich

Als eines der Hauptzentren des Weltkapitalismus hatte Frankreich in der Vergangenheit aufgrund seiner Kontakte zum Mittelmeerraum, seiner kolonialen und neokolonialen Beziehungen zu Ländern ...

... am Rande des Kapitalismus häufig auch eine Schlüsselstellung im Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Peripherie und Zentrum inne. Das erklärt zweifellos, weshalb diese Gesellschaft immer besonders tief von der Kluft zwischen Links und Rechts gekennzeichnet war, die für die Moderne so prägend ist.

Heute, da der globalisierte Kapitalismus riesige Volksmassen in Elend und Verzweiflung stürzt, da die Anhaltspunkte verschwinden, an denen sich die Linke im ganzen 20. Jahrhundert orientiert hat, richten sich viele Blicke spontan auf Paris, wo Ereignisse wie die großen Massendemonstrationen von 1995 die Hoffnung genährt haben, der Kapitalismus sei doch nicht das Ende der Geschichte. Diese Entwicklung hat den Machtantritt der pluralen Linken im Jahre 1997 ermöglicht, der zeigt, dass noch nicht alle Würfel gefallen sind. Frankreich ist damit allerdings nicht zu dem Pol geworden, der die vorherrschende Ordnung in der Welt in Frage stellt, wie es sich viele Menschen in der Dritten Welt, in Osteuropa oder in der Europäischen Union (EU) erhoffen.

Hat sich das schöpferische Potential der französischen Linken erschöpft? Ist die französische Gesellschaft nicht in massiver Weise verbürgerlicht? Muss man nicht zu dem Schluss kommen, dass es angesichts der Zivilisationskrise, angesichts der Schwächung der seit über zwei Jahrhunderten verbreiteten linken Ideen illusorisch wäre zu erwarten, dass uns bald wieder eine politische Alternative zur Verfügung steht, die sich in Wirklichkeit doch nur sehr langfristig entwickeln kann? Ist es überhaupt denkbar, dass ein Land oder eine Gesellschaft im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus noch eine eigenständige Rolle spielen kann? Muss man sich nicht vielmehr damit abfinden, dass es mit den Zentren ein für allemal vorbei ist? Müssen sich zu einer Zeit, da sich alles transformiert, nicht auch die französischen Linken mit ihrem Erbe transformieren oder verschwinden, wenn sie einerseits ihren Grundsätzen treu bleiben, sich aber zugleich den Herausforderungen der Gegenwart stellen wollen?

Revolution und Tradition

Frankreich ist ein altes Land mit zahlreichen Traditionen, die es in seiner Entwicklung häufig behinderten. Frankreich hat es jedoch verstanden, diese Fesseln immer wieder in revolutionären Krisen zu sprengen, deren Höhepunkte jene am Ende des 18. und des 19. Jahrhunderts waren. Aber beide Vorgänge - Tradition und Revolution - haben in unsere Geschichte Eingang gefunden. Dabei ist aus der Revolution geradezu eine französische Tradition geworden, was eigentlich einen Widerspruch in sich darstellt. Heute muss sich die französische Gesellschaft entscheiden, ob sie den revolutionären Bestandteil ihrer Vergangenheit integrieren will, um sich den vorherrschenden Normen klug anzupassen, oder ob sie, im Gegenteil, in neuartiger Weise auf die Herausforderungen des globalen Kapitalismus reagieren will. Wir leben in einer Übergangszeit, in der es illusorisch wäre zu erwarten, dass die Dinge sich sofort drastisch ändern.

Die französische Linke hat gar keine andere Wahl, als sich selbst zu erneuern. Die Warnung, dass die rechtsextreme Nationale Front, die von der Verelendung bestimmter Teile des Mittelstandes und des Kleinbürgertums profitiert, auf dem Vormarsch ist, muss ernst genommen werden, wenn auch die extreme Rechte aktuell in einer Krise steckt. Alle politischen Kräfte sortieren sich neu, und dieser Vorgang hat gerade erst begonnen. Aber die Volksbewegung von 1995, die Wahl einer Regierung der pluralen Linken, das sich bildende Wählerpotential der extremen Linken, der Zerfall der extremen Rechten und das Aufkommen neuer sozialer Bewegungen - all das zeigt, dass die Basis der französischen Gesellschaft einen Gärungsprozess durchläuft, dass sie sich neu zu formieren sucht - ungeachtet der aus der vorherigen Etappe überkommenen Strukturen, wenn auch nicht unbedingt gegen sie.

Die Linke in Frankreich war immer plural, wenn auch zuweilen eine einzelne Partei dominierte. Im Vergleich zu früher ist heute eine große Toleranz zwischen den verschiedenen "Familien" der Linken festzustellen. So paradox das klingt, dies verschärft jedoch die Spannungen innerhalb der einzelnen Formationen, in denen sich sehr unterschiedliche Strömungen, darunter auch zentrifugale Kräfte, zeigen. Kompakte politische Blöcke gehören der Vergangenheit an. Manche sehen darin ein grundsätzliches Phänomen, andere betrachten es eher als Übergangserscheinung, bis sich nach den Enttäuschungen der letzten Jahrzehnte neue Strukturen mit einem neuen Zusammenhalt herausbilden. Die Entpolitisierung macht auch um Frankreich keinen Bogen, ist aber gegenwärtig eher als oberflächlich anzusehen. Dies zeigt sich darin, dass punktuell immer wieder neue Bewegungen entstehen, die die Bürger zu mobilisieren vermögen. Organisationen, die zunächst gegenüber der Politik eher misstrauisch waren, lehnen den Kontakt zu Parteien nicht mehr grundsätzlich ab, was auf ein neues politisches Bewusstsein hindeutet.

Erwirb es, um es zu besitzen

Bis zum Ersten Weltkrieg bildete die Französische Revolution mit ihren Folgeerscheinungen, deren Höhepunkt die Pariser Kommune war, das Fundament, aus dem die französischen Linken ihre Orientierung bezogen. Der Erste Weltkrieg und die russische Revolution, die danach ausbrach, wurden für die französische Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts bestimmend. Die französische Sektion der Arbeiter-Internationale (SFIO), die sich im imperialistischen Krieg selbst bloßgestellt hatte, verkündete weiterhin ihr Programm schrittweiser Veränderungen, das eine zeitlang noch als revolutionär galt. In den hohen Zeiten gesellschaftlicher Mobilisierung, während der Volksfront, konnten die französischen Sozialisten beträchtliche Verbesserungen für die unteren Volksschichten erreichen. Aber sie blieben geprägt von ihren Kompromissen im "Großen Krieg" und ihrer Orientierung auf Veränderungen in der Stille. Ihr Zurückweichen vor dem Krieg trieb sie häufig in einen überzogenen Pazifismus, dessen dramatische Folgen sich später im Spanischen Bürgerkrieg und beim Münchener Abkommen zeigten. Auch im zweiten Weltkrieg ließen sich viele Sozialisten und Pazifisten darauf ein, zeitweilig mit den Naziokkupanten zu kollaborieren, um den Frieden zu erhalten und die Chancen für eine Wiederannäherung der europäischen Völker zu bewahren. Im Unterschied zu Kommunisten und Gaullisten haben die Sozialisten in der Résistance nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Ihr "europäischer Pazifismus" trieb sie dazu, sich auch mit den Grausamkeiten abzufinden, deren sich Frankreich in seinen Kolonien schuldig machte, eine Haltung, an der die französischen Sozialisten bis zum Ende der IV. Republik im Jahre 1958 festhielten.

Vor diesem Hintergrund entstand und entwickelte sich die Französische Kommunistische Partei (FKP). Wegen ihrer Ablehnung des imperialistischen Krieges, nicht wegen ihres Zieles, die Sowjetmacht zu errichten, wurde der Kommunistischen Internationale in der französischen Arbeiterbewegung mehrheitlich Sympathie entgegengebracht. Angesichts der Logik des Krieges blieb es nicht aus, dass die FKP zu der Meinung kam, sie sei der Vorposten, der das Proletariat und "das Vaterland der Arbeiterklasse" bis zum letzten Atemzug verteidigen müsse. Sie übernahm einen ganzen Komplex von Grundsätzen und Strukturen, die die internationale kommunistische Bewegung entwickelte. Dort spielte die FKP wegen ihrer revolutionären Legitimation und wegen ihrer Verwurzelung im französischen Volk eine herausragende Rolle.

Heute, da die UdSSR verschwunden ist, da die Kluft zwischen der "sozialen Linken" und der "moralischen Linken" abgeschwächt erscheint, haben viele Kommunisten Schwierigkeiten, im Namen einer Klassensolidarität, die ethische Fragen ausklammert, bei einem Verhalten zu bleiben, dass es ihnen zu anderen Zeiten ermöglichte, ihre Seite der Barrikade klar zu bestimmen. Das geschah mit allen entsprechenden Folgen nach der Logik des Kalten Krieges, die man ihnen aufgezwungen hatte. Vielen Kommunisten schien es schier unmöglich, einen dritten Weg zwischen realem Sozialismus und Imperialismus ins Auge zu fassen. Im übrigen hat die Geschichte gezeigt, dass jeder Versuch, einen solchen dritten Weg zu gehen, solange der Imperialismus existiert (zum Beispiel der Trotzkismus, der Titoismus oder die Bewegung der Blockfreien) eine Illusion ist. Diese Polarisierung hat es in Frankreich der FKP ermöglicht, einen beträchtlichen Raum in der Gesellschaft zu besetzen. Mit der quasi automatischen Verbindung zur Mehrheit der Gewerkschaftsbewegung, mit ihren Kommunalpolitikern, mit dem landesweiten Netz ihrer Basisorganisationen, mit den Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern, die sich ihr verbunden fühlen, hat die FKP innerhalb der pluralen französischen Gesellschaft einen alternativen Pol geschaffen, den manche als "Gegen-Gesellschaft" betrachten. Politologen haben über die FKP als Volkstribun theoretisiert, die es nach dem Vorbild des alten Rom auf sich genommen hat, den Mächtigen die potentielle Kraft des Plebs vor Augen zu führen und sie daran zu erinnern, dass sie ihm eine Verbesserung seiner Lage schulden. Die Stärke der FKP beruhte auf der Dialektik zwischen ihrer nationalen Verankerung und dem internationalen Kräfteverhältnis.

Wenn die Kluft zwischen Reformern und Revolutionären zuweilen auch etwas überzeichnet wurde, ist sie jedoch über Jahrzehnte für die französische Linke derart prägend gewesen, dass die FKP Mühe hatte, sich auf jene Veränderungen in der Tiefe der französischen Gesellschaft einzustellen, die in den Maitagen des Jahres 1968 sichtbar wurden. Die FKP stand dem Diversifizierungsprozess im Verhalten der Arbeiterklasse mit großer Zurückhaltung gegenüber - dem Entstehen neuer Schichten von Lohnabhängigen, dem Anwachsen des Anteils der Frauen, der Tatsache, dass die neuen Generationen mit der Durchsetzung der Entspannungspolitik eine Mentalität ablegten, die von der Logik des Kalten Krieges geprägt war, dem Aufkommen der Umweltfrage, der Entstehung von Verbraucherverbänden, allem, was vom - häufig unbewussten - Suchen nach einer Gesellschaft der freien Assoziation kündete. Diese Erscheinungen haben sich überall in der Welt in verschiedenem Maße bemerkbar gemacht. Sie erklären letzten Endes auch den Zerfall des sozialistischen Lagers. Die FKP hat diese Prozesse nicht in ihrer ganzen Tiefe erfasst, was dazu führte, dass sie selbst und ihre "Transmissionsriemen" nach und nach geschwächt wurden.

Der schrittweise Aufbau der Sozialistischen Partei (SP) auf den Trümmern der alten SFIO, die sich mit dem Scheitern der IV. Republik und dem Algerienkrieg diskreditiert hatte, wurde nicht sofort von allen als Wiedererrichtung der alten reformistischen Organisation gesehen. Die SP hat es verstanden, auch "Selbstverwaltungs-Sozialisten", gegen die FKP eingestellte Trotzkisten und die junge Generation an sich heranzuziehen, die von der libertären Ideologie der 60er Jahre geprägt waren. Vor der Wende von 1983 und der Regierung, die auf die Dogmen der Liberalen einschwenkte, setzte sich die SP unter François Mitterrand für die großen Forderungen ein, die sich einst die Kommunisten auf ihre Fahnen geschrieben hatten - Nationalisierung, mehr Einfluss für das Volk, die arbeitenden Menschen als Triebkraft der Gesellschaft und so weiter. Dies alles jedoch in gemäßigterer Form, was zu dem Klima der Jahre nach 1968 passte. Die Führer der SP verstanden es mit großem Geschick, den Eindruck zu erwecken - zum Teil glaubten sie es sogar selbst - sie seien dabei, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, das heißt, mit dem Kapitalismus zu brechen, ohne die "Nachteile" in Kauf zu nehmen, die für die Gesellschaften des sozialistischen Lagers charakteristisch waren.

Angesichts dieser Politik schwankte die FKP in den 70er Jahren zwischen einem Eurokommunismus, der etwas undeutlicher das sagte, was auch die Sozialisten von den Regimes im Osten Europas behaupteten, und einer Erstarrung, die sie daran hinderte, dialektisch zu analysieren, was im Osten und in den revolutionären Bewegungen tatsächlich vor sich ging. Aus allen diesen Gründen kam die Strategie des "Gemeinsamen Programms" (der gemeinsamen Regierung von FKP und SP von 1981 - 1983; d. Ü.) letztlich vor allem der SP zugute. Dabei hatten die Kommunisten gar nicht Unrecht, wenn sie einer SP misstrauten, in der die Verfechter der Partnerschaft mit den Unternehmern und den USA stets dominierend blieben. Der Bürgerkrieg in Afghanistan und der sowjetische Einmarsch, die Protestbewegung der Arbeiter in Polen, später die finanziellen und diplomatischen Zwänge, denen die französische Regierung nach dem Machtantritt der Linken im Jahre 1981 unterlag, trieben der SP seit 1983 ihre sozialistischen Anwandlungen nach und nach aus, was den Abstieg der FKP nur weiter beschleunigte.[1]

Lange schien es, als geschehe außerhalb der beiden großen Ströme der französischen Linken nichts von Bedeutung. Die Grüppchen von Trotzkisten, Maoisten, Anarchisten oder Anhängern der Selbstverwaltung hatten nach 1968 keine soziale Basis von Bedeutung erobern können. Ihre Mitglieder suchten die Flamme der Revolution am Glimmen zu halten, bis schließlich viele von ihnen aufgaben oder ihre Erfahrungen der SP zur Verfügung stellten. Erst seit kurzem entwickelt sich wieder - diesmal vor einem ganz anderen Hintergrund - eine Wählerschaft der Trotzkisten. Als sich Frankreich mehr und mehr auf die USA ausrichtete, kam es zudem zu einer Abspaltung der Anhänger der französischen Souveränität von der SP in Form der Bewegung der Bürger (MDC). Es hat in Frankreich sehr lange gedauert, bis sich auch hier Ökologen zusammenfanden, aber schließlich ist auch eine Partei der Grünen als Bestandteil der Linken entstanden. Während sich ihre Wählerschaft aus Teilen des Bürgertums, einer eher moralischen und libertären als liberalen Linken zusammensetzt, kann sie sich auf Mitglieder stützen, die weniger diszipliniert, aber durchaus linksorientiert sind. Unter ihnen finden sich viele ehemalige Maoisten, die sich in den Methoden der Organisation und in der sozialen Realität auskennen.

Die Entstehung einer pluralen Linken nach den Rückschlägen der Jahre 1983 bis 1995

Als "die" Linke 1981 zur Macht kam, hatte die FKP gerade ihren ersten wesentlichen Rückschlag bei den Wählern zu verkraften. Zunächst handelte die von der SP dominierte Regierung so, als werde Frankreich mit der Logik des Kapitalismus brechen. Diese Politik stieß jedoch sehr rasch auf den Widerstand der französischen Bourgeoisie und geriet unter den Druck der internationalen Finanzmärkte. Im Jahre 1983 trat die SP, ohne die FKP zu fragen, den strategischen Rückzug an und akzeptierte nun die Marktwirtschaft als den Horizont, der nicht überschritten werden durfte. Auf wirtschaftlichem Gebiet bedeutete dies, dass sie auf die Position einschwenkte, der Privatsektor sei effektiver als der staatliche Sektor. Diese "konzeptionelle Konterrevolution" hat die SP in ihren Grundlagen verändert. Sie erreichte damit wachsende Schichten der französischen Gesellschaft einschließlich Teile der Anhänger der Kommunisten. Dieser Prozess ging bis zur zunehmenden Orientierung Frankreichs auf die NATO und der Zustimmung zur Europäischen Integration nach der Logik des Neoliberalismus.

Die FKP musste in den 80er Jahren den Niedergang und schließlichen Zerfall des Ostblocks erleben. Wenn auch nur wenige Kommunisten glaubten, das sozialistische Lager werde in eine lichte Zukunft schreiten, so war die Tatsache, dass sich ganze Staaten bis Ende der 70er Jahre nach einer nichtkapitalistischen Logik entwickelten, immer ein Beispiel dafür gewesen, dass noch etwas anderes möglich war als allein die in Frankreich herrschende Ordnung. Während die allmähliche Abschwächung des Entwicklungstempos im Osten und das Festhalten an erstarrten politischen Systemen bald zahlreiche kommunistische Parteien dazu bewegte, eigene Strategien zu entwickeln (so die Parteien in Italien, Spanien, Japan u.a.), tendierte die FKP eher dazu, politisch in den Tag hinein zu leben. Die italienische KP hat sich schließlich in eine sozialliberale Organisation und in eine Partei gespalten, die den Kommunismus nach seinen ursprünglichen Prinzipien neu begründen will. Die KP Spaniens ließ sich auf eine rot-grüne, libertäre Strategie ein, der sie auch noch einige Jahre nach dem Zerfall der UdSSR weiter folgte. Die FKP dagegen biss 1989 die Zähne zusammen und wartete, dass das Unwetter vorbeiziehen möge.

Als die neoliberale Welle Mitte der 90er Jahre ins Stocken kam, wollten sich viele französische Kommunisten nach fast 15 Jahren des Niedergangs aus dieser Haltung lösen. Einige ihrer Funktionäre meinten, man sollte in ruhigeres Wasser steuern, um nicht wieder die Zähne zusammenbeißen zu müssen. Zur selben Zeit wurde die Mitgliederbasis der Partei in den Betrieben durch die Ausbreitung der Arbeitslosigkeit und ungesicherter Arbeitsverhältnisse geschwächt, entfernten sich die Gewerkschaften von der Partei, gewannen die Abgeordneten und Bürgermeister an Bedeutung, denen Amt und Rang immer wichtiger wurden. Das französische Wahlsystem zwingt die Kandidaten dazu, Vereinbarungen und Absprachen zu treffen, was für die Abgeordneten der FKP bedeutete, stets auf ein gutes Verhältnis zur SP zu achten.

Die Streiks von 1995 richteten sich gegen eine Regierung der Rechten, die die öffentlichen Dienstleistungen immer weiter abbaute. Sie beschleunigten das erneute Aufkommen einer linken Stimmung im Lande ungeachtet der Passivität der SP gegenüber der Volksbewegung. Dabei entstanden Organisationen fortschrittlichen Charakters, die sich jedoch zu den politischen Parteien misstrauisch verhielten. Zuerst waren das verschiedene Verbände illegaler Einwanderer, Obdachloser und Arbeitsloser. Dann entstanden Orte des Nachdenkens dort, wo die Welt des Geistes und der Verbände einander begegneten: Espaces Marx, die Kopernikus-Stiftung und andere. Die Gründung von ATTAC (Assoziation für Aktionen der Bürger zur Besteuerung finanzieller Transaktionen) die sich auf die Kontrolle der internationalen Finanzströme konzentrierte, hat eine Bürgerbewegung gegen die Logik des Kapitalismus in Gang gebracht.

Diese vielen Verbände, zu denen Bewegungen einzelner Minderheiten kommen - Feministinnen, Homosexuelle, Immigranten, Regionalisten u.a. - erwecken zuweilen den Eindruck einer fragmentierten, zersplitterten Gesellschaft, eines Netzwerkes, um es mit einem ökonomischen Begriff zu sagen. Einige meinen, dies sei nur die Vorstufe dafür, dass sich wieder geschlossene Organisationen bilden, die in der Lage sein werden, sich den nationalen und supranationalen Mächten entgegenzustellen, welche hoch konzentriert, aber immer weniger zu greifen sind. Andere meinen, dass wir es heute mit einer grundsätzlich neuen Realität zu tun haben, die die Entwicklung flexiblerer und differenzierterer Organisationsformen erfordert, als sie die Linke bisher kannte. Die beiden Auffassungen sind in allen Formationen der Linken vertreten.

Hier entsteht die Frage, welchen Platz der Staat und supranationale Strukturen in dem Projekt einer progressiven Transformation der Gesellschaft einnehmen sollen. Wachsende Meinungsunterschiede zeigen sich in der Frage der Europäischen Integration (Verteidigung der nationalen Souveränität als realer Handlungsraum für die Bürger oder fortschrittliche Umorientierung?), der Globalisierung (eine andere Art der Globalisierung oder Zusammenarbeit der Nationen?) und der Dezentralisierung (Dezentralisierung des Einheitsstaates oder eine Föderation der Regionen?). In Frankreich ist der Mobilisierungsgrad der Bevölkerung relativ hoch, was erklärt, weshalb zahlreiche Internationalisten es vorziehen, die nationale Souveränität zu verteidigen, während andere darauf hoffen, dass es im europäischen oder gar im weltweiten Rahmen besser möglich sein wird, die Bürger (die Völker?) gegen eine Globalisierung zu mobilisieren, die nicht mehr zu umgehen ist. Die Verteidigung der nationalen Souveränität kann in den Augen derer als fortschrittlich gelten, in deren Ländern eine radikale Linke existiert (besonders in Südeuropa) und angesichts einer EU, die sich voll der Logik des Neoliberalismus unterworfen hat. In den Ländern, wo die soziale Linke aber schwach ist (Deutschland, die Benelux-Staaten, Österreich), kann dieser die Bildung einer Europäischen Föderation attraktiv erscheinen, in der sie vom Einfluss ihrer Gesinnungsgenossen in den radikaler eingestellten Ländern profitieren könnte. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb es unter den Linken der EU in der Frage der nationalen Souveränität eine solche Kluft gibt.

Die politischen Organisationen der Linken

Die Sozialisten

Als Lionel Jospin an die Spitze der SP trat, bedeutete dies für manchen nach den Jahren der Abweichung unter Mitterrand eine erneute Linkswende. Ungeachtet des vor allem verbalen Drucks, den die kleine Strömung der "sozialistischen Linken" ausübt, scheint die SP inzwischen jedoch die Werte der Marktwirtschaft, der liberalen Form der Demokratie, der präsidialen Strukturen der V. Republik verinnerlicht zu haben. Dazu kommt auf internationalem Gebiet die humanitäre Intervention für die Durchsetzung der Menschenrechte in dem restriktiven und individualistischen Sinne, wie die USA sie verstehen. Das aber geht nicht ohne Probleme ab. So erklärte zum Beispiel Jack Lang: "Je mehr wir uns der Marktwirtschaft öffnen, desto mehr müssen wir uns von einer klaren, starken und strukturierten Ideologie verabschieden ... Anderenfalls wird unsere Identität Stück für Stück zerfallen."[2]

Wenn Lionel Jospin sich zur Marktwirtschaft bekennt, dann erklärt er zugleich, dass er eine "Marktgesellschaft" ablehnt. Ebenso wendet er sich gegen den sozialliberalen "Dritten Weg" von Tony Blair und steht in seinen Äußerungen unter allen europäischen Sozialisten am weitesten links. Der Druck des Weltmarktes und die Zwänge der Europäischen Integration haben die Regierung Jospin dazu gebracht, mehr Unternehmen zu privatisieren als ihre rechten Vorgänger. Aber sie sucht diesen Prozess zu bremsen und beweist eine gewisse Festigkeit gegenüber dem Druck, die öffentlichen Dienstleistungen noch weiter abzubauen. Zugleich ist eines klar: Die relative Zurückhaltung Jospins gegenüber sozialliberalen Konzeptionen ist zumindest teilweise der Tatsache geschuldet, dass es in Frankreich eine relativ radikale politische Bewegung von Gewerkschaften und Verbänden gibt, in der die FKP eine spürbare Rolle spielt. Das hält die französischen Sozialisten davon ab, sich dem anzuschließen, was Schröder, Blair oder D´Alema predigen.

Wenn die Regierung Jospin sich auch nicht offen gegen die von den USA verkündete Neue Weltordnung gewandt und sich 1999 am Krieg gegen Jugoslawien beteiligt hat, so bewahrt sie doch eigene Positionen in der Palästinafrage oder bezüglich des Irak. Es ist kein Zufall, dass gewisse Intellektuelle und Journalisten, die der "moralischen Linken" und einigen Nichtregierungsorganisationen nahe stehen, eine Kampagne gegen Außenminister Hubert Védrine begonnen haben. Sie werfen ihm vor, das in ihren Augen legitime "Recht" auf humanitäre Intervention in Frage zu stellen, ebenso die Rolle der NGOs als natürliche Wortführer einer hypothetischen internationalen Zivilgesellschaft, die nach Meinung des Außenministers ein Werkzeug zur Etablierung von Gegeneliten im herrschenden System darstellen. Védrine scheint auch den Grundsatz zu vertreten, dass der Staat nicht a priori fortschrittsfeindlich ist und dass nicht alle, die sich dem Staat, besonders dem Nationalstaat, entgegenstellen (der private Sektor, NGOs innerhalb der Großmächte u.a.) von vorn herein fortschrittlich sein müssen.[3] Seit Mitte der 90er Jahre wächst die Unzufriedenheit unter den Völkern der Peripherie rascher als unter denen des Zentrums, denn letztere glauben immer noch daran, der allgemeinen Verelendung, die die Entwicklung des neoliberalen Kapitalismus mit sich bringt, entgehen zu können. Und es ist sicher kein Zufall, dass der Teil der SP, der der gegenwärtigen Ordnung mit dem größten Misstrauen begegnet, sich zugleich über Europa hinaus mit der ganzen Welt beschäftigt.

Innerhalb der SP gibt es durchaus Aufgeschlossenheit gegenüber dem sozialen Fortschritt, es dominieren aber die Verfechter der wirtschaftlichen Effizienz, an deren Spitze neben anderen Finanzminister Laurent Fabius steht. Er hat sich zum Beispiel mit teilweisem Erfolg der Einführung der 35-Stunden-Arbeitswoche widersetzt und schrittweise Reformen realisiert, die den britischen nahe kommen.[4] "Realismus" und die Abneigung gegen eine riskante Politik radikaler Brüche gehören zur politischen Kultur der SP, wobei auch diejenigen keine Ausnahme machen, die am weitesten links stehen. Das erklärt, weshalb man bei verstärktem Druck seitens des Kapitals von der SP nicht mehr als eine Politik erwarten kann, die die negativen Effekte abschwächt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Jospin nicht von den anderen europäischen Sozialdemokraten. Daher erscheint es nur logisch, dass die FKP sich auf eine Mobilisierung der Volksmassen orientiert, um die Regierung der pluralen Linken und zugleich die führenden Kräfte der EU unter Druck zu setzen.

Die französischen Kommunisten

Zwar konnte sich die FKP mit der Bildung der Regierung der pluralen Linken zunehmend als unverzichtbarer Teil des politischen Spektrums präsentieren, zugleich hat diese Entwicklung jedoch bei zahlreichen Mitgliedern und mehr noch unter der kommunistischen Wählerschaft Befürchtungen ausgelöst. Das betrifft besonders die Volksschichten, die bisher von den Jahren des Wachstums in der EU kaum profitieren konnten. In den Augen der FKP-Mitglieder läuft die Strategie der SP darauf hinaus, ihre Partei zum Satelliten zu machen, der für einige Abgeordnetensitze oder Posten in der Kommunalpolitik einen bestimmten Teil der Wählerschaft binden soll.[5] Aber die Schwächung der FKP hat nicht nur mit den geschickten Manövern der SP-Führung zu tun. Sie rührt von Entwicklungen her, die die Führung der FKP nicht unter Kontrolle bringen konnte.

Die FKP hat nicht bedacht, das sich in der französischen Gesellschaft mit dem Wind der Freiheit, der nach dem Mai 1968 wehte, Bewegungen von Minderheiten entwickelt haben. Sie hat auch den Zerfall des sozialistischen Lagers, der damit verbundenen Funktionsweisen und Ideen nicht dynamisch verarbeitet. Während die aufeinanderfolgenden Führungen der FKP Schritt für Schritt konstitutive Elemente der kommunistischen Identität (Diktatur des Proletariats, Avantgarderolle, demokratischer Zentralismus, proletarischer Internationalismus, Vergesellschaftung der Produktionsmittel u.a.) ohne wirkliche Debatten und gründliche Analyse aufgaben, schwankten sie ständig zwischen einer summarischen und damit oberflächlichen Kritik des realen Sozialismus und dem krampfhaften Festhalten an der eigenen Identität hin und her. Heute tendiert die FKP dazu, das sozialistische System vor allem mit dem Begriff des "Scheiterns" zu belegen, der eher religiös als marxistisch geprägt ist. Sie spricht nicht von einer "Niederlage", was es ihr gestattete zu analysieren, aus welchen Gründen dies geschah und wie die Gruppen sozial zusammengesetzt waren, die kein Interesse mehr daran hatten, den realen Sozialismus zu verteidigen oder zu transformieren. Wenn man ein Gesellschaftsmodell, das man selbst einst als quasi paradiesisch beschrieb, heute als gescheitert ansieht, dann umgeht man die Frage der Verantwortung - darunter auch der FKP-Führung selbst - dafür, dass sich in der internationalen und nationalen kommunistischen Bewegung eine neue "Arbeiteraristokratie" bilden konnte.

In der Phase ihrer Erstarrung war die FKP bestrebt, die Realität ausschließlich von einem reduzierten "Klassenstandpunkt" her zu erklären. Dabei unterschätzte sie das Gewicht der Interessen von Frauen, Regionalisten, Homosexuellen, Immigranten und der verschiedenen Generationen in den gesellschaftlichen Bewegungen. Heute dagegen neigt sie dazu, alle Formen der Frustration, die in der Gesellschaft und in der Welt vorkommen, einander gleichzusetzen und damit den Klassengegensätzen ihr strukturierendes Fundament abzusprechen. Dass sich trotz des Anwachsens der Zahl der Lohnabhängigen und der ungesicherten Arbeitsverhältnisse "Mittelklassen" und Volksschichten bilden, die sich mit diesen identifizieren, erklärt, weshalb sich diese Sicht in der Gesellschaft immer mehr ausbreitet. Das geistige Vakuum, das mit dem Abgehen vom Marxismus-Leninismus in einem Teil der kommunistischen Eliten entstanden ist, hat sie daran gehindert, dieses Phänomen zu verstehen. Das wiederum erklärt, weshalb sich die FKP von gewissen Volksschichten entfernt hat. Hier wird die Partei mit einer gewissen Verspätung von Erscheinungen eingeholt, mit denen andere kommunistische Parteien, zum Beispiel die KP Spaniens, die Italienische KP oder die KPdSU bereits in den 80er und 90er Jahren konfrontiert waren. Ähnliches zeigt sich auch im moralisierenden Kult der "Rot-Grünen", die sich fern von allen Klassenkriterien für Freiheit einsetzen. Die kommunistischen Parteien, die diese Krise überlebt haben, kehren heute wieder zu einer "klassenmäßigeren" Bewertung der sozialen Verhältnisse zurück (KP Spaniens, Kommunistische Wiedergründung Italiens). Andere dagegen, die eine solche Krise nicht erlebt haben, wie zum Beispiel die Kommunistische Partei Japans, denken gar nicht daran, ihr ideologisches Erbe generell in Frage zu stellen. Sie treffen in aller Ruhe und ohne Übereilung eine überlegte Auswahl.

Die Krise der FKP hat sich seit Mitte der 90er Jahre beschleunigt, als sie beschloss, sich vom gesamten marxistisch-leninistischen Erbe unwiderruflich zu verabschieden. Allerdings hat die FKP ein marxistisches Erbe bewahrt, weshalb Mitglieder und Führung dieser Partei immer wieder darauf hinweisen, welches "Kräfteverhältnis" in der Gesellschaft geschaffen werden muss, um auf die Regierung der pluralen Linken Druck auszuüben. Die FKP setzt sich für eine fortgesetzte Mobilisierung der Bürger ein, damit eine lebendigere Demokratie und eine Logik entstehen, die es erlauben könnte, "über den Kapitalismus hinaus zu gehen". Da sie sich nun allmählich von einer monolithischen Partei zu einem Netzwerk wandelt, fragen sich bestimmte Mitglieder und Wähler der Kommunisten, wozu ein solches geschwächtes Werkzeug noch von Nutzen sein soll. Zu den Europawahlen von 1999 stellte die FKP die Liste "Beweg‘ dich, Europa", auf. Sie setzte sich aus kommunistischen Kandidaten und Persönlichkeiten zusammen, die eine moralische Linke von sehr nebelhaften Konturen vertraten. Der Angriff der NATO auf Jugoslawien, der zur Zeit dieser Wahlen geschah, enthüllte das heterogene Wesen dieses Konstrukts, denn einige Kandidaten der Liste stimmten dem Krieg zu, während andere ihn gemeinsam mit der FKP-Führung verurteilten, aber Milosevic als den Hauptverantwortlichen für den Konflikt brandmarkten. Viele Kommunisten sehen jedoch im amerikanischen und deutschen Imperialismus die Haupt­ursache für all die Auseinandersetzungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien.

Die Europawahlen haben demonstriert, dass die neue Linie der FKP die Wähler verwirrt hat. Die Partei hat einen Teil ihres traditionellen Elektorats verloren, ohne ihren Einfluss darüber hinaus wesentlich erweitern zu können, was eigentlich die Absicht Robert Hues war. Die Kurzatmigkeit und die Grenzen der Reformen, die die Regierung unter Beteiligung der FKP in Gang gesetzt hat, sind eine Erklärung dafür, weshalb die FKP trotz oder gerade wegen ihrer Übereinstimmung mit der SP bei den Kommunalwahlen dieses Jahres weitere Verluste hinnehmen musste. Sie hat bei dieser Gelegenheit mehrere Großstädte verloren. Die Wählerschaft der Linken aus den untersten Volksschichten schwankt zwischen der FKP, der Nichtteilnahme an den Wahlen und der extremen Linken. Die Mittelschichten sind mit der Regierung der pluralen Linken relativ zufrieden. Das zeigt sich darin, dass die Verluste der SP wesentlich geringer ausfielen.[6]

Inzwischen haben sich innerhalb der FKP richtiggehende Netze, das heißt, Fraktionen gebildet. Die "Erneuerer" haben seit dem letzten Parteitag in Martigues im März 2000 eine ansehnliche Vertretung in der Parteiführung. Sie unterstützen die Veränderungen in der Partei, wünschten sich aber mehr Flexibilität bei ihrer Umsetzung und eine engere Zusammenarbeit mit anderen Organisationen links von der SP. Ihnen scheint es schwer zu fallen, sich von der Linie Robert Hues abzugrenzen. Die Mehrheit der Führung ist mit strukturellen Reformen befasst, die das Ziel verfolgen, alle sozialen Bewegungen einander anzunähern und alles zu tilgen, was die Kommunisten in deren Augen als autoritär oder zu selbstsicher erscheinen lassen könnte.

Verschiedene Persönlichkeiten und Teile der FKP, die weiter links stehen, werden parallel zur Führung tätig. Das geht soweit, dass Personen, die noch einen beträchtlichen Teil der Parteimitglieder vertreten, nicht mehr in der Führung präsent sind. Sie wollen in erster Linie das Klassenbewusstsein an der Basis erhalten. Sie wenden sich radikal gegen den Euro und die europäische Integration, womit sie sich von der neuen eurokonstruktiven Linie der Führung scharf unterscheiden. Ein wahrer Wettlauf gegen die Zeit scheint sich zwischen denjenigen abzuspielen, die die FKP wegen ihrer jüngsten Entwicklung enttäuscht verlassen, ohne sich zugleich von ihrem sozialen oder gewerkschaftlichen Engagement zu verabschieden, und denen, die in der Partei bleiben, um dort ihre Ziele zu erreichen. Die Führung scheint sich zu wünschen, dass alle Mitglieder auf der Grundlage des Minimalkonsens der "Überwindung des Kapitalismus" in der Partei koexistieren, was eine "neue Kultur der Vielfalt" darstellen soll.[7] Die Einberufung eines außerordentlichen Parteitages im Herbst 2001 war ursprünglich dafür gedacht, ein neues Parteistatut zu beschließen. Nunmehr wird der Parteitag aber aufgrund zahlreicher Reaktionen aus der Mitgliedschaft darauf hinauslaufen, dass ein neues kommunistisches Projekt angenommen wird. Das erscheint notwendig, um die Rolle der FKP in der Gesellschaft klarzustellen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2002 werden für die FKP besonders wichtig sein. Zugleich hat dort auch die gesamte plurale Linke Bilanz zu ziehen.

Andere Strömungen der Linken

Seit sich die FKP an der Regierung der pluralen Linken beteiligt, ist sie in der schwierigen Lage, ständig entscheiden zu müssen, ob sie sich gegenüber der SP konsequent zeigt und die Koalition verlässt, was die Regierung im Parlament in die Minderheit bringen könnte, oder ob sie angesichts dessen, dass sich die Rechte mit einem neoliberalen Programm neu mobilisiert, an der Regierung der pluralen Linken festhält. Die Grünen waren aufgrund der kleinen Zahl ihrer Abgeordneten bisher nicht im Stande, die Regierung ernsthaft zu bedrohen. Daher konnten sie ihre grundsätzliche Gegnerschaft gegen einige Maßnahmen der Regierung ohne großes Risiko zur Schau stellen und zugleich populäre Reformen unterstützen. Zu einer Zeit, da die weltweiten finanziellen Zwänge und die europäischen Institutionen jede grundsätzliche Veränderung unmöglich machen, ohne das Gesamtsystem in Frage zu stellen, scheinen sie einen Teil ihrer Wählerschaft davon überzeugt zu haben, dass sie am besten geeignet sind, realistische Verbesserungen durchzusetzen und die Institutionen zu entstauben. Dabei geht ihre weiche Linie in den sozialen und wirtschaftlichen Fragen mit einem sehr prononcierten Engagement für eine Quasi-Föderation Europa und einer kritischen Haltung zum undemokratischen Wesen der europäischen Institutionen einher. Auf einem Kolloquium über die europäische Integration bei Espaces Marx sagte der Europaabgeordnete der Grünen Alain Lipietz voraus, dass man sich "zwischen kühnem Vorwärtsdrängen und Stagnation wird entscheiden müssen."[8]

Die Bewegung der Bürger (MDC) gruppiert sich um die Persönlichkeit von Jean-Pierre Chevènement, der sich als Verteidiger des Staates, der Republik und der nationalen Souveränität gegen die Verfechter von Globalisierung und supranationalen Strukturen profilieren konnte.[9] Einige Linke nehmen ihm sein hartes Vorgehen gegen illegale Einwanderer übel, andere verweisen jedoch auf seine Vorschläge für eine gemeinsame internationale Entwicklung, die die Quellen unkontrollierter Migration austrocknen könnte. Viele rechnen ihm an, dass er sich dem Golfkrieg widersetzte und sich gegen Sonderrechte für Korsika aussprach. Diese sollen unter dem Vorwand gewährt werden, die kulturelle Besonderheit der Insel anzuerkennen. Sie erlauben jedoch die Entwicklung einer Freihandelszone und schaffen einen Präzedenzfall für die Einrichtung von Regionen auf ethnischer Grundlage, um auf diese Weise den freien Fluss des Kapitals zu ermöglichen und den Sozialstaat abzubauen, an dessen Stelle ein schwacher, föderalistischer Minimalstaat treten soll.[10]

Seit einigen Jahren haben die Trotzkisten einen wachsenden Wählereinfluss zu verzeichnen. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen gelang es der Kandidatin der am stärksten mit den Arbeiterschichten verbundenen trotzkistischen Bewegung "Arbeiterkampf" (Lutte ouvrière, LO), Arlette Laguiller, mehr als fünf Prozent der Stimmen zu erhalten. Bei Umfragen werden ihr heute gar acht Prozent zugetraut. Die Tatsache, dass sie seit Jahrzehnten unverändert an ihrer Linie festhält, scheint ihr die Stimmen gewisser Volksschichten eingetragen zu haben, die von der Politik der anderen Linksparteien enttäuscht sind. Bei den jüngsten Kommunalwahlen hat eine weitere trotzkistische Strömung, die eher intellektuell geprägte Kommunistische Revolutionäre Liga (LCR) auf sich aufmerksam gemacht. Sie hat in ihre Listen auch Vertreter verschiedener Verbände aufgenommen. In einigen Gemeinden sind lokale Bürgerlisten angetreten, zu denen sich junge Menschen aus Immigrantenfamilien zusammengefunden haben. Mit ihrer Radikalität und Bürgernähe stellen sie eine Herausforderung für die anderen politischen Formationen dar, die in ihren Augen bürokratisiert, fern der Realität und bar jeder glaubhaften Alternative sind.[11]

Alle diese Entwicklungen zeigen, dass der Teil der linken Wählerschaft, der seit den 80er Jahren zum Wahlboykott tendierte, jetzt von radikaleren Listen angezogen wird.

Das betrifft auch einen Teil der kommunistischen Wähler, darunter Mitglieder dieser Partei, die auf diese Weise ihrer Unzufriedenheit mit der jetzigen Orientierung ihrer Partei Ausdruck geben wollen. Während die Wählerschaft der extremen Linken wächst, haben die trotzkistischen Organisationen selbst nach wie vor Schwierigkeiten, mehr als einige Tausend Mitglieder zu rekrutieren. Mit heute 150 000 Mitgliedern (1970 waren es noch 700 000, 1996 noch 300 000) bleibt die FKP die mitgliederstärkste Partei Frankeichs.

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Seit 1980 hat die Welle des Neoliberalismus Frankreich wie den Rest der Welt erfasst, wodurch ein großer Teil der entscheidenden Grundsätze der Linken entwertet wurde. Der Druck, die öffentlichen Dienstleistungen und überhaupt alles, was bisher als gesicherte soziale Errungenschaft galt, abzubauen, wird immer größer. Keine Kraft hat sich dieser Entwicklung bisher entgegenstellen oder deren Grundlagen auch nur glaubhaft in Zweifel ziehen können. Das ist ein Grund für die deutliche Entpolitisierung der Gesellschaft. Das Entstehen neuer progressiver Verbände und die große Volksbewegung von 1995, der die Bildung der Regierung der pluralen Linken folgte, haben jedoch gezeigt, dass das, was die Soziologen das "linke Volk" nennen, damit nicht verschwunden ist. Der politische Kurs, den die plurale Linke eingeschlagen hat, obwohl die äußeren Zwänge sich verschärften, hat bewiesen, dass sich ihre Führer der Existenz einer sozialen Basis immer bewusst waren, die sich der Logik des Kapitalismus widersetzt. Jedoch hat es das Frankreich Jospins bisher nicht wirklich gewagt, im europäischen oder internationalen Rahmen in gleicher Weise aktiv zu werden, obwohl in zahlreichen Ländern sich eine wachsende Unzufriedenheit der Volksschichten mit den dominierenden Mächten zeigt. Das wiederum erklärt, weshalb die Parteien der pluralen Linken oft von den ungeduldigsten Kreisen der Gesellschaft als von etablierten Politikern beherrschte Organisationen angesehen werden, die im besten Falle sympathisch, aber eigentlich machtlos und im schlimmsten Falle heuchlerisch sind. Dieser Vorwurf trifft besonders die FKP, die immer noch am kämpferischsten und kritischsten gegen den Neoliberalismus auftritt. Auch das stärkere Aufkommen der Grünen ist darauf zurückzuführen. Mit ihren minimalen aber realisierbaren Forderungen erscheinen sie noch am authentischsten, während sie doch in ihren internen Konflikten beweisen, dass ihnen Schläge unter die Gürtellinie, Demagogie und persönliche Ambitionen nicht fremd sind. Mit ihrem "sympathischen" Pazifismus haben im übrigen auch sie den Sirenenrufen der NATO nicht widerstehen können. Das erneute Aufkommen einer die Souveränität Frankreichs verfechtenden republikanischen Strömung, deren Triebkraft immer die FKP war und die ihren Höhepunkt im Quasi-Erfolg des "Nein" beim Referendum über den Maastrichter Vertrag hatte, zeigt sich heute nur noch in Randgruppen der FKP, viel sichtbarer aber in der Bewegung der Bürger (MDC). Und das, obwohl diese Partei sich bisher in keiner Weise antikapitalistisch engagiert und bei allem Misstrauen gegenüber der EU keine Anstalten macht, die Volksmassen gegen sie zu mobilisieren.

Die französischen Linken haben nicht die Fähigkeit zur Erneuerung verloren, warten aber gegenwärtig auf einen neuen Atem und neue Analysen. Wenn sie die Realitäten der Globalisierung und der europäischen Integration zur Kenntnis genommen haben, werden sie zweifellos noch einige Jahre brauchen, um neue Konzepte zu erarbeiten und sich wieder fest in den Volksmassen zu verwurzeln. Wenn auch die Kluft zwischen der "moralischen Linken" und der "sozialen Linken" bisher nicht zu verschwinden scheint, sollte man folgendes bedenken: Solange eine Kraft existiert, die in der Lage ist, eine Zukunftsvision aufzuzeigen, die den Erwartungen der Volksmassen entspricht, wird sich selbst die "moralische Linke" an der fortschrittlichen Transformation der Gesellschaft beteiligen. Seit dem Anrollen der Welle des Neoliberalismus ist das Gegenteil geschehen, was erklärt, weshalb das Engagement in den Wohngebieten und Betrieben zerbröselte, weshalb die sozialliberale Strömung sich in der Praxis breit machen konnte, allerdings nicht in den Köpfen. Hier befindet sich zweifellos das Erneuerungspotential, das diejenigen suchen, die überall in der Welt dem Internationalismus der Benachteiligten neues Leben einhauchen wollen.

(Übersetzung aus dem Französischen: Helmut Ettinger)


[1] Heute kann Lionel Jospin erklären: "Wir sind nicht mehr verpflichtet, zur Rechtfertigung unseres Handelns eine revolutionäre Phraseologie zu benutzen oder auch nur die Vorstellung von einem Bruch zu bemühen." Artikel für die Gesellschaft der Fabier, siehe Libération, 19.11.1999.

[2] Libération, 8.11.1999.

[3] Siehe Michel Rogalski, "Feuer auf Védrine - die Hintergründe einer Kampagne", in: Recherches Internationales, Nr. 62, 2000.

[4] Siehe Frédérick Lemaitre, "Laurent Fabius will die Ausgabe von Aktien fördern", in: Le Monde, 5.7.2001.

[5] Die radikale Partei der Linken, die ebenfalls aus einer großen Tradition der französischen Linken kommt, spielt die Rolle des "Wahlwerbers" für die SP. "Einige möchten die Kommunistische Partei gern in die Rolle des letzten Aufgebots der Ausgegrenzten drängen." Siehe Jacques Chambaz, "Die Sozialistische Internationale und ihre gegenwärtigen Ziele", in: La Pensée, Nr. 321, Januar/März 2000, S. 124.

[6] Die Unterstützung der SP unter den Beamten beginnt allerdings zu bröckeln. Siehe Alexandre Garcia, "Die Beamten, die großen Enttäuschten Jospins", in: Le Monde, 3.7.2001.

[7] Im Internationalen Bereich strebt die FKP den Zusammenschluss "all derer an, die nach Alternativen suchen, seien es nun fortschrittliche Menschen, Kommunisten, Sozialisten, Ökologen, religiös Gebundene, Pazifisten oder Feministen." Siehe Francis Wurtz in: Correspondances Internationales, 1997. Aber diese strategische Vision stößt sich an neuen Widersprüchen wie sie sich zum Beispiel in den unterschiedlichen Reaktionen auf die Politik der NATO in Jugoslawien gezeigt haben.

[8] Alain Lipietz, Geschichte und Sinn der Europäischen Integration, Paris, Espaces Marx, 2000, Seite 410.

[9] Chevènement hat die Regierung verlassen, um gegen das Gesetz über den Status Korsikas zu protestieren. Er will einen Teil der Wähler der SP und der FKP für sich gewinnen und zögert dabei nicht, auf Argumente der extremen Linken zurückzugreifen: "Die Ergänzungen der Kommunisten (zum Gesetz über die Entlassungen) sind nicht mehr als die letzte Zigarette eines Todeskandidaten." In: Le Monde, 4.7.2001.

[10] "Man stirbt nicht für Korsika!", in: Bastille - République - Nation, Nr. 6, 8.6.2001.

[11] Diese Argumentation verwendet die Bewegung der Bürger, seit sie die Regierung verlassen hat. Siehe Jean-Yves Autexier, "Die Auseinandersetzung zwischen Jospin und Chirac ist nur Show", ebenda, Nr. 7, 3.7.2001.