Der Wahlkampf um Rom geht weiter

Früher verlieh einem Italiens Frühjahrsonne immer das Gefühl eines Aufbruchs, besonders an den beiden antifaschistisch und gewerkschaftlich geprägten Feiertagen: dem 25. April, wenn mit großen un

kleinen Kundgebungen im ganzen Land das Kriegsende 1945 als Befreiung vom Nazifaschismus gefeiert wird, und dem 1. Mai, "festa del lavoro", der wiederum Hunderttausende auf Straßen und Plätzen zusammenführt.

Im diesjährigen kühlen April ließ alles auf sich warten, auch das Ende der Ära Berlusconi ist - trotz der Abwahl des Ministerpräsidenten - noch nicht in Sicht. Zwar versammelten sich am 25. April wieder 150.000 Menschen in Mailand, diesmal zur Kundgebung mit Romano Prodi, aber auch hier gelang es der politischen Rechten, mit polemischen Paukenschlägen die Medien vollzudröhnen. Und am Abend fand sich eine Mehrheit der TV-Konsumenten zur Familiensaga in Berlusconis Canale 5 zusammen, einer pseudoheroischen Soap-Opera über die Trockenlegung der pontinischen Sümpfe unter Mussolini (was in Deutschland etwa dem Hinweis auf Hitlers Autobahn-Bau entspricht), während der anspruchsvollere Film im öffentlichen Sender RAI 1 über eine Widerstandsgruppe um den Priester Pietro Pappagallo, der in Rom in den Ardeatinischen Höhlen mit 334 anderen Geiseln von den Deutschen ermordet wurde, weitaus weniger Zuschauer fand.

Der äußerst knappe Wahlsieg der Mitte-Links-Koalition unter Führung von Romano Prodi vom 10. April 2006 (die Mehrheit betrug weniger als 25.000 Stimmen) hat bisher die politische Stimmung in Italien kaum aufgehellt. Er machte nämlich vor allem augenscheinlich, wie stark der Berlusconismus - wider Erwarten vieler und trotz all seiner negativen Folgen für die italienische Demokratie - doch in fast allen Teilen des Landes verankert ist.

Zudem scheint Berlusconis Wahlkampf noch gar nicht aufgehört zu haben, sondern bruchlos weiterzugehen. Es stehen nämlich - nach der Wahl des neuen Staatspräsidenten - noch andere wichtige Entscheidungen bevor: Ende Mai Provinz- und Kommunalwahlen unter anderem in Rom, Neapel, Turin und Mailand, in Sizilien die Wahl zur Regionalregierung, Ende Juni schließlich der hochbrisante Volksentscheid über die von Berlusconis Koalition beschlossene Verfassungsänderung, die den aus der Verfassung von 1946 hervorgegangenen Rechtsstaat aus den Angeln hebt, die Nation zu spalten droht und eine Präsidialrepublik schaffen würde.

Daß Berlusconi das Ergebnis der Parlamentswahl vom 9. und 10. April bereits vor dem Wahltermin lautstark in Frage stellte, daß er "Betrugsmanöver der Linken" unterstellte und sogar UNO-Beobachter forderte und daß er seit den ersten widersprüchlichen Hochrechnungen den Vorwurf des Wahlbetrugs wider bessere Einsicht (Entscheidung des Kassationsgerichtes) gebetsmühlenartig wiederholt, zeigt nicht einfach, daß der Narziß ein schlechter Verlierer ist, der "keine Niederlage einstecken" kann, wie einige Beobachter schrieben, sondern daß dahinter eine weit vorauszielende präzise Strategie steckt: Es gilt, mit allen propagandistischen Mitteln, die Glaubwürdigkeit der Prodi-Koalition zu unterminieren und auch ihr künftiges Vorgehen in jeder Hinsicht zu delegitimieren. Von Neapel aus, wo er als Listenführer im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt die relative Schwäche der Mitte-Links-Koalition mit allen populistischen Mitteln ausnutzt, will er seiner Koalition erneut Genugtuung verschaffen.

Die relative parlamentarische Schwäche von Prodis Koalition ist mitbedingt durch das jüngst ad hoc novellierte Wahlgesetz, das von seinem Initiator Calderoli (Lega Nord) selbst als "porcata" (Schweinerei) bezeichnet wurde. In der 2. Kammer des Parlamentes, dem Senat, gibt es nur eine hauchdünne Mehrheit für Prodis Bündnis aus 16 Parteien.

Am 28. April trat das neu gewählte Parlament zum ersten Mal zusammen, um die neuen Kammerpräsidenten zu wählen. Dieser Schritt geht der Regierungsbildung voraus, mit der der Staatspräsident anschließend den künftigen Regie-rungschef beauftragen muß, sobald die abgewählte Regierung zurückgetreten ist. Weil auch das Mandat des Staatspräsidenten Ciampi Mitte Mai ausläuft, versucht Berlusconi, der sich am liebsten selber in diesem Amt sähe, seinen Einfluß auszuüben, auch um die Regierungsbildung so lange wie möglich hinauszuzögern.

Bei der Wahl des Senatspräsidenten konnte sich am 29. April erst nach mehreren Wahlgängen mit qualvollen Zitterpartien der Senator Franco Marini durchsetzen. Das zweithöchste Amt im Staate ist nun mit Prodis Kandidaten besetzt, einem Sozialisten, ehemaligen Gewerkschaftsführer und Mitglied einstiger christdemokratischer Regierungen. Berlusconis Senatoren hatten alle Mittel eingesetzt, um die Wahl Marinis zu behindern und ihren Gegenkandidaten, den 85-jährigen DC-Urpolitiker Giulio Andreotti (genannt "belzebú"), durchzubringen. Die chaotische Wahlschlacht der Senatoren ließ einen Großteil der Fernsehzuschauer wiederum bis tief in die Nacht vor dem Bildschirm ausharren.

Die Abgeordnetenkammer, wo die Prodi-Koalition aufgrund des gesetzlichen Mehrheitszuschlags über 50 Sitze mehr verfügt, als ihr nach ihrem Stimmenanteil zustände, so daß sie eigentlich entscheidungsfähig sein sollte, wählte am selben Tag den bisherigen Parteichef der Rifondazione comunista, Fausto Bertinotti, ohne Gegenkandidaten zu ihrem Präsidenten, allerdings auch erst im letzten Wahlgang, was auf viele Gegenstimmen aus dem eigenen Lager zurückzuführen ist. Denn längst nicht alle Koalitionsabgeordneten billigten Prodis Entscheidung für Bertinotti und gegen Massimo DÂ’Alema, den Präsidenten der ex-kommunistischen DS, den viele lieber in diesem Amt gesehen hätten; und viele Linke wünschten für Bertinotti ein Ministeramt. Doch in der institutionellen Rolle scheinen die Kommunisten stärker an die Koalition gebunden, so Prodis Kalkül.

Berlusconi, der Bertinotti zu dessen Wahl gratulierte, wohingegen er Prodis Wahlsieg noch immer mit den verfügbaren legalen Mitteln im neuen Parlament anfechten will, kann nun mit Bertinottis Wahl seine These untermauern, die kommende Regierung sei von den Kommunisten gesteuert und werde Italien rasch dem Abgrund zutreiben. Daher gesteht er ihr nur einen kurzen Spielraum zu: Das werde höchstens eine Baderegierung, so läßt er verlauten, ein kurzes Zwischenspiel, nach dem er, Berlusconi, wieder das Ruder übernehmen werde. Seine Medien stoßen seit Wochen in dieses Horn, die Mehrheit auch der nicht von Berlusconi abhängigen politischen Beobachter unterstreicht die Schwierigkeiten der neuen Regierung, die sowohl aus ihrer heterogenen Interessenzusammensetzung rekrutieren als aus der objektiv schwierigen Situation des Landes. Die kürzliche Schlagzeile des Economist, Italien müsse spätestens 2015 aus dem EURO ausscheren, schürt - trotz Dementi - das verbreitete Gefühl der Prekarietät der Verhältnisse.

Am Abend des 29. April, nach dem so mühsam errungenen Sieg der Mitte-Links-Koalition in beiden Kammern des Parlaments, hingen dicke Regenwolken über dem ganzen Land, und der Kultur-Radiosender RAI 3 übertrug stundenlang Wagners "Götterdämmerung" von einer Bühne aus Paris. Freude kam da nicht recht auf. Trotz alledem und scheinbar unverdrossen ließ Prodi noch am selben Tag mit Blick auf Staatspräsident Ciampi verlauten, seine Ministerliste sei fertig, einem Auftrag zur Regierungsbildung stünde damit - sobald Berlusconi zurücktrete - nichts mehr im Wege. Am 2. Mai vollzog Berlusconi diesen Schritt medienwirksam: Italien werde seinen Rücktritt bald bedauern und ihn, Berlusconi, wieder zurückwünschen, denn seine Regierung sei die beste der italienischen Nachkriegszeit gewesen, verkündete der scheidende Regierungsschef mit schneidendem Lächeln - und alle Scheinwerfer waren wieder auf ihn gerichtet.
Rasches Handeln scheint angebracht, nicht zuletzt um destabilisierenden, staatsgefährdenden Tendenzen zu begegnen: Berlusconi drohte nämlich auch, daß das höchste Staatsamt mit einem Vertreter seiner Wahl besetzt werden müsse, andernfalls seine bereits angekündigte scharfe Opposition sich nicht auf die Institutionen allein beschränke, sondern "global" werde. Was immer das heißen mag: Erklärtes Ziel der neuen Opposition ist es, die Prodi-Koalition am Regieren zu hindern und sie so rasch wie möglich zu Fall zu bringen.

Berlusconi wird seine ganze Machtfülle - einschließlich seines Medienkonzerns - dafür einsetzen. Er kann unbehelligt im Parlament agieren, gerichtlich kann er in keinem Fall mehr belangt werden, da seine noch jüngst verabschiedeten Justiz-Gesetze inzwischen vom Verfassungsgericht abgesegnet wurden. Lediglich sein jahrzehntelang bewährter Adlatus Cesare Previti, 71 Jahre alt, ehemaliger Verteidigungsminister, wurde jetzt in letzter Instanz vom römischen Kassationsgericht wegen Richterbestechung im Fall Imi/Sir (dunkle Geschäfte von Berlusconi-Firmen) zu sechs Jahren Haft verurteilt, ganz knapp vor dem Ablauf der herabgesetzten Verjährungsfrist. Berlusconis Anwälte haben bereits Haftverschonung beantragt.

Als Prodi den DS-Präsidenten Massimo DÂ’Alema für das Amt des Staatspräsidenten vorschlug, antwortete Berlusconi mit der offenen Ankündigung eines Steuerstreiks. In der Geheimdiplomatie zwischen den Parteien, wie sie in Italien bei solchen und vielen anderen Anlässen üblich ist, bot DS-Generalsekretär Pietro Fassino offenbar an, Berlusconi könne für die Unterstützung eines Kandidaten aus dem Prodi-Lager politische Bedingungen stellen. Ein derartiger politischer Kuhhandel wäre nicht verfassungskonform, denn bisher hat der Staatspräsident kein politisches Mandat. Doch gerade das will Berlusconi mit seiner Verfassungsnovelle ändern. Die Linksdemokraten der DS auch? Davon stand nichts im voluminösen Wahlprogramm der Unione Prodis.

Aber wie sagte doch Ossietzky einst über Hitler? "Â… was der angerichtet hat, bleibt."