Schilys Doppelschlag

Özgür Politika und der Kampf um Pressefreiheit

Auf Weisung von Innenminister Schily wurde Anfang September die in Frankfurt am Main in türkischer Sprache erscheinende kurdische Tageszeitung Özgür Politika verboten.

In einer großangelegten Polizeiaktion in mehreren Bundesländern wurden Büros, Redaktionsräume und Privatwohnungen durchsucht sowie Computer, Arbeitsunterlagen und Archivmaterial beschlagnahmt. Mit diesem Verbot haben die Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit in der BRD eine neue Dimension erreicht.

Gerade in jüngster Zeit haben Angriffe auf kritische Medien und Journalisten in erschreckender Weise zugenommen. Das Verbot von Özgür Politika steht in einer langen Reihe von Versuchen, eine in konkrete Bewegungen eingebundene kritische Berichterstattung mundtot zu machen. Genannt seien in diesem Zusammenhang die Angriffe auf die Redaktionen von Labournet und Anti-Atom-aktuell, auf Journalisten wie den VVN- Vorsitzenden von NRW, Ulrich Sander, und den Junge-Welt-Mitarbeiter Nick Brauns. In allen Fällen wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet, die auch als Vorwand für eine Ausforschung des Redaktionsgeheimnisses verstanden werden können. Angesichts der Vorgänge um die Zeitschrift Anti-Atom-aktuell mahnte Manfred Protzner, Sprecher der Deutschen Journalisten-Union (DJU), bereits zu Recht: "Die Pressefreiheit existiert entweder ungeteilt oder sie existiert nicht. Wer Rechte der anderen nicht verteidigt, setzt die eigenen aufs Spiel."

Özgür Politika und die kurdische Frage

Die Zeitung Özgür Politika erscheint in der BRD ununterbrochen seit August 1995 und ist eines der wichtigsten Informationsorgane der in der BRD und Westeuropa lebenden Bevölkerung kurdischer Herkunft. Von der politischen Ausrichtung her ist die Zeitung eindeutig parteilich in der kurdischen Frage, jedoch kein Parteiorgan. Özgür Politika berichtet nicht nur kritisch über die politische Entwicklung in der Türkei und Kurdistan/Türkei, sondern auch regelmäßig über die Menschenrechtslage, deckt Verbrechen der türkischen Sicherheitskräfte auf und gibt der kurdischen Opposition eine Stimme.

Innenminister Schily bezog sich bei seinem Verbot auf das seit 1993 bestehende PKK-Verbot in der BRD, das auch alle Folgeorganisationen und Nebenorganisationen einschließt. Özgür Politika wird nun vorgeworfen, die Zeitung sei in die Organisationsstruktur der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingebunden. Diese Begründung ist politisch konstruiert und entbehrt jeglicher Grundlage. Selbst wenn sie zuträfe, hätte Özgür Politika längst verboten werden können, denn die Zeitung hat ihre politische Ausrichtung in den letzten Jahren nicht verändert.

Die vom Innenministerium aufgestellte Behauptung, die Zeitung sei Sprachrohr der PKK, wird der tatsächlichen Berichterstattung der Zeitung, in der z.B. auch die PDS-Abgeordnete im Europaparlament, Feleknas Uca, sowie Schriftsteller und Korrespondenten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen regelmäßig schreiben und zuarbeiten, nicht gerecht. Özgür Politika setzt sich seit Jahren für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ein. Die Zeitungsredaktion hat nicht zuletzt den schwierigen politischen Umgruppierungs- und Neuformierungsprozess der kurdischen Opposition, mit dem Ziel der Herausbildung einer neuen links-demokratischen Partei, kritisch begleitet und unterstützt. Für die türkische Regierung wäre eine Partei, die eine Lösung der kurdischen Frage und eine grundlegende demokratische Umstrukturierung in der gesamten Türkei einfordert und reale Chancen hat, die in der Türkei geltende 10%- Hürde bei Parlamentswahlen zu überspringen, eine politische Bedrohung. Doch worin liegt die Bedrohung in der BRD?

Motivforschung

Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Verbot vor allem aus wahltaktischen Gründen erfolgte. Kurz vor der Bundestagswahl ging es der SPD offensichtlich darum, noch einmal Härte zu demonstrieren und dem bayrischen CSU-Innenminister Beckstein Paroli zu bieten. Dem für "Recht und Ordnung" eintretenden rechten Wählerrand sollte unter Bedienung ausländerfeindlicher Vorbehalte signalisiert werden, dass die Regierung konsequent gegen "ausländische Extremisten" vorgeht und andererseits alle mit dem "Kampf gegen den Terrorismus" einher gehenden Einschränkungen von Bürgerrechten und Abbau demokratischer Rechte auch ihre Berechtigung haben. Wer dabei jeweils als "Terrorist" eingestuft wird, unterliegt den unterschiedlichen politischen Interessenlagen und entbehrt nachprüfbaren Kriterien.

Beim Verbot von Özgür Politika könnte es sich, zweitens, um ein Pilotprojekt für die Ausschaltung oppositioneller und unliebsamer Presseorgane und Journalisten handeln. Wenn es um den Abbau demokratischer Rechte geht, wird immer zuerst bei den Bevölkerungsgruppen, Parteien oder Zeitungen angesetzt, bei denen die Staatsmacht mit dem geringsten Widerstand rechnet. Özgür Politika ist bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung kein Begriff. Die mit der Verbotsverfügung hergestellte Verbindung zur verbotenen PKK und zum Terrorismus führt zu Verunsicherung und Angst. Cemal Ucar, einer der Mitherausgeber von Özgür Politika hat zutreffend festgestellt, dass heute Özgür Politika betroffen ist, morgen jedoch bereits andere Zeitungen verboten werden können.

Nicht auszuschließen ist, drittens, dass es sich beim Verbot von Özgür Politika um ein Freundschaftsdienst für die türkische Regierung handelt. Spätestens durch den beabsichtigten EU-Beitritt der Türkei ist die kurdische Frage auch zu einer europäischen Frage geworden. Die minimalen Vorgaben, die hinsichtlich des Beginns der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zur Einhaltung der Menschenrechte verlangt wurden, sind nachweislich nicht erfüllt worden. Indem erneut signalisiert wird, bei der kurdischen Frage handle es sich um eine Terrorfrage, soll von der Frage Menschenrechte und Demokratisierung abgelenkt werden. Das Verbot von Özgür Politika ist im Hinblick auf Bemühungen zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage kontraproduktiv. Es ist ein verheerendes Signal an die türkische Regierung, die sich in einer Situation erneuter Militäroperationen der türkischen Armee in den kurdischen Gebieten, in der Verfolgung der kurdischen Opposition und deren Presse bestärkt sehen kann.

Es ist zu befürchten, dass das bundesdeutsche Zeitungsverbot auch Auswirkungen in der Türkei haben wird. Die Redakteure und Mitarbeiter von Zeitungen wie z.B. Ülkede Gündem oder Ülkede Özgür Gündem wurden immer wieder mit Strafverfahren überzogen, viele von ihnen waren aufgrund ihrer journalistischen Tätigkeit jahrelang im Gefängnis. Obwohl die Regierung Erdogan im Vorfeld der EU-Beitrittsverhandlungen einige strafrechtliche Bestimmungen liberalisiert hat, bleibt die Meinungsfreiheit türkischer Journalisten stark eingeschränkt. Die angebliche "Schädigung nationaler Interessen" ist nach wie vor unter Strafe gestellt. Aktuell ist allein die Redaktionsleitung von Ülkede Özgür Gündem von mehreren hundert Strafverfahren bedroht. Derzeit werden vor allem Geldstrafen verhängt, um die oppositionellen Zeitungen wirtschaftlich zu ruinieren. Das Verbot von Özgür Politika in der BRD könnte der türkischen Regierung nun einen erneuten Vorwand liefern, um die Repressionsmaßnahmen wieder zu verschärfen.

Gegen das Verbot von Özgür Politika gab es Protest aus unterschiedlichen Bereichen. Mitte September 2005 fand in Frankfurt am Main eine Demonstration unter dem Motto "Freiheit für die kurdische Presse" statt, an der mehrere hundert Menschen teilnahmen.

Auch die DJU hat sich gegen das Verbot ausgesprochen und die Bundesregierung daran erinnert, "den hohen Rang der Pressefreiheit" zu achten. Solidaritätserklärungen kamen u.a. auch vom Kurdischen Nationalkongress, von der Linkspartei und vielen Einzelpersonen. Von einer breiten Protest- und Solidaritätsbewegung kann jedoch bisher keine Rede sein. Die Dimension des Angriffs durch das Zeitungsverbot und die möglichen Folgewirkungen sind nicht ausreichend erkannt worden. Die Herausgeber von Özgür Politika wollen alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um gegen das Zeitungsverbot vorzugehen. Eine Position des Abwartens nach dem Motto "Zuerst einmal sehen was die Gerichte sagen", wie sie Cem Özdemir von den Grünen vertreten hat, ist der politischen Bedeutung des Verbotes einer Tageszeitung mit einer Auflage von mehr als 10.000 jedoch unangemessen.

Bis auf wenige ist Solidarität insbesondere aus dem gewerkschaftlichen Bereich und dem gesamten Medienbereich zu vermissen. In der bisher noch unzureichenden Solidaritätskampagne in der BRD spiegelt sich so auch die mangelnde Zusammenarbeit und damit auch die Isolation von Özgür Politika in der Linken und den fortschrittlichen Medien- und Journalistenkreisen.