Zur aktuellen Debatte um Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt

Birgit Fischer ist Ministerin für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW

Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind wieder ein öffentliches Thema. Das ist gut so. Die tatsächlichen Hintergründe des Düsseldorfer Anschlags, bei dem acht Aussiedler zum Teil schwer verletzt wurden, sind immer noch ungeklärt. Aber unabhängig davon war es dringend notwendig, die schleichende Gewöhnung der Öffentlichkeit an eine zunehmende alltägliche rechtsradikale und fremdenfeindliche Gewalt zu durchbrechen - in Ost- und Westdeutschland. Denn bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Problem Rechtsextremismus von vielen unterschätzt, bestenfalls wurde es als ostdeutsches Sonderproblem wahrgenommen.

Tatsache ist jedoch: Weder in NRW noch in anderen Bundesländern ist überraschend und unvermittelt eine neue Welle rechtsextremer Gewalt hereingebrochen. Die Situation zumindest in Nordrhein-Westfalen ist vielmehr äußerst ambivalent. Berichte und Einschätzungen des Verfassungsschutzes machen dies deutlich.

Die Fakten

In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl rechtsextremer und fremdenfeindlicher Anschläge seit 1993 (Brandanschlag in Solingen) fast kontinuierlich zurückgegangen. 1999 verzeichnete der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz 576 fremdenfeindliche Straftaten. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Rückgang um knapp 14 Prozent. Auch rechte Parteien haben in Nordrhein-Westfalen insgesamt so gut wie keine Bedeutung. Republikaner und DVU sind kaum wahrnehmbar, die NPD als Wahlpartei ist in NRW ebenfalls praktisch bedeutungslos.

Parallel dazu hat jedoch der Einfluss rechtsradikaler Parteien auf Jugendliche zugenommen. Bei den Kommunalwahlen 1999 hat die DVU in Dortmund bei den 16 bis 25-jährigen beispielsweise einen Stimmenanteil von 9,9 % erreicht; die Republikaner in Herne sogar einen Anteil von rund 15 %. Darüber hinaus nimmt vor allem die NPD mittlerweile nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung des rechten Spektrums ein, sondern sie gewinnt politisch und kommerziell zunehmend Einfluss auf jugendliche Subkulturen. Erfolgreich nutzen rechtsradikale Akteure dabei zeitgemäße technische und kulturelle Medien wie Internet und Skin-Musik als Transmissionsriemen für ihre Agitation und finden damit bei Jugendlichen zahlreiche Abnehmer - unabhängig von ihrer politischen Gesinnung. Dies kann dann schnell zur "Einstiegsdroge" in die rechte Szene werden.

Hinzu kommt, dass gerade in letzter Zeit die Zahl der jungen Menschen aus dem gewaltbereiten rechten Spektrum gestiegen ist und die verübten Straftaten schwerere Folgen hatten, als noch im vergangenen Jahr. Vermehrte Waffen- und Sprengstofffunde bei neonazistischen Gruppen verbunden mit der zunehmenden Bereitschaft, sie auch einzusetzen, veranlassten Heinz Fromm, den Präsidenten des Verfassungsschutzes, jüngst sogar von Ansätzen für einen rechten Terrorismus zu sprechen.

Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung

Gleichwohl wäre es nun völlig falsch, Rechtsextremismus als Jugendproblem zu begreifen. Rechtsextremismus kommt vielmehr aus der Mitte der Gesellschaft. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie in einer Zeit des raschen ökonomischen und sozialen Wandels nicht mehr mithalten können. Einmal Gelerntes verliert vor allem in der Arbeitswelt rasch an Bedeutung. Dies führt zu Verunsicherung und zum Verlust von Orientierung.

Wir wissen, dass immer dann, wenn das Selbstwertgefühl eines Menschen in Frage gestellt ist, wenn Angst vor persönlichen Misserfolgen, fehlende Perspektiven, Unsicherheit und Angst, zu den Verlierern zu gehören, das Lebensgefühl bestimmen, die Empfänglichkeit für scheinbar einfache Lösungen und autoritäre Strukturen besonders groß ist. Dies trifft auch Jugendliche, aber eben nicht allein und schon gar nicht nur benachteiligte Jugendliche.

Paul Spiegel konstatierte vor kurzem in unserer Gesellschaft eine "stillschweigende Zustimmungsbereitschaft". Dazu gesellt sich eine seit mehreren Jahren beobachtbare "Kultur des Wegsehens". "Die Zeit" beschrieb dies vor über einem Jahr so: "Erst gewöhnt man sich an die Bomberjacken, dann akzeptiert man sie. Wenn Reporter nachfragen, antworten biedere Bürger: ,Uns hat noch kein Rechter etwas getan.`"

Daran sind Politik, Medien, Wirtschaft - kurz: die so genannten Eliten - nicht ganz unschuldig. Bekannte Stichworte sind: Die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, ein (wenn auch schnell wieder zurückgezogenes) Hitlerplakat im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf, politische Meinungsäußerungen, wie "Wir brauchen weniger Ausländer die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen;" oder "die Grenze der Belastbarkeit durch Zuwanderung ist erreicht," und nicht zuletzt "Kinder statt Inder".

Hier wird deutlich, wie wenig sensibel selbst überzeugte Demokraten häufig agieren, denn solche Aussagen sind durchaus geeignet, kollektive Feindbilder und Stimmungen zu schaffen.

Jugend, Jugendarbeit und Rechtsextremismus

Es ist eine vielfache Erfahrung: Je intensiver eine öffentliche Debatte geführt wird, umso mehr drängt die Diskussion zu schnellen, sichtbaren Maßnahmen und umso schwerer haben es langfristig angelegte Konzepte. Selbstverständlich bleibt es richtig und wichtig, der demokratischen Überzeugung der großen Mehrheit symbolische Foren und symbolischen Ausdruck zu schaffen. Richtig ist auch, rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gewalt und Volksverhetzung mit der ganzen Härte des Gesetzes zu begegnen. Aber es wäre grundfalsch, darüber die Bedeutung auf Dauer angelegter, präventiver Konzepte gering zu achten. Besonders in der Arbeit mit Jugendlichen gilt das Prinzip der Nachhaltigkeit. Erst dauerhaft angelegte und konsequent realisierte Präventionskonzepte vermitteln die demokratische und soziale Kompetenz, wichtige Schlüsselqualifikationen, um rassistische Einflüsse reflektieren und abwehren zu können.

Vor allem die Jugendarbeit ist hier nicht nur sehr kreativ, sondern sie arbeitet seit vielen Jahren - häufig von der Presseöffentlichkeit unbemerkt - kontinuierlich mit jungen Menschen. Aber sie kann genauso wenig wie Schule die gesellschaftlichen Probleme allein schultern geschweige denn, lösen.

Gerade bei Jugendlichen treten häufig Unsicherheiten geballt auf. Viele von ihnen wissen oft noch nicht einmal, ob sie überhaupt die Chance auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz erhalten. Deshalb gehört die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nach wie vor zu den wichtigsten politischen Handlungsfeldern. Allerdings müssen wir uns auch darüber klar sein, dass dies allein Rechtsextremismus nicht verhindert. Dies zeigen insbesondere die Erfahrungen in den neuen Bundesländern. Viele der braunen Schläger gehen tagsüber einem Beruf nach.

Jugendliche brauchen darüber hinaus auch die Möglichkeit, in ihrem Umfeld frühzeitig Verantwortung zu übernehmen um es entsprechend mit gestalten zu können. Dies setzt voraus, dass sie Anerkennung finden, Selbstvertrauen besitzen und Hilfestellungen erhalten um ihre Chancen und Perspektiven nutzen zu können. In einer Zeit, in der die Elterngeneration Jugendlichen keine ausreichende Orientierung mehr geben kann, da die gesellschaftlichen Veränderungen die Menschen permanent vor neue Herausforderungen stellen, muss neben der Familie Jugendarbeit und Schule Unterstützung anbieten und organisieren. Dazu gehören ausreichende Betreuungsangebote vor allem für Kinder in sozial benachteiligten Gebieten, genauso wie Hilfestellungen für junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf oder aber Angebote, die Familien in schwieriger sozialer Lage stabilisieren.

Die jüngste Shell-Jugendstudie hat gezeigt, dass Vorbehalte gegenüber Ausländerinnen und Ausländern bei den Jugendlichen am größten sind, die über wenige oder gar keine Kontakte zu ihnen verfügen. Dies zeigt, wie wichtig insbesondere die interkulturelle Jugendarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ist. Denn ihr geht es darum, Zusammenleben zu organisieren, um Lebensweisen, Gewohnheiten und kulturelle Hintergründe anderer Nationalitäten zu erfahren und verarbeiten zu können.

Nicht zuletzt kommt es darauf an, die klare Mehrheit gegen rechts sichtbar zu machen. Junge Menschen brauchen Vorbilder und positive Beispiele, die das friedliche und gleichwertige Zusammenleben unterstützen und anerkennen. Dies gelingt besonders gut, wenn Jugendliche ihre Altersgenossen selbst versuchen zu überzeugen. In Nordrhein-Westfalen initiieren wir deshalb ein Bündnis "Jugend NRW gegen Intoleranz, Gewalt und Rechtsextremismus". Darüber hinaus fördern wir eine landesweite Aktion mit dem Titel "Respect: Jugend gegen Gewalt" oder Maßnahmen der jungen Musikszene gegen Rechts.

Fazit

Die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, fordert jeden von uns täglich neu. Zivilcourage, Toleranz und Anerkennung gegenüber anderen kann jeder von uns auf ganz unterschiedliche Weise zeigen. Wir müssen darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass Jugendliche unabhängig von ihrer Nationalität ausreichende Zugangsmöglichkeit zu Arbeit und Bildung haben, und ihnen Mitgestaltungsmöglichkeiten bei öffentlichen Belangen bieten. Sie müssen sich zugehörig fühlen zur sozialen Gemeinschaft. Dies sagt sich leicht, ist aber harte Arbeit.

Ein friedliches Zusammenleben erfordert starke und selbstbewusste Persönlichkeiten. Unsere Demokratie ist dann stabil, wenn die Bereitschaft vorhanden ist, die Freiheit und Rechte des Einzelnen anzuerkennen und wenn nötig zu verteidigen.

Marginalien:

Weder in NRW noch in anderen Bundesländern ist überraschend und unvermittelt eine neue Welle rechtsextremer Gewalt hereingebrochen.

Ein friedliches Zusammenleben erfordert starke und selbstbewusste Persönlichkeiten.