Energiepflanzen verdrängen in Guatemala zunehmend Nahrungsmittel
Immer mehr Unternehmen sichern sich Land in Guatemala, um auf diesem Ölpalmen und Zuckerrohr anzubauen und somit von dem weltweit steigenden Bedarf an Agrosprit zu profitieren. Doch das Umweltbewusstsein der Einen ist das Leid der Anderen. Denn das Land wird ebenso von indigenen Gruppen beansprucht. Für sie sind die landwirtschaftlichen Flächen Lebensgrundlage – und eine Verbindung zu ihren Vorfahren.
Mitternacht auf der Finca Bella Flor im Departamento Alta Verapaz in Guatemala. Hier und da schnarcht ein Mensch. Ab und zu weint ein Baby. Kinder und Alte, Frauen und Männer schlafen auf Brettern und schmutzigen Decken. 36 Familien haben eine provisorische Siedlung gebaut, Äste in den Boden gerammt und schwarze Plastikplanen daran befestigt, damit sie ein wenig Schutz vor Regen und Wind bieten. Dreimal schon wurden die Menschen von diesem Grundstück vertrieben. Jedes mal kamen sie zurück. Zuletzt vor einem Monat. Die Finca Bella Flor liegt in einem Tal, durch das gemächlich der Fluss Polochic fließt. Doch die Stimmung dort ist aufgeheizt. Viele Kleinbauern und -bäuerinnen protestieren gegen die Invasion großer Konzerne, die Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen wollen, Pflanzen, aus denen Ethanol und Agrodiesel gewonnen werden kann.
Zwei Wächter mit Taschenlampen patrouillieren über Sandpfade der Finca
Bella Flor, welche die Schlafplätze miteinander verbinden. Drei weitere
sitzen versteckt hinter einem Sandhaufen. Einer von ihnen ist Julio
Caál, ein schmächtiger Mann. Aber sein charismatisches Auftreten macht
ihn zum natürlichen Anführer der Gruppe. „Die Fincabesitzer sagen, wir
hätten dieses Land illegal besetzt“, beklagt Julio Caál. „Aber die
wirklichen Eindringlinge sind sie. Diese Leute sind von weither
gekommen. Sie haben das Land unserer Vorfahren genommen. Für dieses
Land sind unsere Großväter ermordet worden.“ Ein Großteil der
Bevölkerung im Polochic-Tal sind Angehörige des Mayavolkes der Kekchí.
Doch das fruchtbarste Land gehört einigen wenigen
GroßgrundbesitzerInnen. Die haben sich schon vor Generationen riesige
Ländereien angeeignet, auf denen zuvor die indigene Bevölkerung gelebt
hat. Nicht selten kam dieser Landraub gewaltsam zustande. Die Kekchí
mussten für die neuen Herrn arbeiten. Doch zumindest bekamen sie eine
Parzelle zugewiesen, auf der sie ihre eigenen Grundnahrungsmittel
anbauen konnten. Jetzt aber soll es vorbei sein mit dieser
Selbstversorgung. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre haben
Großkonzerne riesige Ländereien gekauft. Sie wollen die Landwirtschaft
ganzer Regionen auf den Anbau von Ölpalmen und Zuckerrohr umstellen.
Für die Familien, die seit Generationen auf dem Land leben, bleibt
weder genug Platz, noch ausreichend Arbeit. Ganze Gemeinden werden
vertrieben und verlieren ihre Überlebensgrundlage. Julio Caál und seine
Familie waren schon mehrfach Opfer blutiger Landkonflikte. Zwei seiner
Onkel wurden ermordet. Er selbst hat mehrere Schusswunden überlebt.
Nicht ohne Stolz zeigt er die Narben an seinem Bein: „Sie haben mich
getroffen. Zwei Kugeln sind hier ins Bein eingedrungen und auch meine
Hand haben sie ordentlich verletzt.“
Neben Julio Caál sitzt der Junge Dario auf einem Stein. Er ist sechzehn
Jahre alt. „Wir leben mit dem Hunger“, sagt er. „Manchmal haben wir
keinen Mais, weil wir kein Land haben. Das ist extreme Armut.“ Dario
und seine KameradInnen hoffen, dass sie eines Tages als BesitzerInnen
der Finca Bella Flor anerkannt werden. Sie wollen auf ihren eigenen,
kleinen Parzellen arbeiten und nicht als Tagelöhner für
GroßgrundbesitzerInnen. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn in
Guatemala liegt bei 56 Quetzales, etwa fünf Euro pro Tag. Aber das
steht nur auf dem Papier. Einer der Fincabesitzer im Polochic-Tal, der
deutlich weniger zahlt, ist Hector Monzón. Er bezeichnet die
Landbesetzungen als illegal und hält ein gewaltsames Vorgehen gegen die
BesetzerInnen für notwendig: „Der Staat muss den Privatbesitz immer
verteidigen. Deshalb muss er die Invasionen bekämpfen und die
Landbesetzungen räumen.“
Hector Monzóns Vater hat die Finca Bella Flor seiner Tochter Aminta
vererbt. Doch die ist vor vielen Jahren in die Hauptstadt gezogen,
erzählt Hector Monzón: „Die Finca meiner Schwester ist schon dreimal
besetzt worden. Deshalb hat sie sich entschieden, das Land zu
verkaufen. Sie konnte es nicht verteidigen. Gerade jetzt sind schon
wieder BesetzerInnen gekommen, obwohl am Zugang Wächter standen. Die
Eindringlinge hatten Waffen und haben auf das Sicherheitspersonal
geschossen. Daraufhin sind die Männer geflüchtet.“
Hector Monzón stellt den Verlauf der Schießerei anders dar als Julio
Caál. Außerdem sagt er, die BesetzerInnen hätten überhaupt keinen
Grund, das Land für sich in Anspruch zu nehmen. Er bezeichnet sie als
Kriminelle: „Es ist durchaus möglich, dass es wieder zu einer
Konfrontation kommt, weil der Staat immer weniger Kontrolle ausübt. Es
gibt viel Korruption. Wenn das mit den Landbesetzungen so weitergeht
und niemand die BesetzerInnen aufhält, dann wird es zu einer
Konfrontation kommen zwischen den rechtmäßigen BesitzerInnen und den
BesetzerInnen.“
Die meisten GroßgrundbesitzerInnen argumentieren, die Investitionen der
Konzerne würden den Weg zu Fortschritt und Entwicklung ebnen. So sieht
es auch der Bürgermeister des Städchens Panzós, dem urbanen Zentrum des
Polochic-Tals. Er heißt Edwin Rummler – ein deutscher Name. Sein
Großvater ist aus Deutschland nach Guatemala gekommen. Edwin Rummler
hält es für seine Aufgabe, großen Konzernen den Weg zu bereiten, damit
sie im Polochic-Tal investieren: „Wir bemühen uns um Investoren, die
sich für dieses Gebiet interessieren. Wir unterstützen vor allem
Unternehmen, die Ölpalmen anpflanzen und Bergbaufirmen, die Minen
betreiben. Sie alle empfangen wir mit offenen Armen, denn wir wissen,
dass sie uns Entwicklung bringen.“
Auf der Finca Bella Flor durchbricht das Weinen eines Kleinkinds die
Stille der Nacht. Sein Vater, Samuel Cucúl, wacht auf und steht von
seinem Lager auf. Aber es ist Zeit für seinen Patrouillengang. „Ich
habe gehört, dass sechs riesige Konzerne aus Brasilien hierher kommen
werden, um Ölpalmen zu pflanzen“, sagt Samuel Cucúl. „Wir brauchen das
Land, um unseren Mais, unseren Reis und unsere Bohnen anzubauen. Das
ist unsere Nahrung. Wenn es nur noch Ölpalmen gibt, und keine Bohnen
mehr, was sollen wir dann mit all dem Öl noch braten?“
Alle Kinder in der Siedlung leiden an Unterernährung. Sie laufen barfuß
und ihre Eltern haben nicht genug Geld für Medikamente, mit denen sie
die häufig auftretenden Atemwegs- und Magenerkrankungen bekämpfen
könnten. Samuel Cucúl weiß, dass er all seine Kraft braucht, um das
Überleben seiner Familie zu sichern. Aber seit dem letzten
Zusammentreffen mit dem privaten Sicherheitspersonal der ehemaligen
Fincabesitzerin kann er nicht mehr so hart arbeiten wie er möchte: „In
meinem Körper stecken 27 Splitter Streumunition. Deswegen kann ich
heute nicht mehr so gut arbeiten wie früher. Wenn die Sonne heiß wird,
bekomme ich Schwindelanfälle. Ich schaffe es gerade noch, meine Kinder
durchzubringen. Aber oft kann ich ihnen nicht mehr so viel zu essen
geben wie früher. Als ich noch arbeiten konnte, habe ich getan was ich
wollte. Das geht jetzt nicht mehr, wegen der Wunde.“ Samuel Cucúls
Körper ist schwer angeschlagen, genauso wie sein Gebiss. Es hat
zahlreiche Lücken. Die meisten der übrigen Zähne haben große, schwarze
Flecken. Er war noch nie beim Zahnarzt. Das ist ihm nicht so wichtig.
Viel mehr sorgt er sich um das Essen für die nächste Mahlzeit. Die
Familien auf der Finca Bella Flor sind auf die Solidarität anderer
Gemeinden angewiesen. „Manchmal helfen wir uns gegenseitig. Wir gehen
in eine andere Gemeinde, in der es den Leuten besser geht. Dort bitten
wir um ein wenig Mais. Wir müssen durchhalten, bis wir die erste Ernte
reinholen. Dann haben wir wieder etwas und können denjenigen Gemeinden
helfen, die Hilfe brauchen. Wir haben nicht genug, um ordentlich essen
zu können, aber so einigermaßen schlagen wir uns durch.“
Text: // Andreas Boueke
Ausgabe: Nummer 442 - April 2011
INFO-KASTEN 1:
Agrosprit im Tank
Agrosprit soll nachhaltig das Klima schützen. Deshalb gilt in
Deutschland seit Anfang des Jahres die sogenannte
Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung. Diese legt fest, dass die flüssige
Biomasse, die dem üblichen Benzin oder Diesel beigemischt werden kann,
nur noch aus nachhaltiger Produktion stammen darf. Die Pflanzen dürfen
nicht auf Flächen mit hohem Naturschutzwert angebaut werden, wie etwa
Regenwälder oder Feuchtgebiete.
Umweltverbände unterstützen das ökologische Anliegen der
Nachhaltigkeitsverordnung, kritisieren aber das Fehlen sozialer
Kriterien, so auch die Biologin Monika Nolle von der
Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz, ARA: „Die ursprüngliche
Idee, Biodiesel statt fossile Energie zu nutzen, ist eigentlich ein
guter Gedanke. Aber es ist ein Problem, wenn diese Energiepflanzen für
unseren Bedarf in anderen Ländern wachsen. Dann ist es wieder so, dass
wir profitieren. Wir besetzen in südlichen Ländern große Ländereien,
weil wir hier kein Land dafür zur Verfügung haben.“
Greenpeace hat festgestellt, dass Deutschland im Schnitt ein Viertel
des Agrosprits, der in den Autotanks landet, aus solchen Ländern
importiert. Dort gewinnen die Konzerne den Biosprit aus tropischen
Pflanzen wie Ölpalmen und Zuckerrohr – zu Lasten der armen
Landbevölkerung.
INFO-KASTEN 2:
Landkonflikte im Polochíc-Tal
Das Tal, durch das der Polochíc-Fluss fließt, liegt im Westen des
Izabal-Sees. Über neunzig Prozent der Bevölkerung sind Maya Kekchí.
Einige Familien haben deutsche Vorfahren. Ab dem Jahr 1865 kamen
deutsche Einwanderer in die Region. Viele profitierten von der
Enteignungspolitik der Regierung des bis heute als Modernisierer
geltenden Präsidenten Justo Rufino Barrios, der ein Dekret durchgesetzt
hat, durch das 170 Kekchí Gemeinden in der Provinz Alta Verapaz ihr
Land verloren, auf dem die Deutschen dann Kaffee anbauen konnten.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Diktator Jorge Ubico von den
USA gedrängt, die Besitztümer der deutschen GroßgrundbesitzerInnen zu
konfiszieren. Daraufhin nahm die US-amerikanische Firma United Fruit
Company große Ländereien in Polochíc-Tal in Besitz, jedoch weitgehend
ohne sie je zu bearbeiten. In einer Phase revolutionärer Umbrüche
verstaatlichte der demokratisch gewählte Präsident Jacobo Arbenz einen
Teil dieser landwirtschaftlichen Flächen. Doch nachdem seine Regierung
im Jahr 1954 durch einen von der Regierung der USA unterstützten Putsch
gestürzt wurde, konnten sich einige GroßgrundbesitzerInnen dieses Land
aneignen. Zu dieser Zeit tauchte der neue starke Mann des Polochic-Tals
auf: Flavio Monzón regierte sechs Wahlperioden über als Bürgermeister
des Städtchens Panzós. Während dieser Zeit trug er große Landstriche
auf seinen Namen ein.
Die Landkonflikte verschärften sich. Am 29. Mai 1978 kam es in Panzós
zu einem Massaker. Soldaten schossen auf eine Demonstration von
Kleinbauern aus dem Volk der Kekchí. Sie hatten gefordert, dass das
Land, das sie bewohnten, auf ihre Namen eingetragen würde. 53
Zivilisten starben. Erst im Jahr 1997 wurden die meisten Opfer des
Massakers exhumiert. Sie lagen in zwei geheimen Massengräbern.
Flavio Monzón hat einen Teil seines Grundbesitzes an seine Kinder
vererbt, unter ihnen Aminta Monzón. In Verhandlungen mit den
LandarbeiterInnen, die auf der Finca Bella Flor lebten, erklärte sie
sich bereit, ihnen das Land zu verkaufen. Doch im Jahr 2005 tauchte die
Firma Chabil Utzáj im Polochíc-Tal auf. Der Unternehmer Carlos Widmann
kaufte mindestens zwei Dutzend Fincas in der Region, bevor er seine
gesamte Zuckerrohrverarbeitungsfabrik „Guadelupe“ von der Südküste ins
Polochíc Tal transportierte. Diesen spektakulären Plan setzte er in die
Tat um, um im Tal mit einer groß angelegten Zuckerrohrproduktion
beginnen zu können. Unter anderem kaufte Chabil Utzáj von Aminta Monzón
die Finca Bella Flor zu viel günstigeren Konditionen als es die
LandarbeiterInnen ihr hätten bieten können. Daraufhin besetzten 36
Familien am 12. Oktober 2010 das Land, in der Hoffnung, dass die
Regierung eine friedliche Regelung unterstützen würde.
Am 15. März eskalierte die Situation. Carlos Widmann hatte richterliche
Räumungsanordnungen für 13 Fincas erwirkt. Diese wurden umgesetzt von
Hundertschaften von PolizistInnen mit Unterstützung von SoldatInnen der
Armee und privatem Sicherheitspersonal. Am ersten Tag kam es zu
gewaltsamen Konfrontationen. Ein Landarbeiter starb und mindestens
sechs wurden schwer verletzt. In den darauf folgenden Tagen wurden die
restlichen Fincas ohne weitere gewalttätige Zwischenfälle geräumt.
// Andreas Boueke
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