Oppositionsparteien und soziale Bewegungen protestieren gegen Einschränkung demokratischer Rechte
Zwölf Tage befand sich die ehemalige comandante und heutige Abgeordnete Dora María Téllez im Hungerstreik und stieß damit eine Protestwelle in Nicaragua an.
Mitten in der Hauptstadt Managua schlug Dora María Téllez ihr Zelt auf und verharrte dort zwölf Tage lang in einer Hängematte. Am 4. Juni begann die Parlamentsabgeordnete der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) einen Hungerstreik „für die Verteidigung des Rechtes auf Demokratie und unser Recht auf Leben“, so ihre Begründung. Róger Arias, ein junger Gemeinderatskandidat der MRS, schloss sich ihr an. Auslöser war die Ankündigung des Obersten Wahlrats (CSE), den Status der Rechtspersönlichkeit der MRS und anderer Parteien zu prüfen (siehe Interview in dieser Ausgabe). Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Sich zu erheben und für ihre Rechte zu kämpfen, ist nichts Neues für
die heute 52-Jährige. Téllez war maßgeblich beteiligt am Sturz des
Diktators Anastasio Somoza. 1978 führte sie die Einnahme des
Nationalpalastes an. Heute ist sie eine der bekanntesten KritikerInnen
ihres ehemaligen Weggefährten und heutigen Präsidenten Daniel Ortega.
Sie wirft ihm vor, das Land zunehmend autoritär zu regieren und
demokratische Rechte systematisch einzuschränken. Und sie steht nicht
allein mit ihrer Kritik. Soziale Bewegungen, Basisorganisationen und
Menschenrechtszentren beklagen bereits seit Monaten die zunehmende
Einschüchterung und Ausgrenzung von Seiten der Regierung und ihrer
Alliierten. Denn mit Hilfe eines Paktes haben Ortegas Sandinistische
Befreiungsfront (FSLN) und die Liberal-Konstitutionalistische Partei
(PLC) des Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán in den vergangenen zehn Jahren
die wichtigen Staatsorgane unter ihre Kontrolle gebracht. Die beiden
caudillos kontrollieren sowohl den Obersten Wahlrat als auch den
Obersten Gerichtshof.
Und so hatte wohl auch Dora María Téllez von Beginn an mit dem gerechnet, was am 11. Juni offiziell wurde: Der Oberste Wahlrat erkannte der MRS ihre Rechtspersönlichkeit ab und schloss sie so von den im November anstehenden Kommunalwahlen aus. Die Konservative Partei (PC) ereilte das selbe Schicksal. Zur Begründung hieß es, die MRS habe den Wahlrat nicht angemessen über Veränderungen der Führungsgremien informiert. Sie habe sich „quasi selbst aufgelöst“. Die PC hingegen soll keine ausreichende Anzahl an KandidatInnen für die kommenden Wahlen registriert haben. Noch vor wenigen Wochen hatte der CSE die KandidatInnenlisten beider Parteien anerkannt.
Zwar legte die MRS Berufung gegen die Entscheidung des Obersten
Wahlrates ein, diese wird jedoch vor dem ebenfalls von den zwei
Paktparteien dominierten Berufungsgericht in Managua entschieden
werden. Als klar war, dass die juristische Lage aussichtslos ist,
beendeten Dora María Téllez und Róger Arias am Morgen des 16. Juni
ihren Hungerstreik. Der Gesundheitszustand von Téllez war bereits sehr
kritisch.
Carlos Mejía Godoy verbot der FSLN die Nutzung seiner Lieder
Doch der Hungerstreik hat eine landesweite Protestwelle angestoßen. Tag
für Tag standen Schlangen solidarischer NicaraguanerInnen vor der
Hängematte der Ex-Guerillera. Prominente PolitikerInnen und
Intellektuelle unterstützten die Forderungen. Protestierende
versammelten sich täglich um das Camp der beiden Streikenden. Auf ihren
Transparenten war zu lesen: „Demokratie ja – Diktatur nein“ oder „Nein
zu einer neuen Diktatur“.
Auch nach dem Ende des Hungerstreiks ging der Protest weiter. Am 20.
Juni organisierte die MRS-Allianz, gemeinsam mit
Nichtregierungsorganisationen und der PC einen Protestmarsch. 5.000
Menschen zogen in strömendem Regen durch Managua. Eine Woche später
gingen in Managua mehr als 10.000 Menschen auf die Straße, um gegen die
jüngsten Entwicklungen zu protestieren. „Wir müssen eine Bewegung
schaffen und in ganz Nicaragua den Widerstand organisieren. Friedlichen
Widerstand“, sagte Téllez.
Der regt sich auch bei anderen. Der Musiker und Autor vieler
Revolutionslieder Carlos Mejía Godoy verbot der FSLN in einem offenen
Brief an die Präsidentengattin Rosario Murillo die Nutzung seiner
Lieder. „Unser Land ist erneut von einer Familiendiktatur bedroht und
ich kann nicht zulassen, dass die Lieder, die inspiriert waren vom
Kampf gegen eben solch eine Diktatur, nun als musikalischer Hintergrund
für die Fortsetzung der Tragikkomödie der letzten Jahre genutzt
werden“, begründet er seinen Schritt. Kurz darauf zog sein Bruder Luis
Enrique nach. Die Regierung gibt sich uneinsichtig. Kurz nach der
Veröffentlichung des Briefes spielte sie bei einer Veranstaltung in der
westnicaraguanischen Stadt Masaya gleich drei Lieder von Carlos Mejía
Godoy. Eines gar in eigenmächtig veränderter Version. „Ich bin auf
einen internationalen Rechstreit mit der Regierung vorbereitet – egal
wie lange er dauern mag,“ gab darauf hin Mejía Godoy bekannt. Da er der
nicaraguanischen Justiz nicht traue, werde er direkt vor einem
internationalen Gericht klagen.
Auch der MRS wird wahrscheinlich nur noch der Weg vor ein
internationales Gericht bleiben, um ihre „Parteiauflösung“ rückgängig
zu machen. Bis dahin will man jedoch nicht untätig bleiben. Zum
Abschluss der Proteste vom 20. Juni kündigte Dora María Téllez eine
„Nationale Kampagne für Würde und Demokratie“ an. Dabei ist ihr
oberstes Ziel die Zerschlagung des Paktes zwischen Ortega und Alemán.
Um das zu erreichen, sieht Téllez über politische Differenzen hinweg
und wirbt für eine Vereinigung der Kräfte: „Der Pakt ist ein
Krebsgeschwür der öffentlichen Institutionen. Wer darin mit uns
übereinstimmt, ist mit uns auf einer Ebene.“ Das jsehen nicht alle so.
KritikerInnen befürchten, dass es der Bewegung die Stärke nimmt, wenn
die einzige Gemeinsamkeit ist, gegen den Pakt zu sein ohne eine
Alternative zu schaffen. Stärke jedoch wird es brauchen, um Ortega und
Alemán in die Schranken zu weisen.
Bisher zeigen diese sich wenig beeindruckt. Inmitten der Turbulenzen
teilte der Präsident Mitte Juni per Erlass seiner Ehefrau Rosario
Murillo einen weiteren zentralen Regierungsposten zu. Ab sofort wird
sie für die gesamten Sozialprogramme der Regierung, wie beispielsweise
das „Null-Hunger-Programm“, verantwortlich sein. Die Präsidentengattin
ist bereits Pressesprecherin und koordiniert die umstrittenen Räte der
Bürgermacht (CPC). Die Machtkonzentration innerhalb der Regierung, die
in den Augen der Protestierenden einer „Familiendiktatur“ gleicht,
nimmt weiter zu. Dennoch bleibt Dora María Téllez verhalten
optimistisch: „Wir werden an den Wahlen teilnehmen und gestärkt aus der
Situation hervorgehen,“ sagte sie in einem Zeitungsinterview. Für die
kommenden Wochen sind landesweit Demonstrationen angekündigt.
Text: Anna Schulte
Ausgabe: Nummer 409/410 - Juli/August 2008