Licht und Schatten

Interview zu geplanten Änderungen im US-Einwanderungsrecht

in (13.03.2015)

Geschätzte elf Millionen Undokumentierte leben in den USA. Für rund fünf Millionen von ihnen besteht nach Angaben aus dem Weißen Haus die Aussicht auf eine Teillegalisierung, wenn es nach Präsident Obama geht. Ende November hatte er ein Dekret erlassen, das Möglichkeiten illegalisierter Einwanderer in den USA erweitern soll, einen befristeten Aufenthaltsstatus zu erhalten. Noch ist allerdings nicht klar, ob das Dekret überhaupt in Kraft treten wird, denn Obamas Entscheidung war ein Alleingang an den parlamentarischen Strukturen vorbei. Das nutzten die Republikaner zum Gegenschlag: 26 Bundesstaaten reichten Klage ein, der am 16. Februar stattgegeben wurde. Die Umsetzung des Vorhabens ist derzeit per einstweiliger Verfügung auf Eis gelegt. Die Regierung in Washington will dagegen wiederum in Revision gehen. So umstritten, wie die Regelung parlamentarisch ist, so kontrovers ist sie auch unter GewerkschafterInnen und migrationspolitisch Aktiven – nachzulesen in den letzten drei Ausgaben der Labor Notes. Den Beginn der Kontroverse machte das Interview, das Julia Kann für die Labor Notes mit Arianna Salgado und Guillermo Perez führte und das wir hier übersetzt dokumentieren. Salgado ist Bildungsaktivistin und Mitglied der Immigrant Youth Justice League aus Chicago, Guillermo Perez ist Vorsitzender des Labor Council on Latin American Advancement (LCLAA) in Pittsburgh, aktives Mitglied des Stahlarbeiter-Locals 3657 und Mitarbeiter des Strategiekomitees der Labor Notes.

 

 

Könnt Ihr uns etwas über Eure Erfahrungen in der Bewegung für MigrantInnenrechte erzählen?

 

Arianna Salgado: Ich habe keinen Aufenthaltsstatus, aber ich falle unter die DACA-Regelung, eine spezielle Regelung für junge MigrantInnen1, über die ich eine Arbeitserlaubnis, eine Sozialversicherungsnummer und den Schutz vor Abschiebung habe. In der Bewegung für MigrantInnenrechte bin ich seit 2010 oder 2011 aktiv... Dazu gekommen bin ich über die Frage nach dem Zugang zum Bildungssystem für undokumentierte SchülerInnen. So habe ich dann auch mit dem Kampf gegen Abschiebung und Inhaftierung zu tun bekommen. Wir wollten vor allem deutlich machen, dass die Leute, die eingesperrt werden oder denen eine Abschiebung bevorsteht, keineswegs die Kriminellen sind, als die sie uns oft präsentiert werden.

 

Guillermo Perez: Ich beteilige mich seit 15 Jahren am Kampf für eine Reform der Einwanderungsgesetzgebung. Zustande gekommen ist das über meine Vertretung von illegalisierten ArbeiterInnen in der Gewerkschaft, für die ich gearbeitet habe. Ich betrachte die Auseinandersetzung um Einwanderungspolitik in der Tat als einen Kampf der Arbeiterbewegung, weil ich glaube, dass die Migrationsfrage im Kern eine Arbeiterfrage ist. Wofür wir die ganze Zeit gekämpft haben, das ist irgendeine Art der sozialen Absicherung, die es den Leuten ermöglicht, zu vollwertigen Mitgliedern unserer Gesellschaft zu werden, ohne dass die Frage noch eine Rolle spielt, ob sie Papiere haben oder nicht. Wir haben immer gesagt: »las luchas obreras no tienen fronteras« – Arbeiterkämpfe kennen keine Grenzen!

 

Obamas Bekanntmachung dreht sich um die Schaffung eines neuen Aufenthaltsstatus unter dem Titel »Deferred Action for Parental Accountability« (DAPA). Was haltet Ihr von diesem neuen Aufenthaltstitel für papierlose Eltern von Kindern mit US-Staatsbürgerschaft oder dauerhaftem Aufenthaltsstatus?

 

GP: Ich halte das für eine wichtige Errungenschaft. Es ist das Ergebnis des enormen Einsatzes migrationspolitischer AktivistInnen, die wirklichen Druck auf den Präsidenten ausgeübt haben, um die Situation zu verbessern. Wir sollten es als Sieg verbuchen, auf den wir aufbauen können. Es gibt fünf Millionen Menschen, die unter DAPA und die Erweiterung der DACA-Regelung fallen. Die Herausforderung besteht darin, diese Leute dazu zu bringen, ihre Rechte wahrzunehmen, ihnen einen legalen Status zu verschaffen und dafür zu sorgen, dass sie ihn nie verlieren. Wenn wir nicht genug Leute in dieses Programm bringen, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder zurückgenommen wird.

 

AS: Ich halte es definitiv für einen Schritt in die richtige Richtung. Uns ist durchaus klar, dass es nicht mal die Hälfte von uns erreicht. Aber für diejenigen, die es betrifft, sehen wir die möglichen positiven Auswirkungen.

Darüber hinaus ist es so, dass viele meinen, eine Person im Arrest oder im Abschiebeverfahren müsse etwas wirklich Übles getan haben, um dort zu landen. Tatsächlich sehen wir dagegen, dass es sich meist um Leute handelt, die bloß irgendwo aufgegriffen wurden, manchmal einfach in Verkehrskontrollen. Trotz DACA und DAPA wird die Zahl der Abschiebungen nicht zurückgehen (wg. der leichteren Abschiebemöglichkeiten, die gleichzeitig vereinbart wurden; Anm. d. express-Red.). Darauf haben diese Maßnahmen keinen wirklichen Effekt.

 

Wie beurteilt Ihr Obamas Behauptung, DAPA würde Millionen undokumentierter MigrantInnen ermöglichen, »aus dem Schatten zu treten«?

 

AS: Es muss betont werden, dass dieses Konzept, »aus dem Schatten herauszukommen«, aus den Graswurzelbewegungen kommt – es kommt nicht durch irgendeine Verlautbarung irgendeines Politikers in die Welt. »Aus dem Schatten treten«, das ist etwas, was Illegalisierte etwa seit 2010 tun. Ich kann hier nur über DACA sprechen, weil es nur dafür schon Verfahrensweisen gibt, aber daraus können sich Hinweise ergeben, wie die Betroffenen auf DAPA reagieren werden. Denjenigen, die DACA nutzen können, ist klar, dass es uns keinen Weg zur dauerhaften Legalisierung eröffnet, aber manche neue Ressource zur Verfügung stellt. Vorher konnten wir nicht legal arbeiten, und wir waren nicht in der Lage, alternative Arbeitsmöglichkeiten auszuprobieren bzw. Jobs zu wechseln, weil wir keine Sozialversicherungsnummer hatten. Was DAPA bringen könnte, sind vielfältigere Erwerbsoptionen im Unterschied zu dem, wozu die Einzelnen bisher Zugang hatten – in der Regel absolute Niedriglohnjobs. Ich behaupte nicht, dass die Leute wie aus dem Nichts hervorragende Jobs, gute Bezahlung und Sozialleistungen haben werden, aber immerhin werden die Möglichkeiten etwas erweitert.

 

GP: Ich glaube, besonders wichtig ist es, Menschen davon zu überzeugen, dass sich der Schritt lohnt. In gewisser Weise gibt es da keinen Unterschied zu den Organizing-Kampagnen, die wir machen. Wenn wir mit ArbeiterInnen reden und die sagen: »Kann ich gefeuert werden, wenn ich Gewerkschaftsmitglied werde?« ist unsere Antwort: Ja, möglich ist das, aber wenn Du nicht eintrittst, wird sich nie irgendwas ändern.

 

Mitunter werden die Anspruchsvoraussetzungen von DAPA kritisiert: hohe Gebühren, Überprüfung auf Vorstrafen, Nachweis eines fünfjährigen Aufenthaltes in den USA, min. ein Kind mit US-Staatsangehörigkeit oder dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung. Was sagt Ihr dazu?

 

AS: Gefordert ist der Nachweis, dass man sich fünf Jahre ohne Unterbrechung in den Staaten aufgehalten hat. Für diejenigen, die nicht alle entsprechenden Dokumente beschaffen können, ist das eine echte Herausforderung. Einige meiner FreundInnen etwa mussten umziehen, seit sie im Land sind. Sie hatten keine Möglichkeit, Unterlagen zu sammeln, die belegen, dass sie seit ihrem sechsten Lebensjahr hier sind. Jetzt sind sie zwanzig. Das ist ein echtes Problem. Es steht auch nichts zum Problem von Arrest oder Abschiebung in dem Maßnahmepaket. Außerdem ist deutlich, dass die Bestimmung zu Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsstatus des Kindes ein Hindernis für LGBTQ2-Familien ist, die keine Möglichkeit haben, Kinder zu adoptieren, oder nur einen Elternteil haben, der als erziehungsberechtigt und damit als DAPA-geeignet anerkannt wird. Menschen ohne Kinder bzw. ohne Kinder mit US-Staatsbürgerschaft fallen ganz raus, auch wenn sie allen anderen Kriterien entsprechen.

 

Was haltet Ihr von Obamas Ankündigung, das viel kritisierte Programm »Secure Communities« (ein Abschiebeprogramm, das sich offiziell gegen Kriminelle richtet, d. Red.) zu beenden?

 

GP: Wenn zu diesem Teil der Regierungsmaßnahmen leicht zynische Kommentare geäußert werden, kann ich das durchaus nachvollziehen. Die angekündigte Beendigung von »Secure Communities« ist zwar irgendwie ein Erfolg, aber es ist wie bei einem Tarifabschluss. Du kämpfst wie der Teufel, Du erzielst eine vertragliche Vereinbarung, aber letzten Endes kommt es ganz auf die Durchsetzung an. Werden die zuständigen Einwanderungs- und Ausländerbehörden da wirklich mitmachen? Der Präsident hat sich hier in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, die Leute haben also allen Grund, skeptisch zu sein. Aber das ist unsere Aufgabe als AktivistInnen: die Sache zur Sprache bringen und ihn zu piesacken, wenn die Behörden nicht handeln, wie sie lt. Gesetz müssten.

 

Von Arbeitgebern ist bekannt, dass sie mit der Einwanderungsbehörde zusammenarbeiten, um mittels Überprüfungen der Arbeitserlaubnis von Beschäftigten – sogenannten »stillen Razzien« – gegen ArbeiterInnen vorzugehen, die sich organisieren. Wird Obamas Maßnahme irgendwelche Auswirkungen auf diese Art der Einschüchterung und Bestrafung am Arbeitsplatz haben?

 

GP: Ich denke, dass das Dekret eine große Hilfe sein könnte. Ich glaube, es wird uns dabei behilflich sein, Betriebe zu organisieren, in denen eine große Zahl undokumentierter ArbeiterInnen beschäftigt ist, die jetzt einen legalen Status haben werden.

 

AS: Diese eine Hoffnung habe ich auch. Meine beiden Eltern fallen unter die Bestimmung, so wie wir sie jetzt verstehen. Meine Mutter war mit sehr schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert. Als sie versuchte, sich zu organisieren, wurde sie sofort gefeuert, und musste sich ganz schön abstrampeln, danach wieder eine Stelle zu finden. Ihr Chef war sich voll und ganz darüber im Klaren, dass sie keine Papiere hatte. Sie war dort für zehn Jahre. Er sagte: »Wenn ich Dich rauswerfe, weiß ich, dass es ziemlich schwer für Dich wird, Arbeit zu finden, weil Du keine Sozialversicherungsnummer hast.« Er wusste also, dass sie im Nachteil war, und dass die ganze Organisiererei, die sie auf die Beine stellen wollte, aufhören würde, wenn er sie loswürde. Ich hoffe, dass mit dem Zugang zu den neuen Ressourcen etwas von dieser Angst verschwinden wird.

 

Wie habt Ihr auf Obamas Verlautbarung reagiert?

 

AS: Ich war eine von denen, die Präsident Obama letzte Woche hier in Chicago unterbrochen haben. Wir haben uns für diese Protest-Aktion entschieden, weil wir mit einer Familie zusammen gearbeitet haben, bei der der Vater sich im Abschiebeverfahren befindet. Als wir den Präsident sagen hörten, seine Priorität liege bei den Abschiebungen ›nur‹ auf Kriminellen, war es uns wichtig, allen klar zu machen, dass das nicht wahr ist. Dieser Vater passt nicht in Obamas Beschreibung eines Verbrechers, und trotzdem läuft sein Abschiebeverfahren. Obamas Bekanntmachung wird ihm nicht helfen.

 

Wie können AktivistInnen ImmigrantInnen in dieser laufenden Auseinandersetzung unterstützen?

GP: Ich würde mich freuen, wenn Gewerkschaftshäuser im ganzen Land ihre Türen öffnen und als Orte dienen, an denen Leute verlässliche Informationen darüber bekommen, wie sie ihren Antrag stellen können. Das wäre wunderbar! Und das ist es, wofür wir im LCLAA arbeiten. Wenn Du die Bewegung für MigrantInnenrechte wirklich unterstützt und etwas tun willst, um den Kampf der Papierlosen voranzubringen, such eine Organisation, die genau das tut, gib ihnen Geld, gib Deine Freizeit, und sei auf der Straße dabei, wenn sie Leute mobilisieren, um Druck auf PolitikerInnen zu machen.

 

Quelle: Labor Notes, Online-Ausgabe, 18. Dezember 2014

Übersetzung: Stefan Schoppengerd

 

Anmerkungen:

 

1) Die DACA-Regelung (Deferred Action for Childhood Arrival) umfasst undokumentierte MigrantInnen, die vor ihrem 16. Geburtstag und vor Juni 2007 in die USA eingereist sind.

2)            LGBTQ meint Lesbisch, Gay (homosexuell), Bisexuell, Transgender und Queer.

 

Was beinhaltet das präsidiale Legalisierungs-Dekret?

Deferred Action for Parental Accountability (DAPA – in etwa: Aufenthalt für elterliche Verantwortung) schafft einen neuen befristeten Aufenthaltsstatus mit Arbeitserlaubnis für papierlose Eltern von Kindern mit US-Staatsbürgerschaft.

Es erweitert die Berechtigung für Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA), und ermöglicht somit mehr EinwandererInnen einen Antrag auf legalen Aufenthalt, wenn sie als Kinder ins Land gekommen sind.

Es beendet das Programm »Secure Communities«, das es den Polizeidienststellen derzeit ermöglicht, MigrantInnen festzuhalten und in Abschiebehaft zu überstellen, auch ohne dass sie eines Verbrechens angeklagt werden müssen.

Es erhöht die Militarisierung der mexikanisch-amerikanischen Grenze.

Es »priorisiert« die Abschiebung von MigrantInnen mit Vorstrafen und jenen, die in den letzten fünf Jahren eingereist sind, wobei unklar ist, wie diese »Priorität« aussehen wird.

Das Weiße Haus nimmt an, dass über fünf Millionen MigrantInnen zur Beantragung des neuen und erweiterten Status berechtigt sein könnten. Noch ist keine Beantragung für DAPA und das erweiterte DACA möglich – mit der Einführung dieser Änderungen ist in den nächsten Monaten schrittweise zu rechnen, es sei denn, sie werden irgendwie durch den Kongress gestoppt (oder das Berufungsverfahren in Texas bleibt erfolglos, s. Artikelanfang; d. Red.).