Editorial
Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen!
Die Formel vom politischen »Extremismus« hat aktuell Hochkonjunktur. Es gibt die neutrale, allgemeingültige, friedliche, auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung basierende gesellschaftliche Mitte – und die extremistischen Ränder, die gleichermaßen diese konsensual legitimierte Mitte gefährden. So oder ähnlich lässt sich der in Mode gekommene, sozialwissenschaftlich und historisch nicht haltbare – vielmehr ideologisch motivierte Unfug beschreiben, der spätestens seit Familienministerin Köhler/Schröder wieder durch die Diskurse geistert. Zeit für Antifas, sich des Themas kritisch anzunehmen. Diesen Versuch unternimmt unser Schwerpunkt.
Der Artikel »Rock gegen Links« von der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff bietet eine allgemeine Abhandlung dieser Theorie. War diese lange Zeit die Spielwiese von einigen konservativen ProfessorInnen und den Abteilungen des Verfassungsschutzes, ist sie nun Teil der Debatte um die Bundesprogramme gegen »Rechtsextremismus«, wie der Artikel von Gerd Wiegel herausarbeitet.
Die mittels Totalitarismus- und Extremismustheorie vorgenommene Gleichsetzung von links und rechts findet auch in der Lokalpolitik ihr Echo. So beendete die SPD in Berlin-Neukölln Ende Februar die neunjährige Zählgemeinschaft in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zwischen SPD, Grünen und der LINKEN. Anlass war eine ursprünglich von den Grünen in die BVV eingebrachte Entschließung, mit der neonazistische Anschläge der letzten Zeit auf Neuköllner Vereine, Initiativen und Parteien verurteilt werden sollte. Dazu war die Neuköllner SPD-Fraktion nur bereit, wenn im gleichen Atemzug auch linke Aktionen gegen Stadtumstrukturierung und die mit ihr verbundene Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsteile verurteilt werden. Die SPD bestand darauf, »Rechts- und Linksextremismus« gleichzusetzen.
Wie ein antifaschistischer Umgang mit dieser Situation aussehen kann, bedarf einer Auseinandersetzung. Wir möchten diese Diskussion mit dem Artikel von Tilda Summer anregen. Ein Beispiel, wohin eine unkritische Übernahme der Extremismusformel durch Anti-Rechts-Projekte führen kann, soll der Artikel »Antiextremismus der Mitte« darstellen.
Passend zum Hype findet sich die Extremismusformel nun auch im Fernseh-Abendprogramm zwischen den Blockbustern wieder. In dem Mitte März ausgestrahlten Sat 1-Film »Die Grenze« wird ein Szenario dargestellt, bei dem ExtremismustheoretikerInnen das Herz aufgehen dürfte. Die Homepage des Films verkündet: »Während linke und rechte Parteien« dank eines »weltweiten Terroranschlags« »die Krise für ihren Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern nutzen, verliert die Regierung immer mehr an Einfluss«.
Wie absurd und politisch gefährlich die Gleichsetzung von »Links« und »Rechts« ist, belegen die aktuellen Zahlen des Opferfonds CURA. CURA veröffentlichte erst kürzlich eine neu überarbeitete Liste der Todesopfer rassistischer und neonazistischer Gewalt. Von 1990 bis heute wurden 149 Menschen ermordet. Während das Bundeskriminalamt in einer Ende 2009 veröffentlichten Stellungnahme von lediglich 47 Todesopfern ausgeht, berücksichtigt CURA auch solche Mordtaten, die nicht von offensichtlich bekennenden Neonazis verübt wurden. Aufgenommen wurden auch Fälle, die aus neonazistischen und rassistischen Motiven – und dazu zählt auch der Hass auf ›Andersartige‹, ›Fremde‹ oder ›Minderwertige‹ – begangen wurden oder wenn dafür plausible Anhaltspunkte bestehen. Diese erhebliche Differenz aufgrund der Zählweise verdeutlicht: Der Extremismusansatz verunmöglicht es, rassistische, nationalistische und antisemitische Motivationen als gesamtgesellschaftliches Problem, als deutsche »Normalität«, zu begreifen und adäquat zu bekämpfen. Im Gegenteil: Es kommt zu einer Ausblendung und Verharmlosung.
Auch in anderen Ländern kommt es zu rechten Morden: Am 5. Februar wurde in der venezolanischen Hauptstadt Caracas Luis »Rachel« Chirinos von Neonazis ermordet. Als sie ihn als Linken identifiziert hatten, schlugen sie ihn zusammen und erstachen ihn schließlich. Luis war Antifaschist und Sänger der Punkband 7 Balazos. Wir trauern um ihn und alle anderen Opfer rassistischer und rechter Gewalt.
Wie wir im AIB #83 berichteten, versuchte der Neonazi Timo Schubert das Wort »Hardcore« als geschützte Marke zu registrieren. Das zuständige Amt teilte Anfang 2010 mit, dass dies aufgrund des Widerspruchs eines früheren Bewerbers um diese Marke scheitert. Hätte Schubert den Zuschlag bekommen, hätte er gegen jeden juristisch vorgehen können, der Merchandise mit Bezug zur subkulturellen Musikszene »Hardcore« vertreibt.
Berichtigung
Im Artikel zum Institut für Staatspolitik im AIB #84, S. 46 ist uns ein Fehler unterlaufen: Der geschasste Bundeswehr-Brigadegeneral des Kommandos Spezialkräfte (KSK) heißt natürlich Reinhard Günzel und nicht Künzel.
Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen!
Die Formel vom politischen »Extremismus« hat aktuell Hochkonjunktur. Es gibt die neutrale, allgemeingültige, friedliche, auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung basierende gesellschaftliche Mitte – und die extremistischen Ränder, die gleichermaßen diese konsensual legitimierte Mitte gefährden. So oder ähnlich lässt sich der in Mode gekommene, sozialwissenschaftlich und historisch nicht haltbare – vielmehr ideologisch motivierte Unfug beschreiben, der spätestens seit Familienministerin Köhler/Schröder wieder durch die Diskurse geistert. Zeit für Antifas, sich des Themas kritisch anzunehmen. Diesen Versuch unternimmt unser Schwerpunkt.
Der Artikel »Rock gegen Links« von der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff bietet eine allgemeine Abhandlung dieser Theorie. War diese lange Zeit die Spielwiese von einigen konservativen ProfessorInnen und den Abteilungen des Verfassungsschutzes, ist sie nun Teil der Debatte um die Bundesprogramme gegen »Rechtsextremismus«, wie der Artikel von Gerd Wiegel herausarbeitet.
Die mittels Totalitarismus- und Extremismustheorie vorgenommene Gleichsetzung von links und rechts findet auch in der Lokalpolitik ihr Echo. So beendete die SPD in Berlin-Neukölln Ende Februar die neunjährige Zählgemeinschaft in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zwischen SPD, Grünen und der LINKEN. Anlass war eine ursprünglich von den Grünen in die BVV eingebrachte Entschließung, mit der neonazistische Anschläge der letzten Zeit auf Neuköllner Vereine, Initiativen und Parteien verurteilt werden sollte. Dazu war die Neuköllner SPD-Fraktion nur bereit, wenn im gleichen Atemzug auch linke Aktionen gegen Stadtumstrukturierung und die mit ihr verbundene Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsteile verurteilt werden. Die SPD bestand darauf, »Rechts- und Linksextremismus« gleichzusetzen.
Wie ein antifaschistischer Umgang mit dieser Situation aussehen kann, bedarf einer Auseinandersetzung. Wir möchten diese Diskussion mit dem Artikel von Tilda Summer anregen. Ein Beispiel, wohin eine unkritische Übernahme der Extremismusformel durch Anti-Rechts-Projekte führen kann, soll der Artikel »Antiextremismus der Mitte« darstellen.
Passend zum Hype findet sich die Extremismusformel nun auch im Fernseh-Abendprogramm zwischen den Blockbustern wieder. In dem Mitte März ausgestrahlten Sat 1-Film »Die Grenze« wird ein Szenario dargestellt, bei dem ExtremismustheoretikerInnen das Herz aufgehen dürfte. Die Homepage des Films verkündet: »Während linke und rechte Parteien« dank eines »weltweiten Terroranschlags« »die Krise für ihren Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern nutzen, verliert die Regierung immer mehr an Einfluss«.
Wie absurd und politisch gefährlich die Gleichsetzung von »Links« und »Rechts« ist, belegen die aktuellen Zahlen des Opferfonds CURA. CURA veröffentlichte erst kürzlich eine neu überarbeitete Liste der Todesopfer rassistischer und neonazistischer Gewalt. Von 1990 bis heute wurden 149 Menschen ermordet. Während das Bundeskriminalamt in einer Ende 2009 veröffentlichten Stellungnahme von lediglich 47 Todesopfern ausgeht, berücksichtigt CURA auch solche Mordtaten, die nicht von offensichtlich bekennenden Neonazis verübt wurden. Aufgenommen wurden auch Fälle, die aus neonazistischen und rassistischen Motiven – und dazu zählt auch der Hass auf ›Andersartige‹, ›Fremde‹ oder ›Minderwertige‹ – begangen wurden oder wenn dafür plausible Anhaltspunkte bestehen. Diese erhebliche Differenz aufgrund der Zählweise verdeutlicht: Der Extremismusansatz verunmöglicht es, rassistische, nationalistische und antisemitische Motivationen als gesamtgesellschaftliches Problem, als deutsche »Normalität«, zu begreifen und adäquat zu bekämpfen. Im Gegenteil: Es kommt zu einer Ausblendung und Verharmlosung.
Auch in anderen Ländern kommt es zu rechten Morden: Am 5. Februar wurde in der venezolanischen Hauptstadt Caracas Luis »Rachel« Chirinos von Neonazis ermordet. Als sie ihn als Linken identifiziert hatten, schlugen sie ihn zusammen und erstachen ihn schließlich. Luis war Antifaschist und Sänger der Punkband 7 Balazos. Wir trauern um ihn und alle anderen Opfer rassistischer und rechter Gewalt.
Wie wir im AIB #83 berichteten, versuchte der Neonazi Timo Schubert das Wort »Hardcore« als geschützte Marke zu registrieren. Das zuständige Amt teilte Anfang 2010 mit, dass dies aufgrund des Widerspruchs eines früheren Bewerbers um diese Marke scheitert. Hätte Schubert den Zuschlag bekommen, hätte er gegen jeden juristisch vorgehen können, der Merchandise mit Bezug zur subkulturellen Musikszene »Hardcore« vertreibt.
Berichtigung
Im Artikel zum Institut für Staatspolitik im AIB #84, S. 46 ist uns ein Fehler unterlaufen: Der geschasste Bundeswehr-Brigadegeneral des Kommandos Spezialkräfte (KSK) heißt natürlich Reinhard Günzel und nicht Künzel.