Hunger, "Grüne Gentechnik" und Spekulation

Die aktuelle Nahrungsmittelkrise ist keine Naturkatastrophe

Die aktuellen Diskussionen über die Nahrungsmittelkrise und die Rolle der Landwirtschaft in den Ländern des Südens liefern viele gute Argumente für die Durchsetzung einer sozial und ökologisch ..

... nachhaltigen Landwirtschaftspolitik. Allerdings ist auch die Gefahr groß, dass die exportorientierte und von Großkonzernen gesteuerte Agro-Industrie mit einer umfassenden Umgestaltung und Unterwerfung der Landwirtschaft unter ihre Kontrolle und kapitalistische Verwertungsbedingungen erfolgreich sein wird. Dazu gehört die Wiederbelebung der Grünen Revolution, die in Afrika in den 1990er Jahren gescheitert ist. Ein Hauptgrund für den Misserfolg der Grünen Revolution war der Rückgang öffentlicher Gelder sowie der Entwicklungshilfe für den landwirtschaftlichen Sektor. Die landwirtschaftliche Förderung konzentrierte sich auf Exportprodukte wie Kaffee, Kakao, später auf Schnittblumen und Obst sowie andere Produkte mit angeblichen "Standortvorteilen." Die Lebensmittelimporte aus den USA und der EU, verbilligt durch Subventionen, sowie der erzwungene Zollabbau auf Importprodukte trieben viele einheimische landwirtschaftliche Betriebe in den Bankrott. So waren viele afrikanische Länder in einem Teufelskreis: die Förderung des Landwirtschaftssektors sowie der Anbau von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung ging rapide zurück, sinkende Weltmarktpreise, auch durch das Auslaufen internationaler Verträge wie das Kaffee-Abkommen, reduzierten die Einkommen. Das Beispiel Kenia zeigt das Ausmaß dieser Fehlentwicklung: Wie viele andere Länder versorgte sich Kenia bis in die 1980er Jahre mit Grundnahrungsmitteln selbst, heute importiert das Land 80 Prozent seiner Lebensmittel. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan appellierte im Juli 2004 an die internationale Gemeinschaft, eine neue afrikanische Grüne Revolution zu schaffen. Im September 2006 gründete die Bill&Melinda-Gates-Stiftung zusammen mit der Rockefeller-Stiftung eine "Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika"; auch Jacques Diof, Chef des UN-Landwirtschaftsprogramms FAO, rief zu ihrer Unterstützung auf. Schwerpunkt dieser "Revolution" ist PASS (Program for Africa's Seed Systems), ein Programm für nationale und internationale Agrarforschungszentren, die innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens 200 neue Saatgutsorten züchten sollen. In Kooperation mit Agrarkonzernen wie Monsanto sollen dabei auch "die vielversprechenden Möglichkeiten in der Biotechnologie" genutzt werden.

"Wer Nahrung kontrolliert, kontrolliert Menschen"

Wie groß die Gefahr ist, dass die Nahrungsmittelkrise auch jetzt wieder für die Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut und Nahrungsmitteln (GVOs) ausgenutzt werden kann, zeigt der Appell des amtierenden UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon im April 2008. Wie sein Vorgänger propagiert Ban Ki Moon die Verwendung von genmanipuliertem Saatgut, weil es angeblich höhere Erträge garantiere. Damit macht sich die UN zum Erfüllungsgehilfen von Agrarkonzernen, die genau dieses Ziel verfolgen: eine größtmögliche Verbreitung von GVOs. Schon während der Nahrungsmittelkrise 2002 im südlichen Afrika wurde um die Einführung von GVOs gestritten. Damals wollten die USA 500.000 Tonnen Mais an Malawi, Mosambik, Sambia und Zimbabwe liefern. Die Regierungen weigerten sich damals, das Geschenk anzunehmen, weil darunter auch Genmais war. Geradezu perfide war der Zwang von Seiten der Weltbank und des IWF auf Malawi, seine großen Maisvorräte zur Schuldentilgung zu verkaufen. Als sich die Krise bereits 2001 abzeichnete, hatte Malawi die Maisvorräte angelegt, um die Nahrungsmittelkrise abzufedern. Ähnlich wie heute kauften Spekulanten die Vorräte billig auf und verkauften sie später zu hohen Preisen. Der damalige Direktor des IWF und jetzige Bundespräsident, Horst Köhler, und die Weltbank schoben sich damals gegenseitig die Schuld für den malawischen "Zwangsverkauf" zu. Während der Krise verlangten IWF und Weltbank von der malawischen Regierung die Streichung aller Subventionen für Nahrungsmittel und Landwirtschaft als Bedingung für Entwicklungs- und Hilfsprogramme. Argument: Der Markt soll die Nahrungsmittelpreise bestimmen. Wie wäre wohl die Reaktion in Deutschland, wenn der Bundespräsident heute die Streichung aller Subventionen verlangen würde? Wie erfolgreich der "Gen-Kreuzzug" in Afrika ist, zeigt sich bei der Baumwolle: Nach Burkina Faso hat auch Mali, größter Baumwollproduzent Afrikas, ein Fünf-Jahres-Programm gestartet, um GVOs einzuführen. Federführend sind Monsanto, Syngenta und USAID. Kommentar des ehemaligen Vorsitzenden der UN-Hunger-Task-Force und GVO-Lobbyisten, Pedro Sanchez: "Transgene Pflanzen werden inzwischen in Afrika akzeptiert. Ich bin überzeugt, dass der Kampf gewonnen ist." Auch in Südafrika waren die Gen-Lobbyisten sehr erfolgreich: Importeure von Gen-Weizen brauchen keine gesonderte Importlizenz mehr, wenn sie ein Genprodukt importieren, das in den USA zugelassen ist. Die Argumente für die angeblichen Vorteile von gentechnisch veränderten Agrarprodukten sind leicht zu widerlegen: Gen-Nahrungsmittel sind nicht billiger, im Gegenteil, Genmais ist in den USA ein Drittel teurer als konventioneller - bei etlichen Gen-Pflanzen muss der Einsatz von Agrarchemie gesteigert werden, weil Schädlinge resistent werden; auch der Ertrag wird vielfach nicht gesteigert. Selbst das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag kommt zu dem Schluss, dass ein Nutzen von GVOs nicht erwiesen ist. Es geht also bei dem Einsatz von GVOs vor allem darum, den Nahrungsmittelmarkt zu beherrschen, wie ein ehemaliger Mitarbeiter von Monsanto einmal verlauten ließ: "Monsanto will die Weltherrschaft über alle Nahrungsmittel". Schon in den 1970er Jahren hatte Henry Kissinger erklärt: "Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen". Heute beherrschen nur fünf Konzerne 90 Prozent des Weltgetreidemarktes, allein die beiden Marktführer Cargill und ADM kontrollieren 65 Prozent des weltweiten Handels. Jetzt drängen auch die globalen Supermarktketten wie Carrefour, Metro, Wal-Mart, Ahold und Tesco auf den Nahrungsmittelmarkt und schalten zunehmend kleine Zwischen- und EinzelhändlerInnen aus. Damit setzen sie auch die ProduzentInnen unter Druck, die für ihre Produkte immer weniger erhalten. In Indien gibt es bereits eine große Protestwelle gegen diese Versuche der Marktbeherrschung, weil durch die Supermarktketten zehn Millionen Einzel- und ZwischenhändlerInnen ihr Einkommen verlieren könnten.

Agrarkonzerne auf "Gen-Kreuzzug" in Afrika

Die Neuauflage der sog. Grünen Revolution ist eine reale Bedrohung für den informellen Saatgutsektor der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, der bislang noch 80 bis 90 Prozent des Bedarfs weltweit abdeckt. Saatgut wird untereinander getauscht oder auf informellen Saatgutmärkten billig eingekauft. Dieses für alle zugängliche und billige System der Saatgutnutzung soll durch ein formelles Saatgut-Vertriebssystem, kontrolliert und gesteuert durch multinationale Konzerne, ersetzt werden. Der Aufruf zu einer "Grünen Revolution in Afrika" ist der Versuch, die Bereiche von Afrikas Landwirtschaft, die noch nicht vollständig in die globale Wertschöpfungskette integriert sind, den Verwertungsbedingungen des kapitalistischen Weltmarkts zu unterwerfen. Im Zusammenhang mit der aktuellen Nahrungsmittelkrise stehen jetzt auch die Agrartreibstoffe am Pranger. Es wird geschätzt, dass 30 bis 70 Prozent der Preissteigerungen für Nahrungsmittel auf den verstärkten Anbau und die Verwendung von Pflanzen zur Herstellung von Kraftstoffen zurückzuführen sind. Trotz wachsender Kritik an der Förderung von Agrartreibstoffen von der Weltbank, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der europäischen Energieagentur und insbesondere von zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen hält die EU weiterhin am Ausbau des Kraftstoffes fest. Allerdings sollen die Subventionen auslaufen, und die EU-Umweltminister wollen in Zukunft nur solche Agrarkraftstoffe erlauben, für die kein Regenwald gerodet wurde. Zudem soll Biokraftstoff künftig statt aus Mais oder Rüben aus Klärschlamm oder anderen organischen Abfällen gewonnen werden, um so einen Mangel an Nahrungsmitteln und infolgedessen höhere Lebensmittelpreise zu verhindern. Darüber hinaus will die EU-Kommission nur solche Kraftstoffe zulassen, die von der Produktion bis zum Verbrauch mindestens 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen als fossile Kraftstoffe.

Spekulation mit Nahrung muss verboten werden

Dass diese Auflagen überhaupt effektiv überwacht werden können, bezweifeln auch die drei kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen Brot für die Welt, EED und Misereor. Für sie bergen "das größte Potenzial für die Armuts- und Hungerbekämpfung nicht Monokulturen und genmanipulierte Energiepflanzen, sondern Mischanbau, Artenvielfalt und angepasste Landsorten". Großer Widerstand gegen den Anbau von Agrartreibstoffen kommt insbesondere von VertreterInnen zahlreicher Zivilgesellschaften aus den Ländern des Südens. Sie betonen, dass die Folgen des wachsenden Exports biogener Kraftstoffe nicht nur eine zunehmende Abholzung von Regenwäldern, eine strukturarme intensiv bewirtschaftete Monokultur und steigender Wassermangel sind, sondern insbesondere auch die gewaltsame Vertreibung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und indigenen Völkern von ihrem Land bedeutet, das für die Produktion von Zuckerrohr oder Ölpalmen zur Herstellung von Agrokraftstoffen genutzt wird. Für diese Menschen stellt die - oft gewaltsame - Vertreibung eine massive Verletzung ihrer Menschenrechte dar. Auch aus ökologischen Gründen wird der "Biosprit" kritisiert. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass allein durch das Anpflanzen von Mais, Raps oder Palmöl oft mehr Treibhausgase entstehen als durch die aus den Pflanzen gewonnenen Kraftstoffe eingespart wird. Die Produktion von Biokraftstoffen kann den Klimawandel sogar drastisch beschleunigen. Durch Brandrodung in Indonesien entsteht mehr als 400 Mal so viel Kohlendioxid wie mit auf derselben Fläche produziertem Palmöl pro Jahr eingespart werden könnte. Brasilianischer Regenwald, der Soja-Plantagen geopfert wird, setzt 300 Mal mehr CO2 frei als mit Biosprit pro Jahr gespart würde. Und die Produktion von Ethanol aus Mais verdoppelt den Ausstoß an Treibhausgasen für 30 Jahre. Stellt man den industriellen Anbau der Pflanzen, die Düngung, die Produktion und den Transport in Rechnung, dann ist die Umweltbilanz "unter dem Strich negativ", heißt es bei Greenpeace. Durch die zunehmende Kommerzialisierung von Landbesitz für industrielle Nahrungsmittelproduktion und Bioenergie, für private Wildparks und andere touristische Einrichtungen oder als Akkumulationsstrategie für nationale Eliten wurden insbesondere schwache gesellschaftliche Gruppen wie Frauen, Jugendliche oder Pastoralisten (vornehmlich von Tierhaltung lebende Menschen; Anm. ak) vom Land verdrängt. Um diesen Gruppen wieder einen rechtlich abgesicherten Zugang zu Land und anderen Ressourcen zu geben, setzen einige nicht-staatliche Entwicklungshilfeorganisationen auf die Weiterentwicklung des traditionellen Gewohnheitsrechts. Dies könnte auch den Landraub, d.h. die Vertreibung von Menschen von ihrem Land durch nationale Eliten und/oder ausländische Konzerne verhindern. Darüber hinaus würde es auch der zunehmenden Spekulation auf Landbesitz Einhalt gebieten. Die Nahrungsmittelkrise zeigt den Zusammenhang zwischen Hunger, Finanzmärkten und Börsenspekulation. Insbesondere US-amerikanische und europäische Pensionskassen legen ihre Gelder in Rohstoffen an. Dazu gehören neben Öl auch Nahrungsmittel wie Soja, Weizen oder Mais. Zwar kaufen sie diese Produkte nicht real, sondern erwerben Terminkontrakte, die kurz vor dem Fälligkeitsdatum verkauft werden, um neue Kontrakte mit neuen Laufzeiten zu kaufen. "Dadurch wirken sie wie virtuelle Hamsterkäufer", kommentiert Jeffrey Korzenik, Chef-Investmentstratege beim Bostoner Vermögensverwalter Vitale Caturano & Co diesen Börsen-Hunger-Wahnsinn. Korzenik schätzt, dass das virtuelle Horten der Großinvestoren die Preise an den Rohstoffmärkten um 20 Prozent aufgeblasen hat. Und diese Preisspirale könnte sich noch weiter drehen, wie bei dem ständig ansteigenden Ölpreis zu beobachten ist. Um die komplette Getreideernte der USA aufzukaufen, braucht es nach Schätzungen nur 120 Milliarden Dollar - ein kleiner Betrag für die Börsianer am Devisenmarkt, der etwa täglich 3.000 Milliarden Dollar bewegt. Die globale Verteilung der Nahrungsmittel durch den Weltmarkt darf nicht länger zugelassen werden. Das Spekulieren auf Nahrungsmittel ist ein Verbrechen und gehört verboten. Die indische Regierung hat dies erkannt und bereits Anfang 2007 alle Terminkontrakte auf Weizen, Reis, eine Bohnensorte und Straucherbsen verboten! Dieses Verbot wurde kürzlich auf Sojaöl, Kartoffeln und Kautschuk erweitert. Dieses Beispiel sollte weltweit Schule machen. Wer Gewinne durch Hunger macht, ist mitschuldig am Tod Tausender von Menschen. Annette Groth, entwicklungspolitische Referentin der Bundestagsfraktion DIE LINKE aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 529/20.6.2008