Gentests zur Migrationskontrolle?

DNA-Tests bei Familienzusammenführungen

Für große Empörung sorgte im September 2007 die gesetzliche Einführung von DNA-Tests bei Familienzusammenführungen von MigrantInnen in Frankreich. Wenig später wurde bekannt, dass in Deutschland

GID 187, April 2008, S. 32 - 34 Für große Empörung sorgte im September 2007 die gesetzliche Einführung von DNA-Tests bei Familienzusammenführungen von MigrantInnen in Frankreich. Wenig später wurde bekannt, dass in Deutschland seit über zehn Jahren solche DNA-Tests durchgeführt werden - und dies sogar ohne gesetzliche Grundlage. Eines der ersten Vorhaben, die der frisch gewählte französische Präsident Nicolas Sarkozy nach seiner Wahl im letzten Jahr in Angriff nahm, war die im Wahlkampf laut angekündigte Verschärfung der Ausländergesetze. In dem Gesetzespaket fand sich auch ein Zusatzartikel, der die Durchführung von DNA-Tests bei Familienzusammenführungen gesetzlich regelt.(1) In Frankreich lebende MigrantInnen, die ihre Familie nachziehen lassen wollen, müssen in bestimmten Fällen DNA-Tests machen lassen, um ihre direkte familiäre Verwandtschaft nachzuweisen. Der DNA-Test soll sicherstellen, dass der jeweilige Visumsbewerber wirklich mit der Person in Frankreich verwandt ist, die ihn nachholen will. Der Staat legitimiert das neue Gesetz damit, dass die Standesamtsdokumente aus vielen Ländern wie etwa dem Senegal oder den beiden Kongo-Republiken nicht zuverlässig seien.

Heftige Kritik am Gesetz

Das neue Gesetz sorgte für heftige Kritik bei verschiedenen Menschenrechtsgruppen und antirassistischen Initiativen. Über 300.000 Personen unterzeichneten die von SOS Racisme und der Zeitschrift Charlie Hebdo initiierte Petition "Touche pas à mon ADN" (Finger weg von meiner DNA).(2) Die KritikerInnen argumentieren zum einen, dass familiäre Beziehungen und "biologische Abstammung" nicht immer übereinstimmen müssen. Adoptionen und vermeintliche oder soziale Vaterschaften fielen aus dem Raster. Ob leibliche Verwandtschaftsverhältnisse bei allen französischen Familien vorliegen, sei noch nie überprüft worden. Zudem würde ImmigrantInnen pauschal unterstellt, sie wollten den Staat täuschen. Und schließlich könne das Recht, in einem Land zu leben, nicht aus dem Erbgut abgeleitet werden. Die Proteste führten dazu, dass die oppositionellen Sozialisten den Verfassungsrat anriefen, der festschrieb, dass die Gentests nur in letzter Instanz und erst nach genauer Prüfung der vorliegenden Dokumente angewandt werden dürfen. Zudem muss ein Richter den Gentest genehmigen und der französische Staat trägt die Kosten von bis zu 600 Euro.(3) Weiter unterstrich der Verfassungsrat, dass auch für adoptierte Kinder der Familiennachzug möglich ist.(4) Die beiden Kammern des französischen Parlaments, die Assemblée nationale und der Sénat verabschiedeten das Gesetz dann am 23. Oktober 2007.

Führen DNA-Tests zur Festung Europa?

Manche antirassistischen Initiativen kritisierten auch, dass dies nur ein Vorwand sei, um mit neuen Methoden Unerwünschte generell fernzuhalten. Der französischen Regierung gehe es darum, die Migration aus dem subsaharischen Afrika zu kontrollieren. Die Familienzugehörigkeit überprüfen zu wollen, sei dabei nur Mittel zum Zweck. Tatsächlich muss das Gesetz im Rahmen der gesamteuropäischen Leitlinie gesehen werden, ImmigrantInnen vorrangig nach ökonomischen Gesichtspunkten auszuwählen. Denn der mit dem neuen Gesetz etablierte Gentest ist nur ein weiteres Hindernis in der bereits sehr voraussetzungsreichen Anerkennungsprozedur: Erstens müssen die nachzugswilligen Familienangehörigen in ihrem Herkunftsland in das französische Konsulat gehen und bei einem Sprachtest ausreichende Französischkenntnisse und "Respekt für die Werte der Republik" nachweisen. Wer seine Familie nachholen will, muss zweitens einen bestimmten sozialen Mindeststandard nachweisen. Handelt es sich um mehrere Kinder, muss derjenige sogar 130 Prozent des gesetzlichen Mindesteinkommens verdienen - 1.350 Euro netto im Monat.(5) Selbst wenn alle Vorgaben erfüllt werden, kann der Nachzug noch scheitern - denn der Staat hat für nachziehende Familienangehörige eine jährliche Quote festgelegt. Alle diese Maßnahmen haben vor allem den Effekt, die Hürden für den legalen Zuzug von Familienangehörigen extrem hoch zu hängen. So bleibt vielen MigrantInnen nur noch die Alternative, als Illegalisierte einzureisen. Sie sind dann auf prekäre Jobs zu schlechten Arbeitsbedingungen angewiesen und leben in ständiger Angst vor der Abschiebung. Im Januar 2008 kündigte die französische Regierung an, allein in diesem Jahr 28.000 illegalisierte Personen abschieben zu wollen.(6) Dass mit Hilfe der DNA-Tests die Flüchtlingszahlen in großem Maße reduziert werden sollen, ist dennoch unwahrscheinlich: Schließlich betreffen Familienzusammenführungen nur eine geringe Zahl der MigrantInnen: Von 140.000 in Frankreich neu ausgestellten Aufenthaltsgenehmigungen in 2006 entfielen weniger als 17.000 auf Kinder oder Ehegatten.(7) Da die Tests nur jene Gruppe innerhalb dieser 17.000 Menschen treffen, deren Dokumente nicht akzeptiert werden, ist die Zahl der von den Tests Betroffenen noch geringer. Genaue Zahlen fehlen hier allerdings.

DNA-Tests - ohne Gesetz

Die französische Regierung verwies bei der Einführung des Gesetzes im letzten Jahr auf die Praxis in anderen europäischen Ländern. Elf von 27 EU-Staaten praktizieren Gentests zur Migrationskontrolle bereits.(8) Auch in Deutschland werden solche Tests seit 1997 durchgeführt - im Gegensatz zu Frankreich allerdings ohne gesetzliche Grundlage. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion vom 10. Januar 2008 schreibt die Bundesregierung, eine gesetzliche Regelung der Tests sei nicht notwendig, da "kein staatlicher Zugriff auf genetische Informationen" erfolge.(9) Tatsächlich wird der Test unter staatlicher Kontrolle in einem Labor angefertigt, die Behörden erhalten aber nur das Ergebnis. Das Körpermaterial verbleibt im Labor, wo es bis zu 30 Jahre aufbewahrt wird. Einziger rechtlicher Rahmen ist § 82 des Aufenthaltsgesetzes, der jeden Visumsantragsteller verpflichtet, am Visumverfahren mitzuwirken. Ob diese Mitarbeit auch so weitgehende Eingriffe wie Gentests einschließt, ist bislang nicht eindeutig festgelegt. Im Unterschied zu Frankreich müssen die Betroffenen in Deutschland zudem die Kosten selbst tragen. Genaue Zahlen über die jährlich in Deutschland angeforderten Abstammungsgutachten liegen der Regierung angeblich nicht vor.(10) Laut Medienberichten muss aber von Tausenden ausgegangen werden. Die Frankfurter Rundschau meldete, allein in drei Labors in Nordrhein-Westfalen, Rheinland Pfalz und Hessen würden jährlich bis zu 500 DNA-Abstammungsgutachten für Familienzusammenführungen vorgenommen.(11) Das Auswärtige Amt spricht laut taz von mehreren hundert Fällen pro Jahr, in denen DNA-Tests gemacht werden.(12) Auch welche ImmigrantInnen von den Tests besonders betroffen sind, bleibt unklar. Man führe darüber keine Statistiken, heißt es bei der Bundesregierung. Wie vielen der 50.300 im Jahr 2006 erteilten Visa zum Ehegatten- und Familiennachzug ein DNA-Test vorausging, ist nicht bekannt.(13) Einerseits behauptet die Bundesregierung, die Notwendigkeit eines DNA-Gutachtens sei "abhängig vom jeweiligen Einzelfall, nicht vom Herkunftsstaat".(14) Andererseits erkennt das Auswärtige Amt aber die Urkunden von insgesamt 41 Staaten generell nicht an.(15) Es ist also davon auszugehen, dass bei allen Familienzusammenführungen von Angehörigen dieser Staaten ein DNA-Test gefordert werden kann. Das Verwaltungsgericht Berlin wies vor kurzem die Ausländerbehörde des Landes zurecht, die von einer Birmesin trotz aller vorliegenden Dokumente auch noch einen Gentest gefordert hatte.(16) Da in Deutschland rechtliche Einschränkungen fehlen, sind der Willkür Tür und Tor geöffnet: So sind die Tests nur dem Namen nach freiwillig, denn wer sich weigert, einen DNA-Vergleich anfertigen zu lassen, muss nicht bloß mit einer Ablehnung seines Anliegens rechnen. Eine in Kempen am Niederrhein lebende türkische Familie bekam sogar eine Anzeige, nachdem sie den Gentest verweigert hatte. Dem Paar wurde eine Scheinehe vorgeworfen.(17) Die Tendenz scheint in Deutschland dahin zu gehen, bei Familienzusammenführungen grundsätzlich einen DNA-Test zu fordern - so ist dies laut Auswärtigem Amt bei bestimmten Ländern wie Afghanistan schon der Fall.(18) Während die öffentliche Debatte in Frankreich dafür gesorgt hat, dass DNA-Tests vorerst nur in engen Grenzen zur Anwendung kommen, weist die deutsche Entwicklung in Richtung einer zunehmenden Normalisierung. Fussnoten 1. Der Zusatzartikel zu DNA-Tests, in: Nouvel Observateur vom 8. Februar 2008, http://tempsreel.nouvelobs.com/actualites/politique/ 200710 23.OBS1138/lamendement_tests_adn_adopte_en_cmp.html 2. Die Petition "Touche pas à mon ADN": www.touchepasamonadn. com/ 3. Des tests ADN pour les ressortissants congolais, Panapress-Meldung vom 26. Februar 2008, in: http://www.casafree.com/modules/news/ article.php?storyid=12677 4. Loi relative à la maîtrise de lÂ’immigration, à lÂ’intégration et à?lÂ’asile, Décision n° 2007-557 DC du 15 novembre 2007, www.?conseil-constitutionnel.fr/decision/2007/2007557/2007557dc.pdf 5. Schmid, Bernard, Einwanderer stärker nach ökonomischem Nutzen filtern, in: Telepolis vom 20. September 2007, www.heise.de/tp/r4/?artikel/26/26220/1.html 6. Des tests ADN pour les ressortissants congolais, Panapress-Meldung vom 26. Februar 2008, in: www.casafree.com/modules/news/?article.php?storyid=12677 7. L'amendement Mariani au coeur du débat à l'Assemblée, 14. Oktober 2007, in: www.lefigaro.fr/politique/20070918.FIG000000217_l_ amendement_mariani_au_coeur_du_debat_a_l_assemblee.html 8. ebd. 9. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/7634, 10. Januar 2008, S. 3, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/076/1607698.pdf 10. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, Drucksache 16/7120, 13. November 2007, S. 3, http://dip.bundestag.de/btd/16/071/1607120.pdf 11. Frankfurter Rundschau vom 12. November 2007, zitiert nach Lehnert, Matthias, Manchen liegt es in den Genen, in: Jungle World vom 31. Januar 2008, http://jungle-world.com/seiten/2008/05/11366.php 12. Schmidt, Wolf, Ämter bei Ausländerkindern zu neugierig, in: taz vom 6. November 2007, http://www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printressorts/digiartikel/?re... 13. Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDP-Fraktion, Drucksache 16/7408, 15. Dezember 2007, S. 9, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/074/1607408.pdf 14. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, Drucksache 16/7120, 13. November 2007, S. 3, http://dip.bundestag.de/btd/16/071/1607120.pdf 15. Afghanistan, Äquatorialguinea, Aserbaidschan, Bangladesch, Benin, Côte dÂ’Ivoire, Dominikanische Republik, Dschibuti, Eritrea, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Haiti, Indien, Irak, Kambodscha, Kamerun, Kenia, Kongo (Demokratische Republik), Kongo (Republik), Laos, Liberia, Mongolei, Myanmar, Nepal, Niger, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Ruanda, Sierra Leone, Somalia, Sri Lanka, Tadschikistan, Togo, Tschad, Uganda, Usbekistan, Vietnam und Zentralafrikanische Republik; vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 16/7698, 10. Januar 2008, S. 5, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/076/1607698.pdf 16. Schmidt, Wolf, Ämter bei Ausländerkindern zu neugierig, in: taz vom 6. November 2007, www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printres sorts/digi-artikel/?ressort=in&dig=2007%2F11%2F06%2Fa0064&src= GI&cHash=5b9cd9f8a2 17. Lehnert, Matthias, Manchen liegt es in den Genen, in: Jungle World vom 31. Januar 2008, http://jungle-world.com/seiten/2008/05/ 11366.php 18. Schmidt, Wolf, Ämter bei Ausländerkindern zu neugierig, in: taz?vom 6. November 2007, www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printressorts/digiartikel/?ressort=i... Fabian Kröger ist Kultur- und Politikwissenschaftler, freier Autor und lebt in Paris und Berlin (www.fabiankroeger.de).