Venancias Erbinnen

Geni Gómez vom Frauenkollektivs "Grupo Venancia" im Interview über das Abtreibungsverbot und die sich massiv verschlechternde Situation von Frauen in Nicaragua.

an.schläge: Seit Oktober letzten Jahres gehört Nicaragua zu jenen Ländern, in denen ein totales Abtreibungsverbot herrscht. Welche Veränderungen brachte das für die Nicaraguanerinnen mit sich?
Geni Gómez: Es war ein großer Rückschritt. Das Recht auf medizinisch indizierte Abtreibung existierte in Nicaragua seit Ende des 19. Jahrhunderts. Es gab auch früher Schwierigkeiten bei der Umsetzung in die Praxis, wie man am Fall "Rosita" vor vier Jahren sehen konnte. Aber zumindest half das Gesetz in Notfällen, Frauenleben zu retten. Jetzt sterben Frauen, weil ihnen ein notwendiger Schwangerschaftsabbruch verweigert wird. Frauen mit Geld finden Mittel und Wege, aber das Leben der Armen ist in Gefahr. Und das alles deshalb, weil die Frente Sandinista im letzten Wahlkampf diesen Pakt mit der katholischen Kirche eingegangen ist, um Stimmen zu gewinnen!

Wie ist der Informationsstand in der Bevölkerung? Und wie stehen die Menschen aus ländlichen Gegenden zum neuen Gesetz?
Wir sind draufgekommen, dass die meisten Leute nicht einmal wissen, wovon sie reden. Es wurde ihnen während des Wahlkampfes eingeredet, dass Abtreibung mit Mord gleichzusetzen ist. Wenn wir klare Informationen geben, was die medizinisch indizierte Abtreibung wirklich ist, sagen die Leute "Ah, klar. Nun, wenn es dazu nötig ist, um das Leben der Frau zu retten: Ja. Im Falle eines missbrauchten Mädchens: Ja." Das ist doch im Grunde genommen, worüber wir reden!
Um Todesfälle aufgrund von verpfuschten Abtreibungen zu vermeiden, müsste man natürlich die Abtreibung generell legalisieren, denn nur in einigen Fällen liegen medizinische Gründe vor. Aber wir wissen, dass es jetzt, wo sogar die medizinisch indizierte Abtreibung verboten ist, schwierig wird, das zu erreichen. In Nicaragua wird die Mutterschaft immer noch so idealisiert. Für ein Kind muss man sogar bereit sein zu sterben!
Uns scheint, dass die nicaraguanische Gesellschaft in den letzten Jahren sogar konservativer geworden ist, was unter anderem auf den Vormarsch der evangelikalen Kirchen zurückzuführen ist. Wenn Frauen nicht einmal tanzen oder sich die Haare kurz schneiden dürfen Â… das ist einfach nur reaktionär! Da ist man natürlich weit davon entfernt, über Abtreibung zu reden!
Manche AbtreibungsgegnerInnen sagen, dass die Medizin so weit fortgeschritten ist, dass es in keinem Fall notwendig ist, sich zwischen dem Leben der Mutter und dem Leben des Fötus zu entscheiden! Das ist eine Frechheit, wo wir doch wissen, wie prekär die Lage in unserem Gesundheitssystem ist.
Und dieselben, die sich auf die medizinisch indizierte Abtreibung stürzen, haben auch was gegen Verhütungsmittel und es sind dieselben, die auch den Sexualunterricht verbieten wollen. Also eigentlich sind sie es, die mehr Abtreibungen provozieren. Wir setzen uns für Sexualerziehung ein, wir wollen, dass die Frauen entscheiden können, wir wollen mehr Einfluss auf die Bedingungen, unter denen wir sexuelle Beziehungen eingehen und auf diese Art und Weise verhindern wir mehr Abtreibungen, auch wenn sie uns sagen dass wir die Förderer der Abtreibungen sind. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Frente Sandinista ist bekannt dafür, dass viele Frauen während der Revolution an vorderster Front mitgekämpft haben. Wie geht es den Sandinistinnen heute? Wo stehen sie?
Die sandinistischen Frauen befinden sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei; ein großer Teil außerhalb. Weil viele sagen: "Wir sind nicht Sandinistinnen, um Danielistinnen zu sein". Das heißt: viele Frauen, die im revolutionären Kampf dabei waren, die danach in der Regierung dabei waren, bezeichnen sich nach wie vor als Sandinistinnen, sind aber nicht mehr in der Partei. Wegen all der autoritären Praktiken und wegen der Position, die bezüglich der Frauenrechte eingenommen wurde. Trotzdem wissen wir, dass in der Stunde der Entscheidung, sprich der Wahl, das Herz oft mehr gewogen hat als der Kopf, wie wir so sagen. Das heißt, dass viele Frauen, die bei all den Märschen für das Recht auf Abtreibung dabei waren, letztlich doch für die Frente Sandinista gestimmt haben, weil zu viele Dinge vermischt wurden und sie das unter allen Möglichkeiten noch immer für die Beste hielten. Sie glaubten, dass dies eine Möglichkeit sei, das Leben der Armen zu verbessern. Nun, was sie mit dem Leben der Frauen gemacht haben, steht auf einem anderen Blatt.

Daniel Ortega tritt in letzter Zeit fast immer gemeinsam mit seiner - ihm seit letztem Jahr auch kirchlich angetrauten - Gattin auf. Welche Rolle spielt Rosario Murillo in dieser Regierung? Sucht sie den Dialog mit den Frauenorganisationen?
Nein (lacht), überhaupt nicht. Rosario Murillo ist innerhalb der Frente Sandinista wahrscheinlich die Person, die am konträrsten zu den Frauenorganisationen steht. Wenn jemand aus der Frente Sandinista die Urheberin dieser Allianz mit der katholischen Kirche gewesen ist, dann war es Rosario Murillo.

Gewalt gegen Frauen ist in Nicaragua nach wie vor ein großes Thema, insbesondere häusliche Gewalt. Hat die Regierung etwas unternommen, um Frauen besser davor zu schützen?
In vielen Fällen hat unser Rechtssystem die Frauen nicht geschützt. Erst vor kurzem wurde eine Compañera aus La Dalia vom Red de mujeres del Norte (Netzwerk der Frauen des Nordens) ermordet. Cecilia Torres. Sie war eine Bäuerin, die ihre Rechte kannte und entschied, diese Rechte gelten zu lassen. Also hat sie vor cirka vier Jahren einen Mann, der sie sexuell belästigt hat, angezeigt. Letztendlich erreichte sie, dass der Mann verurteilt wurde. Aber er kam nicht ins Gefängnis. Ein Sohn dieses Mannes hatte ein Kind mit einer Tochter von ihr. Also ermutigte sie ihre Tochter, Alimente einzuklagen. Auch diesen Fall brachte sie vor Gericht, kämpfte, kämpfte, kämpfte und erreichte auch in diesem Fall ein Gerichtsurteil. Der Mann wurde dazu verurteilt, Unterhalt für seine Tochter zu zahlen. Das Urteil wurde im September letzten Jahres gefällt, aber er hat sich nicht daran gehalten. Im Jänner brachte sie die Klage nochmals ein und es wurde ein neuer Gerichtstermin festgelegt. Es drohte ihm eine Gefängnisstrafe. Aber noch vor Beginn dieser Gerichtsverhandlung kam dieser Mann in ihr Haus und tötete sie. Sie schaffte es zwar, durch ihren Willen und viel Arbeit und Mühe, Gerechtigkeit zu bekommen, aber sie erreichte nicht, dass ihr Leben geschützt wurde. Bis Mai dieses Jahres hat es schon über zwanzig Frauenmorde in Nicaragua gegeben. Und in den meisten Fällen gab es keine Verurteilungen. Die Frauenmörder entkommen der Justiz sehr leicht. Also haben wir alles mobilisiert, um auf die Autoritäten Druck auszuüben, damit sie in diesem Fall Gerechtigkeit walten lassen. Wir erreichten, dass die Polizei den Mörder von Cecilia diesen Juni, fast drei Monate später, festgenommen hat und wir sind uns sicher, dass er verurteilt wird. Aber wir wissen auch, dass wir dafür in jedem Moment bei der Gerichtsverhandlung präsent sein müssen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at