Nur Wachstum saniert die Haushalte

Einschnitte im Bundeshaushalt, sinkende Steuereinnahmen, steigender Zuschussbedarf der Sozialkassen, neue Finanzierungslücken und neue Sparbemühungen im nächsten Haushalt...

Einschnitte im Bundeshaushalt, sinkende Steuereinnahmen, steigender Zuschussbedarf der Sozialkassen, neue Finanzierungslücken und neue Sparbemühungen im nächsten Haushalt: Das war der finanzpolitische Teufelskreis an den wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnt haben. Und die Anstrengungen waren erheblich: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist die Ausgabenquote des Staates innerhalb von zehn Jahren von über 50 auf 46 Prozent gefallen, dabei wurden eine Millionen Vollzeitstellen im öffentlichen Dienst gestrichen, die Investitionsquote aller öffentlichen Haushalte ist weiter auf zuletzt 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefallen - in den 70er Jahren lag sie dreimal so hoch. Politisches Gestalten wurde unter diesen Bedingungen immer schwieriger und jede neue Sparrunde brachte nicht die erhoffte Verbesserung, sondern immer nur neue Haushaltslöcher.
Dieses Jahr ist es anders, nach langer Zeit gibt es endlich wieder gute Nachrichten für die öffentlichen Haushalte. Im ersten Halbjahr 2006 sind die Steuereinnahmen gegenüber dem Vorjahr um mehr als 14 Milliarden Euro gestiegen - ein Plus von 7,5 Prozent. Gleichzeitig sind bei der Arbeitsagentur hohe Überschüsse entstanden. Das zeigt vor allem eines: Mit immer neuen Kürzungen bringen wir die Haushalte nicht ins Lot, nur wirtschaftliches Wachstum und neue Beschäftigung kann für Entlastung sorgen. In dieser Hinsicht haben wir in der großen Koalition mehr erreicht als unter rot-grün: Ein Investitionsprogramm wie das bis 2009 angelegte 25-Milliarden-Paket hat es in den vergangenen Jahren unter rot-grün nicht gegeben.
Ein guter Teil der erfreulichen Steuerzuwächse resultiert daraus, dass die Unternehmen nicht nur höhere Gewinne erzielen, sondern auch weniger Möglichkeiten haben, sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen. Hier zeigt sich die Wirkung der Reform von 2003, die die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer verbreitert hat und den Einsatz von Verlustvorträgen bei der Körperschaftsteuer deutlich eingeschränkt hat. Nach dem Zusammenbruch der Unternehmensteuereinnahmen in den Jahren 2001 und 2002 ist die Gewerbesteuer heute auf Rekordhöhe. Wenn die Union weitergehende Vorschläge nicht 2003 im Bundesrat blockiert hätte, sähe die Lage heute sogar noch besser aus.
Gerade diese Entwicklung schafft aber auch die Verpflichtung, keine erneute Kehrtwende zuzulassen. Die Unternehmensteuerreform muss - so wie das im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist - aufkommensneutral bleiben. Eine Senkung der Steuersätze kann nur im Gegenzug zu einer Ausweitung der Bemessungsgrundlage erfolgen. An diesem Punkt hängt ein großer Teil der Glaubwürdigkeit der SPD.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wirkt in der aktuellen wirtschaftlichen Lage nicht mehr so bedrohlich wie im vergangenen Jahr. Sie bleibt dennoch konjunkturell eine Gradwanderung und verteilungspolitisch falsch. Es hätte bessere Wege zu einer Sanierung der Haushalte gegeben, aber es macht wenig Sinn, die getroffene Entscheidung jetzt wieder in Frage zu stellen.
Während es bei den Unternehmen darum geht, neue Steuergeschenke zu verhindern, bleibt es Aufgabe der Linken, die vergessenen Bereiche der Finanzpolitik wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu holen: Die Besteuerung hoher Privatvermögen und Einkommen. Von der Vermögensteuer über die Grundsteuer und die Erbschaftsteuer bis hin zu Einkommensteuerzuschlägen und einer besseren Erfassung von Kapitaleinkünften steht hier eine ganze Reihe von Instrumenten zur Auswahl. Materielle Erfolge werden wir in der Koalition mit der Union in dieser Frage wahrscheinlich nicht erreichen. Es muss deshalb darum gehen, falsche Weichenstellungen zu verhindern und das Feld für weitergehende Initiativen unter günstigeren politischen Mehrheitsverhältnissen vorzubereiten.
Zu den falschen Weichenstellungen, die in den nächsten Monaten drohen können, zählt die Einführung einer Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte und eine Erbschaftsteuerregelung, die über weitere Sonderregelungen für betriebliches Vermögen neue Schlupflöcher für Vermögensbesitzer schafft. Bei der Erbschaftsteuer haben wir bereits einen Erfolg erzielt: Der Steuerverzicht für den Erhalt von Arbeitsplätzen ist in den Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern so eng begrenzt worden, dass ein Missbrach kaum möglich erscheint. Hier gilt es jetzt den Widerstand gegen die andauernden Versuche der Union aufrecht zu erhalten, die Regelung doch noch zu einem bedingungslosen Steuergeschenk auszuweiten.
Wesentlich schwieriger ist die Lange bei der Abgeltungssteuer. Ihre Einführung wurde im Rahmen der Eckpunkte für die Unternehmensteuerreform beschlossen, mittelfristig wäre dann wohl kaum ein Steuersatz über 25 Prozent durchzusetzen. Das heißt im Klartext: Die Steuerlast auf die Kapitaleinkünfte von Spitzenverdienern würde von 42 auf 25 Prozent sinken. Es ist 2003 schon einmal gelungen, diese Systemänderung von der Tagesordnung zu bekommen. Jetzt allerdings wird die Debatte mit der Union erheblich schwerer. Zudem ist nun auch die richtige Entscheidung für eine umfassende Wertzuwachsbesteuerung mit der Frage der Abgeltungssteuer verknüpft worden.
Neben diesen aktuellen Auseinandersetzungen ist die Schaffung eines Bündnisses für Verteilungsgerechtigkeit notwendig, dass das Feld für eine bessere Besteuerung großer Vermögen bereitet. Hier gilt es zu vermeiden, dass viele einzelne Gruppierungen mit den unterschiedlichsten Modellen auftreten. Stattdessen müssen sich zumindest die wichtigsten Akteure aus Partei, Gewerkschaften, Verbänden und Wissenschaft auf einen gemeinsamen Weg einigen. Dazu gehört die Auswahl des praktikabelsten und am besten vermittelbaren Instruments, eine konkrete Ausgestaltung und eine popularisierbare Begründung - also einen plausiblen Verwendungszweck. Nur wenn hier alle an einem Strang ziehen, können wir bei diesem Thema den Kampf um die Köpfe - auch gegen kritische Medienberichterstattung - gewinnen.

Florian Pronold, MdB (SPD) und spw-Mitherausgeber, ist Mitglied im Finanzausschuss

Quelle: spw 151 v. 29.09.2006