Deckname "Northwoods"

Wie US-Generäle eine
Intervention gegen Kuba planten

Spätestens seit der Schweinebucht-Invasion im April 1961 konnten kaum noch Zweifel bestehen, dass die USA entschlossen waren, ihre revolutionäre Nachbarschaft auf Kuba los zu werden.

Doch
wie weit dabei die politischen Absichten in konkrete militärische
Planungen übergingen – dies blieb bisher eher der Spekulation
überlassen. Nun aber belegt ein seit kurzem zugängliches
Dokument des US-Generalstabs, wie präzise und detailliert die
Szenarien einer Kuba-Intervention ausgearbeitet waren. Selten wird
man Zeuge eines solchen Offenbarungseids.


Selbstredend
gibt es auf der Welt nichts Dümmeres als Verschwörungstheorien,
und natürlich kann es sich bei Verschwörungstheoretikern
nur um Narren handeln, die sich für keine Absurdität und
keinen Verdacht zu schade sind. Weil dieses Axiom heutzutage im
politischen wie medialen Diskurs kaum mehr hinterfragt wird, braucht
man Verschwörungstheoretiker auch nicht ernst zu nehmen. Sie
disqualifizieren sich gewissermaßen selbst – so das
Totschlagargument all derer, die gern regierungsamtlicher
Verlautbarung folgen, ohne sich an selbst verschuldeter Unmündigkeit
zu stören. Dabei weiß jeder, der sich nur ein einziges Mal
mit dem Thema Krieg und Medienmanipulation befasst hat, dass die
Wahrheit vor und in jedem Krieg das erste Opfer bildet.


So
zum Beispiel, als 1898 eine angebliche Terrorattacke auf den
amerikanischen Kreuzer USS Maine, die sich nachträglich als
simple Kesselexplosion entpuppte, von der US-Regierung als Vorwand
für einen längst geplanten Eroberungskrieg gegen die
Kolonialmacht Spanien genutzt wurde. An dessen Ende waren Kuba,
Hawaii, Puerto Rico und die Philippinen von den Vereinigten Staaten
unterworfen. Amtlich erwiesen ist auch, dass im Sommer 1964 der
US-Zerstörer Maddox im Golf von Tonking nie von der
nordvietnamesischen Marine angriffen wurde – dennoch erteilte der
US-Kongress dem damaligen Präsident Lyndon B. Johnson eine
Blankovollmacht für das flächendeckende Bombardement
Nordvietnams. Auch Henry Kissinger hat in seinen Memoiren offenbart,
wie perfide er als Außenminister zusammen mit Präsident
Nixon Ende der sechziger Jahre die Öffentlichkeit in den USA und
der Welt über die völkerrechtswidrige Bombardierung von
Laos und Kambodscha zu täuschen verstand.


Und
schließlich steht seit September 2000 in einer Studie, die das
"Project for the New American Century" unter dem Titel
"Rebuilding America´s Defenses" publiziert hat, der
Satz: „Further, the process of transformation, even if it brings
revolutionary change, is likely to be a long one, absent some
catastrophic and catalyzing event – like a new Pearl Harbor.“

(Ferner wird der Transformationsprozess, selbst wenn er
revolutionären Wandel mit sich bringt, wahrscheinlich lange
dauern, mangels eines katastrophalen und katalytischen Ereignisses –
wie eines neuen Pearl Harbors). Die Autoren, zu denen unter anderem
Paul Wolfowitz, Eliot Cohen, Bill Kristol, Robert Kagan und Dov
Zakheim zählen, müssen wahrlich prophetische Gaben besessen
haben, denn exakt ein Jahr später, am 11. September 2001,
ereignete sich „das Kolossalverbrechen“ (Helmut Schmidt)
von New York und Washington. Neuesten Umfragen zufolge soll
mittlerweile ein Drittel der Amerikaner nicht mehr an die
regierungsamtliche Version von 9/11 glauben – das wären
immerhin mehr als 80 Millionen Menschen, soviel wie ganz Deutschland
Einwohner hat! Was beweist, dass man zwar ziemlich viele Menschen
lange Zeit gedanklich vereinnahmen kann, aber wohl nicht alle auf
ewig. Nichtsdestoweniger laufen völlig unbeirrbar die
Hohepriester der Regierungspropaganda mit ihren willigen
journalistischen Handlangern im Gefolge durch die Arena des
Medienzirkus und diffamieren jeden Zweifel einer kritischen
Öffentlichkeit als graue Verschwörungstheorie.


Da
trifft es sich, dass jüngst die Sperrfrist für ein
einstmals mit dem Geheimhaltungsvermerk "TOP SECRET"
versehenes Memorandum des Pentagon für eine unter dem Decknamen
"Northwoods" geplante Operation abgelaufen ist. Verfasst
wurde die Studie vom US-Generalstab und am 13. März 1962 von
General L. L. Lemnitzer unterzeichnet, damals Generalstabschef der
US-Streitkräfte und später Oberbefehlshaber der NATO in
Europa. Als Motiv des Dossiers wird angegeben: „Rechtfertigung
für eine militärische Intervention der USA in Kuba“.


Hinter
der hölzern-bürokratisch klingenden Formulierung verbirgt
sich ein sensationeller Inhalt. Quasi auf dem Silbertablett serviert
wird nicht irgendeine "Verschwörungstheorie",
sondern wie aus dem Lehrbuch das ganz reale Szenario ­einer
Verschwörung. Was dem US-Verteidigungsminister in diesem
Memorandum von seinen Generälen dargelegt wird, ist nichts
anderes als eine glasklare Strategie, wie eine US-Regierung vorgehen
sollte, um dank des Zusammenspiels von Propagandaaktionen und
verdeckten Geheimdienst- und Militäroperationen den Vorwand für
eine Intervention der USA gegen Kuba zu schaffen. Aufschlussreich ist
dabei, mit welchem Nachdruck der US-Generalstab die unumschränkte
Federführung beansprucht, um seine Planungen auch umsetzen zu
können. Die Lektüre der detaillierten Liste krimineller
Handlungen, welche die Militärs der US-Regierung da unterbreiten
(siehe unten), macht schlechterdings fassungslos. Was mit Northwoods
konzipiert wurde, war nichts anderes als blanker Staatsterrorismus,
verübt von einer Supermacht, die angeblich nichts sehnsüchtiger
wünscht, als weltweit Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu
verbreiten.


Dass
dieses Staatsverbrechen letztlich nicht wie vorgesehen stattfinden
konnte, dürfte Resultat der "Raketenkrise" vom
Herbst 1962 gewesen sein, als die Sowjetunion mit der Stationierung
von Mittelstreckenraketen auf Kuba bis an den Rand eines Atomkrieges
ging, um die USA von einem Überfall auf die Karibikinsel
abzuschrecken. Die damals zwischen den beiden Supermächten
getroffenen Vereinbarungen haben für Jahrzehnte die Existenz
eines unabhängigen Kubas gesichert. So gesehen könnte es an
der Zeit sein, die Geschichte des Kalten Krieges im Lichte dieser und
anderer nun ruchbar gewordener Planungen, von denen die Operation
Northwoods lediglich die Spitze des Eisberges bilden dürfte, neu
zu schreiben. Wichtiger noch wird es allerdings sein, die politischen
Ereignisse in Ländern auf der Zielliste der USA – wie Iran,
Venezuela, Syrien, Bolivien oder Nordkorea – genau zu beobachten.
Wenn überhaupt, dann vermag allein die Aufmerksamkeit einer
kritischen Öffentlichkeit den Ambitionen von Politikern wie
Cheney oder Rumsfeld Einhalt zu gebieten.




Dipl.
Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er
vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
Sein Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der
Ost-West-Wochenzeitung "Freitag", 22. September 2006,
S.7.


Dokumentation:


Flugzeugabschüsse
simulieren


Als
am 13. März 1962 General Lemnitzer, der Vorsitzende der
vereinigten Stabschefs der US-Armee, sein Memorandum an
Verteidigungsminister Robert McNamara schickt, geht es vor allem
darum, wie die Umstände für eine Intervention gegen Kuba
durch – wie es wörtlich heißt – „Provokation“ der
Kubaner und „Täuschung“ der Weltöffentlichkeit herbei
geführt werden können. Wir dokumentieren in Auszügen
die Liste der Maßnahmen des Cuba Project (Deckname
"Northwoods"), die seinerzeit als geeignet galten, dieses
Ziel zu erreichen.


1.
Da es wünschenswert wäre, legitime Provokation als Basis
für eine US-Militärintervention in Kuba zu benutzen, könnte
ein Täuschungsplan … ausgeführt werden, um zunächst
kubanische Reaktionen zu provozieren. Belästigungen und
Täuschungsaktivitäten sollen die Kubaner überzeugen,
dass eine Invasion bevorsteht. Unsere militärische Bereitschaft
während der Ausführung des Planes würde es uns
erlauben, schnell von Übungen zur tatsächlichen
Intervention überzugehen, sobald die kubanischen Reaktionen dies
rechtfertigen.


2.
Eine Serie gut koordinierter Vorfälle wird geplant, die in und
um Guantanamo herum stattfinden und den Eindruck erwecken sollen, als
seien sie von feindlichen kubanischen Streitkräften ausgeführt
worden.


a)
Vorfälle, um einen glaubhaften Angriff zu fabrizieren (nicht in
chronologischer Ordnung)


(1)
Gerüchte streuen (viele). Heimlich Radio verwenden.


(2)
Uns freundlich gesonnene Kubaner in Uniform über den Zaun
klettern und einen Angriff auf den Stützpunkt starten lassen.


(3)
Unsere Kubaner als Saboteure innerhalb des Stützpunkts
festnehmen.


…


(8)
Angriffsgruppen gefangen nehmen, die sich von See oder aus der Nähe
von Guantanamo-City nähern.


(9)
Gruppe von Milizionären gefangen nehmen, die den Stützpunkt
stürmen.


(10)
Sabotage eines Schiffes im Hafen durch Brandstiftung.


(11)
Schiff in der Nähe des Hafeneingangs versenken, Bestattungen
abhalten für angebliche Opfer.


b)
Die Vereinigten Staaten würden mit offensiven Operationen
reagieren, um die Wasser- und Stromversorgung zu sichern, und sie
würden Artillerie- und Granatwerferstellungen zerstören,
die den Stützpunkt bedrohen.


c)
Die Vereinigte Staaten beginnen mit groß angelegten
Militäroperationen.


3.
Ein Vorfall, der an die "Maine"* erinnert, könnte in
verschiedenen Varianten arrangiert werden:


a)
Wir könnten ein US-Schiff in der Guantanamo-Bucht in die Luft
jagen und Kuba verantwortlich machen.


b)
Wir könnten ein unbemanntes Schiff irgendwo in den kubanischen
Gewässern in die Luft jagen. Wir könnten arrangieren, dass
ein solcher Vorfall in der Nähe von Havanna oder Santiago wie
das spektakuläre Resultat eines kubanischen Luft- oder
Seeangriffs aussieht. Die Präsenz kubanischer Flugzeuge oder
Schiffe, die aufklären wollen, was es mit dem Schiff auf sich
hat, könnte als überzeugender Nachweis genommen werden,
dass das Schiff angegriffen wurde. Die Nähe zu Havanna oder
Santiago würde die Glaubwürdigkeit besonders für jene
Menschen erhöhen, die die Explosion gehört oder das Feuer
gesehen haben. Die Vereinigten Staaten könnten eine von
Kampftruppen unterstützte See-/Luft­rettung folgen lassen,
um die "überlebenden" Mitglieder einer
nicht-existierenden Mannschaft zu evakuieren. Verlustlisten in
US-Zeitungen würde eine hilfreiche Welle nationaler Empörung
hervorrufen.


4.
Wir könnten eine kommunistisch-kubanische Terrorkampagne in der
Gegend von Miami, in anderen Städten Floridas oder sogar in
Washington entwickeln. Die Terrorkampagne sollte auf kubanische
Flüchtlinge zielen, die in den Vereinigten Staaten Schutz
suchen. Wir könnten ein Boot mit kubanischen Flüchtlingen
versenken, das sich auf dem Weg nach Florida befindet (real oder
simuliert).


…


Die
Explosion einiger Plastikbomben an sorgfältig ausgesuchten
Stellen, die Festnahme kubanischer Agenten und die Veröffentlichung
vorbereiteter Dokumente, die das Eingreifen Kubas belegen, wären
hilfreich, um von einer verantwortungslosen Regierung sprechen zu
können.


5.
… Wir könnten die Empfindlichkeit der Luftwaffe der
Dominikanischen Republik gegenüber Verletzungen ihres Luftraums
ausnutzen. "Kubanische" B-26 oder C-46 könnten
nachts Zuckerrohrfelder in Brand schießen. Brandbeschleuniger
aus dem Sowjetblock könnten gefunden werden. Das könnte
verbunden werden mit "kubanischen" Botschaften an den
kommunistischen Untergrund in der Dominikanischen Republik und
"kubanischen" Waffenlieferungen, die gefunden oder
beschlagnahmt werden.


6.
Von US-Piloten geflogene MIG-ähnliche Flugzeuge könnten für
zusätzliche Provokation sorgen. Belästigung der zivilen
Luftfahrt, Angriffe auf Schiffe und die Zer