Die
Etablierung der Grauzone bedeutet Raumverlust für emanzipatorische
Werte. Auf Oi-Festivals wird gegen »Asylanten« und Schwule gehetzt,
Hardcore-Konzerte sind häufig geprägt von Mc-Fit-gestählten Männergangs,
die sich lauthals zuschreien, welcher Hooligantruppe sie angehören. Das
Thema polarisiert. Antifaschistische Online-Portale wie OireSzene
sammeln in Fleißarbeit Informationen, stehen jedoch in der Kritik, zu
viele Bands und Konzerte im Sack »Grauzone« zu subsummieren. Die von der
Kritik Betroffenen fühlen sich zu Unrecht angegriffen und forschen
ebenso fleißig nach »Fehlern« in den Veröffentlichungen, um »die Antifa«
zu diskreditieren.
Angestoßen
wurde die Diskussion um die Grauzone im Oi-Milieu im Oktober 2008 vom
»Roten Hetzpamphlet«1, das am Beispiel der Göttinger Band Stomper 98 die
Verflechtung einer »antirassistischen« Band mit (extremen) Rechten
aufzeigte. Stomper 98 sind Stars des Oi, doch sie stehen nur
exemplarisch für Dutzende Bands, die nicht nur strukturell miteinander
verbunden sind, sondern auch wesentliche Image-Merkmale teilen.
Insbesondere Tattoo-Kult und (Männer-)Brachialästhetik dienen als
Schnittstelle der Lebenswelten von rechts, »anti-r echts«
und »unpolitisch«. Grund genug, im zweiten Teil, der in der nächsten
Ausgabe (#92) des AIB erscheint, diese Ästhetik genauer zu untersuchen.
Rechte Lebenswelten und Grauzonen
Unter
»Rechte Lebenswelten« verstehen wir eine vorpolitische Ebene, in der
das eigene Handeln nicht als »politisches« Handeln, oft sogar als
apolitisch, verstanden wird und dennoch von Mustern und Werten bestimmt
ist, die politisch rechts verortet werden müssen. »Grauzonen« sind
Milieus in (Musik-)Kulturen, die sich apolitisch, oft auch »gegen
rechts« gerichtet geben, jedoch mit (extremen) Rechten strukturell,
sozial und inhaltlich verwoben sind. Die Grauzone im Punk und Oi ist ein
heterogenes Gebilde von Fan- und Freundeskreisen, das Brüche und
Abgrenzungen aufweist – und dennoch in engem Bezug zueinander steht,
über eigene Netzwerke verfügt und Gemeinsamkeiten hat: Die Inszenierung
der Männerwelt sowie konservative bis reaktionäre Wertvorstellungen, die
über Texte, Statements, Symbolik und Ästhetik transportiert werden. Zur
Zuordnung zu einer Grauzone reicht es nach unserem Verständnis nicht
aus, einmal oder zweimal zusammen mit entsprechenden Bands auf Festivals
gespielt zu haben oder im Facebook-Freundeskreis einzelne »falsche«
FreundInnen zu haben. Diese »Kontaktschuld« kann nur ein Glied der
Argumentationskette sein. Die Fokussierung auf (vermeintliche)
Freundschaften lässt die Meinungen darüber, was man »d
arf«
und »nicht darf« oft ergebnislos aufeinander prallen und verstellt zu
oft den Blick darauf, welche Inhalte vertreten werden – zum Beispiel von
der Band Stomper 98, mit der sich der nachfolgende Artikel ausführlich
beschäftigt.
Politische Labels als Imageträger
Die
»unpolitische« Band Gerbenok wird im Juli 2011 auf dem »Back on the
streets«-Festival an der Loreley aufspielen. Gerbenok macht nach eigener
Auskunft »OI!-Musik wie sie sein muss«, eine Kostprobe liefert der Text
ihres Liedes »Die Neuen Hippies«: »Das soll jetzt nicht rassistisch
klingen, doch es ist nun einmal so. Irgendwelche Asylanten dealen auf
dem Bahnhofsklo. Mit langem Haar und schöner Bräune stehn sie an der
Litfaßsäule. Schicken Kinder auf den Strich (...)«2 Im Dezember 2009
sollte Gerbenok auf einem Festival in Greifswald spielen, das mit dem
Zusatz »Love Music Hate Racism« angekündigt war. Antifaschistische
Intervention ließ das Konzert platzen. Das Beispiel zeigt, wie
sinnentleert Labels genutzt werden. Doch das Anheften eines
Gegen-Rassismus-Slogans bringt Vorteile: Kritiker_innen soll Wind aus
den Segeln genommen werden, Sozialarbeiter_innen im Jugendtreff, die
über die Raumvergabe entscheiden, werden positiv gestimmt. Und manchmal
glaubt man selbst, »gegen rechts« zu sein. Immer häufiger stößt man
(nicht nur) in Kulturszenen auf ein Verständnis, das »Politik« auf die
reduziert, die sich selbst politisch definieren (wie Parteien,
Parlamente, »die Antifa«) und allenfalls in unmissverständlichen
Neonazi-Parolen etwas »Politisches« erkennen mag. Der staatlich
verordnete »Anti-Extremismus«, die Gleichsetzung von Links und Rechts
sowie die Reduzierung der Rechten auf offen auftretende, bekennende
Neonazis erobert den subkulturellen Raum. Ein Bewusstsein über die
unterschiedlichen Ebenen und Ausdrucksformen gesellschaftlicher
Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen existiert dort immer
weniger. Rock-gegen-Rechts-Konzerte haben zu oft die Funktion, das Image
einer Kommune oder Einrichtung, einer Band oder eines Veranstalters
aufzubessern und diesen zu beurkunden, etwas gegen Rechts zu tun. Das
politische Label als Selbstverpflichtung hat ausgedient. Der
Werte-Träger verkommt zum Werbeträger.
Gepflegt, völkisch und sternhagelvoll
So
dringen (extreme) Rechte in »linke« Räume vor, wenn sie ihren
Rassismus, ihren Sexismus, ihre Homophobie verschlüsseln oder auf
Stammtisch-Niveau halten. Der englische Alt-Skinhead und »Pubmusiker«
Frank Marshall aka Franky Flame, der auch in der Oi-Band Superyob singt,
macht nach eigenem Bekunden Musik, »die unter keinem politischen Banner
spielt. (...) Unsere Shows sind keine politischen Versammlungen, sie
sind Unterhaltung für Working Class Leute, die sind wie wir.«3 Was
Franky Flame nicht hindert, in der Gazette »Der Trinker« »Massive,
unkontrollierte Einwanderung, Assylbetrüger (sic!)« sowie »Rassenkriege
zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen« als die Probleme Englands zu
benennen.4 Auf die Frage, warum er einen Thorshammer trage, verfällt er
im Interview mit dem rechten Fanzine Feindkontakt in die Diktion der
völkischen Rechten: »(...) und ich bin mir im Klaren über die
Geschichte, die Traditionen, die Sprache und Schrift unserer Vorfahren
(die Runen) und die Entstehung und Entwicklung der Völker Nordeuropas.
Ich bin einer von ihnen und sie sind mein Volk! (...) Was mich
interessiert ist unser Erbe, nicht andere zu hassen, nur weil sie nicht
so sind wie ich, aber ich kümmere mich zuerst um meine Leute, weil es
sich richtig anfühlt und ganz natürlich ist, dies zu tun!« Warum er
Skinhead geworden ist, kann Franky Flame auch erklären: »Die Hippies und
die Friede-, Liebe- und Drogenkultur, die sie mit sich brachten, machte
uns krank und wir wollten anders sein, dem etwas entgegen setzen und
unser Leben so führen, wie wir es wollten: Stolz uns und unserem Land
gegenüber und dabei gepflegt, fit und hart bleiben!«
Tatsächlich
gibt es kaum ein Foto, das Franky Flame nicht mit Bier in der Hand und
erkennbarer Schlagseite zeigt. Man mag sich bildlich vorstellen, wie
Franky und seine Jungs besoffen durch London ziehen, Oi-Hymnen grölen
(»Knock it back, have another one, drinking and driving is so much fun«,
The Business) und ganz »krank« werden beim Anblick kiffender Hippies an
der Bushaltestelle. Die Verherrlichung des legalen, maskulinen
Vollrauschs und die Verteufelung des illegalen, hippiesken Haschkonsums
ist Primat des stockkonservativen Männerstammtisches.
2007
spielte Franky Flame zusammen mit Stomper 98 auf einem »OI-Meeting« im
Conne Island in Leipzig, 2009 musizierte er erneut im Conne Island, in
einer Kneipe von St. Pauli-Fans in Hamburg5 und auf dem
Endless-Summer-Festival. Zwischen diesen Konzerten lagen mehrere
Auftritte in den Neonazitreffpunkten Skinhouse Menfis in Thüringen und
De Kastelein/Moloko Bar im belgischen Brügge. Für den Juli 2011 ist
Superyob für das Festival »Back on the streets« an der Loreley
angekündigt. Sponsor ist unter anderem der Punkversand Nix Gut.
Pragmatismus und Fa ssadenschwindel
Der
Kleiderschrank mancher Fans des »unpolitischen« Oi bietet die Option,
die Garderobe auf den Event abzustimmen. Hannah aus dem Kreis der
rechten Oi-Band »I don't like you« zeigt sich im Skinhouse Menfis im
Shirt der Neonaziband Skrewdriver und wählt für das Punkfestival Force
Attack ein Shirt, dessen Motiv ein zerschlagenes Hakenkreuz zeigt. Ein
Beispiel von vielen.
Zuweilen
dient das »Unpolitische« zur Tarnung einer extrem rechten Erlebniswelt,
die – würde sie sich offen zu erkennen geben – schnell unter
Repressionsdruck geriete. Veranschaulichungen dieses Fassadenschwindels
bieten in dieser Ausgabe des AIB die Artikel über die Bootboys
Hildesheim, führende Veranstalter »unpolitischer« RechtsRock-Events, und
die neonazistische Band Endstufe, die zu »unpolitischen« Partys
aufspielt. Ein »unpolitisch« gelabelter Event ist leichter und
risikoloser auszurichten als ein Rechtsrock-Konzert. Konspirative
Mobilisierungssysteme und Ersatzräume für den Fall behördlicher Verbote
sind nicht nötig und man erreicht mehr Menschen als bei
Insider-Konzerten – ein starkes Argument für das RechtsRock-Business,
was mehr denn je bemüht ist, neue Märkte zu erschließen. Die Anzahl von
Neonazi-Konzerten nimmt ab, die Zahl »unpolitisch« gelabelter
RechtsRock- oder Grauzonen-Events ist in den letzten Jahren signifikant
gestiegen. In der Hinwendung subkulturell orientierter extremer Rechter
zu »unpolitischen« Kultursphären nur arglistige Täuschung zu vermuten,
greift zu kurz. Die extreme Rechte verändert sich. NPD und
Kameradschaften verlieren an Einfluss und Bindungskraft. Ein
ideologischer Rahmen, der alle Lebensbereiche diktiert, wird von immer
mehr rechten Szene-GängerInnen abgelehnt. Oi- oder Hardcore-Treffen
bieten einfach mehr exzessive Partywelt als NPD-Festivals, bei denen
politische Reden zwischen den Bands langweilen und die Polizei über die
Einhaltung des Auflagenkatalogs wacht.
Größenwahn und Verfolgungswahn»Der
Kult« ist die zum Denkmal erstarrte Bewegung. Er bietet
Selbstvergewisserung und darüber hinaus keinen Raum für
(In-)Fragestellungen, Weiterentwicklung, Änderung. Er umgibt sich mit
Gegen-Attributen und sagt nirgends, wofür er ist, außer für einen
nebulösen »Way of Life« und für Freibier.
Die
Bands und Fans des Kultes beschwören die gemeinsame Szene, doch sobald
sich an ihnen Kritik äußert, wird diese umgehend als von außen
hereingetragener Vorwurf diskreditiert. Für die Hannoveraner
Grauzonen-Band Combat 77, die sich in ihrem Namen auf den
Gründungsmythos der Punkbewegung (1977) bezieht, gleicht die
Thematisierung der Grauzone »einer Hexenverfolgung, und besagte Macher
oder Bands scheinen zu vergessen, wo der wahre Feind ist und erreichen
lediglich damit, daß die eigene Szene unnütz gespalten wird.« Auch
Stomper 98 sehen sich »immer auf der Anklagebank« und beschimpfen
Kritiker_innen als »wackere Stalinisten«. Mit dem frei erfundenen
Vorwurf, diese würden »eine ganze Szene in Sippenhaft« nehmen, sorgen
sie dafür, dass die eigenen Reihen geschlossen bleiben. Das
funktioniert. Nicht das Foto des Stomper 98-Sängers Arm in Arm mit einem
Neonazi sorgte im Fankreis für Unmut, sondern dass es, entsprechend
kommentiert (»Reclaim the Scene and kick out Stupidity!!!«), als Motiv
eines antifaschistischen Aufklebers erschien. Allein das Aufzeigen von
Widersprüchen gerät zum unerlaubten Eingriff in den inneren Frieden. Man
schottet sich ab, inszeniert sich als Opfer, zieht daraus die
Bestätigung, »geächtet« zu sein, und ergibt sich in Selbstgefälligkeit.
Größenwahn
und Verfolgungswahn sind die Mixtur, aus der rechte Lebenswelten
bestehen. Die Ähnlichkeit zum Modell »Böhse Onkelz« ist frappierend.
Konstruierte Rebellion, gelebte StagnationDen
ExponentInnen der Grauzone ist eines gemein: Sie konstruieren ein
Rebellentum, das keines ist und tatsächlich auch keines sein soll. Punk,
Oi und Hardcore verkaufen (bis hin zur Unterwäsche) ein Rebellen-Label,
für das der/die Einzelne nichts bewegen muss. Dies schafft die
Möglichkeit, eine bürgerliche bis spießige Lebenswelt zu reproduzieren
und sich dennoch als Gegenkultur zu inszenieren.
Welcher
Unsinn dabei geschrieben wird, verdeutlicht ein Zitat von Combat 77. In
einem Interview vom Februar 2011 äußern sie: »Nowadays a lot of people
seem
to
forget that punk is just rebellion and not extreme left wing
propaganda.«6 Punk ist »nur Rebellion«. Es ist das widersinnige
Konstrukt des Oi, der von rebellischen Attitüden lebt und gleichzeitig
Politikferne beschwört. Indes: Rebellion kann gar nicht unpolitisch
sein, sie ist definiert als Widerstandshandlung gegen die Staatsgewalt,
richtet sich demnach gegen herrschende (politische) Verhältnisse und
Handlungen. Die Lebensrealität vieler Musiker dieses Milieus zeigt
auffallende Gemeinsamkeiten: Ehen oder Lebenspartnerschaften mit
tradierten Geschlechterrollen, Arbeitsethos und der Stolz darauf, als
Punk oder Skin auf »seiner« Lohnarbeit akzeptiert zu sein –
selbststilisierte »Außenseiter«, die nach Anerkennung und Teilhabe in
der so verhassten Gesellschaft geradezu betteln. Weil sie zu dieser gar
keinen Gegenentwurf haben.
Anspruch und Wirklichkeit der Linken
Das
Herumreden um den heißen Brei muss aufhören: Wer in dem Wissen um den
rassistischen Inhalt eines Liedtextes die 2010 erschienene CD »The
Return« der »Kultband« 4-Skins vertreibt, der verbreitet rassistische
Hetze – ein Vorwurf, der sich nicht nur an »Grauzone«-Labels wie
Bandworm Records oder randale-records richtet. Wer dem Sänger der
»Kultband« The Gonads Garry Bushell, im Jahr 2008 Kandidat der
englischen Rechtsaußen-Partei English Democrats, eine Bühne auf dem Punk
& Disorderly-Festival 2009 in Berlin bietet, der protegiert einen
politischen Rechtsaußen, selbst wenn dieser an dem Abend nur für
musikalische Unterhaltung zuständig ist.
Letztendlich
ist die Grauzone subkulturelles Spiegelbild gesellschaftlichen
Mainstreams, der auch alternative Milieus erfasst hat: Kommerz,
Anti-Extremismus, Fit for Fun, Anything goes, was auch bedeutet, immer
den einfachsten Weg gehen zu können. Der Appell an reflektiertes Handeln
verhallt, die neue Offenheit der Linken wird zur Beliebigkeit. Die
soziokulturelle Vermengung antifaschistischer Kreise beispielsweise mit
Hooligan-Milieus erzeugt die Nachfrage nach einer Musik-Kultur, die die
Schlachtgesänge und die Ästhetik liefert für die Gemeinschaft derer, die
sich im Kampf »gerade machen«. Warum selbst linke Politbands wie Slime
auf Festivals zusammen mit Bands auftreten, denen der Stallgeruch der
Grauzone anhängt, ist einfach zu beantworten: Wenn Fans aus
unterschiedlichen Kreisen das Konzert besuchen, dann klingelt die Kasse
lauter.
Die Etablierung der
Grauzone in links etikettierten Räumen ist Resultat der
Kommerzialisierung und Verbürgerlichung linker Subkultur. Um diese
Entwicklung aufzuhalten, braucht es Kräfte, die »linke« Logos und Räume
mit Ansprüchen füllen und eine radikale Gesellschaftskritik leben – und
nicht nur labeln.
Den gesamten Schwerpunkt, inlusive ausführlichen Quellen/Zitaten/Fußnoten, werden wir Mitte August 2011 online zur Verfügung stellen