Wieder einmal fallen in Polen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in dasselbe Kalenderjahr. Zuletzt gab es so etwas vor zehn Jahren – 2005. Doch während damals ein turbulentes Jahr die Gemüter im Land bewegte, scheint heuer fast alles bereits von vornherein klar zu sein.
Damals starb im Frühjahr zunächst Johannes Paul II., womit eine lange und mehrere Jahrzehnte dauernde Periode der sich fast von selbst verstehenden Dominanz der katholischen Kirche im öffentlichen Raum zu Ende ging. Danach stritten sich die beiden in einem langen Häutungsprozess aus der „Solidarność“-Bewegung hervorgegangen Rechtsparteien PO (Bürgerplattform) und PiS (Recht und Gerechtigkeit) um die aus dem unweigerlichen Niedergang der Linksdemokraten (SLD) freigewordene Beute. Knapp machten die Nationalkonservativen um Jarosław Kaczyński Ende September 2005 das Rennen und bestimmten für zwei Jahre das Regierungsgeschäft, was dem staunenden Publikum mehrmals wie Achterbahnfahren vorgekommen sein muss. Die Wirtschaftsliberalen um Donald Tusk hatten das Nachsehen, wollten sich aber wenige Wochen danach mit dem Präsidentschaftsamt schadlos halten. Lange Zeit hatte Tusk in den Umfragen tatsächlich die Nase vorn, auch deshalb plakatierte er sich ab dem Hochsommer bereits als künftiger Präsident. Doch holte sein schärfster Widersacher, Lech Kaczyński, rechtzeitig zum Schlussspurt ein neues Karnickel aus dem Zauberhut: Polens neue, die Vierte Republik – die übrigens die Wirtschaftsliberalen der PO erfunden hatten! Und er gewann damit. Nach dem Doppelclou der Kaczyński-Brüder stieg damals ein 1962 gedrehter Kinderfilm zum Lieblingsfilm der Polen auf, in dem die Zwillingsbrüder als Hauptdarsteller tatsächlich ausgezogen waren, den Mond zu stehlen.
Vor derart dramatischen Höhepunkten ist das Jahr 2015 gefeit. Amtsinhaber Bronisław Komorowski, einst führender Mann des konservativen Flügels der PO, hat seine zweite Amtszeit nahezu sicher, wenn am 10. Mai gewählt wird. Die vierte Republik zieht nicht mehr, viel anderes aber könnte PiS als Alternative zur PO auch heute nicht einwerfen, zudem hat sich der gemeine Bürger an die Ruhe gewöhnt, die das Präsidentenamt seit fünf Jahren ausstrahlt. Anders als seine Vorgänger Lech Wałȩsa, Aleksander Kwaśniewski und Lech Kaczyński glänzt der Mann mit dem Instinkt, sich aus allem tagespolitischen Streit herauszuhalten. Seine bevorzugte Fluchtburg ist Geschichtspolitik, die er aber anders als einst die Kaczyński-Brüder wie ein braves Steckenpferd betreibt. Eine Marotte nahezu, die Komorowski bei passender Gelegenheit zur Geltung bringt, immer dann, wenn er die langatmige Botschaft in das Land schicken will, aus der einst dramatisch-blutigen Geschichte entspringe heute keine Gefahr. Sein Wahlkampfmotto deshalb: Einheit und Sicherheit.
Im Herbst werden die Parlamentswahlen folgen, die auch diesmal wieder ein Zweikampf zwischen PO und PiS sein werden, wobei am Wahlabend vielleicht sogar die Kaczyński-Leute ganz vorne sein könnten. Da es denen aber wie immer seit 2007 an einem potenziellen Koalitionspartner fehlen wird, freuen sich die Wahlbürger bereits heute auf die dritte Regierungszeit von PO und der kleineren Bauernpartei (PSL). An der Spitze würde wieder Ewa Kopacz stehen, die im Herbst letzten Jahres Tusk ablöste, als der einen Spitzenjob bei der EU angenommen hatte.
Und die Flanken? Rechts war und ist PiS so weit außen, dass kaum parlamentarischer Platz vorhanden ist für radikalere Optionen. Das wird sich nach Lage der Dinge auch in diesem Jahr nicht ändern. Und auf der linken Seite? Das Feld, das die liberal-konservative PO zum Bespielen offen ließ, ist eigentlich groß. 2011 holten linksliberale Angebote immerhin fast 19 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen, zudem tauchte mit einer von Janusz Palikot angeführten bunten Truppe ein neuer Stern am linksliberalen Himmel auf. Den Palikot-Leuten war es sogar gelungen, mehrere Hunderttausend Wählerstimmen von der PO zu sich herüberzuziehen. Doch davon ist kaum etwas übrig geblieben. Nicht weil die PO kräftig in die linksliberale Flanke ausgeschert wäre, sondern schlicht deshalb, weil man sich unter Polens Linksliberalen selbst am liebsten zerfleischte – etwa in dem sinnlosen Streit, wer nun unter ihnen der eigentliche Sozialdemokrat sei. Während Kwaśniewski bald nach 2011 rechtzeitig warnte, es müsse 2015 gelingen, eine gemeinsame Liste ins Rennen zu schicken, mit der ein Stimmenanteil von über 20 Prozent errungen werden könnte, macht das linksliberale Lager bereits jetzt im Frühjahr den Eindruck einer hoffnungslos in Parteiintrigen und Spiegelgefechte verstrickten Kraft.
Eine bessere Illustration für diesen Zustand lässt sich nicht finden: Allein aus der einstigen Palikot-Bewegung, von der nur noch zerstreute Reste übriggeblieben sind, starten zu den Wahlen für das Präsidentenamt drei prominente Kandidaten. Anna Grodzka tritt für die Grünen an, Wanda Nowicka versucht es für eine kleine linksgerichtete Gruppierung, Palikot hingegen vertritt sich selbst. Und die Linksdemokraten der SLD schicken mit Magdalena Ogórek eine noch junge Kandidatin ins Rennen, die zuvor kaum jemand kannte und die in der Öffentlichkeit außer Nettigkeiten kaum etwas zu vermelden weiß, die aber – so der in die Jahre gekommene Parteichef Leszek Miller – den unübersehbaren Vorzug vor anderen Kandidatinnen habe, wenigstens hübsch zu sein.