Repression gegen Fußballfans
Mit dem Verweis auf Sicherheitsprobleme durch Heerscharen militanter Hooligans wurde vor der WM massiv aufgerüstet. Was ist dran an dem Sicherheitsfieber? Interview mit MATTHIAS BETTAG.
Wie beurteilst du als aktiver Fan die derzeitige Situation in den Stadien? Ist Repression eine angemessene Reaktion?
Es gibt kein wachsendes Sicherheitsproblem. Im Gegenteil: Vor 10 - 15 Jahren gab es wesentlich mehr Gewalt und bspw. viel mehr offen auftretende Neonazis beim Fußball als heute. Vor 20 Jahren war es noch wilder als vor 15 Jahren, als noch Rockerbanden prägend für die Fanszenen waren. Die heutigen Zustände sind, was die Gewalt durch Fans angeht, paradiesisch, verglichen mit den 80ern oder frühen 90ern.
Der Hooliganismus als Form der verabredeten und gezielt gesuchten Gewalt ist in den Profiligen kaum noch erkennbar. Spätestens nachdem sich ab Mitte der 90er Jahre in Deutschland Ultragruppen bildeten, gab es neben den bis dahin etablierten Szenen der "Kutten" und der Hooligans eine neue jugendliche Subkultur, die schnell hohen Zulauf hatte und die sehr kreative und positive Potenziale weckte.
Sofern heute Hooligans aufeinandertreffen, passiert das häufig nach Verabredungen unabhängig vom Spielort und Spieltag. Hooligans faszinieren eher durch ihren Ruf und ihren Stil. Ausschreitungen am Stadion und auf dem Weg dahin sind sehr selten geworden. Allerdings gibt es immer Prügeleien ausgehend von Besoffenen oder Idioten. Das ist beim Fußball ebenso wie auf Bierfesten, Jahrmärkten und in Feriengebieten am Mittelmeer. So etwas als Hooliganismus zu bezeichnen ist irreführend.
Leider werden, um dem Hooliganismus präventiv zu begegnen, die aktiven Fanszenen angegangen. Dort sind aber vornehmlich Ultra-Gruppen aktiv. Die haben - ganz im Gegensatz zu den Hooligans - den bedingungslosen Support ihrer Mannschaft, die Gesänge und Choreografien im Mittelpunkt ihrer Subkultur. Nicht aber die Gewalt. Wenn den Ultras Repression begegnet, die als Hooliganprävention gedacht ist, trifft das die Falschen. Die Ultras reagieren wütend und wehren sich. Das wird dann wiederum als von denen ausgehende Gewalt ausgelegt, unabhängig wie diese provoziert wurde. So werden die repressiven Maßnahmen rückwirkend bestätigt.
Innenpolitiker träumen von der "absoluten Sicherheit". Wie macht sich das für Fußballfans bemerkbar und was heißt das perspektivisch für andere gesellschaftliche Gruppen?
Hundertprozentige Sicherheit gibt es trotz aller erdenklichen Maßnahmen nie. Mit fällt auf, dass es wachsende Polizeipräsenz gibt, flankiert durch allumfassende Überwachungsmaßnahmen wie Videokameras im Stadion und an öffentlichen Orten, chipkontrollierte Eintrittskarten, Körperkontrollen an den Stadioneingängen, geheime Datenerfassung von Gewalttätern und unkontrollierten internationalen Datenaustausch zwischen Behörden, Vereinen und Verbänden und Privatwirtschaft, namentliche Anmeldung von Fahnenträgern, technische und inhaltliche Abnahmen von Choreografien. Die Sicherheit im Stadion müsste damit eigentlich gewährleistet sein.
Daneben sind aber auch Festnahmen und Platz- bzw. Stadionverbote erlaubt, auch die Erfassung als Gewalttäter. Mit der Drohkulisse einer Hooliganinvasion werden schikanöse Methoden legitimiert und demokratische Grundrechte außer Kraft gesetzt.
All dies geht mit einer seit Ende der 90er Jahre sinkenden Gewaltstatistik einher. Dennoch wird der Sicherheitsapparat ständig ausgebaut.
Was beim geduldigen Fußballpublikum ausreichend getestet wurde, wird dann allgemein eingesetzt - so die RFID-Technologie auf Alltagsgüter beim Verbraucher, pauschale Videoüberwachung auf öffentliche Plätze. Auf der Strecke bleibt auf jeden Fall der Datenschutz, die Transparenz, wer welche Informationen erhält, speichert und an wen weitergibt, und somit ein Teil der Bürgerrechte. Besonders gravierend sind Ausreiseverbote, Freiheitsentzug und Kontrollbesuche der Polizei am Arbeitsplatz oder zu Hause - alles nur aufgrund einer willkürlich möglichen Speicherung einer Person als gefährlicher Gewalttäter. Für die Aufnahme in die Datei "Gewalttäter Sport" reicht es aus, "wenn zu befürchten ist, dass die betroffenen Personen sich in Zukunft an anlassbezogenen Straftaten beteiligen werden".
Dennoch scheinen die Maßnahmen erfolgreich, die Gewalt nimmt ja ab, wie du sagst.
Nein, die Gewalt nimmt aus anderen Gründen ab, z.B. weil Ultras den Hooligans den Rang als "Chefs der Kurve" abgelaufen und ihnen somit den Nachwuchs genommen haben. Ein Großteil der Repressionsmaßnahmen schüren Wut und Ohnmacht und verunsichern junge Menschen in ihrem rechtsstaatlichen Vertrauen. Je mehr es dann um Gewalt oder Repression geht, desto mehr sind die Hooliganstrukturen wieder attraktiv oder interessant,
Die Saat geht möglicherweise erst später auf. Dann aber ist eine Generation von Fußballfans damit aufgewachsen, dass die Polizei Willkür zeigt und pauschal sehr repressiv ist. Der Selbstschutz der Gruppen geschieht durch Isolation nach außen und starken inneren Zusammenhalt, der aber wiederum als Aggression interpretiert werden kann.
Die polizeilichen Maßnahmen haben eines verändert: Wo früher Hooligans oder Rockerbanden direkt aufeinander losgingen, stehen jetzt Ultras der Polizei gegenüber. So werden aus Fans mit einer urspünglich friedlichen und kreativen Einstellung kriminelle Gewalttäter gemacht. Das Ergebnis rechtfertigt die vorher unangemessenen Mittel. Falscher kann Politik kaum sein.
MATTHIAS BETTAG ist Sprecher des Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF). Wir entnehmen das Interview der Aktionszeitung Vorrundenaus, die von den Naturfreunden Berlin zusammen mit BAFF herausgegeben wird.