Koreanische Implikationen

Manche sonst recht behende formulierenden Zeitungsschreiber machten angesichts des nordkoreanischen Atomwaffenversuchs einen eher verklemmten Eindruck. Das mit dem Schurkenstaat und ...

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dem kommunistischen Regime ging meist noch flott von der Feder, weshalb jedoch ein von der UNO verhängter Boykott auf Luxusgüter ausgerechnet den Diktator treffen soll, blieb dagegen seltsam aphoristisch. Wir können ja im Rahmen der neuerlich aufsprudelnden "Unterschichten"-Debatte in Deutschland mal über einen Luxusgüter-Boykott für Ackermann & Partner reden. Der wird den Hartz-IV-Opfern nicht viel helfen, würde die Antwort lauten. Richtig: Nicht mehr, als ein Luxusgüter-Boykott gegen Nordkorea den vielzitierten Hungernden in jenem Lande hilft oder den Bombenbastlern schadet beziehungsweise nicht schadet. Die Hilflosigkeit der hiesigen Kommentatoren ist am Ende Teil der allgemeinen Hilflosigkeit des offiziellen Westens.

Dafür gibt es vor allem drei Gründe. Der erste hängt mit der Außenpolitik der USA im allgemeinen und der gegenüber Nordkorea im besonderen zusammen. Vor einigen Jahren wurde die Vermutung, daß "Massenvernichtungswaffen" produziert würden, sowohl in bezug auf den Irak Saddam Husseins als auch in bezug auf das Korea Kim Jong-ils in Umlauf gebracht. Der Irak wurde überfallen, am Ende erwies sich die unterstellte Waffenproduktion als Propaganda-Ente, während Nordkorea unbehelligt blieb. Zugleich waren Indien und Pakistan in den illustren Kreis der Atommächte aufgerückt, ohne daß das für sie irgendwelche unangenehmen politischen oder weltwirtschaftlichen Vergegenwärtigungen nach sich zog. Daraus folgte logisch: Wer nicht über Atomwaffen verfügt, wird möglicherweise Opfer einer Aggression, wer solche hat, eher nicht. Insofern war die Folge der USA-Politik, die angeblich eine weitere Verbreitung von Kernwaffen verhindern sollte, tatsächlich eine Einladung dazu. Kim Jong-il hat sie offenbar gern angenommen.

Hier ist zudem ein genauerer Blick auf die Geschichte zu werfen. Und der fällt auf den Korea-Krieg 1950-1953. Das Land wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gespalten, wie Deutschland und Vietnam ebenfalls. Im Jahre 1950 überschritten Truppen des Nordens die Grenzlinie und eroberten fast den gesamten Süden. Es folgten eine Gegenoffensive der USA und ihrer Verbündeten sowie eine Gegen-Gegenoffensive chinesischer Truppen mit sowjetischen Waffen und dann massive Bombardierungen durch die USA, um das Land völlig zu zerstören. Über keinem Land war im Zweiten Weltkrieg ein solcher Bombenhagel niedergegangen wie in jenen Jahren über dem Norden Koreas. US-Präsident Truman dachte auch über einen Atombombeneinsatz nach.

Am Ende wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der noch heute gilt. Historiker gehen davon aus, daß etwa ein Viertel der Bevölkerung ausgerottet wurde. In diesem Sinne sind die Bedrohungsszenarien, die die nordkoreanische Führung ihrer Politik zugrunde legt, nicht Halluzinationen, sondern ein Ausfluß der historischen Erfahrung. Und da der Krieg der USA unter UNO-Flagge geführt wurde, hat auch das Argument, ein Beschluß des UN-Sicherheitsrates gegen Nordkorea sei eine "Kriegserklärung" - zumindest innenpolitisch - eine gewisse Plausibilität. Die Grundannahme des Westens jedenfalls, nach dem Ende des osteuropäischen Staatssozialismus den Druck auf verbliebene "kommunistische" Staaten wie Kuba oder Nordkorea zu erhöhen, um sie ebenfalls zum Einsturz zu bringen, hat bisher nur Gegendruck und regional verstärkte Spannungen gebracht.

Der zweite Grund für das seltsame Taktieren des Westens hängt mit seiner realen militärisch-politischen Schwäche zusammen. Die USA haben zwar ihre Militärausgaben drastisch erhöht, rüsten ununterbrochen und drohen am liebsten in jedem fraglichen Fall mit dem Einsatz militärischer Mittel. Die Kampfmaschinerie des Imperiums hat sich jedoch im Sand des irakischen Geländes festgefressen. Der geplante Iran-Krieg scheint die derzeitigen Kräfte und Mittel zu überfordern, geschweige denn, daß rasch gegen Nordkorea oder andere mißliebige Länder militärisch tatsächlich agiert werden könnte. Das gibt weltweit politischen und diplomatischen Bemühungen auch dort wieder Chancen, wo es die USA nicht wollen; sie können es nicht verhindern.

Dahinter verbirgt sich in Asien - und dies ist der dritte Grund - noch etwas anderes. Bereits bei den früheren sogenannten Sechsergesprächen mit Nordkorea, die zu führen sich dessen Regierung auch jetzt wieder bereiterklärt hat, hatte China faktisch eine zentrale, moderierende Funktion. Jetzt, nach dem Atomversuch, war Peking wieder die zentrale Adresse, für Südkorea, für Japan wie für den Westen. In der UNO tönte US-Vertreter Bolton zwar, es sei im Sicherheitsrat in Sachen Nordkorea der US-Antrag beschlossen worden, man habe nur einige Zugeständnisse an China und Rußland gemacht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß China den Beschluß bestimmt hat: Es gibt keine militärische Drohkulisse gegen Nordkorea. Statt dessen den bereits zitierten Boykottbeschluß in Sachen Luxusgüter. Die Weltpolitik bewegt sich hier auf einer Ebene symbolischer Politik, die zu dechiffrieren eher der Kenntnis der Peking-Oper bedarf als der amerikanischen Country-Musik.

Andre Gunder Frank hatte darauf hingewiesen, daß seiner Einschätzung nach bereits die asiatische Finanzkrise Ende der 1990er Jahre Ausdruck der Verlagerung des Zentrums der Weltwirtschaft nach Asien war (siehe Blättchen, 25/2005). Die Art und Weise der Behandlung des koreanischen Atomproblems deutet auf eine Verlagerung auch des politischen Schwerpunktes nach Ostasien. Die aber hat eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Grundlage.

Vor wenigen Tagen erschien unter der Rubrik der Wirtschaftsnachrichten die Mitteilung, China (die Volksrepublik) verfüge derzeit über Devisenreserven von fast 1000 Milliarden US-Dollar. Das sind umgerechnet etwa 780 Milliarden Euro. Dies seien die größten Devisenreserven, über die je ein Land verfügte. Braucht man die nur für den Handel, oder rechnet die chinesische Regierung mit einer Zuspitzung der Weltlage, in der die chinesische Politik finanziell untersetzt sein muß? Die USA hatten 2005 ein Handelsbilanzdefizit von über 723 Milliarden Dollar und Auslandsschulden von über 8,3 Billionen Dollar. Frank hatte übrigens in einem seiner letzten Texte diese USA-Verbindlichkeiten mit einem Pyramidenspiel verglichen, das zusammenbricht, wenn China keine amerikanischen Schuldverschreibungen mehr kauft. Bisher tut es das für etwa hundert Milliarden Dollar im Jahr.

in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 30. Oktober 2006, Heft 22

aus dem Inhalt:
Jörn Schütrumpf: Moderne Opposition; Ove Lieh: Schichtensehen; Max Hagebök: Merkel, machtlos; Hajo Jasper: Donnerstrunkshausen; Erhard Crome: Koreanische Implikationen; Uri Avnery, Tel Aviv: Mittagessen in Damaskus; Elke Scherstjanoi: Krimtaxi; Jens Knorr: Homokis "Mahagonny" - Mahagonnys Homoki; Detlef Kannapin: Faktische Filmzensur; Achim Engelberg: Schüsse in der Hardenbergstraße; Kai Agthe: Macht Wissen Millionäre? Erhard Weinholz: Enzyklopädie des Ostens