Angst

 

Angst ist Treibsatz für eine Partei wie die AfD

Jörg Meuthen

Dass ich den früheren AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen als Kronzeugen für eine Betrachtung der politischen Lage hierzulande zitierte, wäre mir noch vor Kurzem abwegig erschienen. Der Höhenflug der Partei sei erklärbar, sagt der heutige EU-Abgeordnete: „Es ist die Angst vieler Menschen angesichts des kompletten Versagens der derzeitigen Regierungsparteien: sinkende Reallöhne, Erosion der Mittelschicht, Migrationsproblematik“; die Menschen hätten „durchaus begründete Verlust- und Abstiegsängste“.

In Meinungsumfragen hat die AfD alle Parteien mit Ausnahme von CDU/CSU überflügelt. Nun vergeht bis zur nächsten Bundestagswahl noch einige Zeit. Jedoch wird bereits im nächsten Jahr in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt. Und es gibt Erhebungen, wonach die AfD dort sogar in Führung liege. Die etablierten politischen Kräfte, um nicht zu sagen „Altparteien“, aber das wäre Wasser auf die Mühlen der AfD, reagieren bis dato hilflos auf diese hohen Umfragewerte; mehr als diese, so die tröstliche Zusicherung, seien das (doch noch) nicht. Wären da nicht die Wahlgewinne der AfD auf kommunaler Ebene! So geben sich die Parteien von konservativ bis links gegenseitig die Schuld am Höhenflug des gemeinsamen Gegners. Die CDU ortet den Grund für den Aufstieg in der Regierungspolitik, vor allem in dem verkorksten Heizungsgesetz. Die Ampelkoalition keift zurück, der irrlichternde CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mache mit reaktionärem Gerede die Rechtspopulisten erst salonfähig. Die Schlichtheit der Analyse ist deprimierend.

Merz trat seinerzeit an, die Zahl der AfD-Wähler zu halbieren. Dass das schwierig bis unmöglich ist, zeigt sich gerade. Woran kann das liegen? Bekanntlich bewegt weniger nüchterne Politik die Wähler, sondern emotionale Affekte veranlassen Menschen, die eine oder andere Partei zu wählen. Diese emotionale Zu- und Abneigung führt nach dem Politikwissenschaftler Hans Vorländer zu „affektiver Polarisierung“. Eine verbreitete These, wonach die Wähler von Union und AfD bezüglich ihrer Gefühlslagen gar nicht so weit auseinander lägen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall – zwischen beiden ist die affektive Polarisierung hoch, wie Umfragen und Studien zeigen: „Vor allem die Wähler der AfD, mit gewissem Abstand aber auch die Wähler der Linken, weisen Zukunftserwartungen auf, die stark durch negative Gefühle geprägt sind“, heißt es da. Wer sich im Umfeld der Union bewege, habe ein „deutlich anderes Weltbild“ als Anhänger der AfD: Während 85 Prozent der Anhänger der Union darauf vertrauen, dass Deutschland künftige Herausforderungen bewältige, sind es bei der AfD nur 17 Prozent. 83 Prozent der Personen, die den Rechtspopulisten ihre Stimme gäben, antworteten, dass sie für Deutschland „schwarz sehen, wenn das so weitergeht“. 59 Prozent der AfD-Anhänger haben demnach „häufig Angst“ vor dem, was kommen wird. „Angst“ ist also das dominierende Gefühl bei den Wählern und Sympathisanten der AfD.

Die großen Heilsversprechen der Moderne – Globalisierung, Digitalisierung und die Bildung multikultureller Gesellschaften – gehen nur teilweise auf und überfordern große Teile Gesellschaft, auch der deutschen. Die anstehende ökologische Transformation wird als Verlust gedeutet; von Geld, von Status, von Würde. Die AfD wertet diese Menschen auf, als Deutsche, als Patrioten und richtet deren Vorbehalte nach außen – gegen Geflüchtete und Migranten. All das bündelt sich in einer „Abstiegsangst“, in einer Verweigerung: „Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der Nein sagt“, so Albert Camus.

Für Ostdeutsche kommt hinzu, sich als Bürger zweiter Klasse zu fühlen; in gewissem Maße sind sie es auch. Die AfD spricht diesen Gemütszustand an und verbindet ihn mit Reizthemen wie eben dem Klimawandel oder der Migration, um zu behaupten, diesbezügliche Politiken seien übergriffige Maßnahmen einer westdeutsch, grün und links dominierten Elite.

Grundsätzlich ist Angst ein Gefühl, eine Reaktion unserer Psyche, manchmal mit körperlichen Symptomen einhergehend, die einen Schutzmechanismus aktiviert und uns vor Gefahren und Risiken warnt. Angst kann so weit gehen, dass sie uns in unserem Alltag einschränkt, weil sie uns derartig blockiert, dass wir nicht mehr dazu in der Lage sind zu (re)agieren. Ängste – da Emotionen – „verdanken“ wir unserer Vorstellungskraft, die es dem Ängstlichen in einer gegebenen Situation manchmal schwerer machen, als es „objektiv“ eigentlich ist. Und selbst wenn es gar keine reale Gefahr gibt, auch dann können wir Angst verspüren. Das ist so, weil Ängste selbstreferenzieller Natur sind: „Die Realität“ existiert so nicht; vielmehr ist jeder Mensch zugleich der Akteur, der sich seine – ihm Angst machende – Realität basierend auf seiner eigenen Erfahrung und deren Deutung jeweils „erschafft“. Wenn es dem Ängstlichen gelingt, seiner Angst einen „Namen zu geben“ , sie zu adressieren, kann er sie besiegen.

Problematisch(-er noch) wird Angst, wenn sie in Wut und Hass umschlägt oder diese Emotionsausbrüche dazu dienen, Angst zu kaschieren. Zu Ärger, Zorn und Aggressionen kommt es auch, wenn Situationen oder Umstände nicht als frei gewählte wahrgenommen werden. Eine Kaskade von Vermutungen und Unterstellungen nimmt diese Menschen in Beschlag; differenzierende Überlegungen sind weitgehend ausgeschaltet. Dahinter können ein geringes Selbstwertgefühl, Unsicherheit, emotionale Unreife, aber auch Egozentrik, Intoleranz oder auch Frustration stecken. Diese Form einer Schwarz-Weiß-Sicht führt zu einer persönlichen „Fragilität“, was bedeutet, dass die eigene Weltsicht sich als derart zerbrechlich darstellt, dass selbst kleinste Zumutungen – wie zum Beispiel das Gendern – zum Angriff auf ebendiese Weltsicht und damit auch auch auf die Person umgedeutet werden.

So sind Angst, Wut und Hass nicht nur Beschreibung von Gemütszuständen, sondern wirken „sozial konstruierend“ und schaffen so gesellschaftliche Identitäten. Davon betroffene, sich permanent bedroht fühlende Menschen neigen zu einem Freund-Feind-Schema, das Carl Schmitt als „die spezifische politische Unterscheidung“ ansieht, „auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen“. Nicht von ungefähr ist Schmitt einer der Säulenheiligen der intellektuellen Vorhut der AfD.

Politische Theorien operieren, ob bewusst oder unbewusst, mit einer anthropologischen Grundannahme über den Menschen; bei den einen ist er von Natur aus gut, bei den anderen von Natur aus böse. Dass Optimismus über die menschliche Natur allerdings für reale Politik kein Ausgangspunkt sein kann, liegt auf der Hand; eine Welt, die von ausschließlich guten Menschen bevölkert wäre, brauchte keine Politiker. Vordergründig bestätigte das den Schmittschen Manichäismus. Überträgt man diesen auf konkrete politische Situationen, auf unmittelbar staatliches Handeln, wird dieses Denken moralisch hochgradig anstößig. Es sieht keine Synthese, keine Versöhnung von Freund und Feind, von gegensätzlichen Standpunkten vor. Damit sind alle politischen Probleme so zugespitzt, dass sie zu „quasi rational unlösbaren“ werden. Liberale Politiken gestalten Aushandlungsprozesse zwischen den Menschen, Gruppen, Parteien. Die Aufgabe demokratischer Institutionen ist es, politische Konflikte in Formen zu bringen, die es erlauben, diese auf friedliche Weise auszutragen und zu lösen. Und Ängste abzubauen.

Die „Marke AfD“, so Tino Chrupalla auf dem gerade abgeschlossenen Parteitag, sei nach Meuthens Abgang „repariert“ worden, was für eine noch intensivere Bewirtschaftung der politischen Ressource Angst durch die AfD steht: „Wir kämpfen gegen die Kriegstreiber, die Globalisten, die uns zwangsimpfen wollen, enteignen wollen, versklaven wollen.“ Spätestens das nächste Wahljahr wird uns Antworten zur „reparierten“ AfD liefern; auch solche der unbequemen Art. Wer glaubt, sich in deren Erwartung der Debatte verweigern zu können, bereitet den Schaden vor, den er verhindern will. Und wer in der CDU die „Alternative für Deutschland mit Substanz“ sieht, besorgt das Geschäft der AfD. Nichts ist alternativlos, gerade nicht in der Demokratie. Insofern sind wir zu politischer Zuversicht verdammt.