Seit August dieses Jahres ist Humala Präsident von Peru und versucht den Spagat zwischen links und rechts
Im Wahlkampf hatte Ollanta Humala fast alle großen Medien gegen sich. Immer wieder musste er sich gegen den Vorwurf wehren, ein Zögling des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu sein. Trotzdem trat Humala Ende Juli die Nachfolge von Präsident Alan García an. Zwei Monate später zeigt sich tatsächlich eine Gemeinsamkeit mit Chávez: Mit 70 Prozent Zustimmung steht Humala ebenso glänzend da wie der venezolanische Präsident zu seinen besten Zeiten.
An Selbstzweifeln leidet ein Präsident wie Alan García selten. Im letzten Wahlkampf verkündete er öffentlich, seine Machtfülle würde ausreichen, um die Übergabe der Präsidentenschärpe an einen Kandidaten zu verhindern, den er ablehne. Doch da täuschte er sich gewaltig. Am peruanischen Nationalfeiertag, dem 28. Juli, wurde mit Ollanta Humala exakt der Kandidat zum neuen peruanischen Präsidenten vereidigt, den García im Wahlkampf am vehementesten attackiert hatte. García übergab seine Schärpe trotzdem nicht an den Nachfolger. Entgegen aller Gepflogenheiten und Traditionen blieb er während der Vereidigungszeremonie einfach zu Hause.
García stand nicht allein mit seiner Antipathie gegen Humala. Ein
mächtiges politisches Bündnis, das die wichtigsten Parteien und die
Unternehmerverbände umfasste sowie auf die Zustimmung großer Teile der
Ober- und Mittelschicht zählte, hatte im Wahlkampf mit Unterstützung
fast aller großen Medien gegen Humala Front gemacht. Humala wurde im
Rahmen einer gigantischen Hetzkampagne als Zögling des venezolanischen
Präsidenten Hugo Chávez ausgemacht, seine Wahl als hohes Risiko für die
weitere wirtschaftliche und demokratische Entwicklung des Landes
dargestellt. Potentiellen Wähler_innen Humalas wurde die demokratische
Reife abgesprochen. Ein schlechter Witz angesichts der Tatsache, dass
dieses Bündnis in der Stichwahl Humalas Gegenkandidatin Keiko Fujimori
unterstützte. Deren Wahlkampfteam gehörten nämlich zum großen Teil
ehemalige Berater_innen und Kompliz_innen ihres Vaters an, des zu 30
Jahren Gefängnis verurteilten Ex-Präsidenten Alberto Fujimori:
ausgewiesene Spezialist_innen für Korruption, Wahlbetrug und
Verfassungsbruch.
Humala nutzte es nichts, dass sein Wahlkampfteam im Vergleich dazu aus
anerkannten Fachleuten und integren Persönlichkeiten bestand. Selbst die
konservative Tageszeitung El Comercio, die sich ansonsten in
politischen Debatten vornehm zurückzuhalten pflegt, attackierte den
Kandidaten auf so niedrigem Niveau, dass Humala dem Blatt in einem
Interview entgegnete: „Ich bin nicht der Leibhaftige! Ich werde Peru
nicht an Chávez übergeben.“ Lediglich Ex-Präsident Alejandro Toledo, der
im ersten Wahlgang ausgeschieden war, stellte sich vor der Stichwahl
überraschend auf die Seite Humalas. Die Kampagne gegen Humala verlor
selbst bei seiner Amtseinführung nicht an Fahrt. Der neue Präsident
schwor seinen Eid nämlich auf die Grundsätze der alten Verfassung von
1979 und nicht auf die aktuelle Verfassung, die der damalige Machthaber
Alberto Fujimori 1993 nach einer verfassungswidrigen Auflösung des
Parlaments diktiert hatte. Die Unterstützer_innen Keiko Fujimoris
schäumten und behaupteten, Humala sei kein rechtmäßiger Präsident, weil
er auf etwas geschworen habe, das es gar nicht gibt. Keine Aufregung gab
es dagegen in den Medien, als Martha Chávez, die auf der Liste Keiko
Fujimoris ins Parlament gewählt wurde, ihren Eid als Abgeordnete auf ihr
politisches Vorbild Alberto Fujimori ablegte. Mit anderen Worten: Sie
schwor, ihre Entscheidungen im Parlament im Sinne eines rechtskräftig
verurteilten Verbrechers und Chefs einer Todesschwadron zu fällen.
Inzwischen hat sich die Aufregung um Ollanta Humala gelegt, der Wind hat
sich gedreht in Peru. Humberto Speziano, Präsident des
Unternehmerverbandes Confiep, verkündet jetzt eine neue Botschaft: Seine
Zweifel gegenüber dem Wahlsieger hätten sich aufgelöst, die
Unternehmer_innen würden Humala unterstützen und ihm zu einer
erfolgreichen Präsidentschaft verhelfen. Und selbst Alan García zeigt
sich geläutert: „Präsident Humala macht das sehr viel besser, als viele
seiner Gegner glaubten.“ Vielleicht sind Speziano und García tatsächlich
positiv überrascht, zumal sie bislang nicht in einen venezolanischen
Steinbruch geschickt wurden. Wahrscheinlich haben sie ihre Erklärungen
aber eher aus taktischen Gründen verfasst. Laut Meinungsumfragen
unterstützen zweieinhalb Monate nach seinem Amtsantritt etwa 70 Prozent
der Bevölkerung die Politik Ollanta Humalas. Deswegen ist es plötzlich
nicht mehr opportun, sich gegen Humala zu stellen.
Aber schön der Reihe nach: Die neue Regierung legte einen rasanten Start
hin. In weniger als einem Monat hatte sie bereits den Mindestlohn von
160 Euro auf 180 Euro erhöht, das Haushaltsbudget im Jahr 2012 für
Bildung um 15 Prozent und das für Gesundheit um 11,5 Prozent Prozent
heraufgesetzt. Damit verkürzt Peru zumindest den Abstand zu den
Durchschnittswerten in der Region. Außerdem beschloss die Regierung, bis
Ende 2013 allen Bürger_innen über 65 eine Grundrente von etwa 80 Euro
zu zahlen. All das ist keine Revolution, aber es sind Maßnahmen in
Bereichen, die während der letzten 20 Jahre verwaist blieben.
Den eigentlichen Paukenschlag setzte die Regierung nach einer
Verhandlungsrunde mit den Bergbauunternehmen in Peru. Aufgrund der
außergewöhnlichen Gewinnsteigerungen in der Branche zeigte sich die
Minenindustrie bereit, zusätzliche Abgaben von knapp 850 Millionen Euro
pro Jahr zu entrichten. Auch Alan García hatte vor fünf Jahren
zusätzliche Abgaben für den Bergbau in seinem Wahlprogramm vorgesehen.
Während seiner Amtszeit erreichte er jedoch lediglich einen freiwilligen
Obolus von etwa 135 Millionen Euro pro Jahr, den die Firmen an den
Fiskus überwiesen. Inzwischen werden allerdings erste Zweifel an der
Rechnung der Regierung laut. Womöglich werden die Minenkonzerne die
Auszahlung der von García ausgehandelten 135 Millionen Euro stornieren.
Außerdem werden die Abgaben der Konzerne vermutlich auf deren
Gewinnsteuern angerechnet. Übrig bliebe eine Summe, die weit entfernt
wäre von den 1,5 Milliarden Euro, die Humala im Wahlkampf von der
Bergbauindustrie forderte. Aber immerhin, die Regierung wurde in der
Presse einhellig für ihr Verhandlungsgeschick gelobt. Solche Schritte
kommen bei der Bevölkerung an.
Der Obolus der Bergbauunternehmen reicht allerdings nicht aus, um
weiterhin die Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialressorts aufzustocken.
Deswegen plant die Regierung eine überfällige Steuerreform, an die sich
weder Alan García, noch seine Vorgänger Toledo und Fujimori heranwagten.
Innerhalb dieser Wahlperiode sollen laut Auskunft des neuen
Ministerpräsidenten Salomón Lerner Ghitis die Steuereinkünfte von 14
Prozent auf 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert werden.
Angesichts der Tatsache, dass diese Steuerquote in Brasilien 35 Prozent
und selbst in Bolivien 20 Prozent beträgt, ist auch dies ein
bescheidenes Unterfangen, aber gleichfalls ein Anfang. Lerner setzte
überdies anspruchsvolle Ziele für die laufende Legislaturperiode fest:
Zum Beispiel eine Reduzierung der Armutsquote von 30 Prozent auf 20
Prozent, der absoluten Armutsquote von zehn Prozent auf fünf Prozent
sowie eine Verdoppelung der Haushalte mit Stromanschluss. Das
funktioniert aber nur, wenn keine Wirtschaftskrise dazwischen kommt,
denn Lerners Visionen setzen ein Wirtschaftswachstum von mindestens
sechs Prozent pro Jahr voraus.
Auch in der Innenpolitik weht ein frischer Wind. Die Regierung brachte
im Kongress ein Gesetz durch, dem zufolge indigene Gemeinschaften
künftig befragt werden müssen, bevor die Bagger der Bergbauunternehmen
in ihr Gebiet einrücken. Alan García hatte ein solches Gesetz immer
wieder aufgeschoben und eine rücksichtslose Politik zugunsten der
Minenbranche betrieben, die eine Mitbestimmung der Bevölkerung bei
Industrieprojekten nicht vorsah. Soziale Proteste wurden unter García
kriminalisiert und zum Teil blutig niedergeschlagen. Die traurige
Bilanz: 191 Tote in den letzten fünf Jahren. Die Regierung Lerner
scheint behutsamer vorzugehen. Im südlich gelegenen Ort Toquepala, wo
ein Minenprojekt erweitert werden soll, folgten Straßenblockaden zwar
zunächst nach altem Muster gewaltsame Auseinandersetzungen mit der
Polizei. Doch Lerner berief einen Runden Tisch ein, um über die
Angelegenheit zu verhandeln und entschärfte damit den Konflikt. Andere
Streiks und Blockaden versuchte die Regierung möglichst ohne Festnahmen
zu beenden.
Einen besonderen Platz erhielt die Korruptionsbeämpfung in Humalas
Programm. Obwohl Transparency International das Fujimori-Regime an die
siebente Stelle der weltweit korruptesten Regierungen im Zeitraum
zwischen 1984 und 2004 gesetzt hatte, unternahmen die Präsidenten Toledo
und García daran gemessen zu wenig, um solche Exzesse in Zukunft zu
verhindern. Erst Humala und Lerner brachten nun eine Verfassungsreform
auf den Weg, nach der schwere Korruptionsdelikte gegen den Staat nicht
mehr verjähren können. Wer öffentliche Funktionäre besticht, wird
künftig genauso bestraft werden wie diese Funktionäre selbst. Außerdem
richtete der Kongress eine Untersuchungskommission ein, die sich mit
zahlreichen Korruptionsskandalen während der Präsidentschaft Alan
Garcías beschäftigen soll. Die peruanische Polizei wurde bereits von
zahlreichen Funktionären gesäubert, gegen die ein Korruptionsverdacht
bestand.
Ollanta Humala versucht einen breiten Spagat von links nach rechts. Auf
der linken Seite seiner Regierung und seiner Parlamentsliste mit dem
wenig originellen Namen „Gana Perú“ („Peru gewinnt“) stehen die neue
Frauenministerin und Vorsitzende der Sozialistischen Partei Aída García
Naranjo und deren Parteigenosse Javier Díez Canseco. Díez Canseco ist
Mitglied der Untersuchungskommission gegen Alan García und setzt sich
besonders stark für höhere Abgaben und Steuern der Bergbauunternehmen
sowie für eine höhere Steuerquote ein. Chef der Antidrogenbehörde Devida
und damit sogenannter Antidrogenzar wurde mit Ricardo Soberón ein Mann,
der nicht wie seine erfolglosen Vorgänger in Zusammenarbeit mit den USA
einseitig die Kokapflanzungen vernichten will, sondern auf mehr
Kontrollen und alternative landwirtschaftliche Entwicklung setzt. Die
rechten Medien schossen sich bereits auf Soberón ein, bevor dieser seine
Arbeit überhaupt beginnen konnte.
Dagegen stehen auf der rechten Seite vor allem der Wirtschafts- und
Finanzminister Luis Miguel Castilla, der in seinem Ministerium bereits
Stellvertreter unter Alan García war und Julio Velarde, der seinen
Posten als Präsident der Zentralbank BCR behalten darf. Beide haben sich
als orthodoxe Neoliberale einen Namen gemacht und sollen offenbar zur
Beruhigung der Unternehmerverbände beitragen. Die Gewerkschaften
kritisierten diese Personalien scharf. Im Kabinett befinden sich neben
dem Unternehmer und Bankier Salomón Lerner als Ministerpräsident etliche
weitere Vertreter der Wirtschaft. Verteidigungsminister wurde der
ehemalige General Daniel Mora, der sich dafür stark machte, ein Gesetz
zu verabschieden, das die strafrechtliche Verfolgung von
Armeeangehörigen wegen Menschenrechtsverbrechen während des Konflikts
mit dem Leuchtenden Pfad in den achtziger und neunziger Jahren beendet.
Noch darf die Linke innerhalb und außerhalb des Parlaments hoffen, dass
die Regierung das enorme Wirtschaftswachstum in Peru künftig für eine
stärkere Bekämpfung der Armut oder für höhere Investitionen in der
Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik nutzt. Die Unternehmerverbände
und die Investoren setzen – beflügelt durch die Personalpolitik Humalas
– womöglich darauf, dass dieser Präsident genau wie seine Vorgänger
Alejandro Toledo und Alan García mit Druck dazu bewegt werden kann, das
liberale Wirtschaftsmodell der letzten 20 Jahre fortzusetzen, dessen
Basis der Export von Rohstoffen ist. Schließlich waren sowohl Toledo als
auch García einst mit einem tendenziell sozialdemokratischen Programm
angetreten, doch von dessen Umsetzung während ihrer Präsidentschaft
sahen sie ab.
Die Zusammensetzung des Kabinetts und der Fraktion „Gana Perú“ bietet
genügend Zündstoff für Konflikte im eigenen Lager. Die könnten
beispielsweise dann beginnen, wenn die internationale Finanz- und
Wirtschaftskrise Peru erreicht. Eine solche Krise mit fallenden
Rohstoffpreisen würde Peru vermutlich empfindlich treffen, weil die
exportorientierte peruanische Wirtschaft in hohem Grade vom Wohl der
Bergbaufirmen abhängt. Was auch geschieht: Trotz eines guten Starts
bleibt die künftige Orientierung der Regierung vorerst offen. Fest steht
nur, dass es keine Übergabe des Landes an Chávez gibt.
Artikel erschienen in Ausgabe: Nummer 449 - November 2011
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