Ausnahmezustand als Normalität

Soziale Kämpfe, Folter und Polizeigewalt in Griechenland

Während Folter und Polizeigewalt in Griechenland für deutsche Massenmedien nach wie vor kein Thema sind, wird in anderen Ländern recht breit berichtet.

 

„Die griechische Polizei schlägt vier des Terrorismus verdächtige Personen zusammen und ver­sucht es zu vertuschen“, so der Guardian. Die BBC berichtet über „Prügel der Polizei“ und darüber, dass „retuschierte Fotos der Opfer veröffentlicht“ wurden.

Das New Statesman Magazine betitelt seine Reportage mit „Selektive Null-Toleranz: Ist Griechenland eigentlich noch demokratisch?“

Im Artikel dient die Misshandlung von vier Anarchisten als Aufhänger, um über die tägliche Polizeigewalt zu berichten. Die griechischen Repressionsorga­ne werden als „eindeutig faschistische Polizeimacht“ bezeichnet.

In Spanien schreibt El País: „Fol­terskandal bringt griechische Regierung in Bedrängnis“.

El Público wählt als Überschrift: „Die Polizei fälscht Fotos Inhaftierter, um ihre Verletzungen zu vertuschen“, und El Mundo lässt sich über den „Fotoshop der griechischen Polizei“ aus.

In den USA griff u.a. die Washington Post das Thema auf und auch in Lateinamerika berichten verschiedene bürgerliche Medien. Die argentinische La Prensa titelt mit „Untersuchung wegen Polizeifolter“ (Textausschnitte zitiert nach Ef­imerída ton Sintaktón vom 6.2.).

Die Artikel beziehen sich auf die Misshandlung von vier jungen Anarchisten, die am 1. Februar im Provinzstädtchen Velvedó bei Kozáni zwei Banken überfallen hatten und kurz darauf festgenommen wurden.

Die Polizei veröffentlichte die Namen und Fotos der vier, nachdem sie die Bilder digital verändert hatte. Die Inhaftierten berichten, dass sie in der Polizeiwache über Stunden mit schwarzen Plastiksäcken über dem Kopf gefoltert wurden.

Ihre Anwälte veröffentlichten unretuschierte Fotos, wonach es keinerlei Zweifel gibt, dass die Polizei versucht hat, die Wunden der Misshandlungen zu verdecken. Amnesty International fordert Ermittlungen wegen Folter, Bürgerschutzmi­nis­ter Níkos Déndias gibt sich ratlos: „Ich kann mir das alles nicht erklären (…), ich frage mich, wa­rum die digitale Änderung, warum überhaupt die Veröffentlichung?“, so der innenpolitische Hardliner, wohl wissend, dass Polizeifolter ebenso alltäglich ist wie die Veröffentlichung von Namen, Adressen und Fotos linker und anarchistischer Beschuldigter. Die Inhaftierten betonen, den Banküberfall nicht zur privaten Bereicherung, sondern zur Finanzierung der revolutionären Bewegung in Griechenland unternommen zu haben.

 

Junta ohne Panzer

Ob Folterverbot oder Streikrecht, um einst selbstverständlich erscheinende demokratische Rechte ist es im zunehmend autoritären Kriseneuropa immer schlechter bestellt. Mit der wiederholten Illegalisie­rung von Streiks ist nun die nächste Eskalationsstufe zur Absiche­rung kapitalistischer Ausbeu­tungsverhältnisse in Griechenland erreicht. Die Regierung aus konservativer Néa Dimokratía, sozialdemokratischer Pasok und Dimar (Demokratische Linke) greift dazu auf Gesetze der Militärdiktatur (1967–1974) zurück.

Nach einwöchigem Streik der Athener Metrobeschäftigten hat der konservative Ministerpräsident Antónis Samarás am 24. Januar 2013 die Zwangsre­krutierung der Streikenden angeordnet. Trotz eines Gerichtsurteils, das den Ausstand am Tag zuvor für illegal erklärte, hatten sie ihren Streik zunächst fortgesetzt.

Der Widerstand richtete sich gegen drastische Lohnkürzun­gen, Kündigungen, die Privatisierung des Öffentlichen Perso­nennahverkehrs und erneute Fahrpreiserhöhungen.

Mit dem Gesetz aus der Zeit der Obristenjunta, das Arbeitskämpfe für illegal erklärt, wenn sie dem nationalen Interesse schaden, gelang es der Regierung, den Streik zu brechen.

Am 25. Januar, um 4 Uhr in der Nacht, waren, wie bei den Räu­mungen der besetzten Häuser Villa Amalias und Skaramangá in den Wochen zuvor, die vermummten polizeilichen Terroreinheiten EKAM in das von den Streikenden besetzte Me­trode­pot im Stadtteil Sepólia eingedrungen. Dann wurde den Beschäftigten der so genannte Marschbefehl - ein amtliches Schreiben über die Zwangsver­pflichtung zur Arbeit - überreicht.

Wer sich ab diesem Zeitpunkt noch weigerte, die Arbeit aufzunehmen, sollte verhaftet und darüber hinaus entlassen werden. Nachdem auch angekündigte Solidaritätsstreiks der übrigen Beschäftigten des ÖPNV für illegal erklärt wurden, blieb es in der Folge bei stun­denwei­sen Arbeitsniederlegungen und einem landesweiten Streik der Bahnbediensteten am 26. und 27. Januar.                                                                                 

Zur Stimmungsmache war Ver­kehrsminister Kostís Hatzidákis (ND) in den Tagen zuvor mit falschen Zahlen an die Öffentlichkeit gegangen. Ihm zufolge beträgt das durchschnittliche Mo­natsgehalt von Angestellten des ÖPNV unter Einbezie­hung von Überstunden, Nacht- und Feiertagszuschlägen zwischen 2.167 (Tram) und 4.095 (Metro) Euro.

Der Vizechef einer Gewerkschaft der Verkehrsbetriebe, der dort seit 22 Jahren angestellt ist, legte daraufhin seine Bezüge offen, die sich aus einem monatlichen Bruttolohn von 750 Euro und zwei Zuschlägen von 150 und 120 Euro zusammensetzen.      

Der nächste Angriff auf das Streikrecht folgte am 6. Februar.

Für die Auszahlung ausstehender Löhne, die Unterzeichnung von Kollektivverträgen und gegen die geplante Schiff­fahrts­reform, mit massiven Lohnkür­zungen und Massenentlassun­gen, waren die Seeleute seit dem 31. Januar im Streik.

Nachdem Gespräche zwischen ihrem gewerkschaftlichen Dachverband PNO und der Regierung scheiterten, verlängerten sie den Ausstand am 5. Februar um 48 Stunden.

Es gibt „keinen Raum für weitere Diskussionen“, ließ Schiff­fahrtsminister Kostís Mousou­roúlis (ND) daraufhin verlauten, und Regierungschef Samarás schritt erneut zur Zwangsver­pflichtung. „Wir werden die Dienstverpflichtung zerreißen und in den Mülleimer der Geschichte werfen“, antwortete Antónis Dalakogiórgos, Präsident der PNO, in einem Radiointerview. Die vollmundige Ankündigung führte zu breiten So­lidaritätsmobilisierungen zum Hafen in anarchistischen und linksradikalen Kreisen.

Scharfe Kritik an der Not­stands­verordnung kam von der stalinistischen KKE, in deren Ge­werkschaftsfront PAME viele Seeleute organisiert sind.

Auch die stärkste Oppositionspartei, die Linksallianz Syriza, verurteilte das Vorgehen der Ko­alition. Ihr Abgeordneter Pa­na­giótis Lafazánis nannte die Regierung eine „Junta des Kapitals auf Kosten der Arbeiterklasse“.

Die Gewerkschaftsdachver­bän­de GSEE und ADEDY erklärten sich solidarisch mit den Seeleuten und riefen für Mittwoch zum Generalstreik in Athen auf. In der Nacht zum 6. Februar begann die Polizei dann im Hafen gegen Streikende vorzugehen. Unter dem Druck von Zwangs­rekrutierung und MAT-Sonder­einsatzkommandos nahmen die Seeleute schließlich die Arbeit auf. Eine Solidaritätsdemonstra­tion von über 10.000 Menschen wurde wenige hundert Meter außerhalb des Hafens von starken Polizeikräften gestoppt und löste sich auf.

„Wenn die Regierung so weitermacht“, so ein Demonstrant, „wird bald ganz Griechenland per Zwangsverpflichtung an den Arbeitsplatz geschleift. Dann holen sie dich morgens mit der Pistole im Rücken zu Hause ab und bringen dich zur Arbeit.“

Was 2010 mit der Zwangsrekru­tierung spanischer Fluglotsen und griechischer Tanklastwa­genfahrer begann, wird immer alltäglicher. Ohne Panzer wird der Angriff der kapitalistischen Junta auf das Streikrecht durchgesetzt.

 

Erneut zwei rassistische Morde

Im Morgengrauen des 17. Januar 2013 wurde der 26jährige Pakistaner Sachzat Loukman, der mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit war, von zwei Faschisten mit Messerstichen in den Rücken ermordet.

Einem Taxifahrer, der sich als Augenzeuge das Kennzeichen des Motorrollers der flüchtenden Täter notierte und die Polizei alarmierte, ist es zu verdanken, dass diese kurz darauf verhaftet wurden.

Da sie außer der blutigen Tatwaffe, einem Butterflymesser, einen Teleskopschlagstock und einen Elektroschocker mit sich führten, mit gestohlenem Kennzeichen unterwegs waren und rassistische Parolen gerufen hatten, als sie auf ihr Opfer einstachen, liegt der Verdacht na­he, dass sie gezielt Jagd auf AusländerInnen machten.

Bei der Durchsuchung ihrer Wohnungen wurde umfangreiches Propagandamaterial der fa­schistischen Partei Chrysí Avgí sichergestellt. Nichtsdestotrotz beeilte sich Bürgerschutzminis­ter Déndias schon am nächsten Morgen zu betonen, es habe sich nicht um einen Mord aus rassistischen Motiven, sondern um einen normalen Streit gehandelt.

Aus „Datenschutzgründen“ würden die Namen der Täter ge­heim gehalten.

Jagd auf migrantische Straßen­händlerInnen machten Athener Gemeindepolizisten am 1. Februar. Im Bereich der Metro-Station Thissío stießen sie bei einem Gerangel um seine Waren den 38jährigen Senegalesen Ba­bakar Ndiaye aus sieben Me­tern Höhe auf die Gleise, wo er kurz darauf verstarb.

PassantInnen, Straßenhänd­lerInnen und solidarische Menschen, die sich vor Ort versammelten, wurden von Anti-Riot-Einheiten der Polizei mit Tränengas vertrieben.

Die Mörder in Uniform, die den Tod Ndiayes zu verantworten haben, wurden nicht einmal zu dem Vorfall befragt.

Am Abend des 2. Februar griffen Faschisten im Stadtteil Zo­gráfou zwei selbstverwaltete Projekte an.

Zuvor hatten ca. 3000 Anhänger von Chrysí Avgí ihren jährlichen Imía-Gedenkmarsch abgehalten. (1996 war es auf Grund von Grenzstreitigkeiten um die unbewohnten Ägäisin­seln fast zum Krieg mit der Türkei gekommen.) Zuerst schlugen die Neonazis die Frontscheiben des So­zialzentrums Berdés ein.

Nachdem sie dort vertrieben wurden, versuchten sie die na­he gelegene besetzte Villa Zo­gráfou anzugreifen. Einer der beteiligten Nazis, der nach dem Angriff verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, stellte sich später als Polizeibeamter heraus.

In der Folge umstellte ein Großaufgebot der Polizei die Villa Zo­gráfou und belagerte das Haus stundenlang.

Die Anwesenheit von mehr als 500 solidarischen Menschen verhinderte letztendlich eine Er­stürmung.

In den frühen Morgenstunden des 7. Februar wurde ein Brandanschlag auf den anarchistischen Infoladen Thersítis in Athen verübt, der abgesehen von etwas Ruß an der Fassade keinen Schaden verursachte.

 

Erste Fabrik in Selbstverwaltung nimmt die Produktion auf

Am 12. Februar war es endlich soweit. Die Arbeiter der Biomi­chanikí Metallevtikí (BioMet)  in Thessaloniki nahmen die Produktion unter Arbeiterselbstver­waltung auf.

Auf der Basis kollektiver Entscheidungen wollen sie für eine gleiche und faire Bezahlung sorgen. Als baustoffproduzie­rende Fabrik planen sie außerdem, die Ausrichtung des Unternehmens hin zur Produktion umweltverträglicher Produkte zu ändern. Seit 20 Monaten hatten 45 der ehemals 70 Arbei­terInnen die Fabrik besetzt gehalten und die für die Produktion benötigten Maschinen geschützt.

In dieser Zeit haben sie sich mit anderen Arbeitenden und Kollektiven aus ganz Griechenland vernetzt, Kundgebungen und Demonstrationen abgehalten und die Solidarität und Unterstützung tausender Menschen genossen.

„Bei einer auf 30% gestiegenen Arbeitslosigkeit, sinkenden Löhnen, abgespeist mit leeren Worten, Versprechungen und Steuererhöhungen, nicht ent­lohnt seit Mai 2011, einem Pro­duktionsstillstand in einer von den Eigentümern verlassenen Fabrik, haben die Arbeiter von BioMet in ihrer gewerkschaftlichen Vollversammlung beschlossen, sich nicht mit langfristiger Arbeitslosigkeit abzufinden, sondern darum zu kämpfen, die Fabrik zu übernehmen und selbst zu betreiben. Es ist an der Zeit für Arbeiterkontrol­le!“ (Aus einem Flugblatt der Arbeiter von BioMet)

 

Ralf Dreis

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 377, März 2013, www.graswurzel.net