„Gewalttätige Frauen beflügeln wohl die Phantasie“

Interview mit Kenya Herrera Bórquez über die kulturelle Repräsentation von Frauen in der Welt des mexikanischen Drogenbusiness

Die Allgegenwärtigkeit des Drogenbusiness spiegelt sich kulturell in der sogenannten Narco Cultura wider. Narcocorridos, in denen diese Welt von Macht und Gewalt besungen wird, sind in vielen Regionen Mexikos sowie im Süden der USA extrem populär. Ein Gespräch mit der Forscherin Kenya Herrera über Frauenrollen in der Narco-Kultur.

Das Business der Drogenkartelle ist die machistische Welt schlechthin, wo nur das Recht des Stärkeren zählt. Welche Faszination übt die Narco-Kultur dennoch auf Frauen aus?

Ja, generell ist der Diskurs der Männer aus dem Business, den Narcos, extrem machistisch. Das zeigt sich in einem sehr übertriebenen maskulinen Auftreten, das ihre wirtschaftliche Möglichkeiten und ihre Gewalttätigkeit herausstreichen soll. Einer der Wege, mit der ein Narco seine Macht demonstriert, ist sein Zusammensein mit einer attraktiven Frau. Die Frau ist hier ein Objekt der Zurschaustellung, eine Trophäe. Andererseits gibt ein sehr interessantes Phänomen wie Frauen versuchen, sich in dieser Welt zu präsentieren. Bereits seit Anfang des 20. Jahrhundert gibt es zwar wenige, aber doch immer wieder mächtige Frauen, die Führungsrollen übernehmen. Bei einigen der jungen Frauen aus der Narcoszene, die ich kennengelernt habe, gibt es die Vorstellung, den Männern und deren Lebensstil nachzueifern, besonders beim Thema Gewalt. Dadurch möchten sie sich als starke Frauen präsentieren.

Die Darstellung von Frauen in Videos männlicher Narcocorrido-Sängern wie El Comandante oder auch in der US-Dokumentation Narco cultura (auf youtube zu finden, Anm. d. Red.) lässt diese als stets willige Objekte erscheinen. Erschöpft sich darin ihre kulturelle Repräsentation?

Besonders bei dieser Dokumentation kommen nur wenige Bilder von Frauen vor. Einmal als schöne Accessoires der Sänger, zum anderen als Opfer, in Form trauernder Angehöriger von Ermordeten. Seit einigen Jahren hat sich jedoch über kulturelle Produkte wie Videos und Musik das Bild einer Frau entwickelt, die selbst über ihre Sexualität bestimmt, selbst Entscheidungen trifft und sich auch das Recht auf Gewalt nimmt. Am deutlichsten ist dies in der Nische der Narcocorridos-Sängerinnen wie Jenni Rivera, Ely Quintero oder Violeta la Diva del Corrido. Diese Frauen repräsentieren und projizieren die Idee der Frau als Subjekt, die agiert und selbst über ihr Leben bestimmt. Zumindest handeln davon ihre Songs.

Behandeln die Sängerinnen auf die gleiche Weise Themen wie die Männer? Gibt es zum Beispiel verherrlichende Lieder über Massaker und Enthauptungen?

Generell sind die der Frauen weniger gewalttätig und explizit. Sie singen mehr von Geld, Luxus, wie sie selbst im Geschäft mitmischen, aber vor allem von selbstbestimmter Sexualität und Liebe.

In der Narco-Kultur werden viele Frauen als buchonas bezeichnet. Was ist damit gemeint?

Es gibt buchones und buchonas. Buchón ist ein Stil, dem besonders junge Männer im Narcogeschäft anhängen oder denen dieser Stil gefällt. Man muss also nicht unbedingt selbst Narco sein, um ein buchón zu sein. Er steht für einen Lebensstil, zu dem das Hören von Corridos, auffällige Kleidung bestimmter Marken, teure Autos, Bars, exzessive Fiestas und viele Drogen gehören. Diesen Lebensstil kann man sich nur leisten, weil man das Geld hat und das somit zeigt.

Und die buchonas?

Die jungen Frauen aus der Szene, mit denen ich gesprochen habe, bezeichnen generell als buchona die Freundin oder Geliebte eines Mannes aus dem Drogengeschäft. Die buchonas haben eine Ästhetik, die leicht wiedererkannt wird. Wenn sie das Geld haben, geben sie es für teure, sehr körperbetonte Kleidung oder Schönheitsoperationen aus, viel Make-up, extreme High-Heels und sehr aufwendige Fingernägel. Es gibt verschiedene Kategorien von buchonas, die sie selbst aufgestellt haben. Je höher der Rang eines Narcos, desto höher ist auch der seiner buchona, die ihre ganze Performance von ihm bezahlt bekommt. Es gibt auch Mädchen, die wannabe-buchonas genannt werden, weil sie nicht das Geld für die ganzen Attribute einer buchona haben. Die kaufen sich dann Markenimitate von Kleidern oder Taschen und wollen den Stil kopieren. Eine Vorgehensweise dieser Mädchen besteht darin, zu mehreren in eine Bar zu gehen, um Jungs aus dem Narcogeschäft kennenzulernen, die ihnen dann das nötige Geld geben.

Wie sieht es aus mit der Selbstbestimmtheit? Ist es für diese Mädchen gefährlich „Nein“ zu einem Narco zu sagen, den sie nicht wollen?

Das kann schon gefährlich sein, aber nach meiner Erfahrung lernen sie, die Situationen einzuschätzen, vor allem können sie sehr gut beobachten. Ich war mit einigen Mädchen in einer Bar und sie haben mir erklärt, wie das läuft. Sie beobachten lange die Männer, wer bezahlt, wem gehört das Auto, fragen den Kellner. So bekommen sie heraus, wer für sie in Frage kommt. In so einem Szenario kann es vorkommen, dass einer der Männer kommt und ein Mädchen zum Tanzen oder zu einem Drink einlädt. Wenn sie aber bemerkt hat, dass er nicht einer der Mächtigeren der Gruppe ist, kann sie „Nein“ sagen und zu einem mit höherem Rang sagt sie dann „Ja“. Generell suchen die buchonas Schutz durch einen Ranghöheren, wenn sie ihren Narco verlassen wollen oder in verlassen haben.

Spiegeln sich die etwas anderen moralischen Werte der Narcowelt bei den buchonas auch in einem anderen Umgang mit Eifersucht wider?

Mädchen, die mit einem Narco zusammen sind, wissen, auf was sie sich einlassen, dass Untreue Teil der Beziehung ist. Eifersucht wächst allerdings mit dem Status, den sie in der Beziehung haben. Wenn sie nur locker ausgehen, spielt Eifersucht kaum eine Rolle, diese wächst in der Regel, wenn sie zur festen Freundin oder gar Ehefrau werden.

Angesichts ihrer Ästhetik vermutet man buchonas leicht als Phänomen der unteren Klassen. Trifft das zu?

Sie sind ein absolutes Klassenphänomen, aber eher in dem Sinne, dass sie sich selbst als eigene Klasse begreifen und – wie erwähnt – ihre eigenen Kategorien aufstellen. Ganz unten stehen zum Beispiel Maquiladora-Arbeiterinnen, die stilistisch auf buchona machen, aber nicht die nötige Kaufkraft haben und auch ein ganz anderes Leben führen, nämlich täglich in der Fabrik arbeiten. Von diesen sprechen die anderen mit Verachtung. Zur höchsten Kategorie zählen die sogenannten „vornehmen Frauen“, die langjährigen festen Freundinnen und Ehefrauen hoher Narcos, die nicht mehr in Bars, sondern auf die Familienfeste gehen. Sie folgen auch nicht mehr dieser Buchona-Ästhetik, die für mich große Ähnlichkeiten mit jener der Sex­industrie hat, sondern einem dezenterem Stil, der im globalen Kapitalismus als elegant gilt. Diesen Stil achten auch die buchonas, die sich weiter unten befinden.

Haben die buchonas keine Sorgen, außerhalb der Narco-Kultur als lächerlich zu erscheinen?

Verfolgt man den Diskurs der Narcocorrido-Sängerinnen, bekommt man den Eindruck, dass sie es sind, die sich über die hegemoniale Gesellschaft lustig machen oder diese verachten. Es gibt zum Beispiel einen Song von Jenni Rivera, in dem sie über die traditionellen Frauen der oberen Klasse lästert: Dass sie prüde seien und nur Champagner tränken, dagegen seien die buchonas viel aufrichtiger und tränken außerdem Bier. Zum einen setzen sie also auf Abgrenzung und stellen sich selbst als die mutigeren Frauen dar, die sich nicht um die Meinung der anderen scheren. Andererseits – wenn man die Mädchen besser kennt – erzählen manche auch, dass sie früher buchonas waren, das jetzt aber nicht mehr seien und ein anderes Leben wollten. Sie überlegen, wie sie aus der Narcowelt rauskommen und zum Beispiel eine Ausbildung machen können. Sie wollen ein anderer Typ von Frau sein.

Gibt es keine Probleme, wenn sie aussteigen wollen?

Das kommt auf die einzelne Situation an. Für ein Mädchen, dessen Freund sowie ganze Familie aus dem Narcomilieu sind, ist es deutlich schwieriger. Am einfachsten – nach meinen Gesprächen – ist der Ausstieg, wenn ihr Narcopartner getötet wird. Ein anderes Mädchen konnte nach einem Gefängnisaufenthalt die Szene verlassen. Doch nicht für alle Frauen besteht diese Möglichkeit.

Weniger prominent in der Narco-Kultur als die buchonas sind Frauen in Führungspositionen, die jefas. Haben diese eine eigene kulturelle Repräsentation?

Ja, am bekanntesten ist wahrscheinlich Sandra Ávila, dem Vorbild für die Figur der „Reina del Sur“, die wiederum Protagonistin eines sehr erfolgreichen Buches sowie einer Telenovela ist. Historisch betrachtet gab es immer wieder jefas, die als gefährlichste Drogenhändlerinnen, als öffentlicher Feind Nr. 1 galten. Generell gilt für diese Frauen aber ähnliches wie für viele der männlichen Bosse: Sie sind in ihrem Auftreten deutlich diskreter, sie haben es nicht nötig so wie die Jungs der mittleren Ebene mit ihrer Macht zu protzen.

Gibt es populäre Narcocorridos auch über jefas?

Klar, eines der bekanntesten ist aus den 1970er Jahren und heißt „Contrabanda y tradición“. Vorbild war Camelia la Texana, eine sehr berühmte Figur, über die auch Filme gemacht wurden. In den USA gibt es sogar eine Oper über sie. Das Bild einer Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt und gewalttätig ist, wirkt offenbar sehr beflügelnd auf die Vorstellungskraft. Das zeigt sich auch heute in dem etwas manipulativen Umgang der Medien mit diesen „exotischen“ Frauen. Zum Beispiel wird bei der kürzlich festgenommenen „La China“, eine der bekanntesten jefas der letzten Jahre, immer herausgehoben, wie extrem brutal sie sei und was für eine Angst die Leute vor ihr hätten. Dieses Frauenbild wird in Medien und Literatur gern reproduziert.