Wir glauben an unser Zusammenleben

„Die Freiheit der Palästinenser*innen braucht die Sicherheit der Israelis“ – Redebeitrag von Zey (Palestinians and Jews for Peace), gehalten auf der Antifa-Demo am 3. Februar 2024 in Köln

Am 3. Februar 2024 demonstrierten an 320 Orten wieder mehr als 840.000 Menschen gegen den Rechtsruck. In Berlin waren es an diesem Tag über 300.000 Menschen, die unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ gegen AfD, Rassismus und Neofaschismus auf die Straße gingen. Als Audio-Gruß war dort auch eine Rede von Zey zu hören, die die Friedens-Aktivistin live auf einer zeitgleichen antifaschistischen Demo in Köln gehalten hat. Zey ist in der nach dem Hamas-Massenmordanschlag vom 7. Oktober 2023 gegründeten Organisation Palestinians and Jews for Peace aktiv (1). Dieser lokal in Köln organisierte Freund:innenkreis aus palästinensischen, jüdischen und anderen solidarischen emanzipatorischen Menschen engagiert sich für Frieden, Dialog und Gemeinschaft. Anknüpfend an die im Januar 2024 in der GWR 485 veröffentlichten Redebeiträge (2) von Swetlana Nowoshenowa von den Palestinians and Jews for Peace veröffentlichen wir hier Zeys auf Englisch gehaltene Rede in deutscher Erstübersetzung. (GWR-Red.) 


 

Wir befinden uns im fünften Monat des Krieges zwischen einer extrem rechten Regierung und einer Terrororganisation. Seit die Hamas bei ihrem bislang blutigsten Angriff 1.200 Zivilist*innen getötet und 240 Geiseln genommen hat, wurden von der israelischen Armee über 26.000 Menschen in Gaza, darunter über 10.000 Kinder, getötet. Über eine Million Bewohner*innen Gazas sind vertrieben worden. In Gaza breiten sich Krankheiten aus, eine Hungersnot droht. 134 Geiseln sind noch immer in der Gewalt der Hamas. Hinter diesen Zahlen stehen Menschen. Weder die israelische Regierung noch die Hamas können die massive Zerstörung und den Schmerz, den sie verursacht haben, rechtfertigen.


 

Letzte Woche nahmen Tausende rechtsgerichtete Israelis, darunter elf Mitglieder des Kabinetts, etwa der Sicherheits- und der Finanzminister, sowie fünfzehn Mitglieder der Knesset, an einer rechtsextremen Konferenz unter dem Titel „Der Sieg Israels: Siedlungen bringen Sicherheit“ teil. Sie feierten den Plan einer Neubesiedlung des Gazastreifens und des nördlichen Teils des besetzten Westjordanlands. Auf der anderen Seite demonstrieren trotz des Risikos, verhaftet zu werden, fast täglich Tausende von Israelis und Palästinenser*innen für einen Waffenstillstand, für das Ende der Besatzung und die Freilassung der Geiseln. Und genau wie diese tapferen Menschen in Israel/Palästina stehen auch viele Palästinenser*innen und Jüd*innen in der Diaspora zusammen: gegen die israelische Regierung, die palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas. Weil wir wissen, dass wir ihnen egal sind und dass sie nicht für uns sprechen. Wir glauben an unser Zusammenleben und an unseren gemeinsamen Widerstand. Von der internationalen Gemeinschaft und von Staaten wie Deutschland erwarten wir, dass sie uns zuhören – und dass sie aufhören, unsere Gemeinschaften gegeneinander auszuspielen. Wenn wir die Hamas und die von ihr seit vielen Jahren begangenen Verbrechen gegen palästinensische und israelische Zivilist*innen kritisieren, macht uns das nicht zu Palästinafeind*innen. Wenn wir zugleich die israelische Rechtsaußen-Regierung und die fortdauernde Besatzung kritisieren, macht uns das nicht zu Antisemit*innen. Ganz im Gegenteil.


 

Und besonders wichtig ist es, Regierungen wie die deutsche dafür zu kritisieren, dass sie die israelische Regierung nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffenlieferungen unterstützen. Die Sicherheit der Israelis braucht die Freiheit der Palästinenser*innen. Und die Freiheit der Palästinenser*innen braucht die Sicherheit der Israelis. Wir brauchen eine politische Lösung, um diesen Krieg und den gesamten Konflikt zu beenden. Wir alle haben etwas Besseres verdient.


 

In jüngster Zeit gehen Hunderttausende auf die Straße, um sich gegen den Rechtsextremismus in Deutschland zu positionieren. Das erfüllt uns mit Hoffnung. Aber wir alle wissen, dass die Teilnahme an diesen Demonstrationen nicht ausreicht, um dem Rassismus ein Ende zu setzen und unsere Städte zu sichereren Räumen für alle zu machen. Wir wissen auch, dass selbst diese Demonstrationen nicht frei von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie, Ableismus und anderen Formen der Diskriminierung sind. Seit dem 7. Oktober 2023 haben sowohl der anti-arabische und antimuslimische Rassismus als auch der Antisemitismus gewaltig zugenommen. Auf einigen Demonstrationen wurden teilnehmende Refugees und Migrant*innen mit Palästinafahnen oder Kufiya von der Polizei ausgeschlossen oder von anderen Demonstrant*innen angegriffen. Wir müssen darüber sprechen, dieses Vorgehen kritisieren und daraus lernen. Wir alle sind in rassistisch konstruierten, patriarchalen Gesellschaften aufgewachsen. All diese Ismen durchdringen unser gesamtes Alltagsleben – unsere Bücher, unsere Sprache, unseren Arbeitsplatz, unser Zuhause. 

Wie Tupoka Ogette sagt: Egal, ob wir Rassismus schlecht finden oder nicht, wir haben ihn praktisch eingeatmet. Dies zu begreifen, ist der erste Schritt. Nur dann können wir den Rassismus wirklich bekämpfen. Verlernen kann schwerer sein als Lernen. Aber auch das müssen wir lernen. 

Ich danke euch.


 

Zey


 

Übersetzung für die GWR aus dem Englischen: Henriette Keller


 

Terminhinweis:

Auf Einladung u. a. der Graswurzelrevolution-Redaktion und der Antimilitaristischen Aktion Münster findet am 15.4.2024 ab 19:30 Uhr eine Podiumsdiskussion mit Swetlana und Zey von den Palestinians and Jews for Peace in der ESG-Aula, Breul 43, 
Münster statt. 


 

Anmerkungen:

1) Kontakt: https://palestiniansandjewsforpeace.wordpress.com

2) „Wir müssen keine Feinde sein“: Rede von Swetlana Nowoshenowa (Palestinians and Jews for Peace), gehalten auf der „Arsch Huh“-Demo in Köln, aus: Graswurzelrevolution Nr. 485, Januar 2024, https://www.graswurzel.net/gwr/2024/01/wir-muessen-keine-feinde-sein/

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 487, März 2024, www.graswurzel.net