Der Sammelband Prostitution und Frauenhandel fasst die Ergebnisse einer von der Gewerkschaft ver.di und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) 2005 organisierten Konferenz zum Thema zusammen. Er verdeutlicht, wie viel Aufklärungsarbeit über die Rolle der SexarbeiterInnen innerhalb von Gesellschaft und Gewerkschaft noch nötig ist. Denn Sexarbeit und Frauenhandel werden vielfach noch als untrennbares Problem diskutiert: Für die FES betont etwa Judith Schwethelm die Notwendigkeit, "die Lebenssituation von Frauen in Mittel- und Osteuropa zu verbessern", um weitere Migration und damit mögliche Illegalität und Zwangsprostitution zu verhindern - eine Fortschreibung der Sicht auf Prostituierte als Opfer. Auch die Gewerkschaften scheinen von einer selbstbewussten Organisation der SexarbeiterInnen noch weit entfernt: So spricht auch Dorothea Müller (ver.di) vor allem davon, gegen Menschenhandel, Gewalt und Ausbeutung in der Zwangsprostitution tätig zu werden, eine Aufklärungskampagne über Lebens- und Arbeitsbedingungen zu führen und politische Lobbyarbeit für Prostituierte und gehandelte Frauen durchzuführen.
Wer mehr über die rechtliche Lage der SexarbeiterInnen in vielen europäischen Ländern wissen will, wird den Band sehr nützlich finden, denn er enthält prägnante Berichte und Einschätzungen zu den verschiedenen Prostitutionsgesetzen. Emilija Mitrovic kommt für die deutsche Situation zu dem Schluss, das neue Prostitutionsgesetz sei positiv zu beurteilen, weil es den SexarbeiterInnen klare Rechte verbrieft. Trotzdem macht sie klar, die konkrete Situation der Prostituierten hat sich aufgrund der herrschenden gesellschaftlichen Doppelmoral hat sich bisher nur wenig geändert. Und die der illegalisierten MigrantInnen im Gewerbe gar nicht. Zusätzlich wird auf die Konferenz des Internationalen Komitees für die Rechte von Prostituierten im Jahr 2005 eingegangen. Ihre wesentlichen Dokumente sind abgedruckt.
Im Gegensatz zu ver.di hält Gregor Gall das Thema Organisierung für zentral: Er lotet die sozialistischen Veränderungspotenziale aus, welche in der gewerkschaftlichen Organisation von SexarbeiterInnen liegen. Dabei will er abseits des "feministischen Sexkriegs" zwischen den gegensätzlichen Positionen - Abolitionismus und Selbstemanzipation - bleiben. Indem er den sexuellen Arbeitsprozess analysiert, versucht Gall zu bestimmen, ob Sexarbeit als Lohnarbeit betrachtet werden kann. Da Sexarbeiterinnen "ihre Arbeitsvermögen" und damit ihre Zeit verkauften, übten sie "Lohnarbeit" aus: Prostitution ist also in den Gesamtprozess der kapitalistischen Akkumulation einzuordnen, die gewerkschaftliche Selbstorganisation der SexarbeiterInnen ist möglich. Galls genaue Bestimmung der Sexarbeit als Lohnarbeit stellt einen Fortschritt dar, nicht nur gegenüber der fruchtlosen Kontroverse zwischen radikalem und libertärem Feminismus, sondern auch in Bezug auf die marxistische Diskussion über produktive versus unproduktive Arbeit.
Ein weiterer Teil des Buches ist der jüngeren Geschichte der Organisierung von SexarbeiterInnen in den USA, Großbritannien, Australien, den Niederlanden, Deutschland, Kanada und Neuseeland gewidmet. Dabei stehen die Faktoren, welche die Organisierung fördern oder behindern, im Vordergrund.
Grundsätzlich interpretiert Gall die Organisierungsversuche als Reaktion auf den allgemeinen Niedergangs des Klassenkampfs. Abschließend legt er einige Vorschläge für eine bessere Organisierung der SexarbeiterInnen vor. So sollten die Gewerkschaften enger mit anderen sozialen Bewegungen zusammenarbeiten. Auch könnten ‚adult entertainment workersÂ’ einbezogen werden, die sich selbst nicht unbedingt als ‚SexarbeiterInnen‘ verstehen.
Gall geht es um ein trotzkistisch geprägtes Übergangsprogramm hin zum Sozialismus, in dem der Kampf der SexarbeiterInnen um gesellschaftliche Gerechtigkeit mit dem allgemeinen Kampf um gesellschaftliche Gerechtigkeit zusammenfließt. Schon Marx hatte die Prostitution nur als einen besonderen Ausdruck der allgemeinen Prostitution des Arbeiters analysiert. Galls Verdienst ist es, anhand der neueren Entwicklungen in diesem Feld den Zusammenhang zwischen gewerkschaftlicher (Selbst)Organisierung und Sozialismus wieder thematisiert zu haben. Allerdings führt der vollständige Verzicht auf eigene empirische Forschungen auch dazu, dass die Studie wenig greifbar wirkt.
Emilija Mitrovic (Hrsg.):
Prostitution und Frauenhandel: Die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken! Ausbeutung und Gewalt in Europa bekämpfen!
VSA Verlag, 2006. 160 S., 12,80 EUR
Gregor Gall:
Sex Worker Union Organising: An international Study.
Palgrave Macmillan, 2006. 264 S., ca. 83,50 EUR