Zwischen Anpassung und kritischem Gesellschaftsverständnis

Perspektiven außerschulischer Bildung zu Rassismus und Rechtsextremismus

© DAS ARGUMENT 302/2013, 413-424

Mit der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ist die terroristische Spitze eines differenzierten Gefüges rechtsextremer Organisationen und Netzwerke sichtbar geworden, in dem unterschiedlich kohärente und intensive Szenezugehörigkeiten gelebt werden (vgl. VDK 2006). Um diesen jugendlichen Alltagspraxen den Boden zu entziehen, sind in den vergangenen 20 Jahren Präventionsansätze entwickelt worden. Dabei sind rechtsextrem-orientierte Jugendliche nur eine Zielgruppe unter anderen. Mindestens ebenso wichtig ist es, nicht-rechte Jugendkulturen zu stärken und transkulturelle Erfahrungen und Aktivitäten zu ermöglichen. Und es gilt, die (potenziellen) Opfer rechtsextremer Gewalt zu schützen und zu unterstützen. Zunehmend sind auch ältere Erwachsene und jüngere Kinder als Zielgruppen der Prävention in den Blick gerückt, die Themen auf alle Facetten »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« (Heitmeyer 2002-2012) erweitert und das Ziel pädagogischer Arbeit auf eine Differenzen anerkennende Alltagskultur in Kindertagesstätten, Schulen, Ausbildungseinrichtungen und Unternehmen ausgeweitet worden.

Anhand der Jugend- und Bildungsarbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen lassen sich exemplarisch Verkürzungen diskutieren, die auch in anderen Feldern außerschulischer Bildung aufscheinen. Außerdem wird eine Auseinandersetzung möglich mit der die antifaschistische und rassismuskritische Linke einigenden Überzeugung, das bis heute einzige Konzept der Jugendarbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen wirke entpolitisierend und pädagogisierend. Bildungsarbeit dagegen muss Zusammenhänge zwischen individuellen Orientierungen und Alltagspraxen sowie politisch-ideologischen Angeboten und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Gegenstand machen. Dies allerdings vermag auch kritisch intendierte Bildung bisher nicht hinreichend zu leisten, weil sie theoretische und didaktische Verkürzungen fortschreibt. Diese haben auch mit einer Kritik an Jugendarbeit zu tun, die aufhebenswerte Elemente über Bord wirft, anstatt sie fruchtbar zu machen. Ich möchte diese Thesen ausführen und Leitlinien einer kritischen außerschulischen Bildung bestimmen, die ihrem Anspruch eher gerecht werden kann.

 

Jugendarbeit im rechtspopulistischen Neoliberalismus

In den 1990er Jahren vollzog sich außerschulische Bildung im Kontext eines rechtspopulistischen Neoliberalismus (vgl. Reimer 2013a), der die tödliche Gewalt gegen Minderheiten zumindest begünstigte und ihre Eindämmung unter Ausblendung ihrer gesellschaftlichen Genese der Jugendarbeit überantwortete. Diese nahm den Auftrag auf der Grundlage eines nicht ausreichenden und in seinen Folgen teils fatalen Konzepts an. Dennoch beinhaltet es Elemente für eine gelingende kritische Bildungsarbeit.

Pädagogisierender Auftrag an die Jugendarbeit – Seit Mitte 1991 wurden im Bundesfamilienministerium Handlungskonzepte in Reaktion auf »die große Zahl von Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten mit offenbar rechtsextremistischem Hintergrund« (Fuchs 1992, 1) entwickelt. Resultat war das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG 1992-1996), das vorwiegend dem Aufbau von Jugendhilfestrukturen in den »neuen Bundesländern« und teilweise für Maßnahmen gegen die »fremdenfeindlichen und gewalttätigen Ausschreitungen junger Menschen« (Fuchs 1992, 46) dort diente.

In der BRD etablierte öffentliche Einrichtungen wie die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, v.a. aber freie Träger wie Gewerkschaften, Kirchen, Jugendverbände und Volkshochschulen hielten nun Einzug in Ostdeutschland. Außerschulische Bildung wurde unter der Leitung pädagogischer ›Entwicklungshelfer‹ aus dem Westen eingerichtet, lokale Demokratisierungsprozesse ›von unten‹ wurden dabei eingedämmt (vgl. Höck 2003, 28). Die AgAG-Maßnahmen wurden auf Ostdeutschland begrenzt, obwohl Rechtsextremismus in Einstellungen und Wahlverhalten im Westen verbreiteter war (vgl. Stöss 2010, 120ff) und Gewalt in beiden Teilen Deutschlands ausgeübt wurde (vgl. Erkol/Winter 2013). Darüber hinaus entschärfte der enge Blick auf Jugendgewalt Straftaten wie Mord und Körperverletzung und rückte politische Motive in den Hintergrund. Die unmittelbaren sozialen Bedingungen der Taten, rechtsextreme, von Männern wie Frauen getragene Strukturen und rechte Stimmungen in der Bevölkerung blieben im Diskurs von Medien und Regierung ausgeblendet. Ebenso blieb der in Westdeutschland fortgesetzte und auf Ostdeutschland ausgedehnte rechtspopulistische Neoliberalismus ausgeklammert. Rassistische Diskurse wie im Wahlkampf 1983, als »›zu viele‹ und ›zu fremde‹ ›Ausländer‹ zum dringlichsten gesellschaftlichen Problem« erklärt wurden (Morgenstern 2002, 348), oder die aggressive »Debatte über die drohende Millionenflut aus der Türkei« (Herbert 2001, 259) wenige Jahre später hatten nach dem Fall der Mauer in der Kampagne gegen das individuelle Grundrecht auf Asyl ihre Fortsetzung gefunden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble heizte am 18. Okt. 1991 im Bundestag die Stimmung an:

»Wieso eigentlich wollen wir von unseren Mitbürgern verlangen, dass sie ertragen und verstehen sollen, dass Hunderttausende von Asylbewerbern mit erheblichen finanziellen Belastungen für die Steuerzahler für Jahre untergebracht und versorgt werden sollen?« (Zit.n. Morgenstern 2002, 432) Unter solchen Umständen konnten jene, die Brandanschläge und Angriffe auf Flüchtlinge, deren Heime sowie auf Eingewanderte verübten oder solchen Taten applaudierend beiwohnten, sich als Vollstrecker eines ›von oben‹ in Gang gesetzten Willens verstehen, während die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik als Ursache verschlechterter Lebensbedingungen im Dunkeln blieb. Die zugespitzte soziale Frage wurde ethnisiert.

Durch die Ausblendung politisch-ideologischer Bedingungen der Gewalt erschien im regierungsoffiziellen Diskurs allein das Epiphänomen als anzugehendes Problem. Ihm sollte wider besseres Wissen über seine gesamtdeutsche Verbreitung primär in Ostdeutschland begegnet werden. Die so ihrer gesellschaftlichen Zusammenhänge beraubte Problematik wurde einer sich gerade erst etablierenden »Jugendhilfe vor Ort« (Bohn/Fuchs/Kreft 1997, 48) überantwortet. Sie sollte sich »mit gewalttätigen, auffälligen Jugendlichen« auseinandersetzen sowie »Kinder und Jugendliche« erreichen, »die (noch) nicht auffällig geworden sind« (48f). Gegenstand, Zielgruppe und Methode korrespondierten miteinander im Rahmen einer pädagogisierenden Zurichtung.

Jugendarbeit auf der Suche nach Begründungen rechtsextremer Orientierungen: sozialkritische Stärke und ideologiekritische Schwäche – Die Umsetzung dieses Auftrages im Namen der akzeptierenden Jugendarbeit (vgl. Krafeld 1992) geriet als »Glatzenpflege auf Staatskosten« (Buderus 1998) in Verruf. Die Kritik trifft insofern, als diese Jugendarbeit nicht nur in Ostdeutschland dem Aufbau rechtsextremer Strukturen teilweise Raum bot (vgl. Norddeutsche Antifagruppen 1998; Döhring/Feldmann 2002, 189ff). Problematisch ist aber auch, dass der Ansatz damit vielen als erledigt gilt. Ich möchte dagegen konzeptionelle Elemente herausheben, die in gesellschaftskritisch und subjektwissenschaftlich erweiterter Form Grundlage außerschulischer Bildung sein sollten, und zeigen, wie trotz sinnvoller Intentionen unzureichende sozialwissenschaftliche Fundierungen fatale Konsequenzen zeitigen können. Das ist von aktueller Relevanz, weil es sich um das bis heute einzige Konzept von Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen handelt und die Probleme auch unter den Schlagworten Gerechtigkeitsorientierung (vgl. Krafeld 2001) und Distanz(ierung) durch Integration (vgl. Bleiß u.a. 2004) nicht grundlegend überwunden worden sind.

Für die akzeptierende Jugendarbeit wird in Anspruch genommen, rechtsextrem orientierte Jugendliche »als Subjekte ihres Lebens, ihrer Lebensgestaltung und ihrer Bemühungen um gelingende Lebensbewältigung ernst« zu nehmen (Heim u.a. 1991, 70). Es soll an Problemen angesetzt werden, die die Jugendlichen selbst haben. Soziologische Grundlage bildet das an Beck (1986) anschließende Desintegrations-(Verunsicherungs-Gewalt-)Theorem (vgl. Heitmeyer 1987, 63ff; 1992,

15ff; 1994), das Zusammenhänge zwischen neoliberalem Projekt und rechtsextremer Ideologie sowie deren subjektive Funktionalität in den Blick nimmt. Entgegen der Ende der 80er Jahre populären Auffassung vom ›Ende der Arbeitsgesellschaft‹ bleibt Lohnarbeit als ein wesentlicher Modus der Vergesellschaftung im Blick. Sehr klarsichtig wird eine »wachsende Auflösung von Normalarbeitsverhältnissen und ihre Überführung in ein System flexibler […] Unterbeschäftigung« (Beck 1986, 227) festgestellt. Undifferenziert wird allerdings davon ausgegangen, dass »intermediäre Instanzen (Familie, Arbeitsgruppe, Nachbarschaft)« an Bedeutung verlieren, anstatt deren Transformationen im neoliberalen Projekt nachzuspüren; »Individuum und Gesellschaft« werden »kurzgeschlossen« und letztere würde direkt auf ersteres durchschlagen (Beck 1983, zit.n. Heitmeyer 1987, 66). Problematisch sind auch die intentionswidrige Konvergenz von gesellschaftlichen Desintegrationsdynamiken und »Desintegrationserfahrungen oder -antizipationen« sowie die Annahme, diese Erfahrungen würden erst in den Köpfen der Einzelnen so umgeformt, dass »Anschlussstellen für rechtsextremistische Positionen« (Heitmeyer 1994, 47) entstünden. Demgegenüber wäre die ideologische Transformation durch rechtsextreme und rechtspopulistische Akteure zu erfassen und als Prämisse individuellen Denkens und Handelns in Rechnung zu stellen. Das Modell führt jedoch zu dem Schluss, dass der »Weg der Jugendlichen in das fremdenfeindliche oder rechtsextremistische Terrain […] nicht in erster Linie über die Attraktivität von Parolen, die eine Ideologie der Ungleichheit setzen« (ebd.), verlaufe, sondern (biographisch) zunächst Handlungsunsicherheiten, Ohnmachts- und Vereinzelungserfahrungen als solche stünden, an die rechtsextreme Denk- und Handlungsweisen dann anschlössen.

Anknüpfungsfähig ist, dass subjektive Handlungsproblematiken angesichts der einsetzenden Prekarisierung den wesentlichen Ansatzpunkt für Jugendarbeiter/innen bilden. Diese sind und bleiben bis heute (vgl. Bleiß u.a. 2004) v.a. dafür zuständig, den Jugendlichen durch Unterstützung bei der beruflichen Integration zu helfen, »die Kontrolle über das eigene Leben und seine Gestaltung in sozialen Bezügen« wiederzugewinnen (Heim u.a. 1991, 64). Es herrscht allerdings die Idee vor, dass »mit wachsenden Integrations- und Selbstentfaltungschancen durchweg auch die Bereitschaften und Fähigkeiten zu sozialverträglichen Verhaltensweisen zunehmen« und »mit wachsenden Kompetenzen auch die Bedeutung rechtsextremistischer Deutungsmuster« abnimmt (72f). Das ist aufgrund der relativen Eigenständigkeit der politisch-ideologischen Komponente nicht (notwendig) der Fall. Die Jugendlichen hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen Problemlagen zu akzeptieren und dabei ihre politisch-ideologische (Selbst-)Verortung zu ignorieren, kann in ungewollte Aufbauhilfe für rechtsextreme Strukturen münden.

An dem Modell ist sinnvoll, dass nach Begründungen rechtsextremer Orientierungen und Gewalt gefragt wird, so dass sich subjektive Handlungsproblematiken als Ansatzpunkt pädagogischer Arbeit eröffnen können. Es berücksichtigt sozioökonomische Dimensionen in den Positionen und Lebenslagen von Jugendlichen und steht insoweit kritisch zum neoliberalen Projekt. Dagegen bleibt die ideologiekritische Analyse der Positionierung der Jugendlichen in rechtsextremen Strukturen sowie der rechtspopulistischen Form des Neoliberalismus  weitgehend ausgeblendet. In den jüngeren Varianten des Konzeptes akzeptierender Jugendarbeit (Krafeld 2001; Bleiß u.a. 2004) ist die praktische Auseinandersetzung mit den politischen Orientierungen der Jugendlichen zwar gestärkt, die sozialwissenschaftliche Fundierung aber nicht entsprechend erweitert und aktualisiert.

Um eine subjektwissenschaftliche Rekonstruktion von Begründungen rechtsextremer Orientierungen und Alltagspraxen und entsprechende Bildungsarbeit möglich zu machen, müssten die Positionen und Lebenslagen von Jugendlichen ebenso wie die ideologische Transformationsarbeit der extremen Rechten sowie ihrer rassistischen Diskurse gesellschaftstheoretisch aufgearbeitet werden. Vom konkreten Fall ausgehend muss sich dann erweisen, inwieweit etwa Prekarisierungsprozesse bedeutsam sind und eine subjektive Handlungsproblematik bestimmen, von der ausgehend dann Widersprüche rechtsextremer Orientierungen und Alltagspraxis kritisch thematisierbar sind.

 

Fortschritte und Stagnation: Außerschulische Bildung im progressiven Neoliberalismus

Gegen den Fokus auf rechtsextreme Gewalt unter Absehung von ihren ideologischen Bedingungen im politisch-pädagogischen Mainstream der 90er Jahre wurde für eine zu entwickelnde kritische Bildungsarbeit gefordert, individuelle und gesellschaftliche Dimensionen von Rassismus und Rechtsextremismus in ihren Zusammenhängen zu erfassen sowie jugendliche und erwachsene Zielgruppen jenseits gewalttätiger Jugendlicher in den Blick zu nehmen.

Aus dem Argument wurden dazu rassismustheoretische Analysen beigesteuert (AS 164; Räthzel 2000), aus der kritisch-psychologischen Subjektwissenschaft Versuche, Begründungen rassistischer Handlungsfähigkeit in ihrer Widersprüchlichkeit zu analysieren (Osterkamp 1996) und kritische Bildungsarbeit anzuleiten (Holzkamp 1994). Entscheidend ist, dass auf gesellschafts- wie subjektwissenschaftlicher Ebene Verbindungslinien zwischen Ökonomie und Ideologie ausgelotet wurden. Möglichkeiten, diese Entwürfe in die Praxis umzusetzen und weiterzuentwickeln, waren insbesondere seit der Auflage eines neuen Aktionsprogramms ab 2001 gegeben. In der außerschulischen Bildung gelang es jedoch nicht, den Anspruch der Vermittlung individueller und gesellschaftlicher Dimensionen wie gewünscht einzulösen (vgl. Reimer 2011, 34 u. 68ff). Dies liegt einerseits daran, dass auch kritisch intendierter Bildungsarbeit die gesellschaftlichen Bedingungen, u.a. die kapitalistische Produktionsweise, aus dem Blick gerieten, zu denen eine kritische Position hätte entwickelt werden müssen. Andererseits wurden Konzepte aus der Tradition kritischer Bildungsarbeit eher entspezifiziert oder sogar fallengelassen, anstatt sie weiterzuentwickeln.

Eröffnung von Spielräumen für kritische Bildungsarbeit – Der rot-grüne Koalitionsvertrag vom 20. Okt. 1998 sieht »die politische Auseinandersetzung mit und die Bekämpfung von Rechtsextremismus« vor (Koalitionsvertrag 1998, 38). Konkrete Maßnahmen wurden aber erst unter öffentlichem Druck im Sommer 2000 eingeleitet, als »Politiker und Medien […] rechter Gewalttaten gewahr« wurden, die »bis dato negiert oder kleingeredet worden« waren (Benz 2001, 7). In der Folge wird ein neuer politisch-pädagogischer Mainstream etabliert, der Blindstellen des Herangehens im rechtspopulistischen Neoliberalismus überwindet und insoweit neue Maßstäbe setzt, der aber auch theoretische und praktische Mängel fortschreibt.

Die in statistischen Studien (Heitmeyer 2000ff; Stöss 2000, 25ff) dokumentierte »Verbreitung rechtsextremer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Einstellungen in allen Teilen der Bevölkerung« (von Berg/Palloks/Vossen 2003, 40) wird regierungsoffiziell als eigenständiges Problem sowie als rechtsextreme Gewalt begünstigende Bedingung anerkannt. Folglich sind nicht lediglich Jugendliche Zielgruppe, sondern »die Gesamtheit der in einer lokalen Gemeinschaft« lebenden und handelnden »Einzelakteure und Bürgerzusammenschlüsse, […] Berufsgruppen und staatliche wie nicht-staatliche Institutionen« (41). Langfristiges Ziel ist die »Stärkung demokratischer Gegenkräfte« (Roth 2003, 5). Das Aktionsprogramm »Jugend für Demokratie und Toleranz – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus« umfasste zwei aus dem Bundeshaushalt finanzierte Teilprogramme, die »Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Gewalt« (2001), die unter dem Titel »Entimon – Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus« (2002-2006) weitergeführt wurden, sowie »Civitas – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern« (2001-2006). Das Teilprogramm »Xenos – Leben und Arbeiten in Vielfalt« (2000-2007) fügt sich inhaltlich in das Aktionsprogramm ein, wurde aber aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert. Gefördert wurde bei weitem nicht nur Bildungsarbeit. Es entstanden neue Ansätze wie Mobile Beratungsteams, die rechtsextreme Strukturen in den Bundesländern beschreiben und auf dieser Grundlage Politik, Verwaltung, Bildungseinrichtungen und Initiativen beraten. Es entstanden Opferberatungsteams, die Betroffene rechter Gewalt psychologisch beraten und deren Interessen in Gerichtsverfahren und in der Öffentlichkeit vertreten. Eine Vielzahl lokaler Initiativen von Jugendlichen und Erwachsenen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten, wurde gefördert. Und schließlich kam außerschulischer Bildungsarbeit in allen drei Teilprogrammen eine bedeutende Rolle zu. Insbesondere das Xenos-Programm bot Raum für eine theoretische Weiterentwicklung der Zusammenhänge von kapitalistischer Produktionsweise, rechtsextremer Ideologie und beider Bedeutung in rechtsextremen Orientierungen und Alltagspraxen, weil es auf benachteiligte Jugendliche ausgerichtet war.

Mainstream außerschulischer Bildung als komplementärer Gegensatz zur Jugendarbeit – In den didaktischen Leitlinien des Mainstreams außerschulischer Bildung, den im Bertelsmann-Verlag erschienenen Methoden-Handbüchern »Eine Welt der Vielfalt« (1998) sowie »Achtung (+) Toleranz« (Ulrich 2006), aber auch im »Anti-Bias-Ansatz« (Gramelt 2010) werden solche Zusammenhänge nicht hergestellt und der Fokus liegt auf der Veränderung von Einstellungen bei weitgehender Ausblendung ihrer gesellschaftlichen Bedingungen.

Gegen das Ziel bloßer Einstellungsveränderung wendet Klaus Holzkamp (1994) ein, dass den Teilnehmer/inne/n »kein eigentlicher Lerngegenstand angeboten« werde, »bezüglich dessen sie darüber entscheiden können, ob seine Aneignung in ihrem Interesse ist oder nicht«, vielmehr würden »sie selbst zum Gegenstand gemacht« und sollen »verändert werden« (1997, 284). Ein sinnvoller Lerngegenstand wäre dagegen, die gesellschaftlichen Bedingungen so darzulegen, dass klar wird, wie Handlungen aufgrund rassistischer Prämissen letztlich nicht zu erweiterten Handlungsmöglichkeiten führen, sondern im Gegenteil Beschränkungen manifestieren und verstärken; das eigene Handeln in seiner gesellschaftlichen Wirkungsweise lernend zu hinterfragen, ist insoweit motiviert möglich, als widersprüchliche subjektive Erfahrungen aufgeschlüsselt werden können und müssen (294f). Ganz ähnlich wendet sich subjektorientierte Jugendarbeit gegen eine »Erziehung zur Anpassung« und steht für das »normative Postulat«, dass jede/r Einzelne dazu berechtigt ist und »dazu befähigt werden [soll], ihr/sein Leben […] selbst bewusst zu gestalten« (Scherr 1997, 50f). Als Aufgabe wird formuliert, Jugendliche z.B. dazu anzuregen, »gewaltförmige und fremdenfeindliche Verhaltensweisen zu überwinden« (ebd.).

Es wird davon ausgegangen, dass diese in sich widersprüchlich, weil nicht nur fremd-, sondern auch selbstschädigend sind (ebd., Herv. KR). Solche Dynamiken können mit den kritisch-psychologischen Begriffen »restriktive Handlungsfähigkeit« und »Selbstfeindschaft« analysiert werden. Die Begriffe bedeuten, dass die Subjekte an der Aufrechterhaltung jener Konstellationen beteiligt sind, aus denen ihre subjektiven Handlungsproblematiken resultieren (vgl. Holzkamp 1983, 356ff; Markard 2009, 180ff). Dieser Modus, Handlungsfähigkeit zu gewinnen, ist zwar in sich widersprüchlich, aber nicht irrational. Er ist insoweit subjektiv begründet, als er erlaubt, im Rahmen bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse zugestandene und nahe gelegte Handlungsmöglichkeiten zu realisieren. Mit Selbstfeindschaft kennzeichnet Holzkamp den restriktiven Modus deshalb, weil nicht nur personale Handlungsfähigkeit hergestellt, sondern zugleich deren »permanente Gefährdung« (1983, 377) reproduziert wird. So entsteht eine »›chronische‹ Bedrohtheitsfixierung« als »unhintergehbare Hintergrundsthematik« (378). In dieser Dynamik liegt der »Kernwiderspruch jeder subjektiven Lebensproblematik« (376) im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise.

Allerdings lassen sich derartige Widersprüche für rechtsextreme wie für andere ideologische Orientierungen und Alltagspraxen nicht ohne Weiteres benennen.

Daher müssen die beschriebenen Dynamiken als »empirisch offene Fragestellungen« (Markard 2009, 194) nach konkreten Formen, angesichts subjektiver Handlungsproblematiken personale Handlungsfähigkeit zu gewinnen bzw. zu erweitern, behandelt werden. Dies setzt voraus, historisch-spezifische Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Produktionsweise und rassistischen, rechtsextremen und –populistischen Phänomenen zu erfassen, die nun in Grundzügen benannt werden.

Mit einem deutlich auf soziale Gerechtigkeit abgestellten Wahlkampf hatte die SPD 1998 Hoffnungen auf eine wirtschafts- und sozialpolitische Trendwende geweckt. Tatsächlich kam es unter der rot-grünen Bundesregierung zu einem ›Dritten Weg‹, der auch »ehemals nicht integrierte oder gegen-hegemoniale Gruppen«, darunter »große Teile der 1968er-Bewegung, der ökologischen Bewegung und von NGOs, Teile der Gewerkschaften und die Klassenfraktionen der gut entlohnten Arbeit« (Candeias 2004, 333f) in einen Neoliberalismus sozialdemokratischer Form einspannte. Für die Wirkung rechtspopulistischer, rechtsextremer und rassistischer Phänomene in dieser Periode ist zweierlei interessant: 1. die rot-grüne Politik produziert und desartikuliert die ›soziale Frage‹ auf neue Weise; 2. in sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht gibt es zwischen rot-grünem und schwarz-gelbem Lager nur graduelle Differenzen, kulturpolitisch konkurrieren aber ein »progressiver« und ein »rechtspopulistischer Neoliberalismus« (Reimer 2011, 227ff). Diese Konkurrenz zeigte sich in scharfen Auseinandersetzungen um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und Migrationsregimes, in deren Verlauf Roland Kochs »Doppelpass«-Kampagne und Jürgen Rüttgers (jew. CDU) »Kinderstatt-Inder«-Intervention zu ihren Wahlsiegen in den Landesparlamenten Hessens bzw. Nordrhein-Westfalens beitrugen. Im Unterschied zu diesen rassistischen und ethnisierenden Ausfällen ›von oben‹ begann die NPD quasi ›von unten‹ als Sammlung gegenhegemonialer Kräfte in ideologischen Formen zu agieren. Spätestens seit 1996 positioniert sie sich offensiv gegen das neoliberale Projekt und inszeniert sich als Partei für ›soziale Gerechtigkeit‹ exklusiv für jene, die aus ihrer Sicht Deutsche sind, auf Kosten aller Nicht-Deutschen, die aus dem Sozial- und Rentenversicherungssystem ausgegliedert oder rückgeführt werden sollen. Im Rechtspopulismus werden ethnisierende Praxen ins neoliberale Projekt eingebunden, im Rechtsextremismus fungieren sie als Gegenmobilisierung.

Derartige Überlegungen blieben im Mainstream der außerschulischen Bildung ausgeblendet. Mit ihrem Fokus auf »rechte« Einstellungen bildet die den benannten Ansätzen folgende außerschulische Bildung den komplementären Gegensatz zur akzeptierenden Jugendarbeit. Diese erfasst die soziale Frage, wenn auch in verkürzter Form, und ignoriert politisch-ideologische Dimensionen, jene fokussiert Ideologien in reduzierter Weise und blendet das neoliberale Projekt aus. Keine der beiden Herangehensweisen kann ausgehend von einer möglichen subjektiven Handlungsproblematik die potenzielle Widersprüchlichkeit der Gewinnung restriktiver Handlungsfähigkeit in ihren gesellschaftlichen Bedingungen zum Lerngegenstand machen.

Kritische außerschulische Bildung – Der Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit (DGB-Bildungswerk Thüringen o.J.; i.Folg. Baustein) stellt in mancherlei Hinsicht eine Ausnahme dar. An ihm lässt sich zeigen, wie ein Teil außerschulischer Bildungsarbeit kritischen Traditionen verbunden blieb, deren Konzepte aber entspezifizierte. Mit dem Baustein sollten »keine Antirassismus-Seminare […], sondern Ansätze« entwickelt werden, »wie mit dem zunehmenden Rassismus in normalen, z.B. Betriebsräte- oder Arbeitsrechtsseminaren, umgegangen werden kann« (Berg u.a. 1999, 121). Es sollte darum gehen, »die Welt und ihre Konflikte anders als rassistisch zu interpretieren« (122) und »SeminarteilnehmerInnen auch (gewerkschaftliche) Handlungsangebote« erfahren zu lassen »›gegen den Strom‹ rassistischer Alltagspraxis« (125). Eingebettet in Gewerkschaftsarbeit als nicht nur individuell-subjektivem, sondern kollektivem Handlungszusammenhang wäre es möglich, ethnisierende Sicht- und Handlungsweisen als Schwächung, solidarische Strategien als Stärkung eigener und gewerkschaftlicher Handlungsmacht zu diskutieren.

In der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wurde der Baustein aber nicht in großem Maß genutzt; er wird oft jenseits dieses Kontextes angewendet (vgl. Reimer 2011, 90f). So gingen Kämpfe um Arbeit als eine Handlungsproblematik verloren, von der ausgehend Widersprüche rassistischer Formierung einsehbar wären. Die Bedeutung des ursprünglich für den Baustein angedachten Praxisbezuges ist meiner Einschätzung nach nicht ausgearbeitet worden, jedenfalls wurden bislang in seiner Nutzung keine alternativen subjektiven bzw. kollektiven Handlungsproblematiken als Ausgangspunkte solcher Bildungsprozesse entwickelt.

Allerdings bezieht der Baustein sich auf ein Konzept, das genau dies möglich machen soll. Im Phasenmodell für Seminare – Erfahrungen ›heben‹, analysieren und Handlungsalternativen entwerfen (DGB-Bildungswerk Thüringen o.J., 24f) – ist der Bezug zu Oskar Negts (1987) Konzept des »exemplarischen Lernens« noch deutlich erkennbar. Ähnlich wie in subjektwissenschaftlichen Grundvorstellungen (Holzkamp 1983, 538ff) wird die Unterscheidung zwischen Erlebnissen, Erfahrungen und theoretisch vermittelten Einsichten in gesellschaftliche Verhältnisse betont: die »Bestimmung des Einstiegs« in Bildungsprozesse bezieht sich auf »typische Konfliktsituationen«; sie zu bestimmen, erfordere eine »intensive Vorarbeit« (Negt 1987, 53). Nicht gleichbedeutend damit ist das Sammeln von Ideen, Bedürfnissen und Sichtweisen der Teilnehmer/innen, das häufig am Beginn außerschulischer Bildung steht. Erfahrungen ›heben‹ meint, sie von bloßen Erlebnissen zu unterscheiden, wie Negt am Beispiel kapitalismuskritischer Bildungsarbeit im gewerkschaftlichen Kontext veranschaulicht: Wenn »Kollegen in aller Breite ihre unmittelbaren Einfälle und Eindrücke von der betrieblichen Situation, vom Staat und von der Gesellschaft schildern, so können darin wirkliche Erfahrungen enthalten sein, es ist aber genauso gut möglich, dass es lediglich eine mehr oder minder zufällige Zusammenstellung von Erlebnissen ist.« (37) Ähnlich geht Holzkamp davon aus, dass ich »über meine Erfahrung viel mehr« wissen kann, »als sich aus ihrer unmittelbaren Beschreibung ergeben würde« (1983, 539; Herv. entf.), weil gesellschaftliche Verhältnisse zwar Erfahrungen bestimmen, selbst aber nicht unmittelbar erfahren werden, sondern erst unter Bezug auf kritische Gesellschaftstheorie aufzuschlüsseln sind (vgl. Markard 2000, 18). Die Vermittlung zwischen Erfahrungen und Gesellschaftstheorie gehört zum negtschen Konzept und soll so stattfinden, dass »die allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhänge im Verstehenshorizont der Alltagskonflikte« (Negt 1987, 37) interpretierbar bleiben. Im Baustein heißt es entsprechend, dass »Erfahrungen in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang« analysiert und »die Strukturen der Gesellschaft, des Staates und der Ökonomie in den Blick« (DGB-Bildungswerk Thüringen o.J., 5) genommen werden sollen.

Diese Ansätze zur Vermittlung individueller und gesellschaftlicher Dimensionen, von Ökonomie und Ideologie werden jedoch konterkariert. Zum einen durch die Annahme, dass die angestrebte »Analyse der Gesellschaft und der strukturellen Voraussetzungen von Rassismus« durch Betrachtung der »Wirklichkeit in mikroskopischen Prozessen im Seminar« (11) möglich sei, weil sich die gesellschaftlichen Verhältnisse »in den Erfahrungen spiegeln« (23) würden. Zum anderen durch die Auffassung, die Aufgabe von Bildungsarbeiter/inne/n bestehe in der Moderation, nicht in der Theorievermittlung, und durch die Bevorzugung, im Rahmen von Übungen im Seminar Erfahrungen zu machen, anstelle der angeleiteten Reflexion von Alltagserfahrungen (vgl. Reimer 2011, 99 u. 115ff). Wo Wirklichkeitserfahrungen gesellschaftstheoretisch durchdrungen und gesellschaftliches Zusammenhangs- und Widerspruchswissen erarbeitet werden müssen, kann so auch in kritisch intendierter außerschulischer Bildung eine Leerstelle entstehen. Umgekehrt bieten die benannten kritischen Traditionslinien und Intentionen eine Grundlage, dem eigenen Anspruch besser gerecht zu werden.

 

Verteidigungslinien, neue Akzente und bleibende Aufgaben in der Jugend- und Bildungsarbeit in der Krise des Neoliberalismus

Zu Beginn der Großen Koalition ab 2005 und in der Regierungszeit von Schwarz-Gelb seit 2009 haben neoliberale Kräfte zwar die Vorherrschaft, operieren aber nicht mehr unter breiter Zustimmung. In der Gestaltung der staatlichen Programme gegen Rechtsextremismus zeichnet sich seitdem eine Frontstellung zwischen denen ab, die den seit 2001 verfolgten ›zivilgesellschaftlichen‹ Ansatz fortführen und jenen, die ihn ab- und umbauen möchten. CDU/CSU zielen auf Bundesebene mit dem Label der Extremismus-Bekämpfung auch auf ›Links- und Ausländerextremismus‹, distanzieren sich von Mobilen und Opferberatungsteams und versuchen antifaschistische und rassismuskritische Kräfte aus dem Feld zu drängen, indem Empfängern staatlicher Gelder abverlangt wird, sich zur »Freiheitlichen demokratischen Grundordnung« zu bekennen. Zudem dürfe »keinesfalls der Anschein erweckt werden«, dass einer »Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird« (BMFSFJ Förderbescheid 2011). Betroffene Projekte, Fachpolitiker/innen aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke stecken seitdem in teils erfolgreichen Abwehrkämpfen. Ein sinnvoller neuer Akzent liegt in der Förderung von Modellprojekten in großen Verbänden wie dem Sportbund oder den Feuerwehren, weil auf diesem Wege wesentliche Strukturen in der Zivilgesellschaft erreicht und als Feld der Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus geöffnet werden.

Im Bereich der außerschulischen Bildung avanciert »Diversity« ausgehend vom XENOS-Programm zum richtungsgebenden Schlagwort, das zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb unstrittig zu sein scheint. Wo ursprünglich noch angenommen wurde, dass Rassismus auch im Kontext von sich verschärfenden Konkurrenzverhältnissen zu sehen sei (vgl. BMAS 2000, 5), wird nun mit Blick auf »Jugendliche und junge Erwachsene […], die beim Zugang zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und bei der schulischen und beruflichen Bildung benachteiligt« sind (Emminghaus u.a. 2007, 21), »Diversity Management« empfohlen. Der »Schlüssel zum Erfolg« liege »in der Fokussierung auf das Individuum mit all seinen Facetten, Fähigkeiten und Einstellungen« (25). In den Programmen »Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« (2007-2010), »Kompetenz stärken – Toleranz fördern« (2011-2014) und in den Förderrunden des Programms »Xenos – Integration und Vielfalt« (2008-2012, 2012ff) werden zahlreiche Diversity-Projekte gefördert. Teils wird unter neuem Namen Überkommenes fortgeführt, teils das Themenspektrum auf mehrere oder alle Facetten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erweitert und in die aus dem Diversity-Management stammende Rede vom allgemeinen Nutzen der Wertschätzung von Differenzen eingebettet.

In den seit 2007 aufgelegten Programmen wird Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen wieder aufgewertet. Neuerungen betreffen die verstärkte Wahrnehmung von Mädchen und Frauen in der rechtsextremen Szene (Claus/Lehnert/Müller 2010; Birsl 2011; Radvan 2013). Unterlassen werden kritische Rückgriffe auf die akzeptierende Jugendarbeit, obwohl dies für die Rekonstruktion von Begründungen weiblicher Hinwendung zu rechtsextremen Szenen hilfreich sein könnte (vgl. Reimer 2013b).

 

Fazit

Jugend- und Bildungsarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen bleibt ein wichtiges Moment der Rechtsextremismus-Prävention. Die Konzeption der akzeptierenden Jugendarbeit nahm die einsetzende Prekarisierung und damit mögliche subjektive Handlungsproblematiken als Ansatzpunkt von Bildungsprozessen wahr, blieb aber ignorant gegen die politisch-ideologische (Selbst-)Verortung. Diese wurde unter Ausblendung möglicher subjektiver Lebensprobleme zum Hauptgegenstand der Bildungsarbeit im progressiven Neoliberalismus. Beide ignorierten jedoch die gesellschaftstheoretische Bestimmung der Formen individueller Reproduktion im gegenwärtigen Kapitalismus. So avancierte die zwischen den Fraktionen des neoliberalen Blocks unstrittige Diversity-Pädagogik auch in kritisch intendierter Bildungsarbeit zu einem Leitansatz, der Einstellungen und Verhalten im Sinne der Anerkennung von Differenzen zu modifizieren sucht, ohne die Wirtschafts- und Finanzkrise mit ihren Folgen für die Handlungsfähigkeit der auf Lohnarbeit und staatliche Transferleistungen angewiesenen Menschen zu thematisieren. Desgleichen bleiben in der Transformation von Geschlechterverhältnissen möglicherweise begründete Probleme in der Diskussion um Mädchen und junge Frauen in der rechtsextremen Szene unberücksichtigt. Es bleibt daher der in den 90er Jahren formulierte Anspruch an eine kritische Bildungsarbeit einzulösen, individuelle und gesellschaftliche Dimensionen sowie Ökonomie und Politik in ihren Zusammenhängen zu erfassen, um mögliche Widersprüche der Handlungsfähigkeit in ideologischen Formen zu identifizieren.

 

Literatur

Argument-Sonderband (AS) 164, Theorien über Rassismus. Eine Tübinger Veranstaltungsreihe, Hamburg 1989

Beck, Ulrich, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M 1986

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