»... bloß ein Schlag ins Gesicht«

1968, die Neue Rechte und die Grenzen des politischen Diskurses

DAS ARGUMENT 324/2017 
Über Thomas Wagners Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten, Berlin 2017

 


Zum Thema Neue Rechte bzw. Rechtspopulismus sind jüngst zahlreiche Buchtitelmerschienen, die von der journalistischen Bestandsaufnahme bis hin zur akademischen Studie reichen. »Die Angstmacher« von Thomas Wagner ragt unter der Vielzahl der Neuveröffentlichungen durch wissenschaftlich fundierten Kenntnisreichtum bei dennoch publikumsnaher Darstellung heraus. Bemerkenswert ist auch der nüchterne Tonfall, mit dem er den politischen Stil der hier untersuchten Autoren und Aktivisten analysiert, während die öffentliche Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten in den letzten Monaten vielfach von medialen Empörungsspiralen geprägt war. So fällte Spiegel Chefredakteur Klaus Brinkbäumer sein negatives Urteil über das gerade einmal 100 Seiten umfassende Büchlein Finis Germania von Rolf Peter Sieferle (Schnellroda 2017) ernsthaft »nach der Lektüre der wesentlichen Kapitel« (Spiegel Online, 25.7.2017). Brinkbäumer begrüßte in seinem Statement vor allem den Rückzug jenes Spiegel-Redakteurs, der das umstrittene Werk für die Liste »Sachbuch des Monats« von NDR und Süddeutscher Zeitung empfohlen hatte. Der Kommentar des Spiegel-Chefs zur kryptischen Meditation des verstorbenen rechten Kulturkritikers Sieferle ist symptomatisch für den hilflosen »Antifaschismus« der Gegenwart. Nicht nur in dem Fall wurden Verdikte ohne tiefergehende Prüfung des Sachverhalts gefällt. An die Stelle der Kritik tritt die Skandalisierung. In diesen Fällen steht die Empörungslautstärke im umgekehrten Verhältnis zur Prüfungsdichte. Ein derartiger Medienmechanismus macht sich jedoch angreifbar, da er mangels gründlicher Recherche elementare journalistische (und auch wissenschaftliche) Standards unterläuft. Demgegenüber gilt eine Banalität, die offenkundig keine ist: Auch Rechtsintellektuelle haben ein Recht darauf, richtig zitiert und adäquat referiert zu werden. Eine Auseinandersetzung mit den Vordenkern der Neuen Rechten und ihrem Konzept der »Metapolitik« muss auf Grundlage des überprüfbaren Sachverhalts,  nicht aber entlang von Verdachtsmomenten oder Reizwörtern erfolgen.
Diesen Standards wird Wagner, ein ausgewiesener Kritiker der neoliberalen Ideologie, in jeder Hinsicht gerecht. Er präsentiert seinen Lesern in seinem kundigen Streifzug durch das Milieu der Neuen Rechten nicht sofort das passende pejorative Adjektiv. Er bewertet abwägend, nachdenklich, nachfragend und entwickelt als Sozialforscher ein lesenswertes Panorama der politischen Kultur der Gegenwart. Dennoch hinterlässt die Lektüre der »Angstmacher« nicht zuletzt aufgrund dieses Verfahrens einen ambivalenten Eindruck. Mitunter frappiert, dass Wagner der Faszination für seinen Gegenstand erliegt und in seinem Plädoyer für einen »offen geführte[n] Streit« (27) mit der intellektuellen Rechten ganz entgegen seiner Intention nicht nur deren Selbstdarstellung verdoppelt, sondern auch neurechten Inhalten – etwa bei der Kritik des Neoliberalismus – zu wenig widerspricht. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund auch die Rezeption des Buches, das in der FAZ gleich zweimal rezensiert wurde (am 1.9.2017 sowie am 10.10.2017). Springers Welt (12.8.2017) lobt die »Doppelperspektive auf den linken und rechten Zeitgeist«, während Mariam Lau in der Zeit (32/2017) Wagners »herausragendes« Buch schon vor der Veröffentlichung im Rahmen eines Porträts von Götz Kubitschek, dem neurechten Aktivisten und Verleger auch von Sieferle, gelobt hat. Die ausgiebige Darstellung des im sachsen-anhaltinischen Schnellroda gelegenen »Ritterguts« (faktisch ein alter Bauernhof), wo neben dem Verlag Antaios auch das Institut für Staatspolitik (IfS) ansässig ist, fehlt in Laus Beitrag ebenso wenig wie der Hinweis auf die germanischen Namen der Kinder, die Kubitschek gemeinsam mit seiner Ehefrau Ellen Kositza großzieht. Kositza bleibt in den Berichten auffällig oft nur Beiwerk – dabei ist sie als Stammautorin der vom IfS herausgegebenen Zeitschrift Sezession eine der führenden Ideologieproduzentinnen der Neuen Rechten. Das Zeit-Porträt trägt den bezeichnenden Titel »Eigentlich alles wie im Wendland«. Offenkundig goutiert das bürgerliche Feuilleton die Verbindungslinien, die der »dezidiert linke Soziologe« (Zeit, 34/2017) zwischen den Neuen Rechten und der Studentenbewegung freilegen will.
Dabei ist schon Wagners Kernthese, wonach 1968 ein Schlüsseljahr für die Neue Rechte sei, überpointiert. In der »tiefe Erschütterung[en]« im »rechte[n] Milieu« (27) auslösenden Studentenbewegung liegen laut Wagner die »Wurzeln des heute in der AfD gepflegten Feindbilds des ›links-grün-versifften Gutmenschen‹ oder des ›Achtundsechzigers‹« (ebd.). Und »zum anderen begannen junge Rechtsintellektuelle von den Aktionsformen und Themen der Neuen Linken zu lernen« (ebd.). Gerade auf das »veränderte Auftreten« (25) der durch die Studentenbewegung eigentümlich animierten Neuen Rechten komme es an – Provokationen und Tabubrüche sind, wie Wagner präzise beschreibt, wesentliche Strategieelemente auch der AfD. Darüber hinaus finde, so Wagner, die marxistische Theoriebildung beispielsweise einen bemerkenswerten Widerhall bei Intellektuellen wie Alain de Benoist, dem Begründer der französischen Nouvelle Droite. Zwar zeigt Wagner treffend, wie die Identitäre Bewegung (IB) oder kurzlebige ad-hoc-Gruppen wie die von Kubitschek gegründete »Konservativ-Subversive Aktion« einen Provokationsstil übernehmen, den einst die Subversive Aktion oder die Situationistische Internationale prägten. Aber in dieser Darstellung wird »1968« unter der Hand lediglich zur Ära des Agitprops und Straßentheaters im Karneval der Ideologien. Die Bedeutung von »1968« als Gründungsmoment auch für radikaldemokratische neue soziale Bewegungen gerät so zur Nebenepisode.
Die hier vorgenommene Analogie zwischen Neuer Rechter und den Akteuren der Studentenrevolte verstellt den Blick auf die Genealogie beider Strömungen. Denn entgegen Wagners Darstellung etwa des Pariser Mais war schon das stil- und schulbildende G.R.E.C.E. (Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne), das von Benoist geprägte intellektuelle Zentrum der französischen Nouvelle Droite, in seiner Gründungsphase keineswegs eine Antwort »junge[r] Rechte[r] auf die Herausforderung durch eine Neue Linke« (65). Tatsächlich war die bereits im Januar 1968 – also Monate vor dem Pariser Mai – erfolgte Gründung des G.R.E.C.E. zuvorderst eine Antwort auf die Algerienfrage und die damit verbundene Aufgabe der Rolle Frankreichs als Kolonialmacht. Bei aller Neugierde, mit der sich rechte Intellektuelle wie Benoist in Frankreich linken Theorien widmeten, lagen ihre Gründungsmotive nicht primär in der Auseinandersetzung mit den neuen Linken. Die französische Rechte opponierte insgesamt militant gegen die Politik de Gaulles.
Für die Entwicklung der Nouvelle Droite aber galt eine Losung von Benoist, die später in seiner »Kulturrevolution von rechts« zum Leitmotiv wurde: »Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohl verdient« (dt. Ausgabe 1985, 13). Zwar vertiefte sich Benoist – wie Wagner zeigt – schon früh in die Klassiker der Linken. Aber die von  ihm angestoßene Gramsci-Rezeption in der Nouvelle Droite (»Gramscianismus von rechts«), die Wagner in diesem Zusammenhang referiert (63f), wurde erst in den 1970er und 80er Jahren intensiviert. In Deutschland erreichte sie erst seit Mitte der Achtziger breitere Teile der neurechten Zirkel. Entscheidend ist zudem: In Deutschland wäre keine Neue Rechte denkbar gewesen, die – wie die linken Aktivisten der Studentenrevolte – die Schriften jüdischer Remigranten als Raubkopie verbreitet oder mit spektakulären Interventionen auf den »Muff von 1000 Jahren« der Talaren-Universität hingewiesen hätte. Und allen Debatten über einen »Feminismus von rechts« zum Trotz fehlen der bis heute weitestgehend männerbündisch organisierten Neuen Rechten jene Protagonistinnen, die ihren möglichen Widerspruch gegen die Heroismus und soldatisches Ethos propagierende Herrenriege mit einem Tomatenwurf Geltung verschaffen würden. Nicht nur im »Aktionsrat zur Befreiung der Frauen« korrespondierten die ausdrücklich anti-autoritäre Form und der emanzipatorische Inhalt auf eine Weise, die nicht von rechts adaptierbar gewesen wäre. Auch die »Entwendung aus der Kommune« (Ernst Bloch) gehört schon zur Strategie des historischen Faschismus. Die spätere Entwendung von Aktionsformen aus der Studentenrevolte kann vor diesem Hintergrund nicht überraschen.
Mit großer Sachkenntnis zeigt Wagner, wie schon seit den 1970ern etwa im libertär-anarchistischen Milieu mit Aktivisten der Neuen Rechten bzw. den Nationalrevolutionären diskutiert und gestritten wurde. Zeithistorisch hochinteressante (und in der Forschung bislang völlig vernachlässigte) Periodika wie laser oder Schwarzer Faden werden hier ebenso ausgewertet wie das wichtige, bislang aber ebenfalls kaum erforschte neu-rechte Junge Forum, das 1964 – also auch Jahre vor der Studentenbewegung – gegründet wurde. Unnötig ist jedoch, dass Wagner »exklusive Gespräche mit Vertretern verschiedener Generationen der Neuen Rechten« (26) ankündigt. Sein Buch erschien zu einem Zeitpunkt, an dem fast schon jeder Lokalredakteur dem »Rittergut« von Kubitschek und Kositza einen Besuch abgestattet und dabei auch die fast schon als Szene-Ikonen inszenierten Ziegen des Schnellrodaer Selbstversorgerhaushalts abgelichtet hat. Die hier geführten Gespräche und email-Interviews, u.a. mit Henning Eichberg, Benoist, Kubitschek oder Kositza, dienen stellenweise vorzüglich zur Illustrierung. Das Porträt von Eichberg, dem Theoretiker des Ethnopluralismus, zeigt darüber hinaus stimmig dessen Entwicklung vom Nationalrevolutionär zum Propagandisten einer Idee von »Volklichkeit«, die sich – im Sinne eines unpathetischen »bei sich selbst zu Hause sein« (290) – scharf gegen den »Stacheldrahtnationalismus« (ebd.) der AfD wendet. Eichberg hat sein für die deutsche Rechte zentrales Konzept weiterentwickelt: Er plädiert für eine föderale und plurale Kooperation, für einen – mit Benoist gesprochen – »dialogischen Charakter« (292) von Identität – nicht aber für territoriale Abgrenzung oder gar Apartheid. Der rechte Renegat Eichberg war bis zu seinem Tod im April 2017 Mitglied der linken Socialistisk Folkeparti (SF) Dänemarks, seine intellektuelle Biographie wird von Wagner anerkennend und informativ nachgezeichnet.
In den gesammelten O-Tönen überwiegt jedoch die Selbstdarstellung der intellektuellen Rechten. Vor allem im Gespräch mit Kubitschek nimmt diese einen zu wenig hinterfragten Raum ein. Kubitschek, ein Schüler Armin Mohlers (der 2003 verstorbene Bibliograph der »Konservativen Revolution«, der sich noch 1995 als Faschist im Sinne von José Antonio Primo de Rivera bezeichnete), wird von Wagner als »konservative[r] Bewunderer der preußischen Staatsidee« (149) dargestellt. Der Abschnitt, der sich der rechten Übernahme der u. a. von der Subversiven  Aktion (deren Mitglieder wie Günter Maschke und Bernd Rabehl heute führende Vertreter der radikalen Rechten sind) entwickelten Protestformen widmet, heißt – gemünzt auf Kubitschek – »Ein konservativer Sponti« (132ff). Kubitschek, ein Adept der faschismusaffinen »Konservativen Revolution«, der – wie Wagner selbst ausdrücklich vermerkt – zudem mit dem italienischen Kulturprojekt Casa Pound (laut Selbstbezeichnung die »Faschisten des 21. Jahrhunderts«) kooperiert, ist eben kein »Konservativer« in der gängigen Verwendung des Begriffs. In dieser Darstellung verschwimmen die Grenzen zwischen Konservatismus und Neofaschismus. Die Selbstdarstellung der Neuen Rechten als »Konservative« dient ihnen als strategische Distanzierung von den profaschistischen Affinitäten ihrer Vordenker wie Carl Schmitt. Die Verwendung des Begriffs »Konservatismus« hat hier kaum ideengeschichtliche Substanz, sie folgt strategischen politischen Setzungen, die Wagner vernachlässigt. Es war jedoch der erklärte Wille der Neuen Rechten, den Konservatismus – so Karlheinz Weißmann in seiner Grundsatzschrift »Das konservative Minimum« (Schnellroda 2009) – wieder als »Kampfbegriff zu etablieren« (9). Und Kubitschek selbst, der 2007 in »Provokation« (Schnellroda) seinen bundesrepublikanischen Gegnern den »geistigen Bürgerkrieg« erklärte (26), ist einer der Stichwortgeber des Widerstands gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Kubitschek ist ein medienpräsenter Wortführer der sozialen Bewegungen von rechts. Im Gespräch mit Wagner betont er seine Verantwortung für die Wirkung seiner Reden bei Legida und Pegida – diese seien »mit dem Aufruf verbunden, maßvoll zu bleiben« (193). Aber gerade an dieser Stelle entfällt der geforderte »offen geführte Streit«. Wagner will sein Gegenüber verstehen, nicht aber provozieren – vermutlich wohl wissend, dass der Diskurs dann beendet wäre. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob Hintergrundgespräche dieser Art jenseits der reinen Darstellung tatsächlich zur Klärung beitragen – oder ob nicht  eine nüchterne Analyse der vorhandenen Dokumente, Materialien und Praxen ein realistischeres Bild zeigt.
Auch die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Neuen Rechten wirft Fragen nach der kritischen Trennschärfe auf. Martin Sellner, dem führenden Kopf der IB, attestiert Wagner einen »geistigen Bruch«, den dieser vom »Neonazi« zum »Identitären« habe werden lassen (212ff). Tatsächlich formuliert Sellner – wie auch Benedikt Kaiser von der Sezession (vgl. ausführlich mein Beitrag »Kapitalismuskritik und  Diskurspiraterie der Neuen Rechten« in Arg. 323)) – seine Positionen mit auffällig anderer Akzentsetzung als die NPD oder die Freien Kameradschaften. Wagners Binnendifferenzierung der radikalen Rechten ist an diesen Stellen sinnvoll. Warum aber unter dem Label IB auch heute noch sogar in Städten wie Aachen harte Neonazis auftreten können, wird im Gespräch mit Sellner nicht erörtert.
Ausdrücklich vermerkt Wagner, dass aktivistische Autoren wie Kaiser oder Sellner in ihrer Kritik des »großen Austauschs« die neoliberale Ideologie und die Politik der multinationalen Konzerne in den Vordergrund stellen, pauschale Klagen über »den Islam« aber meiden. Doch bleibt »Identität« auch im neurechten Diskurs eine maßgeblich ethnisch definierte Kategorie, die nicht ohne bildhafte Blut-und-Boden-Mythologie auskommt. Wagner liefert dafür selbst Belege. Simone Di Stefano, der Vizepräsident von Casa Pound, wird mit dem Gedanken zitiert,
dass das »europäische Volk« sich zwar »jahrhundertelang gegenseitig massakriert habe«. Stefano schlussfolgert darauf: »[D]ennoch fließt in unserem Blut (sic!, RG) eine gemeinsame Geschichte und Identität, die gerade die Befürworter des ›großen Austausches‹ verleugnen bzw. auflösen wollen« (zit. n. Wagner, 230). Im Gespräch über den Ethnopluralismus wird Ellen Kositza wie folgt zitiert: »Kulturen zu sehen, dass Andere als Anders wahrzunehmen und als Reichtum zu empfinden, ohne Herablassung oder Geringschätzung, das ist für uns ein hoher Wert« (82). Doch in der metapolitischen Praxis wird dieser vermeintlich respektvolle Multikulturalismus von rechts dementiert. Björn Höckes (AfD Thüringen) im November 2015 in Kubitscheks Institut für Staatspolitik gehaltene Rede über den »lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp« – die von Wagner bezeichnenderweise gar nicht erwähnt wird – zeigte deutlich, dass dieser in der zentralen Denkstätte der Neuen Rechten ausformulierte Neo-Rassismus neben der starr gedachten Kategorie der »Kultur« ebenfalls das alte biologistische Denken perpetuiert. Wagner nutzt auch an dieser Stelle nicht die Gelegenheit, die Sonntagsrede seiner Gesprächspartnerin mit der Institutspraxis zu konfrontieren.
Zustimmend zitiert Wagner den Vorwurf von Dirk Jörke und Nils Heisterhagen, wonach die Linken »in die Falle der Identitätspolitik« (158) gelaufen sind. Die »Anliegen« einer »von Akademikern geprägten Linken« würden sich »wunderbar mit dem Neoliberalismus« vertragen, »insofern die Rechte des Marktes und die Rechte des Individuums sich ergänzen« (ebd.). So hätte die Linke den »Bezug zu ihrer traditionellen Wählerklientel […] verloren, vor allem die zu den Arbeitern« (ebd.). Entlang der Debatten um die Positionen von Peter Sloterdijk und Thilo Sarrazin verdeutlicht Wagner die »dunkle Seite des Liberalismus« (162), die Verachtung für die Arbeiterklasse, für den »Pöbel«. Wie der im Buch als Gesprächspartner zu Wort kommende Dramaturg und Essayist Bernd Stegemann (vgl. Rezension in diesem Heft) kritisiert Wagner einen Linksliberalismus, der die soziale Frage ignoriert. Zudem inspiriert durch die (in Deutschland um Jahre verspätete) Rezeption von Didier Eribons »Rückkehr nach Reims« (Berlin 2016) und die dadurch angestoßene Debatte über die »kulturalistische[n] Linke[n]« (295) und deren politische Korrektheit, beklagt Wagner einen »Verordnungsliberalismus […], der wenig mit Freiheit, dafür viel mit Bevormundung zu tun hat« (273). Aber hält er die (links-)liberalen Antidiskriminierungspostulate tatsächlich nur für das paternalistische Programm einer kosmopolitischen Mittelschicht? Zu fragen wäre doch, ob eine Aufhebung struktureller Ungleichheit unter den herrschenden Verhältnissen ohne zumindest temporäre Verordnungen überhaupt möglich ist. Wäre nicht auch die konsequente Durchsetzung der Frauenquote ein »Verordnungsfeminismus«, der die »Freiheit« der immer noch männerbündischen Strukturen einschränkt? Müssten solche Privilegien sichernde Regulierungen des gleichberechtigten Zugangs zu beruflichen Positionen (»gläserne Decke«) nicht konsequent de-reguliert werden? Und ist die US-amerikanische affirmative action nicht auch ein »Verordnungsantirassismus«?
Wagner zeigt wenig Sinn für die Widersprüche des (Neo-)Liberalismus. Er belässt es bei der – allerdings zentralen – Frage, wie »Forderungen, die gender- und  migrations-, umwelt- und behindertenpolitische Gruppen in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben, auf eine produktive Weise in die Klassenauseinandersetzungen eingebunden werden« können (297). Tatsächlich muss eine Linke, die der sozialen Frage ebenso wie dem – mit rechter Ideologie nicht kompatiblen – Universalismus der Menschenrechte verpflichtet ist, die »Paradoxien des Neoliberalismus« (Mark Terkessidis) analysieren. Zu diesen Paradoxien zählt, dass der »progressive Neoliberalismus« (Nancy Fraser) auch die neo-feudalen Strukturen und ethnisch-kulturelle Barrieren der Institutionen »zerstörerisch« ins Visier nimmt. Es ist konstitutiver Teil des »progressiven Neoliberalismus«, dass seine Apologeten die Leistung des Individuums unabhängig von seiner Gruppenzugehörigkeit betonen. Tony Blairs Credo vom Cool Britannia – ein postmodernes englisches »Wir«, das nicht alleine auf Herkunft und Hautfarbe gegründet ist – hat dies eindrucksvoll gezeigt. Ein genuin linkes Programm wäre diese Absage an alte Sperrklinken einer bislang ethnisch oder patriarchal regulierten Gesellschaft allerdings nicht. Für die Linke gilt es als Antwort auf Wagners zentrale Frage, das Programm der »Gleichfreiheit« (Étienne Balibar) weiterzuentwickeln. Und bei aller nötigen Kritik an den Idiosynkrasien und Absolutheitsansprüchen der politischen Korrektheit sollten zur Analyse die Unterschiede einer idealtypisch rechten bzw. linken (de facto eher liberalen) Identitätspolitik geklärt werden: Der alten und neuen Rechten geht es um die Verteidigung der nationalen und kulturellen Identität wider die angeblich nivellierenden Tendenzen des Universalismus – für den Erhalt des »Eigenen«, gegen den Relativismus eines Patchworks der Minoritäten. Aus der Tyrannei der alten Machtverhältnisse, die bisherige Normabweichler vom »Eigenen« ausgrenzt, wollen sich die Akteure der linken Identitätspolitik jedoch lösen. Wer Klassenpolitik mit progressiver Minoritätenpolitik verbinden will, muss sich notwendig gegen die liberale Verkürzung der Freiheit auf Marktbeziehungen oder Eigentumstitel wenden. Zugleich aber gilt es, sich ebenso von der Fixierung auf einen traditionellen Stamm der Arbeiterklasse zu lösen, der vom Bild weißer männlicher Facharbeiter bzw. bluecollar-worker geprägt ist. Und es war gerade die Leistung der Neuen Linken, die Hierarchisierung gesellschaftlicher Konflikte aufzulösen.
Eine produktive Antwort ist von der rechten Kritik des Neoliberalismus nicht zu erwarten. Denn obwohl sich beispielsweise der von Wagner als »kluger analytischer  Kopf« (296) vorgestellte Benedikt Kaiser in seiner dezidierten Kritik der USA und des Neoliberalismus vorzugsweise bei linken Theoretikern bedient, fehlt seinem genuin rechten Ansatz freilich jedwedes progressive Element. Eine Aussicht auf spätere Annäherungen zwischen links und rechts scheint folglich illusionär. Wagner zitiert aus dem Gespräch mit Eichberg dessen biographische Bilanz, wonach der »Linksfaschismus« auch »Möglichkeiten des Überstiegs in beide Richtungen«, also auch »zu einer – allerdings radikalen – linken Position« biete (291). Wagner muss an dieser Gesprächsstelle »unwillkürlich an Benedikt Kaiser und Martin Sellner denken« (ebd.). Deren »Kapitalismuskritik« richtet sich aber nicht an eine neue »Internationale«, die das (politische und soziale) Menschenrecht erkämpft unddas Nicht-Identische »ohne Angst verschieden« (Adorno) sein lässt. Und ohne über den Sinn und Unsinn des Terminus »Linksfaschismus« zu richten, bliebe auch ein linker Faschismus immer noch ein – Faschismus.
Das Urteil über Wagners Buch bleibt also zwiespältig. »Angstmacher« bietet eine anregende Lektüre, die Widerspruch provoziert. Aber bei dieser Auseinandersetzung mit den Neuen Rechten bleibt die Frage offen, warum der so belesene Autor seine Forderung nach einer »argumentative[n] Auseinandersetzung« (297) nicht weitaus häufiger mit gegenläufigen Zitaten der von ihm interviewten Protagonisten kontrastiert. So anschaulich die hier gesammelten O-Töne der Neuen Rechten auch sind: Wagner will ja deren Denken eben nicht nur darstellen, sondern auch eine Kontroverse zwischen den Lagern forcieren. Und hier sind ernsthafte Zweifel angebracht. Denn während Wagner für eine Debatte mit neurechten Intellektuellen auch auf Theaterpodien streitet, nehmen etwa von diesem Milieu geprägte Politiker wie Hans-Thomas Tillschneider (AfD Sachsen-Anhalt) längst in reglementierender Absicht Einfluss auf die Programmgestaltung von Theatern. Wozu aber soll eine Debatte mit Kulturzensoren dienen, die – wie die AfD in ihrem Grundsatzprogramm – auch die Gender-Studies aus den Universitäten verbannen wollen? Wagner bleibt der Perspektive eines empathischen Soziologen verhaftet und verzichtet auf die postulierte Kontroverse. Diese ist schwerlich zu führen. Justus Bender beschreibt in seinem Buch »Was will die AfD?« (München 2017, dazu die Rez. in Argument 323) den Verlauf eines Streitgesprächs mit Kubitschek, das an einer Stelle zu eskalieren droht. »Wir fragten Kubitschek, ob seine Haltung nicht autoritär sei. Er sagte: ›Soll ich Ihnen mal zeigen, was autoritär ist?‹. Er schien, als wollte er uns hinauswerfen, tat es dann aber doch nicht« (2017, 93).
Die Interventionen und Medienstrategien der Neuen Rechten, so lässt sich abschließend einwenden, dienen der Popularisierung völkisch-autoritärer Politik. Diese Provokationsstrategien können aber auch ohne O-Töne analysiert werden, zumal den Wiedergängern der »Konservativen Revolution« an echten inhaltlichen Kontroversen gar nicht gelegen ist. Kubitschek hat seine Vorstellung von »Diskursethik« längst niedergeschrieben. In »Provokation«, einer Programmschrift der IB, findet sich dazu eine Schlüsselpassage: »Weil Ihr Angst vor der Abrechnung habt, bittet Ihr uns nun an einen Eurer runden Tische? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht« (2007, 30).
Ob dies für Wagner ein »Ausweis einer demokratischen Streitkultur« (297) ist, erfahren die Leserinnen und Leser nicht, da Kubitschek mit diesen martialischen Worten nicht konfrontiert wird. Dennoch bleibt von der Lektüre ein wichtiger Impuls: Thomas Wagner wirft elementare Grundsatzfragen einer Debatte über die Zukunft progressiver Klassenpolitik und die Grenzen des Diskurses auf. Dies macht »Die Angstmacher« zu einem ebenso wichtigen wie streitbaren Buch im Vorfeld des Erinnerungsjahres 1968.