Die Hagiographie zweier Revolutionäre

In seinem illustrierten Band Chesucristo wirft der marxistisch-sozialgeschichtlich orientierte Kunsthistoriker David Kunzle einen ausführlichen Blick auf die erinnerungspolitische und popkulturelle Hagiographie zweier Männer, die weitaus mehr verbindet als zunächst gedacht. Kunzle stellt sowohl im künstlerischen als auch im literarischen Feld eine Verchristlichung Che Guevaras fest, bei der das Heilige zunehmend mit dem Profanen verschmelze. Er führt an, dass Che in zahlreichen Kunstwerken als Christus porträtiert wird – und umgekehrt. So ziert Ches Konterfei oft eine Dornenkrone oder ein Heiligenschein, während von Christus Abbildungen mit Maschinengewehr in den Händen und Barett auf dem Haupt existieren.

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Kultur und Kritik

Als Ingo Schneiders und Martin Sexls Sammelband Das Unbehagen an der Kultur erschien, ließen sich die Ausmaße deutscher Willkommenskultur allenfalls erahnen. Zu ihr zählt entgegen offiziöser Behauptungen nicht nur die müde Empfangsdame an Bahnhöfen, sondern auch der verbissen besorgte Bürger. Jener Menschenschlag also, der die Fliehenden lieber mit Pöbeleien und Brandsätzen statt mit Wasser und Winterjacken willkommen heißt. In der Mär von der deutschen Willkommenskultur schießt zusammen, was thesenhaft in dem Buch bereits umrissen ist: Kultur, verstanden als moralische Absolution, verhilft jedem noch so niederen Verbrechen zu höheren Weihen – und verstetigt hiernach die ihm innewohnende Gewalt. Der dialektische Doppelcharakter von Kultur, so die Herausgeber Schneider und Sexl, begünstige sowohl die Minderung als auch die Mehrung von Leid.

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Wer zieht die Notbremse?

Manche Bücher sollte lieber nicht in der Winterzeit lesen, wer zur jahreszeitlich bedingten Depression neigt. In seinem Buch Kapitalkollaps zeichnet der linke Journalist Tomasz Konicz ein düsteres Bild von der existenziellen Krise, die im globalen Kapitalismus inhärent angelegt ist. Sie zeigt sich in Finanzkrisen, Klimakollaps, Ressourcenerschöpfung, Kriegen, Fluchtbewegungen und vielem mehr. »Es scheint, als säße die Menschheit in einem sich stetig beschleunigenden Zug, der auf einen Abgrund zurast und in dem niemand in der Lage ist, die berühmte Notbremse zu ziehen«, fasst Konicz die Entwicklung zusammen. Gemeint ist jene Notbremse, die Walter Benjamin als Mittel des »eigentlichen revolutionären Akts« identifiziert hat, mit dem der Amoklauf der globalen Kapitalverwertung noch gestoppt werden kann.

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One Love, One Hate

Die in Jamaika überaus populären Dancehalls lassen sich als relativ autonomes, gut abgrenzbares kulturelles Feld fassen. Es steht mit den eigentlichen Machtfeldern der Politik und Wirtschaft im intensiven Austausch – sowohl in ihren formellen als auch informellen Erscheinungsformen. An diesem symbolischen Ort werden die Identitätskonstruktionen der weltlichen und geistlichen Eliten neu verhandelt und in vielerlei Hinsicht verändert und konterkariert. Im Dancehall Reggae geht es somit kontinuierlich um Fragen der Respektabilität von Weltbildern, ethischen Gesinnungen und akzeptablen Verhaltensformen, gerade was die Geschlechternormen und damit verbundene sexuelle Einstellungen und Praktiken betrifft. Aus diesem empirischen Befund entwickelt Patrick Helber seine zentrale theoretische Fragestellung: Welche Bedeutung nehmen Populärkultur und Diskurse über Populärkultur bei der Aushandlung von Respektabilität bezüglich geschlechtlicher Identitäten im postkolonialen Jamaika ein?

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Indigene Kämpfe ums Land

»Ein Griqua ohne Land ist ein nackter Griqua« – dieses Zitat von Kaptein Johannes Kraalshoek, Repräsentant des Free State Griqua Concils, bringt die politisch brisanten Landrechtsforderungen der Griqua auf den Punkt. Wer sind nun die Griqua? Das Wort bedeutet »Menschen«, und zwar im Xiri, einer Khoekhoe-Sprache. Schätzungen gehen davon aus, dass heute etwa 300.000 Griqua über mehrere Provinzen verteilt in Südafrika leben. Historisch sind sie Nachfahren verschiedener Gruppen der vorkolonialen Gesellschaft: Khoekhoe-Pastoralisten, San-Jäger und Sammlerinnen, bantu-sprachige Menschen, importierte SklavInnen der Kapkolonie sowie einige weiße Soldaten und SiedlerInnen.

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Fremd gemacht werden

Fatima El-Tayebs Buch Undeutsch ist eine kritische Auseinandersetzung mit rassistischen Machtstrukturen innerhalb der europäischen und insbesondere der deutschen Gesellschaft seit dem Mauerfall 1989. Die Historikerin veranschaulicht anhand von Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit wie der Debatte um die Kölner Silvesternacht, um das Humboldt-Forum oder um das Mahnmal für die von den Nazis ermordeten RomNija und SintEzza, wie People of Color zu ,undeutschen‘ Fremden gemacht werden. Dabei kritisiert El-Tayeb das hegemoniale Narrativ von Deutschland und Europa als weißen und christlich sozialisierten Gemeinschaften sowie die ausbleibende Konfrontation mit der kolonialen Vergangenheit. Sie demonstriert, wie MuslimInnen, Schwarze wie auch SintEzza und RomNija als Minorisierte mit langer deutscher Geschichte noch heute in stets gleichen Zyklen als ‚Fremde‘ markiert werden.

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Vom langen Weg ans Ufer

I

So rasch fanden sie sich getrennt am Ende des Krieges: zwei deutsche Staaten für ein halbes Jahrhundert. Der lange Schaden folgte nach, denn schlimmer als die deutsche Vielstaaterei vor 1871 war der feindselige Takt der einander entgegen Stehenden. Doch dann Crescendo-Jubel zum Schluss, fast ein Opernfinale, wie sie wieder zusammenkamen.

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