Der blutige Kampf um eKhenana

Angriffe auf informelle Siedlungen in Südafrika

Die Kommune eKhenana liegt in einer Township von Durban. Die Bewohner*innen besetzten das Land 2018 und organisieren seither ihr Leben kollektiv. Doch trotz einer formalen Anerkennung sind sie massiver Repression ausgesetzt.

Es ist ein heißer Nachmittag Ende März. Als ich nach eKhenana komme, sind Landile »Langa« Mbunguzana und Mngqobi Gazo gerade dabei, eine Stromleitung zu reparieren. Sie haben das selbst verlegte Kabel versehentlich gekappt, als sie die Bäume um eKhenana herum gelichtet haben – als Sicherheitsmaßnahme, um einen besseren Überblick über das Areal zu haben. Dabei ist ein Ast auf die Leitung gefallen und hat sie durchtrennt. Langa klettert leichtfüßig auf den Baum, um dessen Zweige sich das lose Kabel windet. Er löst eine Schlaufe, damit Mngqobi, der mit mir am Hang wartet, die beiden Enden wieder miteinander verbinden kann. Dass Langa und Mngqobi heute den ganzen Tag in der gleißenden Hitze Äste gestutzt haben, ist der anhaltenden Bedrohung geschuldet – es kommt immer wieder zu gewalttätigen Angriffen.

Dabei wirkt die Siedlung, deren Name sich mit »gelobtes Land« übersetzen lässt, sehr friedlich. Nimmt man den Eingang durch das obere Tor, blickt man über das weitläufige Tal, in dem wilde Bananenstauden wachsen. Bevor das Land 2018 besetzt wurde, war es noch von unwegsamem Gebüsch und hohen Palmen überwuchert. Die Wellblechdachhütten reihen sich hier nicht wie sonst üblich zusammengepfercht aneinander, sondern sind großzügig auf dem Gelände verteilt. So war eKhenana von Anfang an geplant: mit Raum für Begegnung, Anbau und Entwicklung. Die heutigen Bewohner*innen sind mit großen Ideen auf dieses Land gezogen. Sie leben in einer sozialistischen Kommune, haben die Frantz-Fanon-Schule für politische Bildung gebaut, einen Gemeinschaftsgarten angelegt und halten Hühner. Alles wird gemeinschaftlich geteilt. Doch das ist manchen ein Dorn im Auge – mit brutalen Konsequenzen. Von anfangs über hundert Bewohner*innen leben aktuell noch um die fünfzig in eKhenana; viele hielten die grausamen Ereignisse und die anhaltende Bedrohung nicht aus.

Repression und Wiederaufbau

2022 wurden in eKhenana binnen sechs Monaten drei Aktivist*innen ermordet. Doch die Leidensgeschichte von eKhenana begann bereits 2018, als sich die Bewohner*innen entschlossen, hier zu siedeln. Mit viel Geduld und Arbeit lichteten sie das Buschland, um die informelle Siedlung auf dem günstig gelegenen Grund zu errichten. Hier im Township Cato Manor haben sie es nicht weit zu Arbeitsstellen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Viele sind aus ländlichen Gegenden nach Durban gezogen, um in der Großstadt an der Ostküste des Landes eine Ausbildung zu absolvieren oder Geld zu verdienen. Wie Millionen andere Schwarze Südafrikaner*innen sind sie von Armut und Exklusion betroffen – die teuren Innenstadtwohnungen können sie sich nicht leisten und die Stadtverwaltung fühlt sich nicht zuständig, der verarmten Bevölkerung adäquaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Langa sagt mir, sie haben gar keine andere Wahl, als Land zu besetzen, denn das Recht auf Stadt wird ihnen noch immer vorenthalten.

Wie an vielen Orten in Südafrika kam es nach der Besetzung auch in eKhenana immer wieder zu gewaltsamen Räumungen durch die Polizei, die sogenannte Einheit zur Bekämpfung von Landinvasionen und private Sicherheitsfirmen. Dabei gab es wiederholt Verletzte und Tote; die Räumungseinheiten knüppeln die unbewaffneten Bewohner*innen nieder und setzen Schusswaffen ein. Die Kommune hat bisher über dreißig brutalen Räumungen Stand gehalten. Langa erzählt: »Wenn sie morgens gekommen sind, haben wir nachmittags wiederaufgebaut. Sind sie abends gekommen, haben wir durch die Nacht gearbeitet. Aber am schlimmsten war es, wenn sie unser Material zerstört und alles niedergebrannt haben. Wir mussten immer wieder von Null anfangen.«

Im Jahr 2019 schloss sich eKhenana der demokratischen Graswurzelbewegung Abahlali baseMjondolo (isiZulu für »Bewohner*innen der Wellblechdachhütten«) an, die sich für die marginalisierte Bevölkerung und ihr Recht auf Land einsetzt und inzwischen zu einer der größten sozialen Bewegungen in Postapartheid-Südafrika geworden ist. Für die Aktivist*innen, die sich zur Ubuntu-Philosophie1 und zum Sozialismus bekennen, ist Land nicht anhand seines ökonomischen, sondern seines sozialen Wertes zu definieren und dementsprechend nicht für Profit, sondern nach Bedarf zu verteilen. In diesem Sinne unterstützen sie informelle Siedlungen, die von Zwangsräumungen betroffen sind. Dafür zahlen sie einen hohen Preis: immer wieder werden Mitglieder von Abahlali baseMjondolo zu Opfern von bewaffneten Angriffen, unrechtmäßigen Inhaftierungen und brutalen Einschüchterungen. Seit der Gründung 2005 sind 24 Aktivist*innen durch Polizeigewalt und Auftragsmorde ums Leben gekommen.

Formale Anerkennung

Mit der Unterstützung durch Abahlali baseMjondolo gelang es eKhenana, im Februar 2019 eine einstweilige Verfügung gegen rechtswidrige Zwangsräumungen zu erwirken; damit wurde den Bewohner*innen zunächst temporär das Recht zugestanden, in ihrer Siedlung zu bleiben. Langa erzählt mir, dass ein Lokalpolitiker der Regierungspartei ANC, der in direkter Nachbarschaft von eKhenana wohnt, nach diesem juristischen Teilerfolg Anspruch auf den Grund erhebt – er gibt an, das Land gekauft, Partner akquiriert und Pläne für eine lukrative Mietsiedlung entworfen zu haben. Offensichtlich nutzt er seinen politischen Einfluss, um die Bewohner*innen eKhenana massiv zu bedrohen: Er verbündete sich mit interessierten Geschäftsleuten, um die Kommune zur Aufgabe des Landes zu zwingen. Trotz des gerichtlichen Beschlusses kam es weiter zu gewaltsamen Räumungen und Übergriffen; wandten sich die Betroffenen an die örtliche Polizei, weigert sich diese, Anzeigen aufzunehmen. Sogar während des nationalen Lockdowns zu Beginn der Covid-19-Pandemie wurde im April 2020 eine illegale Räumung durchgeführt.

Das Jahr 2021 war für eKhenana dann von fingierten Anklagen geprägt: Im März wurden drei Führungspersönlichkeiten der Kommune für einen Mord im umliegenden Wohngebiet Cato Manor angezeigt. Sie waren sechs Monate inhaftiert, bis die Anklage aufgrund falscher Zeugenaussagen fallen gelassen wurde. In den darauffolgenden Monaten kam es zu weiteren Verhaftungen und die fälschlich Beschuldigten mussten zum Teil traumatisierende Monate im berüchtigten Westville-Gefängnis durchstehen, bis alle Vorwürfe wieder fallen gelassen wurden.

Morde an Aktvist*innen

Im Jahr 2022, wenige Tage nachdem eine Gruppe alkoholisierter ANC-Lokalpolitiker in der Kommune randaliert hatte und mit Äxten auf Bewohner*innen losgegangen war, kommt es zu einem brutalen Attentat: Der 30-jährige Ayanda Ngila, eine zentrale Führungsperson in der Kommune, repariert am 8. März eine defekte Bewässerungsleitung im Gemeinschaftsgarten. Plötzlich tauchen vier Männer hinter den Beeten auf und feuern am helllichten Tag auf ihn. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung trägt Ayanda Ngila ein T-Shirt mit dem berühmten Zitat von Steve Biko, dem Begründer der Black-Consciousness-Bewegung: »Es ist besser, für eine Idee, die weiterleben wird, zu sterben, als für eine Idee zu leben, die sterben wird.«

Zwei Monate später wird Nokuthula Mabaso, die den lokalen Frauenverbund in der Kommune leitet, vor den Augen ihrer Kinder mit sieben Schüssen hingerichtet, als sie von einer Zusammenkunft aus der Gemeinschaftshalle zurückkommt, um nach dem Abendessen zu sehen. Als die anderen Bewohner*innen die Schüsse hören, eilen sie zum Tatort. Langa führt mich zu der Wellblechdachhütte, in der Nokuthulas Mann und ihre vier Kinder wohnen, und zeigt mir, wo sie ihren leblosen Körper gefunden haben. Nokuthula Mabaso hätte als Zeugin im Gerichtsprozess um Ayanda Ngilas Ermordung aussagen sollen.

Am 20. August wird schließlich Lindokuhle Mnguni Opfer eines Anschlags. Er ist ebenfalls eine Führungspersönlichkeit in der Kommune und durch seinen politischen Aktivismus über das Abahlali baseMjondolo-Netzwerk hinaus bekannt. Auch er war als Zeuge der Ermordung Ayanda Ngilas vor Gericht geladen. Die Auftragsmörder schlagen frühmorgens das Fenster seiner Blechdachhütte ein und feuern dreizehn Schüsse auf ihn und seine Partnerin, die ihre Verletzungen überlebt. Lindokuhle Mnguni ist der achte Aktivist aus eKhenana, der seit der Besetzung im Jahr 2018 ermordet wurde.

Der zähe Gerichtsprozess ist noch nicht abgeschlossen; bislang wurde nur ein Angreifer inhaftiert und keine weiteren Täter zur Verantwortung gezogen. Der lokale ANC-Politiker, der als Drahtzieher hinter den tödlichen Angriffen vermutet wird, hält sich noch immer in unmittelbarer Nachbarschaft der Kommune auf. eKhenana versucht sich zu schützen – mit der Hilfe von Abahlali baseMjondolo wurde das Gelände mit Stacheldrahtzaun eingefasst und Überwachungskameras installiert. Ein Sicherheitsdienst, der vorübergehend zur Patrouille bereitgestellt werden konnte, musste aus Kostengründen eingestellt werden.

Langa und Mngqobi hoffen, in Zukunft potenzielle Angreifer*innen durch die gelichteten Baumkronen schneller sichten zu können, denn sie wissen: sie sind noch immer lebensgefährlicher Bedrohung ausgesetzt – auf einem Land, das in Blut getränkt ist, auf einem Land, das ihr Zuhause ist.

Anmerkung

1  Als Ubuntu wird eine vor allem im südlichen Afrika verbreitete Lebensphilosophie bezeichnet, die auf gegenseitige Anerkennung und Fürsorge, Nächstenliebe und Menschenwürde basiert.