Osama bin Laden ist tot. Ist Osama bin Laden tot? Oder irgendwer
anderes? Es wurde ein Mann erschossen, in einem einzeln stehenden, wie
es hieß gut bewachten Gebäude in Pakistan in den Bergen, das dann
wiederum nicht bewacht war, als es darauf ankam, und die Spezialkräfte
der USA-Truppen als meuchelndes Mordkommando dort eindrangen. Ein Mann
wurde erschossen. Er sei bewaffnet gewesen, hieß es erst. Des Nachts? Im
Schlaf? Nein, er war nicht bewaffnet. Aber er hat Widerstand geleistet.
Ein einzelner älterer Mann, aus dem Schlaf gerissen, im Bett, gegen ein
schwerbewaffnetes, bestens durchtrainiertes Kommando junger Männer mit
Hightech-Ausrüstung, das gerade durch seine Tür dringt? Nein, er hat
nicht Widerstand geleistet, wurde dann gesagt, aber er hätte Widerstand
leisten können. Also er hätte Widerstand leisten können, glaubten die
eindringenden Meuchler, und damit sie nicht in Gefahr kämen, die vielen
durchtrainierten jungen Männer mit den modernen Waffen gegen den
einzelnen älteren Mann, haben sie ihn erschossen. Ein Bild werde nicht
veröffentlicht. Es sehe so schrecklich aus, mit der Leiche des
Erschossenen, und außerdem wolle man keinen Märtyrer. Das ist jetzt die
Logik moderner Vorurteilsforschung: „Denken Sie nicht, der Mann sei
Extremist!" Indem ich das denke, denke ich, er sei Extremist. Indem man
sagt, man wolle keinen Märtyrer, schafft man ihn. Die Leiche wurde
ausgeflogen. Sofort, unverzüglich, auf einen Flugzeugträger im
Persischen Golf, dort in einen Sack gesteckt und ins Meer geworfen. Ins
Meer, damit es keine Pilgerstätte gibt. Jetzt sind alle Meere der Welt
Pilgerstätten, für die, die eine brauchen.
Hat es Osama bin Laden überhaupt gegeben? Am 11. September 2001 fielen
die Twin Towers des World Trade Centers in New York in sich zusammen.
Die Trümmer rauchten noch, und obwohl die US-Regierung dem Vernehmen
nach nichts wusste von der Terrorgefahr, wussten die einschlägigen
Dienste sofort, wer die Täter waren: 19 junge islamische Männer, die,
wie verlautete, Terroristen waren, Flugzeuge entführt und in die beiden
Türme gelenkt hatten. Weil sie einen tiefsitzenden Hass auf den Westen,
seine Mächtigkeit und Kultur hatten, wurde rasch ermittelt. Es war, als
hätte jemand das berüchtigte Huntington-Thema vom „Kampf der Kulturen"
genommen, und den Anlass orchestriert, damit er auch ja stattfindet.
Immerhin hat ja die Bush-Regierung daraus zwei Kriege, in Afghanistan
und Irak, ein Heimatschutzministerium nebst massivem Abbau
demokratischer Rechte und allerlei Vorwände produziert, sich im Ausland
offen und unverschämt in alles Mögliche einzumischen, bis hin zu unseren
Bankdaten, die die deutschen Behörden dienstbeflissen in den USA
abliefern.
Der deutsche Geheimdienstexperte und ehemalige Bundesminister unter
Helmut Schmidt, Andreas von Bülow, hatte schon bald jene Ereignisse zu
rekonstruieren versucht und fand vielerlei Ungereimtheiten: Das Kerosin
war in der Verbrennungshitze nicht heiß genug, um die Stahlträger
solcher Hochhäuser so schmelzen zu lassen, dass die Häuser einstürzten;
wenn sie schon durch die Hitze der sichtbaren Brände, die die
hineinrasenden Flugzeuge verursacht hatten, einstürzten, hätten sie zur
Seite kippen und nicht in sich zusammenrutschen dürfen - also war zu
vermuten, dass man unten mit entsprechenden Explosionen nachgeholfen
hatte - und schließlich waren die am Ende zusammengeräumten Stahlträger
so rasch verschrottet und in den Schmelzofen geworfen worden, dass
niemand sie mehr gutachterlich untersuchen konnte. Die Verschleierungen
der US-Behörden nach dem Kennedy-Mord 1963 und bei der Konstruktion der
Tonking-Affäre 1964, mit der man den Vorwand für den Vietnamkrieg
geschaffen hatte, ließen grüßen. Der Verschwörungstheoretiker Mathias
Bröckers schrieb zu jenem 11. September: „Ohne angemessene
Verschwörungstheorien... lässt sich unsere hochgradig komplexe und
konspirative Welt gar nicht mehr verstehen."
Bleibt die Frage, ob es Osama bin Laden je gegeben hat. Dieselben
US-Dienste, die binnen Stunden damals die tatsächlichen oder
vorgeblichen Täter der Anschläge ermittelt hatten, teilten ebenfalls
sofort mit, dass es diesen Osama bin Laden gibt, der eine
Terrororganisation al Qaida geschaffen habe, die für diese Anschläge
verantwortlich sei. Die Legende klang schlüssig: der Mann kam aus gutem
Hause in Saudi-Arabien, habe mit reichlich vorhandenem privaten Geld
diese Organisation finanziert, zuvor eigene Kampfeinheiten formiert und
ausbilden lassen, die in Afghanistan gegen die sowjetischen Truppen
gekämpft hatten, und nachdem es dort zu Ende war, sich mit seinen
Getreuen gegen den „ungläubigen Westen" gewandt. Wenn es um
Religionskriege geht, braucht es bekanntlich keine Logik.
Eigens bin Laden zu fangen, sind die USA in Afghanistan eingefallen und
führen dort seither Krieg. Die Toten sind kaum zu zählen, aber Osama bin
Laden ist leider damals entwischt, aus den Höhlen in den Bergen des
Hindukusch, wo man ihn fast hatte, er aber entwischen konnte, in letzter
Minute, wohl nach Pakistan. Dann war er nicht auffindbar. Ab und zu gab
es ein paar Bilder von Osama bin Laden, Filmschnipsel, Drohungen gegen
die USA und den Westen, die immer dann kamen, wenn es besonders nützlich
für die innenpolitische Fortsetzung der Stimmung war, die man für den
„Krieg gegen den Terror" brauchte. Wie der „Fliegende Holländer" im
Märchen über die Meere geistert, irrlichterte bin Laden durch die
westlichen Medien als Geist, der den „Krieg gegen den Terror" ermöglicht
hatte.
Und er sah auch so aus: die wallenden Kleider, die ernsten Augen beim
Aussprechen der Drohungen gegen den Westen, der grau werdende Bart. Wenn
jemand auf die Idee gekommen wäre, bei den Maskenbildnern in Hollywood
den Bösewicht zu bestellen, der die Verkörperung des Bösen, das aus dem
Orient kommend den Okzident überfällt, also den feindlichen Part im
„Kampf der Kulturen" darstellt -so hätte er aussehen müssen, eine
Mischung aus dem bösen Geist aus den Märchen von 1001 Nacht und dem schwarzen Zauberer aus dem Herrn der Ringe.
Nun ist er tot. Also ein Mann ist tot, von dem die Behörden sagen, es
sei dieser Osama bin Laden mit dem Bart gewesen, von dem wir ja seit
zehn Jahren wissen, dass er der besonders Böse ist bzw. jetzt: war.
Bevor die Leiche in den Sack gesteckt wurde, hat man noch die DNA
genommen und weiß deshalb, dass das bin Laden war. Und woher hatte man
die „Gegenprobe", wenn man ihn doch nie gefasst hatte und nur von den
Bildern kannte? Wir wissen jetzt also, dass ein Mann tot ist, der in
einem Sack steckt, der im Meer liegt. So wie wir wissen, dass die Twin
Towers zusammengestürzt sind.
Der römische Imperator musste seinerzeit in das Colosseum gehen, wenn er
sehen wollte, wie Leute ums Leben gebracht werden. Der Präsident der
USA, der qua Amt sich als Imperator im 21. Jahrhundert zu verstehen hat,
kann das jetzt von seinem Dienstzimmer im Weißen Haus aus tun. Diese
Bilder jedenfalls ließ Obama verbreiten, wie er mit den Augen seiner
Meuchler bzw. durch die auf einem der Köpfe des Kommandounternehmens
angeschraubte Kamera das Erschießen jenes Mannes im Bett am Bildschirm
hautnah anschaut. Es war spannend. Er schaut gebannt. Um ihn die
Getreuen, Hillary Clinton mit schreckgeweiteten Augen, Vizepräsident
Joseph Biden einen Rosenkranz in der Hand. So wurde für den Erschossenen
gebetet, vielleicht jedenfalls, fernab in Washington.
Ein paar Tage später fuhr der Präsident zum Ground Zero in New York und
ließ sich feiern. Der von den Rechten so übel beleumdete erste Schwarze
im Präsidentenamt hat vollbracht, was Bush II, dieses texanische
Großmaul, das alles Mögliche angefangen, aber nichts ordentlich zu Ende
gebracht hat, nur angekündigt, aber nie erreicht hat. Der Präsident ist
auch der erste Patriot seines Landes, ebenfalls qua Amt. Die Chancen,
dass er wiedergewählt wird, steigen jetzt. Die Frage, ob man nun sofort
aus Afghanistan abziehen kann, hat er nicht beantwortet. Den Mann im
Sack hätte man vielleicht auch festnehmen und vor Gericht stellen
können. Dann wäre er als ein Verbrecher abzuurteilen gewesen, wenn er
denn der Verbrecher war, von dem es hieß, er sei es, dieser Osama bin
Laden. Jetzt ist er ein Mythos, schon durch das mythische Ende.