Die Außenhandelspolitik der Europäischen Union

zunehmend aggressive Forcierung einer neo-merkantilistischen Weltmarktorientierung

in (16.01.2008)

Die Interessenkonstellationen wie auch die Kompetenzlage zwischen Union und Mitgliedsstaaten in Bezug auf die gemeinsame Außenhandelspolitik haben sich seit den 1990er Jahren grundlegend verändert

Der Außenhandel war schon immer ein wichtiges Themenfeld der Europäischen Integration. In der Tat gehört er zu den ältesten Kompetenzbereichen der Europäischen Gemeinschaft (Smith 1999). Auch wenn er nicht zum eigentlichen Kern der europäischen Politik zu zählen ist, so folgt die wirtschaftliche Integration - im besonderen die Implementierung des Binnenmarktes - der handelstheoretischen Konzeption, dass die Beseitigung von Handelsbarrieren zu mehr Wohlstand und Wirtschaftswachstum führen würde. In der Essenz ist dies dieselbe konzeptive Basis, wie sie auch der EU-Außenhandelspolitik zugrunde liegt. Wenig überraschend wurde daher die gemeinsame Außenhandelspolitik der Union als außengerichtete Ergänzung zur zentralen ökonomischen Dimension der europäischen Einigung gesehen. Aufgrund des Zusammenspiels mehrerer Faktoren - zentral zu nennen sind hier die Implementierung des Binnenmarktprojekts, die Liberalisierung des öffentlichen Sektors und das Entstehen großer europäischer Unternehmen mit einer expliziten Weltmarktausrichtung - haben sich die Interessenkonstellationen wie auch die Kompetenzlage zwischen Union und Mitgliedsstaaten in Bezug auf die gemeinsame Außenhandelspolitik seit den 1990er Jahren aber grundlegend verändert. Als Konsequenz daraus hat sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Bedeutung der Gemeinsamen Außenhandelspolitik stark zugenommen.

Diese Entwicklung lässt sich anhand der Außenhandelsstatistik gut nachvollziehen. Der Extra-EU-Außenhandel ist sowohl im Waren- als auch im Dienstleistungsbereich stark gestiegen. Von 1991 bis 2006 ist die Außenhandelsquote (Warenexporte + -importe) der EU-15 von knapp 15% auf 25% des EU-15 BIP gestiegen. Für Dienstleistungen stieg die Außenhandelsquote von 5,5% 1990 auf 9% im Jahr 2004. Die EU konnte zudem ihren Anteil an den globalen Gesamtexporten von 15% im Jahr 1991 auf rund 17% im Jahr 2006 steigern. Ähnliches gilt für Dienstleistungen: die Netto-Exporte von Dienstleistungen aus der EU stiegen um den Faktor 15 auf derzeit rund 1% des EU-15 BIP seit 1990. Die EU ist weltgrößter Exporteur von Dienstleistungen mit einem ständig steigenden Überschuss im Dienstleistungshandel. Zum Vergleich: von 1990-2006 ist der Anteil der US-Warenexorte an den Weltexporten um 3%-Punkte auf 8% gesunken, jener der US-Dienstleistungsexporte um 2,5%-Punkte auf 15% (UNCTAD 2007). Im Vergleich zu ihrem Hauptkonkurrenten im internationalen Handel weist die EU daher eine durchaus günstige Entwicklung aus. Die EU ist in den letzten 15 Jahren zum größten und wichtigsten Handelsblock geworden. Angesichts des spektakulären Aufstiegs der asiatischen Länder, im besonderen Chinas und Indiens, konnte die EU ihre Stellung im internationalen Handel nicht nur behaupten, sondern partiell sogar ausbauen.

Im folgenden Beitrag geht es daher darum, die konkrete politische Praxis der EU Außenhandelspolitik auf ihre konzeptuellen Grundlagen und die daraus erwachsenden Konsequenzen und Widersprüche zu untersuchen. Jüngere Entwicklungen in der Handelspolitik werden dabei als komplementäre Elemente eines umfassenden Reorganisationsprozesses des europäischen Wirtschaftsraums begriffen, welcher darauf abzielt, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zur obersten Maxime jeglicher Wirtschaftspolitik zu machen. Das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit wird dabei als eine spezifische Mischung aus einseitig stabilitätsorientierter Makropolitik, einer von Deregulierung und Liberalisierung geleiteten Strukturpolitik und einer durch Lohnzurückhaltung, Flexibilisierung und den Rückbau sozialer Sicherungssysteme gekennzeichneten Beschäftigungs- und Sozialpolitik verstanden. Die wirtschaftlichen und vor allem auch gesellschaftlichen Folgen einer solchen Politik müssen dabei aber hochgradig ambivalent bleiben.

Die EU Außenhandelspolitik in der Praxis: zwischen Freihandel und Neo-Merkantilismus

Bereits in Artikel 131 EGV ist der liberalisierungsfreundliche Bias der EU-Handelspolitik niedergelegt. In der Tat lässt sich kaum ein maßgeblicher Handelspolitiker in den EU-Institutionen (mit Ausnahme des EU-Parlaments) finden, der bestreiten würde, dass die liberale Außenhandelstheorie und die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Vorteile die legitime konzeptuelle Basis der EU-Außenhandelspolitik bilden sollten. Die freihändlerische Grundüberzeugung gehört zur Basisqualifikation eines Handelskommissars, und zwar unabhängig von seinem parteipolitischen Hintergrund. Der französische Sozialist Pascal Lamy (EU Handelskommissar 1999-2004; derzeit Generaldirektor der WTO)) und Peter Mandelson (EU Handelskommissar seit 2004) als britischer Labour-Politiker bilden da keine Ausnahme, im Gegenteil, besonders Mandelson vertritt eine prononciert wirtschaftsliberale Politik.

Allerdings erschöpft sich die handelspolitische Praxis der EU (aber auch die anderer Länder) nicht in der zielgerichteten Durchsetzung eines liberalen Handelsregimes mit der immanenten Konsequenz, dass die EU alle Zölle und sonstigen Handelsbarrieren einseitig abschaffen würde. Vielmehr folgt die praktische EU-Handelspolitik einem strategischen Ansatz, der stärker an der merkantilistischen Tradition anknüpft (vgl. zur Einleitung Schumpeter 1954, ch.7; der Klassiker zum Merkantilismus ist Heckscher 1934). Diese Doktrin gibt als Ziel der Außenhandelspolitik die Maximierung der Erträge aus dem internationalen Handel vor, was die Förderung der Exportwirtschaft und die Ausweitung der Exporte bei gleichzeitiger Kontrolle bzw. Beschränkung der Importe impliziert.

Während die EU-Außenhandelspolitik große Anstrengungen darauf verwendet, die Exporte und Investitionen europäischer Unternehmen in das Extra-EU Ausland zu steigern, ist ihre importseitige Politik nicht so eindeutig am klassischen Merkantilismus ausgerichtet. Dies hat wesentlich mit den Produktionsstrukturen der EU-Volkswirtschaften zu tun. Während es Länder wie Frankreich, Spanien, Portugal, Italien mit bedeutender Produktion in Branchen wie Landwirtschaft, Textil-, Bekleidungs- oder Lederindustrie gibt, verfügen andere EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, die Niederlande, Großbritannien oder die skandinavischen Länder über stark internationalisierte, kapital- und technologieintensive Industrien bzw. Dienstleistungen (Banken, Versicherungen u.ä.). Daraus resultieren unterschiedliche importseitige Interessen. Die erste Ländergruppe tritt für sektor- bzw. branchenbezogene Schutz- und Förderpolitiken ein, am bekanntesten ist hier wohl die Landwirtschaftspolitik der EU, während die zweite Ländergruppe von wenigen Ausnahmen abgesehen auch für eine Abschaffung bestehender Zoll- und Handelsbarrieren auf der Importseite eintritt. Zuletzt deutlich zutage getreten ist diese Interessendivergenz anlässlich des Auslaufens der Übergangsfristen des WTO-Textil- und Bekleidungsabkommens im Jahr 2005. Während die EU-Produzentenstaaten von Textilien und Bekleidung für zumindest temporäre Schutzzölle gegenüber chinesischen Importen eintraten, setzten sich Deutschland, Großbritannien und die skandinavischen Länder für eine Liberalisierung dieser Importe ein. Letztere Länder verfügen über einen bedeutenden Textil- und Bekleidungshandel, der seine Waren fast ausschließlich international zukauft. Nationale Produktionskapazitäten existieren praktisch nicht mehr. Daher besteht auch kein Interesse an Zollschranken.

Importbeschränkungen werden also selektiv angewendet. Der am stärksten geschützte Sektor ist zweifellos die EU Landwirtschaft. Der durchschnittliche Zollsatz beträgt bei landwirtschaftlichen Produkten 30%. Für einzelne Produkte kann der Zollsatz aber weit höher liegen. Zollspitzen von bis zu mehreren hundert Prozent (z.B. Zucker 350%) bzw. hohe Zollniveaus (z.B. Milch und Milchprodukte 87%, Getreide 53%) gelten für bestimmte nicht weiterverarbeitete landwirtschaftliche Güter, für welche die EU aus historischen Gründen die heimische Produktion ankurbeln wollte. Für andere landwirtschaftliche Produkte (in Summe 27% aller Agrarimporte), z.B. Lederhäute, Baumwolle, Wolle, Flachs oder Ölsaaten, für welche es in der EU traditionell eine Überschussnachfrage gab bzw. wo eine Steigerung der Produktion aus klimatischen oder sonstigen Gründen nicht möglich oder zielführend ist, gelten hingegen sehr geringe oder keine Zölle. Obwohl daher das durchschnittliche Zollniveau in der EU höher ist als in den USA oder Japan, ist die EU trotzdem der weltweit bedeutendste Importeur landwirtschaftlicher Produkte (European Commission 2005).

Ähnliches gilt für die verarbeitende Industrie. Wenngleich die durchschnittlichen Zollsätze als Folge der GATT Liberalisierungsrunden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf rund 3% drastisch gesunken sind, existieren für 12% der Fertigwaren noch Zollsätze von über 10%. Rohstoffe und Intermediärgüter, welche als Inputs für die verarbeitende Industrie dienen, werden dagegen de-facto zollfrei oder mit sehr geringen Zollsätzen importiert. Handelspolitische Schutzinstrumente (Anti-Dumping Maßnahmen, Ausgleichsmaßnahmen) werden dagegen von der EU nach wie vor relativ breit eingesetzt, und stellen für betroffene EU-Unternehmen ein sehr wichtiges Instrumentarium gegen unliebsame Importkonkurrenz dar.

In der handelspolitischen Diktion der EU wird dieser divergierende Zugang zur export- und importseitigen Handelspolitik mit den Termini "offensive" versus "defensive" Interessen umschrieben. Das Ziel von Handelspolitik besteht dann darin, dass die Gesamtbilanz der durchgesetzten Interessen von den maßgeblichen Akteuren der EU Handelspolitik als vorteilhaft angesehen wird. Bei den offensiven Interessen geht es zum einen darum, den Marktzugang für EU-Exporteure zu verbessern. Das bedeutet vor allem, bestehende Marktzugangshürden für EU-Exporteure zu beseitigen, Zölle zu senken, oder diskriminierende Auflagen von Handelspartnern zu beseitigen. Sektoral betrifft dies vor allem Industriewaren, die meisten Dienstleistungen und ausgewählte landwirtschaftliche Produkte. Die zweite Schiene der offensiven Interessen bezieht sich zunehmend auf die regulatorische Ebene. Die EU verfolgt hier eine Strategie, die darauf abzielt, als diskriminierend oder von EU-Unternehmen allgemein als zu restriktiv empfundene gesetzliche Maßnahmen von Handelspartnern in den Bereichen Investitionen/Niederlassungsbestimmungen, öffentliche Auftragsvergabe oder bei der Dienstleistungsfreiheit zu beseitigen oder abzumildern. Zum zweiten versucht die EU international harmonisierte Standards durchzusetzen, vor allem im Bereich der geistigen Eigentumsrechte, bei technischen Normen, im Wettbewerbsrecht oder bei Sektorregulierungen im Dienstleistungsbereich (Telekommunikation, Post, Finanzdienstleistungen). Ziel ist es dabei entweder, den EU-intern geltenden regulatorischen Rahmen zu internationalisieren oder einen von der EU schon implementierten, internationalen Standard auch von anderen einzufordern. Dabei gibt es eine gewissermaßen dialektische Verbindung von Deregulierung im ersten Schritt und anschließender Reregulierung im Sinne der EU. Diese regulatorische Agenda erstreckt sich auf eine sehr breite Palette an Maßnahmen und geht über die Handelspolitik im eigentlichen Sinn weit hinaus. Sie basiert auf der von liberalen Ökonomen vertretenen These, dass dynamische Wohlfahrtssteigerungen langfristig nur aus deep integration erwachsen, das heißt aus der Beseitigung aller handelshemmenden - da kostenverursachend oder wettbewerbsbehindernd und damit wohlfahrtsmindernd - Eingriffe in das Marktgeschehen. Damit steht de-facto die Vielfalt nationalstaatlich verfasster Ordnungspolitik jenseits der liberalen staatlichen Kernfunktionen zur Disposition. Nationalen Handlungsspielräumen zur gesellschaftlichen Gestaltung des Wirtschaftslebens werden damit in der Tendenz immer engere Grenzen gezogen. Der für das Gelingen nachholender wirtschaftlicher Entwicklung in der jüngeren entwicklungsökonomischen Diskussion so betonte policy space wird von einer solchen Handelspolitik systematisch ausgehöhlt (vgl. Chang 2003).

Defensive Interessen andererseits umfassen solche Sektoren, in denen aus unterschiedlichen wirtschaftlichen oder politischen Gründen ein Außenschutz vor internationalem Wettbewerb für notwendig erachtet wird. Dies betrifft insbesondere die Landwirtschaft, einzelne Industriebranchen (Textil & Bekleidung, Leder/Schuhe u.a.) bzw. jene Dienstleistungsbereiche, die der öffentlichen Daseinsvorsorge angehören, vor allem Bildung, audiovisuelle/kulturelle Dienstleistungen, Gesundheit und Soziales, aber auch öffentlicher Verkehr oder die Wasserversorgung. Nichtsdestotrotz unterliegt die konkrete Definition ob ein Sektor als offensiv oder defensiv zu klassifizieren ist, einem unter Umständen recht konfliktbeladenen politischen Aushandlungsprozess. Die Interessen der wichtigen Akteure können dabei beträchtlich auseinanderklaffen mit oft zwiespältigen Ergebnissen. Während zum Beispiel der Unternehmenssektor, die EU-Kommission und die französische Regierung sich für eine Liberalisierung der Wasserversorgung im Rahmen der GATS Verhandlungen eingesetzt haben, diese also als offensives Interesse behandeln wollten, hat sich eine Koalition von anderen Mitgliedsstaaten (insb. Deutschland und Österreich), kommunalen Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen vehement dafür eingesetzt, die Wasserversorgung von jedweder Liberalisierung in den WTO Verhandlungen auszunehmen. Wenn sich keine der beiden Seiten vollständig durchsetzen kann, endet die Auseinandersetzung mitunter mit einem paradoxen Kompromiss. In Bezug auf die Diskussion um die Wasserversorgung bestand letzterer darin, dass die EU-Kommission von über 70 meist Entwicklungsländern die Liberalisierung von deren Wasserversorgung verlangte, während die EU selbst eine Liberalisierung unter Verweis auf schutzwürdige öffentliche Interessen (typische Argumente waren: Wasser als soziales Grundrecht, Daseinsvorsorge als Kernbestandteil des europäischen Sozialmodells, Gemeindeautonomie) ablehnte. Während also einerseits exportseitig kommerziellen Interessen nachgegeben wird, verweigert die EU importseitig eine Öffnung unter Rückgriff auf politisch-normative Argumente. So berechtigt letztere auch sind: Durch die selektive Form ihrer Anwendung verliert die EU nicht nur an Glaubwürdigkeit gegenüber ihren Handelspartnern, v.a. den Entwicklungsländern, sondern eine fairere Ausgestaltung der internationalen Handelsbeziehungen unter Einbeziehung von sozialen und ökologischen Mindeststandards insgesamt kommt damit stets in den Verdacht, versteckten protektionistischen Motiven zu dienen. Genau dies ist mit den bisherigen, ohnedies meist halbherzig unternommenen Vorstößen der EU in Richtung Verankerung von Umwelt- und Sozialstandards im WTO-Regelwerk auch geschehen. Sie wurden von den Entwicklungsländern mit dem genannten Argument des versteckten Protektionismus strikt abgelehnt.

Die neue EU-Handelsstrategie: im Dienste des Lissabonner Wettbewerbsdogmas

Im Oktober 2006 hat die EU-Kommission ein neues Strategiepapier zur Außenhandelspolitik vorgestellt. Wesentliche Motivation dieses Papiers ist der schleppende multilaterale Verhandlungsprozess im Rahmen der WTO-Doha-Runde, auf welchen sich die EU-Handelspolitik der letzten fünf Jahre stark konzentriert hatte. Auch wenn die Doha-Verhandlungen trotz Unterbrechung im Jahr 2006 letztendlich ein Ergebnis zeitigen sollten, war schon seit einiger Zeit absehbar, dass dieses beträchtlich hinter den weit reichenden Liberalisierungsvorstellungen der EU zurückbleiben würde. Insofern lag es für die Freihandelsstrategen der EU-Kommission nahe, die handelspolitische Agenda wieder stärker auf die bilaterale Schiene zu verlegen. Forum-shifting, das zeigt die Praxis nicht nur der internationalen Handelspolitik, gehört schließlich zu den bewährtesten Maßnahmen zur erfolgreichen Durchsetzung von Interessen (vgl. Becker/Blaas 2007). In dieser auf die bilaterale Ebene konzentrierten neuen Strategie greift die EU wieder all jene Themen auf, welche sie in den WTO Verhandlungen nicht oder nur partiell durchsetzen konnte. Dazu zählen insbesondere die Liberalisierung von Investitionen und Niederlassungsbestimmungen, Wettbewerbsregelungen, Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte. Dazu wird der Schwerpunkt auf eine aggressive Marktöffnung zugunsten europäischer Unternehmen gelegt. Besonders nicht-tarifäre Handelshemmnisse in Drittstaaten sollen beseitigt werden. Regional wird der Schwerpunkt auf die neuen Wachstumsmärkte Asiens (ASEAN, Korea, China, Indien) und auf Lateinamerika (Andengemeinschaft, Zentralamerika, Mercosur) gelegt. Eine strategische Rolle zur Rohstoffsicherung spielen die laufenden Verhandlungen mit den AKP-Staaten, deren Abschluss für Anfang 2008 vorgesehen ist. Der Mittelmeer-Raum (EuroMed) soll schließlich für europäische Dienstleistungsunternehmen und Investoren geöffnet werden.

Mit diesem massiven Arbeitsprogramm wird die EU-Außenhandelspolitik der kommenden Jahre explizit in den Dienst der Lissabon-Strategie gestellt. Wachstum und Beschäftigung sollen durch die Akzentuierung der Weltmarktorientierung der europäischen Wirtschaft geschaffen werden. Im Gegenzug ist die Kommission bereit auch den EU-Wirtschaftsraum noch stärker zu öffnen bzw. in regulatorischer Hinsicht mit den Haupthandelspartnern eine weitgehende Harmonisierung durchzusetzen. Vor allem letzteres ist explizites wirtschaftspolitisches Ziel der von der Deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 lancierten Transatlantischen Partnerschaft mit den USA. Damit steht zu befürchten, dass der in der jüngeren Vergangenheit zu beobachtende Trend, dass andere Staaten bzw. transnational operierende Unternehmenslobbies massiv in EU-Rechtsetzungsprozesse eingreifen, sich noch verstärken wird. Die Ereignisse um die neue EU-Chemikaliengesetzgebung (REACH) haben hier den Weg schon klar vorgezeichnet.

Dass die forcierte Außenöffnung und Wettbewerbsorientierung der EU-Wirtschaft auch VerliererInnen produzieren wird, kann auch die EU-Kommission nicht völlig leugnen. Sie will daher einen mit EUR 500 Mio. dotierten Fonds einrichten, aus dem unter recht restriktiven Bedingungen "Globalisierungsopfer" entschädigt werden sollen. Ob diese Maßnahme mehr als nur kosmetischer Natur sein wird, bleibt abzuwarten.

Ausblick: aggressive Außenorientierung, Wachstumsschwäche und globale Risiken

Auf den ersten Blick war die EU-Außenhandelspolitik der letzten 15 Jahre aus merkantilistischer Perspektive durchaus erfolgreich: die Leistungsbilanz der EU-15 hat sich in der Periode 1990-2005 insgesamt verbessert. Waren vor 1992 Leistungsbilanzdefizite die Regel, so wurden in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und in den Jahren 2002-2004 Leistungsbilanzüberschüsse erzielt. Besonders ausgeprägt und konstant ist der Überschuss im Dienstleistungshandel. Die aus 10 zum Teil stark importlastigen Ländern bestehende Erweiterungsrunde 2004 und die Ölpreissteigerungen der letzten Jahre haben die Außenhandelsposition der EU-25 bzw. der Eurozone in den Jahren 2005 und 2006 wieder etwas verschlechtert. Trotz dieser Sonderfaktoren liegen die jüngsten Leistungsbilanzdefizite der EU-25 in einer nicht besorgniserregenden Größenordnung von rund 1% des EU-BIP, während die EU-Kernländer (EU-15) weiterhin -wenngleich moderate- Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften.

Die andere Seite der Medaille besteht allerdings darin, dass in makroökonomischer Hinsicht die Wachstumsperformance des EU-Wirtschaftsraums während derselben Periode im langfristigen Vergleich wohl als unterdurchschnittlich einzustufen ist. Das restriktive monetäre und fiskalische Regime der EU, eine vor allem in den kontinentaleuropäischen Ländern forcierte Politik der Lohnzurückhaltung und Arbeitszeitflexibilisierung bzw. de-facto -verlängerung und ein Rückbau der Systeme der sozialen Sicherheit haben zu einer stagnierenden binnenwirtschaftlichen Entwicklung geführt. Der starke Export konnte diese kontraktiven Kräfte nicht nur nicht kompensieren, sondern die Implementierung einer zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit und Standortkonkurrenz orientierten Wirtschaftspolitik muss als notwendiges Gegenstück zu einer neo-merkantilistisch inspirierten Außenhandelspolitik gesehen werden. Steigende Exportüberschüsse und forcierte Expansionsstrategien von EU-Unternehmen bei gleichzeitig stagnierender Binnennachfrage, hoher Arbeitslosigkeit und abnehmender sozialer Kohäsion sind dann einander bedingende Elemente eines extensiven, d.h. produktivitäts- und wachstumsschwachen, außenorientierten Wirtschaftsmodells. Diese Charakterisierung gilt nicht gleichermaßen für jedes einzelne EU-Mitgliedsland, wohl aber für den Euro-Raum insgesamt und dessen stärkste Volkswirtschaft, die Bundesrepublik Deutschland im Besonderen (vgl. Richter 2006).

Angesichts der großen globalökonomischen Ungleichgewichte und der im Frühsommer 2007 virulent gewordenen Finanzkrise ist es höchst zweifelhaft, ob diese Politik mittel- und langfristig durchhaltbar sein wird. Sollten die USA nicht mehr in der Lage sein ihr riesiges Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren, und sie in der Folge ihre Importe stark drosseln bzw. eine weitere Abwertung des US-Dollars zulassen müssen, würde dies die exportorientierten Wirtschaften Europas und Asien empfindlich treffen. In dieser Situation müssten wohl die exportorientierten Wirtschaftsräume Europas und Asiens größere Leistungsbilanzdefizite zulassen bzw. stärker über die Belebung ihrer Binnenkonjunktur wachsen, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren und eine größere Krise zu vermeiden. Das würde allerdings eine fundamentale Änderung der herrschenden EU-Wirtschaftspolitik erforderlich machen, die zumindest derzeit nicht absehbar ist. Aber bekanntlich eröffnen Krisen ja manchmal auch neue Handlungsspielräume.

Literatur

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Chang, Ha-Joon (2003): Kicking away the ladder. Development strategy in historical perspective, London: Anthem Press
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European Commission 2006): Global Europe - competing in the world. A Contribution to the EUÂ’s Growth and Jobs Strategy, siehe http://ec.europa.eu/trade/issues/sectoral/competitiveness/global_europe_en.htm
Heckscher, Eli F.(1934): Mercantilism, 2 volumes, London: Allen & Unwin.
Richter, Eberhard (2006): Neomerkantilismus - ein deutscher Sonderweg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8/2006, S. 995-1005
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