(Fehlende) Gleichstellungsperspektiven im Transformations- und Erweiterungsprozess

Der Transformationsprozess und jüngst der Erweiterungsprozess, den mittel- und osteuropä-ische Länder durchlaufen, ist Gegenstand zahlreicher kritischer Analysen. ...

... Die Zuspitzung sozial- und wirtschaftspolitischer Probleme, die auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten ausgetragen wurden, die Vertiefung der Gegensätze zwischen Arm und Reich etc. wurde dabei oftmalig hervorgehoben. Die spezifischen Auswirkungen dieser Prozesse auf die Situation von Frauen sowie der Gleichstellung von Frauen und Männern in den mittel- und osteuropäischen Ländern rückte dabei allerdings selten in das Blickfeld - sei es in den mittel- und osteuropäischen Ländern selbst oder in einer sich erweiternden EU.

Mit vorliegendem Beitrag sollen daher speziell diese Aspekte in den Mittelpunkt gestellt werden. Der Fokus liegt dabei auf bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten, wobei folgende Fragestellungen angeschnitten werden:[1]

-        Welche Veränderungen lassen sich in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern hinsichtlich der Situation der Frauen und der Entwicklung der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern ausmachen?

-        Welche Rolle hat Gleichstellungspolitik im Rahmen der Erweiterung seitens der EU gespielt, vor allem im Vergleich zu anderen Themen?

-        Wie kann und soll eine zukünftige "erweiterte" Gleichstellungspolitik aussehen? Gibt es überschneidende Punkte für gemeinsame strategische Ansätze zwischen "alten" und "neuen" EU-Ländern?

Das Schwergewicht des Artikels liegt dabei auf der jüngsten Erweiterungsrunde und somit bei jenen mittel- und osteuropäischen Kandidatenländern, die im Mai 2004 der EU beitreten[2]. Da sich der Erweiterungsprozess nur schwer vom "allgemeinen" Transformationsprozess trennen lässt, werden die Auswirkungen dieser beiden Prozesse gemeinsam behandelt.

Transformation der Geschlechterverhältnisse - von der Arbeiterin zur Mutter?

Ein zentraler Indikator der Gleichstellung von Frauen und Männern ist die Frage, wie die bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern verteilt ist. Damit in Zusammenhang stehen ideologisch geprägte Fragen der Geschlechterrollen - als gleichberechtigte PartnerInnen versus der Rollenaufteilung in zumeist ungleichwertige Mutter/Ernährer-Modelle. Während des Transformationsprozesses haben hier dramatische Umwälzungen stattgefunden: Von realsozialistisch geprägten Gleichstellungsvorstellungen - das heißt volle gleichberechtigte Erwerbsintegration von Frauen und Männern bei nahezu unverminderter exklusiver Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktionsarbeit (mit teilweiser öffentlicher Unterstützung durch ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem) - zu teilweise sehr konservativen familienpolitischen Vorstellungen mit ausgeprägten "Mutterrollen" als dem großen Ideal für Frauen. Die Propagierung derartiger Vorstellungen ist einerseits eine Reaktion auf die verschärfte Beschäftigungssituation im Transformationsprozess, andererseits soll der Rückgang öffentlicher Dienstleistungen durch eine noch stärkere Mobilisierung unbezahlter (Frauen)arbeit ausgeglichen werden.

Entwicklungen am Arbeitsmarkt im Detail

Vor der Transition stellten Frauen in etwa die Hälfte aller Vollzeitarbeitskräfte, seither ist jedoch ein rapider Beschäftigungsrückgang zu beobachten. Insgesamt war während des Transformationsprozesses ein äußerst hoher Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen, von dem Männer und Frauen unterschiedlich betroffen waren. Ein direkter Vergleich der Beschäftigungswachstumsraten zwischen 1985 und 1997 verdeutlicht eine weitaus stärkere Betroffenheit von Frauen. So ist beispielsweise die Frauenerwerbstätigkeit in Ungarn zwischen 1985 und 1997 um rund 40% gesunken und liegt heute unter 50%. Aber auch in Lettland und Estland ist mit -34% bzw. -31% eine starke Abnahme der Frauenbeschäftigung zu beobachten. Selbst in jenen Ländern, wo der Rückgang vergleichsweise gering ist - wie etwa Tschechien mit 12% - ist dies beinahe zehn mal höher als der Beschäftigungsrückgang bei Männern.

Tabelle 1: Beschäftigungswachstumsraten zwischen 1985 und 1997 (in Prozent):

Beschäftigung

Männer

Frauen

Tschechien

-1,2

-11,8

Ungarn

-29,8

-40,1

Polen

-8,3

-13,4

Slowenien

-15,6

-16,2

Estland

-10,8

-30,9

Lettland

-16,4

-33,3

Litauen

-7,4

-23,7

Quelle: UNECE: Economic Survey of Europe, New York und Genf 1999, 136

Die Ursachen für die stärkere Betroffenheit der Frauen sind vielfältig, vor allem der Beschäftigungsabbau im öffentlichen Sektor und der Rückgang von Beschäftigungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft hat Frauen überproportional getroffen. Aber auch in den Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat es nachhaltige Veränderungen gegeben: Die Zahl der öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen ist in vielen Beitrittskandidatenländern enorm gesunken. Es ist für Frauen vielfach schwieriger geworden - vor allem nach einer Kinderbetreuungsphase - (wieder) am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Allgemein bergen jüngste Entwicklungen die Gefahr, dass patriarchale Stereotype immer stärker in den Vordergrund rücken und Frauen vermehrt in das häusliche Umfeld gedrängt werden.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch im rapiden Anstieg der Arbeitslosenquote wider: Gemäß den offiziellen Statistiken sind in rund der Hälfte der Transformationsstaaten Frauen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass die angegebenen Zahlen nicht das ganze Ausmaß der Situation widerspiegeln, da vor allem Frauen auch gänzlich aus dem Arbeitsmarkt verdrängt und entmutigt wurden, überhaupt Arbeit zu suchen. Detaillierte Länderstudien geben hier näheren Aufschluss: So ist beispielsweise in Ungarn im Falle von Arbeitslosigkeit die Chance auf eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche bei Männern zehn Mal höher als bei Frauen. Dies wirkt sich natürlich entsprechend auf die Inaktivitätsrate aus: Währen 1990 noch 27% der inaktiven Personen ohne bekanntes Einkommen Frauen waren, ist dieser Anteil bis 2001 auf 65% gestiegen!

Tabelle 2: Arbeitslosenquote

Arbeitslosenquote (in Prozent)

Männer

Frauen

1990

1995

2002

1990

1995

2002

Tschechien

0,7*

3,4

5,9

0,8*

4,8

9,0

Estland

0,6

10,5

10,8

0,7

8,9

9,7

Ungarn

1,8*

10,7

6,1

1,4*

8,7

5,4

Litauen

-

6,6*

14,6

-

8,1*

12,9

Lettland

-

6,1*

12,9

-

7,0*

11,0

Polen

-

12,1

19,1

-

14,7

20,9

Slowakei

-

12,6

18,4

-

13,8

18,7

Slowenien

-

7,5

5,7

-

7,0

6,3

EU15**

9,0

6,9

11,7

8,7

Quellen: ILO Labourmarketstatistics (Labour force survey)
               * Employment office records
               ** Labour Force

Frauen haben also ein vergleichbar höheres Arbeitslosigkeitsrisiko und dies obwohl die Bildungsbeteiligung von Frauen in den mittel- und osteuropäischen Ländern generell hoch war und ist. Während des kommunistischen Systems war dies aber auch - wie Rangelova (2002) herausarbeitet - eine unbeabsichtigte Folge, denn Arbeitende (ohne höheren Abschluss) in der männerdominierten Schwerindustrie wurden bei den Löhnen gegenüber jenen (auch mit höheren Abschluss) in der frauendominierten Leichtindustrie sowie dem Dienstleistungssektor bevorzugt. Für Männer war ein höherer Abschluss daher nicht so "notwendig" wie für Frauen.

Geschlechtsspezifische Segregationsmuster (horizontal wie vertikal) sind vor, während und nach der Übergangsperiode auszumachen. Ähnlich wie in den jetzigen EU-Ländern finden sich in den höheren Positionen immer weniger Frauen (vertikale Segregation) und es kann von einer recht massiven Teilung des Arbeitsmarktes in "Frauen-" und "Männerberufe" ausgegangen werden (horizontale Segregation).

Ende der 80er Jahre war die Beschäftigung in den heutigen Transformationsstaaten auf die Bereiche Schwerindustrie und öffentlicher Sektor konzentriert. Beispielsweise waren in Estland 1989 mehr als 80% der Arbeitskräfte im öffentlichen Sektor beschäftigt. Typische weibliche Beschäftigungsfelder waren in den osteuropäischen Ländern Leichtindustrie, öffentlicher Dienst und Landwirtschaft, während dem Dienstleistungssektor weniger Bedeutung zukam als in den derzeitigen EU-Ländern, wo dieser der "Frauensektor" schlechthin ist. Aber auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern war in den letzten Jahren eine Beschäftigungszunahme von Frauen und Männern im tertiären Sektor zu beobachten, mit deutlichen geschlechtsspezifischen Unterschieden: Frauen sind vor allem als Sozialarbeiterinnen, Friseusen im Gesundheitsbereich und zudem häufig in der Textilindustrie tätig - Branchen und Berufe also, die primär durch geringes Einkommen und fehlende Aufstiegschancen gekennzeichnet sind.

Der existierende Gender Pay Gap stellt eine weitere Form der Diskriminierung dar. Auch hier zeigen die Analysen, dass bereits vor dem Transformationsprozess teilweise sehr hohe geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede bestanden: Während in Ungarn Frauen nur rund 65% des Einkommens von Männer verdienten, lag dieser Wert in Slowenien bei 80%. In Ungarn hat sich der Gender Pay Gap in den letzten Jahren verringert, ist allerdings mit 78% noch immer sehr hoch (Frey 2003). Im Schnitt wird den Frauen in den Beitrittskandidatenländern zwischen 20 und 35% weniger bezahlt als der männlichen Belegschaft (Liberal Society Institute 2000).

Unterschiedliche Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsmarkt und der sozialen Absicherung sind wesentliche Indikatoren für die Armutsgefährdung. Hier zeigen bisherige Analysen, dass Frauen vom Abbau des Wohlfahrtsstaates stärker betroffen waren als Männer und Armut in Mittel- und Osteuropa häufig Frauen trifft (Lokar 2000). Die dargestellten Trends in den Beitrittskandidatenländer lassen auf eine Verschärfung der Situation schließen.

Vor diesem Hintergrund kommt auch dem informellen Sektor als zusätzliche oder einzige Einkommensquelle eine wesentliche Rolle zu. Insbesondere Frauen sind hier häufig als Arbeiterinnen ohne soziale Absicherung, in der Subsistenzwirtschaft oder als unbezahlte Hilfskräfte im Kleinunternehmen des Ehemannes beschäftigt. Ein Bericht der Unicef (1999) behandelt in diesem Zusammenhang auch das Problemfeld der Gewalt gegen Frauen. Demnach nehmen vor allem in wirtschaftlich kritischen Zeiten - wenn formale Beschäftigungschancen für Frauen sinken - Frauenhandel, Prostitution und auch häusliche Gewalt zu. Die fehlende Teilhabemöglichkeit am formalen Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden Entwicklungen stellen somit eine substantielle Barriere für die Gleichstellung von Frauen und Männern dar.

Fehlende Politische Partizipation von Frauen

Die Daten zur politischen Beteiligung von Frauen verdeutlichen, dass die Teilhabemöglichkeiten der Frauen sehr gering ausgeprägt sind: Derzeit liegt die Frauenquote in den nationalen Parlamenten der Transitionsstaaten zwischen 8% (Slowenien) und 18% (Estland).

Tabelle 3: Anteil weiblicher Parlamentsabgeordneter

Land

Höchster Frauenanteil seit der jeweiligen Einführung des passiven Frauenwahlrechts

Frauenanteil nach

ersten freien Wahlen nach der "Wende"

letzten freien Wahlen

Tschechien

1986: 29,5

10,0

15,0

Estland

-

5,7

17,8

Ungarn

1980: 30,1

7,3

8,3

Lettland

-

15,0

17,0

Litauen

-

8,1

17,5

Polen

1980: 23,0

9,6

13,0

Slowakei

1986: 29,5

18,1

14,0

Slowenien

1982: 26

11,0

7,8

Quelle: Inter Parliamentary Union, Genf

Sehr klar wird aus der Tabelle ersichtlich, dass die Frauenanteile im Parlament während der 80er Jahre wesentlich höher waren. Der Grund dafür lag in einem Quotensystem vieler Kommunistischer Parteien (Lokar 2000). So betrug die Frauenquote während des Kommunismus bis zu 30%, allerdings zumeist nicht in den höchsten Entscheidungsgremien. Die ersten freien Wahlen hatten in den meisten Ländern einen starken Rückgang der Frauen im Parlament zur Folge. Auf Regierungsebene sind Frauen zudem meist noch schwächer vertreten als in den Parlamenten (Filadelfiová 2002). Insgesamt sind die politischen Teilhabemöglichkeiten der Frauen auf allen Positionen stark reduziert (worden) und lediglich auf regionaler Ebene sind Frauen in etwas stärkerem Ausmaß vertreten (Unicef 1999). Aufgrund der fehlenden politischen Teilhabe wurden auch viele während des Kommunismus eingeführten Maßnahmen zur Gleichstellung revidiert, wie etwa Karenzregelungen, staatlich finanzierte Kinderbetreuungseinrichtungen, liberale Abtreibungsgesetze etc. (Lokar 2000).

"Transformationsrezepte" und deren frauenspezifische Auswirkungen

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass der Transformationsprozess nicht zuletzt aus Gleichstellungsperspektive zu dramatischen Entwicklungen geführt hat und negative Veränderung für Frauen in allen Transformationsstaaten deutlich sind, wenn auch in unterschiedlicher Intensität.

Lokar (2000) hat in diesem Zusammenhang pointiert herausgearbeitet, dass Transformation Globalisierung bedeutet, Globalisierung wiederum Re-Kolonialisierung. Dies hat unter anderem die Zerstörung von Lebensgrundlagen breiter Bevölkerungsschichten, vor allem von Frauen zur Folge gehabt. Die "Transformationsrezepte" von Weltbank und Co., wie rasche Privatisierung, Liberalisierung und der Abbau des Wohlfahrtsstaates, haben Frauen in vielfacher Weise getroffen, insbesondere durch

  • den Abbau öffentlicher (Frauen-)Arbeitsplätze: Frauen müssen "als Ausgleich" vermehrt familiale Arbeit leisten,
  • den Abbau von Betreuungseinrichtungen: Frauen haben größere Schwierigkeiten einen Beruf auszuüben,
  • durch die Verdrängung aus dem formalen Beschäftigungssystem (bei geringen Transferleistungen): Frauen sind gezwungen, ohne soziale Absicherung in der grauen oder schwarzen Wirtschaft zu arbeiten oder als unbezahlte Hilfskräfte ihrer (zumeist männlichen) Angehörigen einzuspringen. Lokar spricht von der "totalen Flexibilisierung der weiblichen Arbeitskraft".

Schroedter (2002) ergänzt, dass nicht nur der Staat seine versorgende Rolle aufgegeben hat, sondern auch die nun privatisierten Unternehmen diverse Leistungen, wie Kinderbetreuung, am "freien Markt" einstellten und immer weniger bereit waren/sind Frauen aufzunehmen. Insgesamt also ein düsteres Bild, welches sich abzeichnet. Die Verdrängung von Frauen aus politischen Entscheidungsbereichen hat hier noch ein Weiteres beigetragen. 

Gleichstellung im Erweiterungsprozess

Diese Prozesse und Auswirkungen sind natürlich auch während der engeren Phase des Erweiterungsprozesses nicht abgeschlossen, sondern wurden teilweise noch intensiviert. Interessant ist daher die Frage, welche Rolle Gleichstellungsfragen im Rahmen der Erweiterung spielten - seitens einer EU, die zumindest in Sonntagsreden behauptet, Gleichstellung von Frauen und Männern als zentrales Ziel zu verfolgen.

Der Erweiterungsprozess ist - verkürzt ausgedrückt - dadurch gekennzeichnet, dass die Beitrittskandidatenländer eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Bedingungen, die so genannten "Kopenhagener Kriterien", erfüllen müssen, daneben geht es um die Übernahme des EU-Rechts. Die Europäische Kommission überprüft in jährlichen Berichten inwiefern die Vorgaben erfüllt wurden und wo weiterer Handlungsbedarf gesehen wird[3].

Im Einklang mit den prioritären Zielsetzungen der EU, dass heißt vor allem (markt)wirtschaftlichen, ist auch der Beitrittsprozess selbst von diesen dominiert. Die Übernahme des gemeinsamen Besitzstandes wird entlang von 31 Kapiteln verhandelt. Gleichstellung kommt explizit lediglich als Unterkapitel des Kapitels 13 "Beschäftigung und Soziales" vor. Hier ist unter anderem die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern als Ziel der Europäischen Union angesprochen, aus dem sich für die EU bzw. die (zukünftigen) Mitgliedstaaten eine Reihe von Zielsetzungen ableiten, wie Bekämpfung der Diskriminierung, Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, Gewährleistung des gleichen Entgelts bei gleicher Arbeit etc. Zudem sind acht Richtlinien zur Gleichbehandlung am Arbeitsplatz festgehalten, welche von den Beitrittsstaaten umzusetzen sind (Details sh. Schroedter 2001).

Insgesamt fällt auf, dass innerhalb der fast schon unüberschaubaren Anzahl von Vorgaben, Richtlinien und Gesetzen, jene zur Gleichstellung nur einen verschwindend kleinen Anteil ausmachen. Deren formale Verankerung stellt zwar einen Fortschritt dar, aber inwiefern dies zu einer tatsächlichen Verbesserung führt, wird in weiterer Folge vor allem von der tatsächlichen Anwendung dieser Rechte abhängen - das heißt auch vom Aufbau entsprechender Gleichstellungsmechanismen und -institutionen, die es im Moment kaum gibt (und hier besteht kein Druck der EU diese zu etablieren).

Bei jenen Ländern, wo es bereits bei der formalen Verankerung Verzögerungen gibt oder gab, wurden seitens der Europäischen Kommission immerhin "Rügen" und ernsthafte Bedenken ausgesprochen - jüngst z.B. gegenüber Polen oder Lettland, wo wesentliche Gleichstellungsgesetze noch nicht umgesetzt sind (Europäische Kommission 2003).

Wirtschaftspolitik versus Gleichstellung

Insgesamt spielt aber das Thema Gleichstellung bei den Beitrittsverhandlungen keine große Rolle. Ganz im Gegenteil: Es wird negiert oder zumindest kaum angesprochen, dass durch den Transformations- und Erweiterungsprozess selbst gewisse Probleme verschärft werden. So trägt zur oben dargestellten schwierigeren Beschäftigungs- und Einkommenssituation von Frauen das Fehlen expliziter gleichstellungspolitischer Maßnahmen sicher weniger bei, als die wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen des Beitritts generell. Und diese sind auf ein Hindrängen zur Übernahme neoliberaler Wirtschaftsvorstellungen ausgerichtet und nicht auf die Sicherung (geschlechter)gerechter Lebensbedingungen. Bei der Beurteilung der "EU-Fitness" der Beitrittskandidaten wird zwischen deren Fortschritte Richtung einer "funktionsfähigen Marktwirtschaft" sowie deren "Fähigkeit, den Wettbewerbsdruck und den Marktkräften standzuhalten" unterschieden. Bereits vollzogene Privatisierungs- und Liberalisierungsschritte werden gelobt, eine "stockende Privatisierung" oder gewährte staatliche Beihilfen gerügt, da sie auch auf den Märkten der EU zu Wettbewerbsverzehrungen führen könnten (z.B. Europäische Kommission 1998 bzw. fortlaufende Fortschrittsberichte).

Da es zur sozialen Sicherung bzw. Sozialpolitik kaum gemeinschaftliche Vorgaben und Ansatzpunkte gibt, ist dieser Bereich - im Sinne einer positiven Gestaltungsmöglichkeit - kaum Thema des Beitrittsprozesses. Allerdings werden Gestaltungsmöglichkeiten durch vorgegebene "Sparzwänge" (bzw. sonst drohender Defizitabbauverfehlungen), Vorschlägen zum Abbau "verwaltungsaufwendiger" und "uneffizienter" Leistungen etc. ganz im Gegenteil negativ beeinflusst (sh. auch Beer 2000). 

Hier sei auf die teilweise sehr grundlegenden Änderungen der Systeme der sozialen Sicherheit aufmerksam gemacht. Während die Reformen Anfang der 90er generell davon geprägt waren, den Transformationsprozess am Arbeitsmarkt sowie die "großen" wirtschaftlichen Problemfelder und die hohe Inflation in irgendeiner Form abzufangen (natürlich ohne expliziter Gleichstellungszielsetzung) ist seit Mitte der 90er, als es zumindest zu einer gewissen Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation kam, in den meisten Ländern eine fundamentale Reform der Systeme der sozialen Sicherheit angedacht und durchgeführt worden - "natürlich" auch hier mit wenig Bedacht auf Gleichstellungsfragen. 

Es ist zwar nicht möglich ein gemeinsames Muster quer über alle Beitrittsländer herauszukristallisieren, trotzdem lassen sich einige - vor allem für Frauen negative - Änderungen bei den Systemen der sozialen Leistung nennen. Hervorzuheben ist die Modifikation von Transferansprüchen: Die Höhe und Dauer von Transferzahlungen ist nun in stärkerem Ausmaß als bisher von vorhergehenden Beitragszahlungen abhängig. Dies trifft besonders auf Reformen der Pensionssysteme zu. Frauen sind hier aufgrund der geringen Einkommen sowie karenzbedingten Unterbrechungen doppelt betroffen. So zeigt sich die Weltbank stolz, dass "the main objective of these reforms is to move systems closer to actuarial principles", auch wenn sogar von ihr eingeräumt wird, dass "the outcomes for poverty incidence among elderly women - and for the female population as a whole - are likely to be particularly severe" (Paci 2002, 86). Weitere Modifikationen betreffen die Abhängigkeit sozialer Leistungen vom Haushaltseinkommen anstelle genereller Ansprüche. Hier ist zu erwarten, dass Frauen entmutigt werden, (wieder) erwerbstätig zu werden (sh. Fultz/Ruck/Steinhilber 2003).

Wenn diese Änderungen auch kein direktes Produkt des Beitrittes sind, sondern teilweise von anderen Einrichtungen wie der Weltbank initiiert wurden, hat hier der Beitritt zumindest eine verstärkende Rolle gespielt. Und auch wenn nicht immer alles auf "die EU" oder "die Weltbank" und deren Vorgaben und Richtlinien geschoben werden kann, sondern diese oft als Ausrede für nationale Vorhaben verwendet werden, sind die Rahmenbedingungen für diese Argumentation doch sehr eindeutig.

Insgesamt kann konstatiert werden, dass durch die rasche Übernahme der EU-Vorgaben sowie der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der EU - vor allem hinsichtlich Privatisierungs- und Sparmaßnahmen - der Druck für Frauen enorm gestiegen ist und ihre Position verschärft hat. Auch wenn sich auf der einen Seite die gleichstellungspolitische Gesetzgebung verbessert hat, so zeigt die andere Seite, dass die wirtschaftspolitischen Auswirkungen auf die Gleichstellungssituation nicht berücksichtigt werden. Ein Resümee, welches nicht nur beim Erweiterungsprozess, sondern generell für die EU festgestellt werden kann. Von daher nimmt es nicht wunder, dass die EU, wo ja ähnliche ungleiche Strukturen bestehen wie bei den beitretenden Ländern, keine andere Position gegenüber dem Erweiterungsprozess einnimmt.  

(Gemeinsame) gleichstellungspolitische Forderungen und Handlungsansätze 

Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage nach möglichen (gemeinsamen) Handlungsansätzen und frauen- und gleichstellungspolitischen Forderungen und Strategien in der neuen EU zu stellen.

Bezogen auf einige Grunddaten ist es evident, dass die Problemlagen von Frauen in der neuen und alten EU nicht unähnlich sind, wie die Teilung des Arbeitsmarktes in so genannte Frauen- und Männerberufe, die "selbstverständliche" Auflastung der Versorgungsarbeit, mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Einkommensunterschiede etc. Aber natürlich gibt es aufgrund der raschen Übergangssituation und des Regimewechsels auch spezifische Problemfelder, die Frauen aus den Beitrittskandidatenländern stärker oder anders betreffen.

Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang die ideologische Prägung der Geschlechterrollen: Im realsozialistischen Modell stand die gleichberechtigte Erwerbsbeteiligung (allerdings mit alleiniger Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktionsarbeit) im Vordergrund. Während des Transformationsprozesses hat in den meisten Ländern eine Umwälzung zu sehr konservativen Mutterideolgien stattgefunden - auch als Produkt des massiven Abbaus von Frauenarbeitsplätzen. Diese Verdrängung der Frauen aus dem formalen Arbeitsmarkt verstärkte den Druck auf Frauen durch informelle Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. durch die Kombination unterschiedlicher "patterns of survivance" finanzielle Überlebensmöglichkeiten zu finden und vergrößerte zudem die Abhängigkeit von Ehemännern und Partnern. Während die Frauenbeschäftigung in den "alten" EU-Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren zunahm, kann bei den neuen Ländern eine gegenläufige Bewegung festgestellt werden.

Des weiteren ist in diesem Zusammenhang die noch geringere politische Partizipation der Frauen in den künftigen Mitgliedstaaten zu nennen. Hier ist jedoch in jüngster Zeit - langsam, aber sehr lebendig - eine frauenpolitische Zivilgesellschaft entstanden, die sich auch schon zu sehr aktiven mittel- und (süd)osteuropäischen Frauen-Netzwerken zusammengeschlossen hat[4]. Der Austausch zwischen den unterschiedlichen Frauenorganisationen, Lobbyarbeit zu gemeinsamen Anliegen und der Aufbau institutionalisierter Frauenstrukturen steht im Mittelpunkt. Aber auch der Austausch mit Frauen-Netzwerken aus den bisherigen EU-Länder wird zunehmend intensiviert. Betont wird aber, dass (noch) ein eigener frauenpolitischer Weg der ost- und mitteleuropäischen Frauen gefunden und gegangen werden muss, damit nicht in frauenspezifischen Zusammenhängen ähnliches passiert, wie beim Erweiterungsprozess generell: dass Vorstellungen der derzeitigen EU-Fraueninitiativen auf jene der beitretenden Fraueninitiativen "ausgeweitet" werden ohne nach ihren spezifischen Bedürfnissen und Anliegen zu fragen oder im Sinne eines tatsächlichen Austausches gemeinsame Positionen zu suchen. Mittlerweile gibt es aber schon unterschiedliche Ansätze für gemeinsamen Positionen - ein Beispiel dazu ist ein gemeinsamer Katalog von Fraueninitiativen aus Ost und West mit Forderungen an eine erweiterte EU[5].     

Frauenpolitische Forderungen an eine erweiterte EU

  • Die Dominanz der ökonomischen Orientierung der EU muss zugunsten sozialer Ziele verändert werden. Öffentliche Sozialausgaben dürfen nicht den Maastrichtkriterien zum Opfer fallen. Wohlfahrtsstaaten müssen stattdessen erhalten und, wo nötig, reformiert werden, um zur Geschlechtergleichstellung beizutragen.
  • Geschlechtergleichheit und Gleichberechtigung sollen als Grundwerte der EU in die Verfassung aufgenommen werden. Eine Einengung auf christliche Werte und Traditionen in der EU sowie religiös motivierte Versuche, die Selbstbestimmung von Frauen zu beschränken, stehen Frauenrechten entgegen.
  • Es braucht Mechanismen, welche eine ausgewogene politische Repräsentation von Frauen auf allen Ebenen und in allen Gremien sicherstellen
  • Klares Handeln ist nötig gegen neue Trennlinien durch Europa nach der Erweiterung, sowie gegen die damit verbundene illegale Migration. Europa muss für "Neuankömmlinge" offen sein.
  • Der Zugang zu öffentlichen Gütern muss geschützt und erweitert werden, anstatt sie zu privatisieren. Denn  Privatisierung geht vor allem auf Kosten von Frauen
  • Echter Schutz vor Diskriminierung muss gewährleistet werden- nicht nur de jure, sondern de facto - wozu auch der Aufbau entsprechender Mechanismen notwendig ist
  • Die Europäische Beschäftigungsstrategie muss, wo nötig, nach der EU-Erweiterung angepasst werden, um der Situation in neuen Mitgliedsstaaten gerecht zu werden- z.B. der noch bestehenden höheren Arbeitsmarktintegration von Frauen
  • EU Finanzhilfen gehören auf ihre Auswirkungen aus Genderperspektive überprüft. Gender Budgeting ist nötig, zumindest bei den Strukturfonds der EU.
  • (Frauen)-NGOs, insbesondere internationale Netzwerke, sind als Teil der Zivilgesellschaft mangels nationaler Finanzierungsmechanismen auf internationale Finanzierung, z.B. durch die EU dringend angewiesen
  • Gegen Menschen- vor allem Frauenhandel sowie sexuelle Ausbeutung von Frauen, muss vorgegangen werden, unter anderem durch Änderung bestehender Grenzregime sowie Bestrafung der Täter und Kunden und nicht der Frauen bzw. Opfer 
  • Die EU sollte sich stärker international als Friedensvermittlerin engagieren, gender mainstreaming in der Entwicklungszusammenarbeit sicherstellen und aktiv gegen weltweite Militarisierung vorgehen

Quelle: NRO Frauenforum and Karat Coalition: Expanding Rights, creating space for action? EU Reform and Enlargement from a Gender Perspective. Berlin 2004

Literatur

Beer, Elisabeth: Endstation Beitritt oder: Die Katze im Sack? In: Kurswechsel Nr. 3/2000

Europäische Kommission: Fortschrittsberichte, Brüssel, seit 1997 fortlaufend 

Europäische Kommission: Umfassender Monitoringbericht der Kommission über den Stand der Beitrittsvorbereitungen. Brüssel 2003

Filadelfiová, Jarmila: O ženach, moci a politika. Úvahy, fakty, súvislosti. In: Hlasy žien. Aspekty ženskej politiky. Bratislava 2002, 13-81

Frey, Mária: Possibilities of, and barriers to, the employment of women on child care leave and inactive family reasons.  Budapest 2002

Fultz, Elaine / Ruck, Markus / Steinhilber, Silke (Hg.): The Gender Dimensions of Social Security Reform in Central and Eastern Europe. Case Studies of the Czech Republic, Hungary and Poland. Budapest 2003

Liberal Society Institute: Mobilization of Domestic Resources to Secure Social Justice and Gender Equality in Central and Eastern European Countries. Fact Sheet 2000.

Lokar, Sonja: Fünf Thesen über die Situation der Frauen. In: Ost-West Information Nr. 1/2000

Marinova, Jivka: Gender Equality and EU accession: The Situation in Bulgaria. Wide 2003

Marksová-Tominová, Michaela: Gender Equality and EU accession: The Situation in the Czech Republic. Wide 2003

Matyja, Miroslaw: Subsidiarity: A Tool for Gender Equality in an Enlarged EU. 2001

Open Society Institute: Equal Opportunities for Women and Men in Hungary. 2002

Paci, Pierella: Gender in Transition. World Bank, Washington 2002

Rangelova, Rossitsa: Gender labour relations and EU enlargement. In : South-East Europe Review. Nr. 3/2002

Schroedter, Elisabeth: Gender-Perspektive im Erweiterungsprozess. In: Allroggen / Berger / Erbe (Hg.): Was bringt Europa den Frauen? Hamburg 2002, 129-144

Unicef: Women in Transistion. Regional Monitoring Report Nr. 6. Florence 1999

Unicef: A decade of Transistion. Regional Monitoring Report Nr. 8. Florence 2001


[1] Die Beantwortung der Fragen erfolgt anhand einer sekundärstatistischen Auswertung zentraler Indikatoren, einer Literatur- und Dokumentenanalyse sowie Expertinnen-Interviews. Befragt wurden Vertreterinnen von Frauen-NGOs aus Mittel- und Osteuropa. Unserer besonderer Dank gilt Sonja Lokar, Silke Steinhilber und Szilvia Szabó.

[2] Trotz der Herausarbeitung ähnlicher Tendenzen soll natürlich nicht in Abrede gestellt werden, dass es zwischen den einzelnen Ländern enorme Unterschiede gibt, die aus Platzgründen hier aber wenig Berücksichtigung finden können. 

[3] Einen guten Überblick über den Beitrittsprozess und den Stand der Verhandlungen findet man auf der Homepage der Europäischen Kommission unter: http://europa.eu.int/comm/enlargement/enlargement.htm.

[4] Beispielsweise das Netzwerk Karat, wozu sich unter http://www.karat.org nähere Informationen finden.

[5] Dieser Katalog wurde auf einer Konferenz zum Thema "Expanding Rights? EU Reform and Enlargement from a Gender Perspective" im Dezember 2003 in Berlin von verschiedenen Frauenorganisationen und -netzwerken aus Ost und West diskutiert. Nähere Informationen siehe http://www.womnet.de.